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341. Nacht

Aladdin entfernte sich tief gedemütigt und in einem
Mitleid erregenden Zustand aus dem Angesicht des Sultans. Er ging mit gesenktem
Haupt über die Höfe des Palastes, ohne dass er in seiner Niedergeschlagenheit
die Augen aufzuheben wagte. Die obersten Hofbeamten, die er nie im geringsten
beleidigt hatte und die seine Freunde waren, kehrten gleichwohl, anstatt sich
ihm zu nähern, ihn zu trösten oder ihm einen Zufluchtsort in ihrem Haus
anzubieten, vielmehr den Rücken, sowohl um ihn nicht zu sehen, als auch, damit
er sie nicht erkennen möchte. Aber hätten sie sich auch ihm genähert, um ihm
Trost zuzusprechen oder ihm ihre Dienste anzubieten, sie hätten Aladdin nicht
wieder erkannt. Kannte er sich doch selbst nicht mehr, und war seines Verstandes
nicht mehr mächtig. Dies zeigte er, sobald er aus dem Palast hinausgetreten
war. Denn ohne zu bedenken, was er tat, fragte er von Tür zu Tür und alle,
denen er begegnete, ob man nicht seinen Palast gesehen habe, oder ihm davon
Nachricht geben könne.

Die Fragen brachten jedermann auf den Gedanken, dass
Aladdin seinen Verstand verloren habe. Einige lachten darüber, doch die
Vernünftigen und hauptsächlich alle die, welche in irgend einer
Freundschaftsverbindung oder in irgend einem Verkehr mit ihm gestanden hatten,
wurden von wahrhaftem Mitleid ergriffen. Er blieb drei Tage in der Stadt, indem
er sich bald nach dieser, bald nach jener Seite hinwendete, und nichts aß, als
was man ihm aus Mitleid reichte, und ohne übrigens einen Entschluss zu fassen.

Endlich, da er in einer Stadt, wo er einst mit so viel
Glanz aufgetreten war, in seinem unglücklichen Zustand nicht länger verweilen
konnte, so entfernte er sich aus derselben und schlug den Weg nach dem Feld ein.
Er vermeid die großen Heerstraßen. Nachdem er mehrere Felder in einer
schrecklichen Ungewissheit durchirrt hatte, kam er bei Anbruch der Nacht an das
Ufer eines Stromes. Hier fasste er einen Gedanken der Verzweiflung. „Wo
soll ich meinen Palast jetzt suchen?“, sagte er bei sich selbst, „in
welcher Provinz, in welchem Land, in welchem Teil der Welt werde ich ihn nebst meiner
teueren Prinzessin, welche der Sultan von mir fordert, wieder finden? Es wird mir
nicht gelingen. Es ist folglich besser, dass ich mich von so vielen Beschwerden,
die zu nichts führen, und von alle den schmerzlichen Bekümmernissen, die an
mir nagen, auf immer befreie.“ Seinem nunmehr gefassten Entschluss gemäß,
wollte er sich in den Strom stürzen. Doch als guter und religiöser Muselmann
glaubte er es nicht eher tun zu dürfen, als er sein Gebet verrichtet hätte.
Indem er sich dazu anschicken wollte, näherte er sich dem Rand des Gewässer,
um sich, der Landessitte gemäß, die Hände und das Gesicht zu waschen. Allein,
da die Stelle etwas abschüssig und von dem anspülenden Wasser feucht war, so
glitt er aus und würde in den Storm gefallen sein, wenn er sich nicht noch an
einem kleinen, etwa zwei Fuß aus dem Erdreich hervorragenden Felsstück festgehalten
hätte. Glücklicherweise trug er noch den Ring, den der afrikanische Zauberer
ihm an den Finger gesteckt, bevor er in das unterirdische Gewölbe hinab stieg,
um die kostbare Lampe zu holen, die ihm jetzt soeben entrissen worden war. Beim
Anhalten rieb er diesen Ring sehr heftig gegen den Felsen, und augenblicklich
erschien ihm wieder der Geist, der ihm in jenem unterirdischen Gewölbe, worin
der afrikanische Zauberer ihn eingeschlossen, erschienen war.

„Was verlangst du?“, sagte der Geist zu ihm.
„Hier bin ich, dir zu gehorchen, bereit, als dein Sklave und als Sklave
aller derer, die den Ring am Finger tragen, sowohl ich, als die übrigen Sklaven
des Ringes.“

Aladdin, der durch eine so unerwartete Erscheinung in
seiner Verzweiflung höchst angenehm überrascht wurde, antwortete: „Geist,
rette mir zum zweiten Mal das Leben, dadurch, dass du mir anzeigst, wo der
Palast ist, den ich erbauen ließ, oder dass du mir unverzüglich ihn wieder auf
die vorige Stelle zurücktragen lässt.“ – „Was du von mir
verlangst,“ erwiderte der Geist, „liegt außer meinem Wirkungskreis.
Ich bin bloß Sklave des Ringes, wende dich deshalb an den Sklaven der
Lampe.“ – „Wenn das ist,“ antwortete Aladdin, „so befehle
ich dir vermöge des Ringes, mich an den Ort hinzubringen, wo mein Palast sich
befindet, – an welchem Ort der Erde er auch sein mag – und mich unter die
Fenster der Prinzessin Badrulbudur hinzusetzen.“ Kaum hatte er diese Worte
gesprochen, als der Geist ihn nach Afrika mitten auf eine Wiese, auf welcher der
Palast unweit von einer großen Stadt stand, hintrug, ihn dicht unter die
Fenster der Prinzessin Badrulbudur niedersetzte, und ihn da verließ. Alles dies
geschah binnen einem Augenblick.

Ungeachtet der Dunkelheit der Nacht erkannte Aladdin recht
gut seinen Palast und die Zimmer der Prinzessin Badrulbudur. Da indessen die
Nacht schon weit vorgerückt und im Palast alles ruhig war, so entfernte er sich
etwas abseits, und setzte sich unter einen Baum. Hier voll guter Hoffnung und in
Betrachtungen über sein Glück, das er einen bloßen Zufall verdankte, fühlte
er sich seit jenem Augenblick, wo er verhaftet, vor den Sultan geführt, und in
augenscheinlicher Lebensgefahr gewesen, zum ersten Mal wieder in einen ruhigern
Gemütszustand. Er hing eine Weile diesen angenehmen Gedanken nach. Doch
endlich, da er seit fünf bis sechs Tagen gar nicht geschlafen hatte, konnte er
sich zuletzt nicht mehr des Schlafes enthalten, der ihn überfiel, und so
schlummerte er am Fuß des Baumes ein.

Als am folgenden Tag die Morgenröte anbrach, wurde
Aladdin durch den Gesang der Vögel, die teils auf dem Baum über ihm, teils auf
den dick belaubten Bäumen im Garten seines Palastes die Nacht zugebracht hatten,
sehr angenehm geweckt. Er warf sogleich seine Augen auf diesen wundervollen Bau
und fühlte eine unaussprechliche Freude darüber, dass er jetzt auf dem Punkt
stand, wieder Herr desselben zu werden und noch einmal zum Besitz seiner
geliebten Prinzessin Badrulbudur zu gelangen. Er stand auf und näherte sich den
Zimmern der Prinzessin. Er spazierte eine Weile unter ihren Fenstern auf und
nieder, wartend, bis sie wach sein und sich sehen lassen würde. Unter diesem
Warten dachte er bei sich selbst darüber nach, woher wohl die Ursache seines
Unglücks gekommen, und nach langem Hin- und Herdenken zweifelte er nicht mehr,
dass sein ganzes Missgeschick bloß davon herrühre, dass er seine Lampe aus den
Augen verloren. Er klagte sich selber der Nachlässigkeit und der Sorglosigkeit
an, dass er dieselbe habe je aus den Händen geben können. Was ihn aber noch
weit mehr beunruhigte, war, dass er gar nicht erraten konnte, wer denn derjenige
sei, der auf sein Glück so neidisch gewesen. Er hätte es früher begriffen,
wenn er gewusst hätte, dass er und sein Palast sich jetzt in Afrika befänden.
Doch der dienstbare Geist des Ringes hatte ihm nichts davon gesagt, und er
selbst hatte sich nicht davon unterrichten können. Die bloße Nennung des
Namens Afrika hätte ihn sogleich and en afrikanischen Zauberer, seinen
abgesagten Feind, erinnert.

Die Prinzessin Badrulbudur stand früher als gewöhnlich
auf, und zwar erst seit ihrer Entführung und ihrer Versetzung nach Afrika durch
die Künste des afrikanischen Zauberers, dessen Anblick sie bisher täglich
einmal hatte ertragen müssen, weil er Herr des Palastes war. Jedoch sie hatte
ihn jedes Mal so spröde behandelt, dass er noch nicht gewagt hatte, seinen
Wohnsitz darin aufzuschlagen. Als sie angekleidet war, sah eine von ihren Frauen
zufällig durchs Gitterfenster und bemerkte Aladdin. Sie eilte sogleich zu ihrer
Gebieterin und meldete es ihr. Die Prinzessin, welche diese Nachricht gar nicht
glauben konnte, stellte sich schnell ans Fenster, bemerkte ebenfalls Aladdin,
und öffnete das Gitter. Bei dem Geräusch, welches die Prinzessin durch das
öffnen des Fenstergitters machte, hob Aladdin den Kopf in die Höhe, erkannte
sie und begrüßte sie mit einer Meine, worin sich seine grenzenlose Freude
abspiegelte. „Um keine Zeit zu verlieren,“ sagte die Prinzessin zu
ihm, „habe ich dir die geheime Tür öffnen lassen. Geh durch dieselbe
herein und komme herauf.“

Die geheime Tür befand sich unter den Zimmern der
Prinzessin. Aladdin fand sie offen, und ging rasch die Treppe hinauf. Es ist
unmöglich, die Freude zu schildern, welche beide Ehegatten empfanden, als sie
sich nach einer Trennung, die sie für ewig geglaubt hatten, endlich
wieder sahen. Sie umarmten sich mehrere mal und gaben sich alle möglichen
Beweise von Liebe und Zärtlichkeit, die man sich nach einer so traurigen und
unerwarteten Trennung, als die ihrige war, nur denken kann. Nach diesen
Umarmungen, unter die sich Tränen der Freude mischten, setzten sie sich, und
Aladdin nahm das Wort uns sagte: „Prinzessin, bevor wir von etwas andrem
reden, bitte ich euch um Gottes willen, so wie auch um eurer selbst, eures
verehrungswürdigen Vaters und meiner selbst willen, mir zu sagen, was aus einer
alten Lampe geworden ist, die ich, bevor ich auf die Jagd ging, in dem Saal der
vierundzwanzig Fenstern auf den Kranzsims gestellt hatte.“

„Ach, teurer Gemahl,“ antwortete die Prinzessin,
„ich darf nicht mehr daran zweifeln, dass unser beiderseitiges Missgeschick
von dieser Lampe herrührt, und was mich trostlos macht, ist, dass ich selber
die Ursache bin.“ – „Prinzessin,“ erwiderte Aladdin, „messt
euch nicht die Schuld davon bei, sie ist ganz mein, denn ich hätte in
Aufbewahrung derselben sorgsamer sein sollen. Wir wollen jetzt bloß darauf
denken, unsern Schaden wieder gut zu machen, und daher erweist mir die
Gefälligkeit und erzählt mir, wie die Sache zuging, und in wessen Hände sie
geraten ist.“

Nun erzählte die Prinzessin Badrulbudur an Aladdin, wie
es mit dem Umtausch der alten Lampe gegen die neue, welche sie ihm zur Ansicht
herbeibringen ließ, ergangen war, und wie sie in der folgenden Nacht die
Versetzung des Palastes bemerkt und sich am Morgen in einem unbekannten Land, wo
sie jetzt beide wären, und welches Afrika sei, befunden habe. Den letzteren
Umstand hatte sie aus dem Mund des Verräters selber erfahren, der sie durch
seine Zauberkünste dahin gebracht hatte.

„Prinzessin,“ unterbrach sie Aladdin, „ihr
habt mir den Verräter dadurch genug bezeichnet, dass ihr mir sagt, dass ich mit
euch in Afrika bin. Es ist der treuloseste aller Menschen. Doch es ist hier
weder Zeit noch Ort, euch eine ausführliche Schilderung von seinen Bosheiten zu
entwerfen. Ich bitte euch bloß, mir zu sagen, was er mit der Lampe gemacht hat
und wo er sie hingetan hat?“ – „Er trägt sie wohl eingehüllt in
seinem Busen,“ erwiderte die Prinzessin, „und ich kann dies umso mehr
bezeugen, da er sie in meiner Gegenwart herausgezogen und enthüllt hat, um sich
damit gegen mich zu brüsten.“

„Geliebte Prinzessin,“ sagte hierauf Aladdin,
„verdenkt mir nur ja nicht die vielen Fragen, womit ich euch ermüde, sie
sind für mich und euch von gleicher Wichtigkeit. Doch um auf das zu kommen, was
mich ganz besonders interessiert, sagt mir doch, ich beschwöre euch, welche
Behandlung ihr bei diesem bösen und treulosen Mann erlitten habt?“ –
„Seitdem ich hier bin,“ erwiderte die Prinzessin, „hat er sich
täglich mir bloß einmal gezeigt, und ich bin überzeugt, dass er mich darum
nicht öfter belästigt, weil er durch seine Besuche so wenig ausrichtet. Alle
seine Reden, die er bei dieser Gelegenheit gegen mich führt, zielen bloß
dahin, dass ich das euch gegebene Wort brechen und ihn zum Mann nehmen soll.
Indem er mir immer begreiflich zu machen sucht, dass ich nimmermehr hoffen darf,
euch jemals wieder zu sehen, dass ihr nicht mehr am Leben seid, und dass mein
Vater, der Sultan, euch habe den Kopf abhauen lassen. Um sich zu rechtfertigen,
fügt er dann noch hinzu, ihr wärt ein Undankbarer, all euer Glück sei bloß
von ihm hergekommen, und so noch tausend anderes, was ich ihn immerhin reden
lasse. Da er von mir nichts zur Antwort bekommt, als schmerzliche Klagen und
Tränen, so muss er sich jedes Mal so unbefriedigt wieder entfernen, als er
gekommen ist. Gleichwohl zweifle ich nicht, dass seine Absicht ist, meinem
lebhaftesten Schmerz erst vorüber gehen zu lassen, in der Hoffnung, dass ich
meine Gesinnung ändern würde, und am Ende Gewalt zu brauchen, wenn ich auf
meiner Widersetzlichkeit beharren sollte. Indessen, teurer Gemahl, eure
Gegenwart hat bereits alle meine Besorgnisse verscheucht.“

„Prinzessin,“ unterbrach sie Aladdin, „ich
habe die Zuversicht, dass ich eure Besorgnisse nicht vergebens verscheucht,
sondern ein Mittel gefunden habe, euch von meinem und eurem Feind zu befreien.
Zu diesem Behelf ist es indessen nötig, dass ich in die Stadt gehe. Ich werde
gegen Mittag von da wieder zurückkehren und euch dann meinen Plan mitteilen und
was ihr zu Ausführung desselben beitragen sollt. Doch um es euch gleich im
voraus anzukündigen, wundert euch nicht, wenn ihr mich in einer andern Kleidung
zurückkehren seht, und gebt Befehle, dass man mich an der verborgenen Tür,
sobald ich klopfe, nicht lange warten lässt.“

Die Prinzessin versprach, dass man ihn an der Tür
erwarten und ihm schnell öffnen würde.