Project Description

338. Nacht

Aladdin, welcher wohl sah, dass der Sultan sich vergeblich
bemühte, das eine Gitterfenster den übrigen gleich zu machen, und dass er
dabei dennoch nicht viel Ehre einlegen würde, ließ die Goldschmiede kommen,
und sagte ihnen, dass sie nicht nur ihre Arbeit einstellen, sondern sogar alles
das, was sie bisher daran gearbeitet, wieder auseinander nehmen und dem Sultan
alle seine Edelsteine, nebst denen, die ihm der Großwesir geliehen, wieder
zustellen sollten.

Die Arbeit, zu welcher die Juweliere und Goldschmiede mehr
als sechs Wochen gebraucht hatten, wurde nun binnen wenigen Stunden zerstört.
Sie entfernten sich dann und ließen Aladdin allein im Saal. Er zog nun die
Lampe heraus, die er bei sich hatte, und rieb sie. Sogleich erschien der Geist.
„Geist,“ sagte Aladdin zu ihm, „ich hatte dir befohlen, eines von
den vierundzwanzig Fenstern dieses Saales unvollendet zu lassen, und du hast
diesen Befehl befolgt. Gegenwärtig habe ich dich kommen lassen, um dir zu
sagen, dass du es den übrigen gleich machst.“ Der Geist verschwand, und
Aladdin ging aus dem Saal herunter. Als er nach einigen Augenblicken wieder
hinauf ging, fand er das Gitterfenster in dem Zustand, wie er es gewünscht
hatte, und den übrigen ganz gleich.

Unterdessen kamen die Juweliere und Goldarbeiter in den
Palast des Sultans, wurden hineingeführt und dem Sultan in seinem Zimmer
vorgestellt. Der erste Juwelier überreichte ihm die sämtlichen Edelsteine,
welche sie wiederbrachten und sagte im Namen der übrigen: „Euer Majestät
weiß, wie lange Zeit wir bereits mit Anstrengung unserer ganzen Kunst an der
Vollendung des Werkes gearbeitet haben, welches ihr uns auftrugt. Es war schon
ziemlich weit vorgerückt, als Aladdin uns nötigte, nicht bloß unsere Arbeit
einzustellen, sondern sogar alles wieder zu zerstören, was wir bisher
gearbeitet hatten, und euch eure Edelsteine und die des Großwesirs wieder
zurückzubringen.“ Der Sultan fragte sie, ob Aladdin ihnen nicht die
Ursache gesagt hätte, und da sie ihm diese Frage verneinend beantworteten, gab
er auf der Stelle Befehl, dass man ihm ein Pferd vorführen solle. Man führte
es vor, er bestieg es und ritt fort, ohne alles Gefolge, außer einigen seiner
Leute, die ihn zu Fuß begleiteten. Er gelangte zu Aladdins Palast, und stieg
unten an der Treppe ab, die zu dem Saal von vierundzwanzig Fenstern
hinaufführt. Ohne Aladdin einen Wink geben zu lassen, geht er hinauf. Doch
Aladdin kam noch zu rechter Zeit, um den Sultan wenigstens noch an der Tür des
Saales zu empfangen.

Der Sultan ließ Aladdin gar nicht Zeit, sich höflichst
darüber zu beklagen, dass Seine Majestät ihm keinen Wink geben lassen und ihn
in die Notwendigkeit versetzt habe, seine schuldige Pflicht zu unterlassen,
sondern sagte zu ihm: „Mein Sohn, ich komme, um dich selber zu fragen, aus
welchem Grund du denn einen so prächtigen und so einzigen Saal, wie der in
deinem Palast ist, unvollendet lassen willst.“

Aladdin verhehlte ihm den wahren Grund, nämlich den, dass
der Sultan nicht reich genug an Edelsteinen sei, um einen solchen Aufwand
bestreiten zu können. Indessen um ihm zu zeigen, wie weit dieser Palast, so wie
er da war, nicht bloß den seinigen, sondern auch jeden andern in der Welt weit
überträfe, da er nicht einmal den kleinsten Teil desselben hatte vollenden
können, antwortete er ihm: „Herr, es ist wahr, ihr habt diesen Saal
unvollendet gesehen, doch seht jetzt einmal – ich bitte euch – zu, ob noch etwas
daran fehlt.“

Der Sultan ging gerades Weges nach dem Fenster hin, dessen
Vergitterung er unvollendet gesehen hatte, und als er bemerkte, dass es den
übrigen gleich war, so meinte er, dass er sich getäuscht hätte. Er
besichtigte nicht bloß die Fenster auf beiden Seiten daneben, sondern besah sie
auch noch eines nach dem anderen. Als er sich überzeugt hatte, dass das
Gitterfenster, woran er so lange hatte arbeiten lassen, und das den Werkleuten
so viele Tage gekostet hatte, in so kurzer Zeit, als er wusste, vollendet worden
sei, umarmte er Aladdin, küsste ihn zwischen seinen beiden Augen auf die Stirn,
und sagte zu ihm voll Verwunderung: „Mein Sohn, was für ein Mann bist du,
dass du so erstaunliche Dinge und zwar in einem Augenblick auszurichten
vermagst. Du hast auf der ganzen Welt nichts deines gleichen, und je mehr ich
dich kennen lerne, desto bewundernswürdiger finde ich dich.“

Aladdin nahm die Lobsprüche des Sultans mit vieler
Bescheidenheit auf, und antwortete ihm in folgenden Ausdrücken: „Herr, es
ist ein großer Ruhm für mich, das Wohlwollen und den Beifall Euer Majestät zu
verdienen. Ich versichere euch, dass ich nichts unterlassen werde, um beides
immer mehr zu verdienen.“

Der Sultan kehrte nach seinem Palast auf die Weise
zurück, wie er gekommen war, ohne dass er Aladdins Begleitung annahm. Bei
seiner Ankunft fand er den Großwesir, der ihn erwartete. Der Sultan, der noch
ganz voll von Staunen über das Wunder war, wovon er Augenzeuge gewesen,
erzählte ihm die ganze Sache in Ausdrücken, die den Minister nicht zweifeln
ließen, dass die Sache wirklich so sei, die aber den Großwesir in dem Glauben
bestärkten, dass Aladdins Palast ein Werk der Zauberei sei, – eine Meinung, die
er dem Sultan gleich anfangs geäußert hatte, als der Palast erschienen war. Er
wollte ihm dieselbe jetzt noch einmal wiederholen. Doch der Sultan unterbrach
ihn und sagte: „Wesir, du hast mir das schon einmal gesagt. Aber ich sehe
wohl, dass du noch immer die Vermählung meiner Tochter mit deinem Sohn nicht
vergessen hast.“

Der Großwesir sah wohl, dass der Sultan eine vor gefasste
Meinung hatte. Er ließ ihn denn auch dabei, um nicht mit ihm in Streit zu
geraten. Der Sultan pflegte regelmäßig alle Tage, wenn er aufgestanden war,
sich in ein Kabinett zu begeben, von wo aus man den Palast Aladdins sehen
konnte, und ging auch wohl den Tag über mehrmals dahin, um ihn zu betrachten
und zu bewundern.

Aladdin blieb indessen nicht in seinem Palast
verschlossen. Jede Woche ließ er sich mehr als einmal in der Stadt sehen. Sei
es, dass er in diese oder jene Moschee ging, um sein Gebet zu verrichten, oder
dass er bisweilen dem Großwesir seinen Besuch abstattet, der sich beeiferte,
ihm an bestimmten Tagen seine Aufwartung zu machen, oder dass er einigen
Großen, die er öfter in seinem Palast bewirtete, die Ehre erzeigte, sie zu
Hause zu besuchen. Jedes Mal, wenn er ausging, ließ er durch zwei seiner
Sklaven, die neben seinem Pferd hergingen, auf den Straßen und Plätzen, über
die er kam, ganze Handvoll Goldstücke unter das zahlreich versammelte Volk
ausstreuen.

übrigens, jeder Arme, der an der Tür seines Palastes
erschien, kehrte voll Zufriedenheit über die Gaben, die auf Aladdins Befehl
dort verteilt wurden, heim.

Da Aladdin seine Zeit so eingeteilt hatte, dass nicht
leicht eine Woche verging, wo er nicht wenigstens einmal zur Jagd ging, bald in
die nächsten Umgebungen der Stadt, bald in größere Ferne, so übte er auf den
Landstraßen und in den Dörfern dieselbe Freigebigkeit. Dieser Hang zur
Großmut erwarb ihm bei dem ganzen Volk tausend Segenswünsche, und es war
zuletzt gewöhnlich, dass man stets bei seinem Kopfe schwor. Mit einem Wort,
ohne den Sultan gerade in Schatten zu stellen, dem er regelmäßig seine
Aufwartung machte, kann man doch gestehen, dass Aladdin durch sein leutseliges
und menschenfreundliches Betragen sich die Zuneigung des ganzen Volks erworben
hatte, und dass er im allgemeinen mehr geliebt wurde, als der Sultan selber. Mit
allen diesen schönen Eigenschaften verband er nun noch eine Bravheit und einen
Eifer für das allgemeine Beste, die man nicht genug loben konnte. Beweise davon
gab er bei Gelegenheit eines Aufruhrs an den Grenzen des Reichs. Kaum hatte er
erfahren, dass der Sultan ein Heer ausrüstete, um ihn zu dämpfen, als er ihn
bat, ihm den Oberbefehl darüber anzuvertrauen. Er erlangte dies ohne Mühe.
Sobald er sich an der Spitze des Heeres befand, ließ er es gegen die Empörer
vorrücken, und führte diese Unternehmung mit so viel Eifer aus, dass der
Sultan die Niederlage und Bestrafung der Aufrührer fast früher vernahm, als
Aladdins Ankunft beim Heer. Diese Tat, welche seinen Namen im ganzen Reich
berühmt machte, änderte gleichwohl sein Herz nicht. Er kehrte siegreich
zurück, war aber immer noch so leutselig wie zuvor.

Aladdin hatte bereits mehrere Jahre auf diese Weise
gelebt, als der Zauberer, der ihm, ohne daran zu denken, das Mittel zu seiner
bedeutenden Standeserhöhung in die Hand gegeben, sich in Afrika, wohin er
zurückgekehrt war, seiner erinnerte. Obwohl er sich bisher überredet hatte,
Aladdin sei in dem unterirdischen Gewölbe, worin er ihn gelassen, elend
umgekommen, so kam es ihm dennoch in den Sinn, genau zu erfahren, welches Ende
er genommen habe. Da er ein großer Meister in der Punktierkunst war, so zog er
aus seinem Schrank ein Viereck in Form einer verschlossenen Schachtel hervor,
dessen er sich bei seinen Beobachtungen in der Punktierkunst bediente. Er setzte
sich auf sein Sofa, nahm das Viereck vor, nahm den Deckel ab, und nachdem er den
Sand zurecht gemacht und geebnet hatte, um zu erfahren, ob Aladdin in der
unterirdischen Höhle gestorben, machte er seine Punkte, zog seine Linien und
stellte ihm die Nativität. Indem er nun die Nativitätsstellung in Augenschein
nahm, um sie zu beurteilen, entdeckte er, dass Aladdin, anstatt in dem
unterirdischen Gewölbe gestorben zu sein, sich daraus gerettet habe und auf
Erden in großem Glanz und gewaltigem Reichtum, vermählt mit einer Prinzessin,
und geehrt und geachtet lebe.

Kaum hatte der Zauberer vermittelst seiner teuflischen
Kunst in Erfahrung gebracht, dass Aladdin sich auf diesem hohen Standpunkt
befände, als ihm auch schon das Blut ins Gesicht stieg. Voll Wut sagte er zu
sich selbst: „Dieser elende Schneidersohn hat also das Geheimnis und die
Eigenschaft der Lampe entdeckt! Ich hielt seinen Tod für gewiss, und nun
genießt er die Furcht meiner Mühen und Nachtwachen! Indessen ich will es wohl
zu hindern wissen, dass er sie nicht länger mehr genießen soll, oder ich will
des Todes sein.“ Er überlegte nicht erst lange, welcher Entschluss zu
fassen sei. Gleich am folgenden Morgen bestieg er einen Berber-Hengst, den er
in seinem Stall hatte, und machte sich auf den Weg. So kam er denn von Stadt zu
Stadt und von Land zu Land, ohne sich unterwegs länger aufzuhalten, als sein
Pferd zum Ausruhen Zeit bedurfte, bis nach China, und bis in die Hauptstadt des
Sultans, dessen Tochter Aladdin geheiratet hatte. Er stieg in einem Kan ab, wo
er sich ein Zimmer mietete. Er blieb darin den noch übrigen Teil des Tages und
die folgende Nacht, um sich von den Beschwerden der Reise zu erholen.

Den folgenden Tag wünschte der afrikanische Zauberer vor
allen Dingen zu wissen, was man von Aladdin spräche. Indem er durch die Stadt
spazierte, trat er in einen sehr berühmten und von vornehmen Leuten stark
besuchten Ort, wo man zusammenkam, um ein gewisses warmes Getränk1) zu sich zu
nehmen, und den er noch von seiner ersten Reise her kannte. Er hatte kaum Platz
genommen, als man ihm von diesem Getränk in eine Schale einschenkte und sie ihm
überreichte. Während er trank, horchte er rechts und links hin, und hörte,
dass man von Aladdins Palast sprach. Als er ausgetrunken hatte, näherte er sich
einem von denen, die sich darüber unterhielten, nahm den Augenblick wahr, und
fragte ihn, was das für ein Palast wäre, von dem man so rühmend spräche?
„Woher seid ihr denn?“, erwiderte ihm der, an den er sich gewendet
hatte. „Ihr müsst erst ganz kürzlich hier angekommen sein, wenn ihr den
Palast des Prinzen Aladdin noch nicht gesehen oder gar nicht davon reden gehört
habt.“ Man nannte nämlich Aladdin, seitdem er die Prinzessin Badrulbudur
geheiratet hatte, nicht anders als bei diesem Titel. „Ich sage nicht,“
fuhr derselbe Mann fort, „dass er eins von den Wunderwerken der Welt ist,
sondern ich behaupte vielmehr, dass es das einzige Wunderwerk in seiner Art auf
der ganzen Welt ist, denn noch nie ist etwas so Großes, so Kostbares und
Prächtiges gesehen worden. Ihr müsst sehr weit herkommen, da ihr davon noch
nicht habt sprechen hören: In der Tat, man muss, dünkt mich, seit seiner
Erbauung auf der ganzen Erde von ihm sprechen. Seht ihn euch selber an, und ihr
mögt dann urteilen, ob ich euch etwas davon übertrieben habe.“ –
„Entschuldigt meine Unwissenheit,“ erwiderte der afrikanische
Zauberer, „ich bin erst gestern hier angelangt, und komme wirklich so weit
her, ich kann sagen, vom äußersten Ende Afrikas, dass der Ruf davon bei meiner
Abreise noch nicht bis dahin gedrungen war. Und da ich wegen des dringenden
Geschäfts, welches mich hierher führt, auf meiner Reise immer nur den Zweck
vor Augen hatte, möglichst bald hierher zu gelangen, ohne mich unterwegs
aufzuhalten oder irgend eine Bekanntschaft zu machen, so weiß ich von der Sache
nichts weiter, als was ich soeben von euch erfahren habe. Indessen ich werde
nicht unterlassen, mir ihn ansehen zu gehen. Meine Sehnsucht ist danach so
groß, dass ich Lust hätte, meine Neugier augenblicklich zu befriedigen, wenn
ihr mir gefälligst den Weg dahin bezeichnen wolltet.“

Derjenige, an welchen sich der afrikanische Zauberer
gewandt hatte, machte sich ein Vergnügen daraus, ihm den Weg zu beschreiben,
den er nehmen müsste, um zu der Ansicht des Palastes von Aladdin zu gelangen:
Und der afrikanische Zauberer stand nun sogleich auf und ging hin. Als er
hingekommen war, und den Palast in der Nähe von allen Seiten betrachtet hatte,
zweifelte er nicht mehr daran, dass sich Aladdin zu Erbauung desselben der Lampe
bedient habe. Ohne weiter das Unvermögen Aladdins, als eines bloßen
Schneidersohns, in Anschlag zu bringen, wusste er recht gut, dass dergleichen
Wunderwerke nur von den Geistern der Lampe, deren Besitz ihm entgangen war,
geschaffen werden könnten. Tief sich kränkend über das Glück und die Größe
Aladdins, welche fast der des Sultans gleichkam, kehrte er nach dem Kan zurück,
in welchem er eingekehrt war.


1)
Tee.