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342. Nacht

Als Aladdin aus den Zimmern der Prinzessin
hinuntergegangen und durch dieselbe Tür wieder hinausgetreten war, sah er sich
nach allen Seiten um und bemerkte einen Bauer, der ins Feld ging.

Da der Bauer jenseits des Palastes ging und ein wenig
entfernt war, so schritt Aladdin rasch zu, und machte ihm, sobald er ihn
eingeholt hatte, den Antrag, die Kleidung mit ihm zu wechseln, worauf der Bauer
endlich auch einging. Der Umtausch geschah hinter einem Gebüsch, und als sie
sich getrennt hatten, schlug Aladdin den Weg nach der Stadt ein. Sobald er
hineingekommen war, schlug er die Straße ein, die vom Tor auslief, lenkte dann
durch die besuchtesten Straßen, und kam endlich dahin, wo die Verkäufer und
Handwerker von allen Gattungen ihre besondere Gasse hatten. Er trat nun in die
Gasse der Spezereihändler, wendete sich an den größten und warenreichsten
Laden, und fragte den Kaufmann, ob er ein gewisses Pulver vorrätig habe,
welches er ihm nannte.

Der Kaufmann, welcher aus Aladdins Kleidung schloss, dass
er sehr arm sei, und wohl nicht Geld genug habe, um bezahlen zu können, sagte
zu ihm, er habe dergleichen wohl, aber es sei sehr teuer. Aladdin erriet die
Gedanken des Kaufmanns, zog seinen Geldbeutel, ließ einige Goldstücke hervor
blinken, und verlangte eine halbe Drachme von diesem Pulver. Der Kaufmann wog so
viel ab, packte es ein, überreichte es an Aladdin und verlangte ein Goldstück
dafür. Aladdin händigte es ihm ein und ohne sich in der Stadt länger
aufzuhalten als nötig war, um etwas Speise zu sich zu nehmen, kehrte er nach
seinem Palast zurück. Er durfte an der verborgenen Tür nicht lange warten. Sie
wurde ihm sogleich geöffnet und er ging in das Zimmer der Prinzessin
Badrulbudur hinauf. „Prinzessin,“ sagte er zu ihr, „die
Abneigung, die ihr, wie ihr mir gesagt, gegen euren Entführer hegt, wird es
euch vielleicht schwer machen, den Rat, den ich euch geben werde, zu befolgen.
Indessen erlaubt mir euch zu sagen, dass es nötig ist, euch zu verstellen und
sogar euch Gewalt anzutun, sofern ihr euch von seinen Nachstellungen befreien
und eurem Vater, dem Sultan, die Freude machen wollt, euch wieder zu sehen. Wenn
ihr also meinem Rat folgen wollt,“ fuhr Aladdin fort, „so würdet ihr
jetzt augenblicklich eines der schönsten Kleider anziehen müssen. Sobald der afrikanische
Zauberer dann kommt, so scheut euch nicht, ihn auf die möglichst beste Weise zu
empfangen, und zwar ohne allen Zwang und Befangenheit, mit heiterer Miene, und
so, dass, wenn ja ein Wölkchen von Trübsinn auf eurem Gesicht zurückbleiben
sollte, dies von nicht langer Dauer zu sein scheine. Im Gespräch gebt ihm
sodann zu erkennen, dass ihr euch bemühtet, mich zu vergessen, und um ihn ganz
von eurer Aufrichtigkeit zu überzeugen, so ladet ihn zum Abendessen mit euch
ein und zeigt ihm an, dass ihr gern den besten Wein seines Landes kosten
möchtet. Er wird dann nicht unterlassen wegzugehen, um dergleichen zu holen.
Während ihr dann auf seine Wiederkehr wartet und die Tafel schon in
Bereitschaft gesetzt ist, so schüttet in einen dieser Becher, aus denen ihr zu
trinken pflegt, dies Pulver hier, setzt ihn dann beiseite, und gebt dann
derjenigen von euren Frauen, die euch zu trinken bringt, dies Pulver hier, setzt
ihn dann b3eiseit, und gebt dann derjenigen von euren Frauen, die euch zu
trinken bringt, die Anweisung, dass sie auf ein verabredetes Zeichen ihn euch
voll Wein bringe, und sich in acht nehme, dass nicht etwa ein Irrtum dabei
vorfällt. Wenn der Zauberer zurückgekehrt sein wird und ihr bei Tafel sitzen
und so viel gegessen und getrunken haben werdet, als euch gut dünkt, so lasst
den Becher mit dem Pulver bringen, und vertauscht euren Becher mit dem seinigen.
Er wird die Gunst, die ihr ihm dadurch erzeigt, so hoch aufnehmen, dass er es
nicht ablehnen, sondern sogar den Becher rein austrinken wird. Kaum wird er ihn
geleert haben, so werdet ihr ihn rücklings hinsinken sehen. Sollte euch ekeln,
aus seinem Becher zu trinken, so dürft ihr euch bloß so stellen, als tränket
ihr, und zwar ganz ohne Furcht, denn die Wirkung des Pulvers wird so schnell
erfolgen, dass er gar nicht Zeit haben wird zu bemerken, ob ihr trinkt oder
nicht trinkt.“

Als Aladdin dies gesagt hatte, sprach die Prinzessin:
„Ich gestehe euch, dass es mir viel überwindung kosten wird, dem Zauberer
diese Schritte entgegen zu tun, die, wie ich sehe, durchaus notwendig sind. Aber
welcher Entschließung ist man nicht fähig gegen einen so grausamen Feind? Ich
werde also tun, was ihr mir da ratet, da hiervon ebenso sehr meine als eure Ruhe
abhängt.“ Nachdem Aladdin diese Maßregeln mit der Prinzessin verabredet
hatte, nahm er Abschied von ihr, um den übrigen Teil des Tages in den
Umgebungen des Palastes zuzubringen und die Nacht zu erwarten.

Die Prinzessin Badrulbudur, welche untröstlich darüber
war, nicht bloß von ihrem teuren Gemahl Aladdin, den sie immer noch mehr aus
Neigung denn aus Pflicht liebte, sondern auch von ihrem Vater, dem Sultan, der
so zärtlich an ihr hing, getrennt zu sein, hatte seit dem Moment jener
schmerzlichen Trennung ihr äußeres sehr vernachlässigt. Sie hatte sogar – so
zu sagen – jene Reinlichkeit aus den Augen gesetzt, welche Personen ihres
Geschlechts so wohl ansteht, besonders seitdem der afrikanische Zauberer sich
ihr zum ersten Mal vorgestellt, und sie durch ihre Frauen, die ihn
wieder erkannten, erfahren hatte, dass er es gewesen, der die alte Lampe gegen
eine neue durch Tausch an sich genommen, durch welchen entsetzlichen Betrug er
ihr zum Abscheu geworden war. Indessen die sich darbiete, und zwar früher, als
sie es zu hoffen gewagt, machte, dass sie sich entschloss Aladdins Wünsche zu
willfahren. Sobald er sich daher entfernt hatte, setzte sie sich an ihren
Putztisch, ließ sich durch ihre Frauen auf die vorteilhaftestes Weise
schmücken, und legte das reichste und ihrem Vorhaben angemessenste Kleid an.
Der Gürtel, den sie sich anlegte, war von Gold und mit den größten und
auserlesensten Diamanten ausgelegt. Außer dem Gürtel machte sie sich bloß ein
Perlenhalsband um, an welchem sie sechs Seitenperlen zu der mittleren, welche
die größte und kostbarste war, in einem solchen Verhältnis standen, dass die
größten Sultaninnen und Königinnen sich glücklich geschätzt haben würden,
wenn sie eine vollständige Schnur von der Größte der zwei kleinsten Perlen im
Halsband der Prinzessin besessen hätten. Die Armbänder, welche abwechselnd mit
Diamanten und Rubinen besetzt waren, entsprachen wunderbar dem Reichtum des
Gürtels und des Halsbandes.

Als die Prinzessin Badrulbudur völlig angekleidet war,
zog sie ihren Spiegel zu Rate, holte die Meinung ihrer Frauen über ihren ganzen
Anzug ein, und nachdem sie gesehen, dass ihr keiner von jenen Reizen fehle,
welche der törichten Leidenschaft des afrikanischen Zauberers schmeicheln
konnten, setzte sie sich auf ihr Sofa und erwartete seine Ankunft.

Der afrikanische Zauberer unterließ nicht, sich zur
gewohnten Stunde einzustellen. Sobald die Prinzessin ihn in den Saal von
vierundzwanzig Fenstern, worin sie ihn erwartete, eintreten sah, stand sie im
vollen Glanz ihrer Schönheit und ihrer Reize auf, und bezeichnete ihm mit der
Hand den Ehrenplatz, den er ihrem Wunsch zufolge einnehmen sollte, um sich mit
ihm zugleich setzen zu können, eine ausgezeichnete Artigkeit, die sie ihm bis
hierher noch nie erwiesen hatte.

Der afrikanische Zauberer, mehr von dem Glanz der schönen
Augen der Prinzessin, als von dem Schimmer der sie umgebenden Edelsteine
geblendet, war davon sehr überrascht. Ihre majestätische Haltung und ein
gewisser Ton von Anmut, womit sie ihn empfing und der mit ihrer bisherigen
zurückweisenden Art so sehr kontrastierte, machte ihn ganz verwirrt. Anfangs
wollte er am äußersten Rand des Sofas Platz nehmen, doch da er sah, dass die
Prinzessin ihren Platz nicht eher einnehmen wollte, als bis er sich dahin
gesetzt, wohin sie gewünscht, so gehorchte er.

Als der afrikanische Zauberer sich gesetzt hatte, nahm die
Prinzessin, um ihn aus seiner Verlegenheit zu ziehen, das Wort, und indem sie
ihn auf eine Weise anblickte, die in ihm den Glauben erweckte, er sei ihr nicht
mehr so verhasst wie zuvor, sagte sie zu ihm: „Ihr werdet euch ohne Zweifle
wundern, dass ihr mich heute ganz anders findet, als ihr mich bisher gefunden
habt. Doch ihr werdet nicht weiter darüber erstaunen, wenn ich euch sage, dass
meiner inneren Gemütsstimmung alle Traurigkeit, Schwermut, Betrübnis und
Kummer zuwider ist, dass ich sie sobald als möglich los zu werden suche, wenn
der Anlass dazu vorüber ist. Ich habe mir das, was ihr mir von Aladdins
Schicksal sagtet, wohl überlegt, und bei der bekannten Gemütsart meines Vaters
bin ich mit euch überzeugt, dass er dem furchtbaren Ausbruch seines Zornes
nicht hat entgehen können. Wenn ich daher auch hartnäckig darauf beharren
wollte, ihn mein Leben lang zu beweinen, so sehe ich doch, dass ihn meine
Tränen nicht wieder lebendig machen würden. Nachdem ich ihm nun bis ins Grab
alle Pflichten erwiesen habe, welche die Liebe von mir forderte, scheint es mir
gleichwohl, dass ich alle Mittel, um mich zu trösten, aufbieten müsse. Dies
sind nun die Beweggründe zu der Veränderung, die ihr an mir wahrnehmt. Um
jeden Anlass zur Traurigkeit, die ich ganz zu verbannen entschlossen bin, zu
entfernen, und in der Meinung, dass ihr mir wohl Gesellschaft leisten würdet,
habe ich befohlen, dass man uns eine Abendmahlzeit bereiten soll. Allein, da ich
bloß chinesischen Wein vorrätig habe, und ich mich doch in Afrika befinde, so
habe ich Lust bekommen, den hier zu Lande wachsenden zu kosten, und ich glaube,
dass, wenn dergleichen hier wächst, ihr wohl den besten herausfinden
würdet.“