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343. Nacht

Der afrikanische Zauberer, der das Glück, so schnell und
so leicht zu der Gunst der Prinzessin Badrulbudur zu gelangen, für eine
Unmöglichkeit gehalten hatte, sagte zu ihr, er könne nicht Ausdrücke finden,
um ihr genugsam an den Tag zu legen, wie tief er ihre Güte fühle, und um sich
möglichst bald aus diesem Gespräch herauszuziehen, lenkte er schnell auf den
afrikanischen Wein, von dem sie gesprochen, und sagte ihr, dass unter allen
Vorzügen, deren sich Afrika nur irgend rühmen könne, die Hervorbringung eines
trefflichen Weines einer der hauptsächlichsten sei. Er habe ein Fass, das schon
sieben Jahre alt und noch nicht angebohrt sei, und dies sei, ohne übertreibung,
ein Wein, der an Güte die vortrefflichsten Weine der Welt übertreffe.
„Wenn meine Prinzessin,“ fuhr er fort, „mir es erlauben will, so
werde ich zwei Flaschen davon holen und unverzüglich wieder da sein.“ –
„Es würde mir leid tun, euch diese Mühe zu machen,“ sagte die
Prinzessin, „es wäre wohl besser, wenn ihr jemanden danach
schicktet.“ – „Es ist durchaus notwenig, dass ich selber danach
gehe,“ erwiderte der afrikanische Zauberer, „niemand außer mir weiß
nämlich, wo der Schlüssel zu dem Weinkeller liegt, und so weiß auch niemand
außer mir das Geheimnis, wie man ihn aufschließt.“ – „wenn es so
ist,“ sagte die Prinzessin, „so geht dann nur selber, und kommt bald
wieder. Je länger ihr wegbleibt, je größer wird meine Ungeduld sein, euch
wieder zu sehen, und bedenkt zugleich, dass wir sogleich, wenn ihr wiederkommt,
uns zu Tisch setzen werden.“

Der afrikanische Zauberer, der nun voll guter Hoffnung auf
sein vermeintliches Glück war, lief nicht etwas, um seinen siebenjährigen Wein
zu holen, sondern er flog danach, und kam schnell wieder. Die Prinzessin, die
nicht daran gezweifelt hatte, dass er sich sehr beeilen würde, hatte selber das
Pulver, welches Aladdin ihr gebracht, in einen Becher geworfen, den sie bei
Seite gesetzt hatte, und ließ jetzt auftragen. Sie setzten sich zu Tafel, und
zwar einander gegenüber, so dass der Zauberer dem Schenktisch den Rücken
kehrte. Indem die Prinzessin ihm nun von dem besten vorlegte, sagte sie zu ihm:
„Wenn ihr wollt, so will ich euch das Vergnügen eines Konzerts
verschaffen, doch da wir beide hier allein sitzen, so scheint es mir, dass die
Unterhaltung uns noch mehr Vergnügen gewähren wird.“ Der Zauberer
betrachtete diese Wahl der Prinzessin als eine neue Gunst.

Nachdem sie einige Bissen gegessen hatten, verlangte die
Prinzessin zu trinken. Sie trank auf die Gesundheit des Zauberers, und als sie
getrunken hatte, sagte sie: „Ihr hattet sehr Recht, euren Wein zu loben,
ich habe noch nie so köstlichen getrunken.“ – „Reizende
Prinzessin,“ erwiderte er, indem er den Becher, den man ihm dargereicht
hatte, in der Hand hielt, „mein Wein erhielt durch den Beifall, den ihr ihm
gebt, eine neue Güte.“ – „Trinkt auf meine Gesundheit,“ fuhr die
Prinzessin fort, „ihr werdet selber finden, dass ich mich sehr gut auf
dergleichen verstehe.“ Er trank auf die Gesundheit der Prinzessin, und
sagte dann, indem er den Becher zurückgab: „Prinzessin, ich fühle mich
glücklich, dass ich dies Fass für eine gute Gelegenheit aufgespart habe. Ich
gestehe selber, dass ich noch nie in meinem Leben so vortrefflichen getrunken
habe.“

Als sie weiter gegessen und noch drei Trünke getan
hatten, gab endlich die Prinzessin, welche den Zauberer durch ihre
Höflichkeiten und artige Manieren vollends bezaubert hatte, der Dienerin,
welche ihr zu trinken brachte, das Zeichen, und während man ihr ihren Becher
voll Wein brachte, sagte sie zugleich, dass man den des afrikanischen Zauberers
ebenfalls voll schenken und ihm überreichen möchte. Als nun jeder von beiden
seinen Becher in der Hand hatte, sagte sie zu dem afrikanischen Zauberer:
„Ich weiß nicht, wie es bei euch zu Lande unter Liebenden, die zusammen
trinken, Sitte ist. Bei uns in China überreichen sich die Geliebte und der
Liebende einander gegenseitig ihre Becher, und trinken so einer auf des andern
Gesundheit.“ Zugleich überreichte sie ihm den Becher, den sie in der Hand
hielt, und streckte ihre Hand aus, um den seinigen in Empfang zu nehmen. Der
afrikanische Zauberer beeilte sich um so freudiger, diesen Tausch vorzunehmen,
da er diesen als das sicherste Zeichen betrachtete, dass er das Herz der
Prinzessin völlig erobert habe, was ihn denn auf den Gipfel des Glücks erhob.
Ehe er trank, sagte er, mit dem Becher in der Hand: „Prinzessin, es fehlt
viel, dass wir Afrikaner in der Kunst, die Liebe durch alle mögliche
Annehmlichkeiten zu versüßen, so weit wären als man in China ist, und indem
ich hier etwas lerne, das ich noch nicht wusste, fühle ich zugleich, wie hoch
ich diese mir erzeigte Begünstigung aufnehmen muss. Ich werde das nie
vergessen, meine liebenswürdige Prinzessin. Indem ich aus eurem Becher trank,
fand ich ein Leben wieder, worauf ich, wenn eure Grausamkeit fortgedauert
hätte, hätte verzichten müssen.“

Die Prinzessin Badrulbudur, welche sich bei dem leeren
Geschwätz des afrikanischen Zauberers langweilte, unterbrach ihn und sagte:
„Lasst uns jetzt trinken, ihr könnt ja nachher das hinzufügen, was ihr
mir noch sagen wolltet.“ Zugleich setzte sie den Becher an den Mund,
berührte ihn aber bloß mit den Lippen, während der afrikanische Zauberer sich
so sehr beeilte, ihr es zuvorzutun, dass er den seinigen ausleerte, ohne einen
Tropfen darin zu lassen. Da er beim Austrinken seinen Kopf etwas rückwärts
geneigt hatte, um seinen Eifer zu zeigen, so blieb er noch eine Weile in dieser
Stellung, bis die Prinzessin, welche noch immer den Rand der Schale an ihren
Lippen hielt, sah, dass seine Augen sich verdrehten und er ohne Besinnung
rücklings zu Boden fiel.

Die Prinzessin hatte nicht erst nötig zu befehlen, dass
man die geheime Tür für Aladdin aufschließen solle. Ihre Frauen, die mit ihr
im Einverständnis waren, hatten sich in gehörigen Zwischenräumen vom Saal bis
unten an die Treppe herab aufgestellt, so dass fast in demselben Augenblick, wo
der afrikanische Zauberer rücklings hinsank, auch schon unten die verborgene
Tür geöffnet wurde.

Aladdin kam herauf und trat in den Saal ein. Als er den
afrikanischen Zauberer auf dem Sofa ausgestreckt liegen sah, hielt er die
Prinzessin Badrulbudur, welche aufgestanden war und ihm mit offenen Armen
entgegeneilte, zurück und sagte: „Prinzessin, noch ist es nicht Zeit. Seid
so gefällig, euch in euer Zimmer zu begeben und dafür zu sorgen, dass man mich
allein lässt, während ich daran arbeite, euch ebenso schnell wieder nach China
zurückzuschaffen, als ihr daraus entfernt worden seid.“

Sobald die Prinzessin mit ihren Frauen und Verschnittenen
aus dem Saal gegangen war, verschloss Aladdin die Tür, näherte sich dem
entseelten Leichnam des Zauberers, öffnete dessen Kleid, und zog die Lampe
heraus, welche noch so verhüllt war, als die Prinzessin es ihm beschrieben
hatte. Er enthüllte sie und rieb sie. Sogleich erschien der Geist mit der
gewöhnlichen Begrüßung. „Geist,“ sagte Aladdin zu ihm, „ich
habe dich gerufen, um dir im Namen dieser Lampe zu befehlen, dass du diesen
Palast unverzüglich wieder nach China zurücktragen lässt, und zwar an
denselben Ort und dieselbe Stelle, von wo er weggenommen worden.“ Der
Geist, nachdem er durch ein Kopfneigen angedeutet hatte, dass er gehorchen
werde, verschwand. Die Versetzung ging wirklich vor sich, und man bemerkte sie
bloß an zwei sehr leichten Erschütterungen, die eine beim Emporheben des
Palastes von seiner Stelle in Afrika, die andere bei Niedersetzung desselben in
China neben dem Palast des Sultans, – welches alles in höchst kurzer Zeit
geschah.

Aladdin ging nun in das Zimmer der Prinzessin hinab,
umarmte sie und sagte zu ihr: „Prinzessin, ich kann euch versichern, dass
meine und eure Freude morgen früh vollkommen sein wird.“ Da die Prinzessin
noch nicht völlig zu Abend gegessen hatte und Aladdin zu essen verlangte, so
ließ die Prinzessin aus dem Saal von vierundzwanzig Fenstern die Speisen, die
dort aufgetragen, aber kaum berührt worden waren, auf ihr Zimmer bringen. Die
Prinzessin und Aladdin speisten zusammen und tranken von dem guten alten Wein
des afrikanischen Zauberers. Um von ihrer Unterhaltung, die nicht anders als
höchst vergnügt sein konnte, zu schweigen, füge ich bloß so viel hinzu, dass
sie sich hierauf nach ihrem Schlafgemach begaben.

Seit der Entführung des Palastes Aladdins und der
Prinzessin Badrulbudur war ihr Vater, der Sultan, über ihren Verlust
untröstlich. Er konnte weder bei Nacht, noch bei Tag schlafen, und anstatt
alles zu vermeiden, was seiner Betrübnis Nahrung geben konnte, suchte er im
Gegenteil alles dergleichen auf. So zum Beispiel, während er zuvor alle Morgen
nach dem offenen Erker seines Palastes gegangen war, um sich an dem angenehmen
Anblick, dessen er gar nicht satt werden konnte, zu letzen, ging er jetzt
mehrmals des Tages dahin, um seine Tränen zu erneuen, und um durch den
Gedanken, dass er das, was ihm so wohl gefallen, nie mehr wieder sehen würde,
und dass er zugleich sein Liebstes auf der Welt verloren habe, sich immer tiefer
in seine Betrübnis zu versenken. An demselben Morgen, wo Aladdins Palast wieder
an seine vorige Stelle zurück gebracht worden war, ging der Sultan, als kaum die
Morgenröte aufgegangen war, wieder in diesen Erker. Beim Eintritt in denselben
war er so in sich gekehrt, und so von Betrübnis durchdrungen, dass er seine
Augen ganz traurig nach der Seite hinwendete, wo er bloß den leeren Raum und
keinen Palast mehr zu erblicken vermeinte. Allein, als er auf einmal diese Leere
ausgefüllt sah, hielt er es für die Wirkung eines Nebels. Er betrachtete es
aufmerksamer und erkannte nun unzweifelhaft, dass es Aladdins Palast sei. Freude
und Lust traten nun bei ihm an die Stelle des Kummers und der Traurigkeit. Eilig
kehrte er nach seinem Zimmer zurück und befahl, dass man ihm ein Pferd satteln
und vorführen solle. Man führte ihm eins vor, er steig auf, ritt fort, und ihm
war, als könne er nicht schnell genug zu Aladdins Palast kommen.