Project Description

335. Nacht

„Aladdin langte beim Palast an, wo alles zu seinem
Empfang in Bereitschaft gesetzt war. Als er zu dem zweiten Schlosstor kam,
wollte er der Sitte gemäß, welche der Großwesir, die Oberfeldherren und
Oberstatthalter der Provinzen zu beobachten pflegen, vom Pferd steigen, doch der
Obertürsteher, der ihn, auf Befehl des Sultans, selbst erwartete, ließ es
nicht zu, und begleitete ihn bis an den großen Versammlungs- oder Empfangssaal,
wo er ihm vom Pferd heruntersteigen half. Obwohl Aladdin sich sehr dagegen
sträubte und es von ihm nicht annehmen wollte, so konnte er es doch nicht
hindern. Unterdessen bildeten die Türsteher am Eingang des Saales eine doppelte
Reihe. Ihr Oberhaupt ging zur Linken Aladdins, und führte ihn mitten durch sie
hindurch bis zu dem Thron des Sultans.

Als der Sultan den Aladdin erblickte, war er ebenso sehr
erfreut ihn reicher und prächtiger gekleidet zu sehen, als er selber es jemals
gewesen, als auch überrascht von seinem schönen Wuchs und von seiner
würdevollen Haltung, die himmelweit von jenem niedrigen Aufzug entfernt war,
worin seine Mutter vor ihm erschienen war. Sein Erstaunen und seine
überraschung hinderten ihn indessen nicht, aufzustehen und zwei bis drei Stufen
des Thrones eiligst herabzusteigen, um Aladdin zu verhindern, dass er sich nicht
zu seinen Füßen werfe, und ihn mit allen Zeichen der Freundschaft zu umarmen.
Nach dieser artigen Begrüßung wollte Aladdin sich gleichwohl noch zu seinen
Füßen werfen. Doch der Sultan hielt ihn eigenhändig davon zurück, und
nötigte ihn, heraufzusteigen, und sich zwischen ihn und den Großwesir zu
setzen.

Aladdin nahm nun das Wort und sagte: „Herr, ich nehme
die Ehre, die euer Majestät mir erzeigt, an, weil ihr mir sie huldvoll zu
erweisen geruht. Doch erlaubt mir, euch zu sagen, dass ich keineswegs vergessen
habe, dass ich meiner Geburt nach euer Sklave bin, das ich den Umfang eurer
Macht kenne, und dass ich sehr wohl weiß, wie tief meine Herkunft mich unter
den Glanz und die Herrlichkeit des hohen Ranges stellt, in welchem ihr steht.
Wenn ich irgend einen günstigen Empfang verdient haben sollte, so gestehe ich,
dass ich ihn bloß jener durch einen bloßen Zufall veranlassten Kühnheit
verdanke, die mich bewog, meine Augen, Gedanken und Wünsche zu jener
himmlischen Prinzessin zu erheben, welche der Gegenstand aller meiner Wünsche
ist. Ich bitte Euer Majestät wegen dieser Verwegenheit um Verzeihung. Aber ich
kann es nicht verhehlen, dass ich vor Betrübnis sterben würde, wenn ich die
Hoffnung auf Erfüllung dieses Wunsches verlieren sollte.“

„Mein Sohn,“ erwiderte der Sultan, indem er ihn
nochmals umarmte, „du würdest sehr unrecht tun, wenn du auch nur einen
Augenblick an der Aufrichtigkeit meines gegebenen Wortes zweifeln wolltest. Dein
Leben ist mir von nun an zu teuer, als dass ich es nicht durch Darbietung des
Heilmittels, das in meiner Gewalt steht, dir zu erhalten suchen sollte. Das
Vergnügen, dich zu sehen und zu hören, ziehe ich allen meinen und deinen
Schätzen zusammen vor.“

Bei diesen Worten gab der Sultan ein Zeichen, und sogleich
hörte man den Klang der Trompeten, Hoboen und Pauken, und zugleich führte der
Sultan den Aladdin in einen prachtvollen Saal, worin man ein kostbares Festmahl
auftrug. Der Sultan speiste mit Aladdin ganz allein. Der Großwesir und die
Großen des Hofes waren – ein jeder nach seinem Rang und Würden – während der
Mahlzeit ihnen zur Seite. Der Sultan, welcher seine Augen immerfort auf Aladdin
gerichtet hatte, – so viel Vergnügen machte ihm der Anblick desselben – lenkte
das Gespräch auf verschiedene Gegenstände. Doch während der ganzen
Unterhaltung, die sie unter dem Essen zusammen führten, und auf welchen
Gegenstand auch immer die Rede kam, sprach Aladdin mit so viel Kenntnis und
Verstand, dass er den Sultan in der guten Meinung, welche dieser gleich anfangs
von ihm gefasst hatte, vollends bestärkte.

Nach Endigung der Mahlzeit ließ der Sultan den
Oberrichter seiner Hauptstadt rufen und befahl ihm, auf der Stelle den
Ehevertrag zwischen der Prinzessin Badrulbudur, seiner Tochter, und Aladdin, zu
entwerfen und ins Reine zu bringen. Während dieser Zeit unterhielt sich der
Sultan mit Aladdin über verschiedene gleichgültige Dinge, in Gegenwart des
Großwesirs und der Herren vom Hof, welche seinen gründlichen Verstand, seine
große Gewandtheit in der Rede und im Ausdruck, wie die feinen und sinnreichen
Bemerkungen, womit er seine Unterhaltungen würzte, bewunderten.

Als der Richter den Ehevertrag nach allen erforderlichen
Förmlichkeiten vollendet hatte, fragte der Sultan den Aladdin, ob er in dem
Palast bleiben und noch an demselben Tag die Hochzeitszeremonie vollziehen
lassen wolle. „Herr,“ erwiderte Aladdin, „wie groß auch meine
Sehnsucht ist nach dem vollen Genuss dessen, was Euer Majestät Huld mir
gewährt, so muss ich doch bitten, dass ihr mir so lange noch Frist gestattet,
bis ich einen Palast habe erbauen lassen, um die Prinzessin darin nach Würden
empfangen zu können. Ich bitte mir daher von euch einen angemessenen Platz in
der Nähe des eurigen aus, damit ich es möglichst nahe und bequem habe, um euch
meine Aufwartung machen zu können. Ich werde nichts unterlassen, damit er
möglichst bald fertig wird.“ – „Mein Sohn,“ sagte der Sultan zu
ihm, „wähle dir jede beliebige Stelle aus, die du für dich passend
findest. Der leere Raum vor meinem Palast ist groß genug, und ich habe wohl
schon selber daran gedacht, ihn auszufüllen. Doch vergiss dabei nicht, dass ich
je eher je lieber dich mit meiner Tochter verbunden zu sehen wünsche, um das
volle maß der Freude zu genießen.“ Nachdem er diese Worte gesprochen,
umarmte er nochmals Aladdin, welcher vom Sultan ganz mit eben der Artigkeit
Abschied nahm, als ob er von jeher am Hof gewesen und darin erzogen worden
wäre.

Aladdin setze sich wieder zu Pferde und kehrte wieder mit
demselben Zug, womit er gekommen war, durch dasselbe Volksgewühl und unter dem
Beifallsruf der Menge, welche ihm alles mögliche Glück und Heil wünschte,
nach Hause zurück. Sobald er an seiner Wohnung abgestiegen war, begab er sich
ganz allein in sein Zimmer, nahm die Lampe, und rief auf die gewöhnliche Weise
den Geist. Dieser ließ nicht lange auf sich warten, sondern erschien sogleich,
und bot ihm seine Dienste an. „Geist,“ sagte Aladdin zu ihm, „ich
habe alle Ursache, deine Pünktlichkeit in Vollziehung aller der Befehle, die
ich dir bisher Kraft dieser Lampe, welcher du Dienst, gegeben, zu rühmen.
Gegenwärtig kommt es darauf an, dass du, wo möglich, noch mehr Eifer und
Sorgfalt als bisher an den Tag legst. Ich verlange nämlich, dass du mir in
möglichst kurzer Zeit dem Palast des Sultans gegenüber, jedoch in gehöriger
Entfernung, einen Palast erbauen lässt, welcher würdig genug ist, um die
Prinzessin Badrulbudur, meine Gemahlin aufzunehmen. Die Wahl der Materialien, ob
aus Porphyr oder Jaspis oder Achat oder Lasurstein oder bunt gestreiftem Marmor,
so wie auch die ganze übrige Einrichtung des Baues, überlasse ich ganz dir.
Allein ich erwarte, dass du mir oben darauf einen großen Saal mit einer Kuppel
und vier ganz gleichen Schauseiten baust, dessen Wände aus wechselnden
Schichten von Gold und Silber ausgeführt sein müssen, mit sechs Fenstern auf
jeder Seite, deren Vergitterung sämtlich – mit Ausnahme eines einzigen, welches
unvollendet bleiben soll – mit Diamanten, Rubinen und Smaragden kunstreich und
symmetrisch geschmückt sein muss, und zwar so, dass man dergleichen noch nie in
der Welt gesehen hat. Ferner will ich, dass sich bei diesem Palast ein Hof, ein
Vorhof und ein Garten befinde, vor allen Dingen aber an einem bestimmten Ort ein
Schatz voll gemünzten Goldes und Silbers. Außerdem müssen im Palast Küchen,
Speisekammern, Vorratsgewölbe und Gerätekammern, voll der kostbarsten Gerät
für jede Jahreszeit und der übrigen Pracht des Palastes angemessen, vorhanden
sein, ferner Marställe, voll der schönsten Pferden, mit ihren Stallmeistern
und Stallknechten. Außerdem auch noch eine hinlängliche Dienerschaft für die
Küche und Aufwartung, nebst den für den Dienst der Prinzessin nötigen
Sklavinnen. Du wirst jetzt begreifen, wie ich es haben will. Geh nun also, und
komm wieder, wenn alles fertig ist.“

Die Sonne ging eben unter, als Aladdin dem Geist wegen
Erbauung des Palastes, den er sich ausgesonnen, seine Aufträge gab. Bei Anbruch
des folgenden Tages war Aladdin, den seine Liebe zur Prinzessin nicht ruhig
schlafen ließ, kaum aufgestanden, als auch schon der Geist erschien und zu ihm
sagte: „Herr, dein Palast ist fertig. Komm und siehe, ob du damit zufrieden
bist.“ Aladdin hatte kaum sich geäußert, dass er es wolle, als ihn auch
schon der Geist in einem Augenblick hinversetzte. Aladdin fand alles so weit
über seine Erwartung, dass er sich nicht genug darüber wundern konnte. Der
Geist führte ihn überall herum, und überall fand er Reichtum, Sauberkeit und
Pracht, dazu Diener und Sklaven, alle nach ihrem Rang und dem Dienst gemäß
gekleidet, wozu sie bestimmt waren. Auch unterließ er nicht, ihm die
Hauptsache, nämlich den Schatz zu zeigen, dessen Tür vom Schatzmeister
geöffnet wurde. Aladdin sah hier ganze Haufen von Goldsäcken von verschiedener
Größe, je nach den Summen, die sie enthielten, bis an das Gewölbe
emporgetürmt, und zwar in so schöner Anordnung, dass man sie mit Vergnügen
ansah. Beim Herausgehen versicherte ihn der Geist von der vollkommenen Treue des
Schatzaufsehers. Hierauf führte er ihn in die Marställe und zeigte ihm hier
die schönsten Pferde von der Welt und die Stallknechte, welche eifrig mit der
Pflege und Wartung derselben beschäftigt waren. Sodann durchging er mit ihm die
Vorratskammern, welche mit allen Arten von Vorräten, sowohl von Nahrungsmitteln
als von Pferdeschmuck und Geschirren, angefüllt waren.

Nachdem Aladdin so den ganzen Palast von Zimmer zu Zimmer
und von Gemach zu Gemach, von oben bis unten, besonders den großen Saal mit den
vierundzwanzig Fenstern, durchgemustert und darin mehr Reichtum und Pracht, als
er nur je gehofft, angetroffen hatte, sagte er zu dem Geist: „Geist, es
kann niemand zufriedener sein als ich es bin, und ich würde sehr unrecht
handeln, wenn ich mich im geringsten beschweren wollte. Bloß etwas fehlt noch,
wovon ich dir nichts gesagt habe, weil es mir damals nicht einfiel. Es muss
nämlich von dem Palasttor des Sultans bis an den Eingang der Zimmer, die in
diesem Palast für die Prinzessin bestimmt sind, ein Teppich von dem schönsten
Samt ausgebreitet werden, damit sie, wenn sie aus dem Palast des Sultans kommt,
darüber hinweg gehen kann.“ – „Ich komme in einem Augenblick
wieder,“ sagte der Geist. Und kurze Zeit nach seinem Verschwinden sah
Aladdin zu seinem Erstaunen seinen Wunsch vollzogen, ohne dass er wusste, wie es
zugegangen war. Der Geist erschien dann wieder und trug Aladdin in seine Wohnung
zurück, während man eben die Palastpforte des Sultans auftat.

Die Pförtner des Palastes, die das Tor öffneten und
sonst immer nach der Seite hin, wo jetzt Aladdins Palast stand, eine freie
Aussicht gehabt hatten, waren sehr überrascht, als sie diese Aussicht verbaut
und von dort her bis an die Palastpforte des Sultans einen Samtteppich herüber
gebreitet sahen. Sie konnten anfangs nicht unterscheiden, was es wäre, doch ihr
Erstaunen wuchs, als sie ganz deutlich den stolzen Palast Aladdins dastehen
sahen. Die Nachricht von diesem seltsamen Wunder verbreitete sich binnen kurzem
im Palast. Der Großwesir, der sich gleich nach öffnung der Pforte im Palast
einfand, war von dieser Neuigkeit nicht weniger überrascht als die anderen. Er
teilte es zuerst dem Sultan mit, suchte ihm aber die Sache als ein bloßes
Blendwerk vorzustellen. „Wesir,“ erwiderte der Sultan, „warum
willst du dies für ein bloßes Blendwerk halten? Du weißt so gut wie ich, dass
es der Palast ist, den Aladdin vermöge der Erlaubnis, die ich ihm in deiner
Gegenwart erteilte, zur Wohnung für meine Prinzessin Tochter hat erbauen
lassen. Können wir nach den Proben, die er uns von seinem Reichtum gegeben, es
wohl noch befremdend finden, dass er denselben in so kurzer Zeit vollendet hat?
Er hat uns damit überraschen und uns zeigen wollen, dass man mit barem Geld von
einem Tag bis zum andern Wunder tun kann. Gestehe nur mit mir, dass jene Reden
von Blendwerken, die du so eben äußerst, bloß von etwas Eifersucht
herrührten.“ Da unterdessen der Augenblick herangekommen war, wo er in die
Ratsversammlung gehen musste, so konnte er dies Gespräch nicht länger
fortsetzen.