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34. Nacht

In der folgenden Nacht wurde Dinarsade von
der Ungeduld aufgeweckt, den Verlauf der angefangenen Geschichte zu hören, und
sprach zu der Sultanin:

„Meine Schwester, ich bitte dich, um
Gotteswillen, erzähle uns, was die drei schönen Frauen mit allen den Vorräten
machten, welche Amine gekauft hatte.“

„Du sollst es erfahren,“ antwortete
Scheherasade, „wenn du mir aufmerksam zuhören willst.“ Zugleich nahm
sie diese Erzählung folgendermaßen wieder auf:

„Der Träger war sehr zufrieden mit dem
Geld, das er empfangen hatte, und sollte nun sein Korb nehmen und heimgehen;
aber er konnte sich nicht dazu entschließen: er fühlte sich unwillkürlich
fest gehalten durch das Vergnügen, drei so seltene Schönheiten zu sehen, die
ihm alle gleich reizend erschienen: denn Amine hatte nun auch ihren Schleier
abgelegt und er fand sie nicht minder schön, wie die beiden andern. Was er aber
nicht begreifen konnte, war, dass er keinen Mann in diesem Hause sah. Gleichwohl
waren die meisten Sachen, welche er hergetragen hatte, wie die trocknen
Früchte, und die verschiedenen Arten von Kuchen und Eingemachtem, nur für
Leute passend, welche trinken und sich erlustigen wollten.

Sobeïde glaubte anfangs, dass der Träger
stehen bliebe, um sich zu verschnaufen; als sie ihn aber zu lange verweilen sah,
sagte sie zu ihm: „Was wartet ihr? Seid ihr nicht hinreichend bezahlt? –
Meine Schwester,“ fügte sie hinzu, indem sie sich zu Amine wandte,
„gib ihm noch etwas, damit er zufrieden von hinnen gehe.“ –
„Gnädige Frau,“ antwortete der Träger, „das ist nicht, was mich
zurückhält; ich bin mehr als zu reichlich für meine Mühe bezahlt. Ich sehe
wohl, dass ich eine Unhöflichkeit begangen habe, indem ich hier länger blieb,
als ich sollte; aber ich hoffe, ihr werdet die Güte haben, und sie meiner
Verwunderung verzeihen, dass ich hier keinem Mann sehe bei drei Frauen von so
ungemeiner Schönheit. Eine Gesellschaft von Frauen ohne Männer ist gleichwohl
ein eben so trauriges Ding, als eine Gesellschaft von Männern ohne
Frauen.“ Er begleitete diese Rede noch mit mehreren sehr ergötzlichen
Wendungen, um seine Behauptung zu beweisen. Er vergaß auch nicht, sich auf das
Sprichwort in Bagdad zu berufen, dass man nicht gut tafelt, wenn man nicht zu Vieren
ist; und er beschloss damit, weil sie nur ihrer drei wären, dass ihnen noch der
vierte Mann fehlte. Zugleich bekräftigte er dies durch folgende Verse:

„Vier ist die Zahl, die zur
Fröhlichkeit stimmt: eine Geige, eine Laute, Zither und eine Harfe.

Vier Wohlgerüche treten ihnen bei: Rosen,
Myrten, Levkojen und Lilien.

Vier gesellen sich zu diesen am besten: Wein,
junges Blut, Liebe und Geld.“

Die Frauen lachten über die Rede des
Trägers. Hierauf sagte aber Sobeïde ernsthaft zu ihm; „Mein Freund, ihr
treibt eure Unbescheidenheit ein wenig zu weit; aber obschon ihr nicht verdient,
dass ich mich auf Erklärungen gegen euch einlasse, so will ich euch gleichwohl
sagen, dass wir drei Schwestern sind, und ein so zurückgezogenes Leben führen,
dass niemand etwas davon weiß. Wir haben einen zu wichtigen Grund, uns zu
hüten, dass ein Unbescheidener darum wisse; und ein guter Schriftsteller, den
wir gelesen haben, sagt:

„Bewahre dein Geheimnis, und entdecke es
niemand: wer es entdeckt, ist nicht mehr Herr davon.

Wenn dein eigener Busen dein Geheimnis nicht
behalten kann, wie sollte der Busen desjenigen, dem du es vertraut hast, es
behalten können?“

„Schöne Frauen,“ fuhr der Träger
fort, „nach eurem Ansehen allein habe ich euch gleich für sehr
ausgezeichnete Personen erkannt; und ich sehe, dass ich mich nicht getäuscht
habe. Obwohl das Glück mir nicht so viel Güter zugeteilt hat, um mich zu einem
höheren Gewerbe, als das meinige, zu erheben, so habe ich doch nicht
unterlassen, so viel ich konnte, meinen Geist zu bilden, durch Lesen
wissenschaftlicher und geschichtlicher Bücher; und ihr werdet mir erlauben,
euch zu sagen, dass ich in einem andern Schriftsteller auch einen andern Spruch
gelesen, den ich immer bewährt gefunden habe:

„Wir verbergen unser Geheimnis nur vor
Leuten,“ sagt er, „die aller Welt als Unbescheidene bekannt sind, und
unser Vertrauen missbrauchen würden; aber wir haben kein Bedenken, es den
Verständigen zu entdecken, weil wir überzeugt sind, dass sie es bewahren
werden.“

Ein Geheimnis ist bei mir in eben so großer
Sicherheit, als wenn es in einer Kammer wäre, deren Schlüssel verloren und
deren Türe wohl versiegelt ist.“

Sobeïde erkannte wohl, dass es dem Träger
nicht an Geist fehlte; aber in der Meinung, dass er Lust hätte, an dem Male
Teil zu nehmen, womit sie sich bewirten wollten, erwiderte sie ihm lächelnd:
„Ihr wisst, dass wir uns ein Mahl bereiten; ihr wisst aber auch, dass wir
eine ansehnliche Ausgabe gemacht haben: es wäre also unbillig, wenn ihr daran
Teil nehmen wolltet, ohne dazu beigesteuert zu haben.“

Die schöne Safie bekräftigte den Ausspruch
ihrer Schwester, und sagte zu dem Träger: „Mein Freund, habt ihr nie
gehört, was man insgemein sagt:

„Bringst du was mit, so giltst du was
bei uns; bringst du nichts, so geh‘ weiter mit nichts.“

Der Träger wäre, trotz seiner Beredsamkeit,
vielleicht doch gezwungen gewesen, mit Beschämung abzuziehen, wenn Amine sich
nicht eifrig seiner angenommen, und zu Sobeïde und Safie gesagt hätte:
„Meine lieben Schwestern, ich beschwöre euch, zu erlauben, dass er bei uns
bleibe: ich brauche euch nicht zu sagen, dass er uns belustigen wird; ihr seht
wohl, dass er dessen fähig ist. Ich versichere euch, ohne seinen guten Willen,
seine Leichtigkeit und seinen guten Mut, mir zu folgen, wäre es mir nicht
möglich gewesen, so viel in so kurzer Zeit einzukaufen. übrigens wenn ich euch
alle die Artigkeiten wiederholen wollte, welche er mir unterwegs gesagt hat, so
würdet ihr keineswegs verwundert sein über den Schutz, den ich ihm angedeihen
lasse.

Bei diesen Worten Amines fiel der Träger,
entzückt vor Freuden, vor ihr auf die Knie, küsste die Erde zu den Füßen
dieser reizenden Person; und indem er aufstand, sagte er zu ihr: „Meine
liebenswürdige Herrin, ihr habt heute mein Glück begonnen, ihr vollendet es
jetzt durch eine so großmütige Handlung: ich kann nicht genug euch meine
Erkenntlichkeit bezeigen. – übrigens, gnädige Frauen,“ fügte er hinzu,
indem er sich an die drei Schwestern zusammen wandte, „wenn ihr mir eine so
große Ehre erweist, so fürchtet nicht, dass ich sie missbrauche und es so
ansehe, als wenn ich sie verdiene: nein, ich werde mich immer als euren
demütigen Sklaven betrachten.“

Indem er so sprach, wollte er das Geld
zurückgeben, was er empfangen hatte; aber die ernste Sobeïde befahl ihm, es zu
behalten. „Was einmal aus unsern Händen gekommen ist,“ sagte sie,
„zur Belohnung derjenigen, die uns Dienste geleistet haben, das kehrt nie
wieder darin zurück.“

Die aufsteigende Morgenröte gebot an dieser
Stelle Scheherasade Stillschweigen.

Dinarsade, die mit großer Aufmerksamkeit
zuhörte, war sehr verdrießlich darüber; doch konnte sie sich trösten, weil
der Sultan, neugierig zu wissen, was zwischen den drei schönen Frauen und dem
Lastträger vorgehen würde, die Fortsetzung dieser Geschichte auf die folgende
Nacht verschob, und aufstand, um seine gewöhnlichen Geschäfte zu besorgen.