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336. Nacht

Als Aladdin in seine Wohnung zurückgebracht worden war
und den Geist entlassen hatte, fand er seine Mutter bereits aufgestanden und mit
dem Anlegen eines der Kleider beschäftigt, die er ihr geschenkt hatte. Um die
Zeit, wo der Sultan gewöhnlich aus der Ratsversammlung zu kommen pflegte, bewog
Aladdin seine Mutter, in Begleitung der Sklavinnen, die ihr der Geist
zugeführt, sich nach dem Palast zu verfügen. Zugleich bat er sie, wenn sie den
Sultan sähe, demselben zu sagen, sie käme, um die Ehre zu haben, die
Prinzessin gegen Abend, wenn sie sich nach ihrem neuen Palast begeben würde,
dahin zu begleiten. Sie ging demnach fort. Allein, obschon sie und ihre sie
begleitenden Sklavinnen wie Sultaninnen gekleidet waren, so war doch die
Volksmenge, die sich zum Zuschauen drängte, weit geringer an Zahl, weil sie
verschleiert waren, und weil ein angemessener überwurf den Reichtum und die
Pracht ihrer Kleidung überdeckte. Was Aladdin anbetrifft, so setzte sich dieser
zu Pferd, und nachdem er sein väterliches Haus verlassen hatte, um nie mehr in
dasselbe zurückzukehren, – doch ohne die Wunderlampe zu vergessen, die ihm zu
Erlangung seines Glücks so gute Dienste geleistet hatte, – so zog er
öffentlich nach seinem Palast, und zwar mit demselben Pomp, womit er an dem
vorhergehenden Tag sich dem Sultan vorgestellt hatte.

Sobald die Pförtner des Palastes des Sultans die Mutter
Aladdins erblickten, benachrichtigen sie den Sultan davon. Sogleich wurde nun
den Chören von Trompetern, Pauken- und Trommelschlägern, Querpfeifern und
Hoboenbläsern, welche bereits auf den Terrassen des Palastes an verschiedenen
Punkten aufgestellt waren, ein Zeichen gegeben, worauf sogleich Trompeten- und
Paukenschall und Konzerte ertönten, welche der ganzen Stadt die Freude
verkündigten. Die Kaufleute fingen an, ihre Läden mit schönen Teppichen und
Laubwerk zu schmücken, und für die Nacht Anstalten zur Erleuchtung zu treffen.
Die Handwerksleute verließen ihre Arbeit, und das Volk begab sich scharenweise
nach dem großen Platz, der zwischen des Sultans und Aladdins Palast lag. Der
letztere zog gleichfalls ihre Bewunderung auf sich, nicht etwa wegen seiner
Verschiedenheit von dem des Sultans, sondern sie erstaunten, einen so
prächtigen Palast auf einer Stelle zu erblicken, wo man am vorigen Tag weder
den Grund legen noch Baumaterialien gesehen hatte.

Aladdins Mutter wurde in dem Palast sehr ehrenvoll
empfangen und von dem Oberhaupt der Verschnittenen in die Zimmer der Prinzessin
Badrulbudur eingeführt. Sobald die Prinzessin sie erblickte, ging sie auf sie
zu, umarmte sie, und ließ sie auf ihrem Sofa Platz nehmen. Während ihre Frauen
sie vollends ankleideten und mit den kostbarsten Juwelen, die ihr Aladdin
geschenkt, ausschmückten, ließ sie ihr unterdessen einen köstlichen Imbiss
vorsetzen. Der Sultan, welcher kam, um noch so lange als möglich mit seiner
Tochter zusammen sein zu können, ehe sie sich von ihm trennte und den Palast
Aladdins bezöge, erwies ihr ebenfalls große Ehre. Aladdins Mutter hatte mit
dem Sultan schon mehrmals vor dem versammelten Hof gesprochen, aber er hatte sie
noch nie ohne Schleier gesehen, wie an dem Tage. Obwohl sie an Jahren ziemlich
weit vorgerückt war, so entdeckte man auf ihrem Gesicht doch noch viele Züge,
welche schließen ließen, dass sie in ihrer Jugend einst sehr schön gewesen
sein müsse. Der Sultan, welcher sie immer nur sehr einfach – man möchte sagen
armselig – gekleidet gesehen hatte, war voll Verwunderung, als er sie ebenso
reich und prachtvoll als die Prinzessin angezogen erblickte. Auch dies brachte
ihn zu der überzeugung, das Aladdin in allen Dingen gleich erfahren,
verständig und einsichtsvoll sein müsse.

Als die Nacht anbrach, nahm die Prinzessin von ihrem Vater
Abschied. Dieser Abschied war höchst rührend und tränenreich. Sie umarmen
sich mehrmals, ohne ein Wort zu reden, und endlich ging die Prinzessin aus ihren
Zimmern und trat den Zug an, während Aladdins Mutter ihr zur Linken
einher schritt, und hundert Sklavinnen in der prachtvollsten Kleidung ihr
folgten. All die Musikchöre, die seit Ankunft der Mutter Aladdins nicht
aufgehört hatten zu spielen, hatten sich jetzt vereinigt und gingen dem Zug
voran, ihnen folgten hundert Trabanten und eine ebenso große Anzahl schwarzer
Verschnittener in zwei Reihen, mit ihren Befehlshabern an der Spitze.
Vierhundert junge Edelknaben des Sultans, die in zwei Zügen auf beiden Seiten
einhergingen und Fackeln trugen, verbreiteten einen Lichtglanz, der im Verein
mit der Erleuchtung der beiden Paläste des Sultans und Aladdins den Mangel des
Tageslichts auf eine wunderbare Weise ersetzte.

In dieser Ordnung zog nun die Prinzessin den Teppich
entlang von dem Palast des Sultans bis zu dem Palast Aladdins, und je weiter sie
vorwärts kam, desto mehr mischte und vereinigte sich das Spiel ihres Musikchors
mit dem Klang dessen, welches sich von den Terrassen an Aladdins Palast hören
ließ, und bildete so mit diesem ein Konzert, welches, so seltsam und verwirrt
es auch schien, dennoch die allgemeine Freude vermehrte, nicht bloß auf dem
großen Platz, der von Menschen wimmelte, sondern auch in den beiden Palästen,
in der ganzen Stadt und in der Umgegend.

Endlich langte die Prinzessin bei dem neuen Palast an, und
Aladdin eilte mit einer Freude, die sich leicht denken lässt, an den Eingang
der für sie bestimmten Zimmer, um sie dort zu empfangen. Aladdins Mutter hatte
die Prinzessin bereits mit vieler Sorgfalt auf ihren Sohn, der in der Mitte
seiner umgebenden Palastdienerschaft stand, aufmerksam gemacht, und die
Prinzessin fand ihn beim ersten Anblick so schön, dass sie von ihm ganz
bezaubert wurde. „Anbetungswürdige Prinzessin,“ sagte Aladdin zu ihr,
indem er sie voll Ehrerbietung anredete und begrüßte, „sollte ich das
Unglück gehabt haben, euch um der Verwegenheit willen, womit ich nach dem
Besitz einer so liebenswürdigen Prinzessin und der Tochter meines Sultans
getrachtet, zu missfallen, so würdet ihr euren schönen Augen und der Macht
eurer Reize die Schuld davon beizumessen haben, aber nicht mir.“ –
„Mein Prinz,“ erwiderte die Prinzessin, „ich gehorche dem Willen
des Sultans, meines Vaters, und es ist für mich genug, euch gesehen zu haben,
um euch zu sagen, dass ich ihm ohne Widerwillen und gern gehorche.“

Aladdin, welcher von einer so angenehmen Antwort ganz
bezaubert war, ließ die Prinzessin nach einem so weiten und ungewohnten Weg,
den sie zurückgelegt, nicht länger stehen, sondern nahm ihre Hand, die er mit
viel Zärtlichkeit küsste, und führte sie in einen großen Saal, der von einer
Menge von Wachskerzen erleuchtet war und worin auf Veranstaltung des Geistes ein
herrliches Mahl aufgetragen war. Die Schüsseln waren von gediegenem Gold und
mit dem köstlichsten Fleisch angefüllt. Die Vasen, die Becken und die Becher,
womit der Tafelaufsatz reichlich besetzt war, waren ebenfalls von Gold und von
auserlesener Arbeit. Auch die übrigen Verzierungen und der ganze Ausschmuck des
Saales entsprachen dieser hohen Pracht. Die Prinzessin, welche ganz bezaubert
war, so viel Reichtum an einem einzigen Ort beisammen zu sehen, sagte zu
Aladdin: „Prinz, ich glaubte sonst immer, dass es auf der Welt nichts
schöneres gäbe als der Palast meines Vaters, des Sultans, aber beim Anblick
dieses Saales sehe ich allein schon, dass ich mich getäuscht habe.“

Die Prinzessin Badrulbudur, Aladdin und seine Mutter
setzten sich jetzt zu Tisch, und sogleich begann ein sehr harmonisches
Musikchor, von den schönsten Mädchenstimmen begleitet, ein Konzert, welches
ohne Unterbrechung bis ans Ende der Mahlzeit dauerte. Die Prinzessin war so
entzückt davon, dass sie versicherte, noch nie etwas so Schönes in dem Palast
des Sultans, ihre Vaters, gehört zu haben. Aber sie wusste nicht, dass diese
Sängerinnen sämtlich Feen waren, die der Geist hierzu ausgewählt hatte.