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333. Nacht

Ohne erst die Antwort seiner Mutter abzuwarten, öffnete
Aladdin die Tür nach der Straße, und ließ alle seine Sklaven, paarweise
nacheinander, immer einen weißen und einen schwarzen Sklaven mit einem goldenen
Becken auf dem Kopf, und sofort bis zum letzten, hindurchgehen. Nachdem auch
seine Mutter hinter dem letzten schwarzen Sklaven hinausgegangen war, verschloss
er die Türe, und wartete ruhig in seinem Zimmer, in der Hoffnung, dass der
Sultan nach diesem Geschenk, welches er gefordert hatte, ihn endlich zum
Schwiegersohn annehmen würde.

So wie der erste weiße Sklave aus Aladdins Haus
hervortrat, bleiben alle Vorübergehenden, die ihn sahen, stillstehen, und ehe
die achtzig weißen und schwarzen Sklaven alle heraus waren, wimmelte die
Straße von Volk, welches von allen Seiten herbeiströmte, um ein so
prachtvolles und außerordentliches Schauspiel anzusehen. Die Kleidung eines
jeden Sklaven war so reich an Stoff und Edelgestein, dass die besten Kenner
nicht zu fehlen glaubten, wenn sie jeden Anzug auf mehr denn eine Million
schätzten. Die Nettigkeit und das genaue Anpassen eines jeden Kleides, der
Anstand, das angenehme Wesen, der ebenmäßige und stattliche Wuchs eines jeden
Sklaven, ihr feierlicher Zug in gleichmäßig abgemessenen Zwischenräumen, der
Glanz der außerordentlich großen Edelsteine, die in der schönste Anordnung
rings um ihre Gürtel in echtes Gold gefasst waren, und die ebenfalls aus
Edelsteinen zusammengesetzten Rosen an ihren Turbanen, die in einem ganz
eigentümlichen Geschmack gearbeitet waren, setzten diese ganze Menge von
Zuschauern in eine solche Verwunderung, dass sie nicht müde wurden, sie
anzusehen, und sie mit den Augen so weit als möglich zu verfolgen. Die Straßen
waren so mit Menschen eingefasst, dass jeder genötigt war, an der Stelle zu
bleiben, wo er stand.

Da man mehrere Straßen entlang gehen musste, ehe man zum
Palast gelangte, so machte dies, dass ein guter Teil der Stadt, Personen aus
allen Klassen und Ständen, Augenzeugen dieses bezaubernden Aufzuges waren.
Endlich langte der erste dieser achtzig Sklaven an der Pforte des ersten
Schlosshofes an. Die Pförtner, welche gleich bei Annäherung dieses
wundervollen Zuges sich in zwei Reihen aufgestellt hatten, hielten ihn für
einen König, so reich und prachtvoll war er gekleidet, und näherten sich ihm,
um den Saum seines Kleides zu küssen. Doch der Sklave, vom Geist unterwiesen,
hielt ihn zurück, und sprach zu ihnen ganz ernst: „Wir sind bloß Sklaven.
Unser Herr wird erst erscheinen, wenn es Zeit sein wird.“

Der erste Sklave kam an der Spitze des ganzen Zuges
hierauf in den zweiten Hof, der sehr geräumig, und worin der Hofstaat des
Sultans während der Sitzung des Diwans aufgestellt war. Die Anführer eines
jeden dieser Trupps waren sehr prächtig gekleidet, aber sie wurden weit
verdunkelt, als die achtzig Sklaven erschienen und Aladdins Geschenk brachten,
wozu sie selber mitgehörten. Im ganzen Hofstaat des Sultans gab es nichts so
glänzendes zu sehen, und der gesamte Schimmer und Glanz der ihn umgebenen
Herren vom Hof war nichts im Vergleich mit dem, was sich hier ihren Blicken
darbot.

Sobald dem Sultan der Zug und die Ankunft dieser Sklaven
gemeldet worden war, hatte er Befehl gegeben, sie herein treten zu lassen. Als
sie nun erschienen, fanden sie den Diwan frei und offen, und sie traten daher in
der vollkommensten Ordnung hinein, ein Teil zur Rechten ein anderer Teil zur
Linken. Nachdem sie alle herein waren, und vor dem Thron des Sultans einen
großen Halbkreis gebildet hatten, setzte ein jeder der schwarzen Sklaven das
Becken, welches er trug, auf den Fußteppich nieder. Sie warfen sich sämtlich
nieder, und berührten mit ihrer Stirn den Teppich. Die weißen Sklaven taten
dasselbe zu gleicher Zeit. Sie standen dann alle wieder auf, und die Schwarzen
enthüllten sehr geschickt die Becken, welche vor ihnen standen, und alle
blieben dann, die Arme auf der Brust gekreuzt, mit der größten Ehrerbietung
stehen.

Aladdins Mutter, welche unterdessen bis zum Fuß des
Thrones vorgeschritten war, sagte zu dem Sultan, nachdem sie sich niedergeworfen
hatte: „Herr, mein Sohn Aladdin weiß recht wohl, dass dieses Geschenk,
welches er Euer Majestät sendet, weit unter dem steht, was die Prinzessin
Badrulbudur verdienen würde. Gleichwohl hofft er, dass Euer Majestät, so wie
die Prinzessin, es genehmigen und es anzunehmen geruhen werden, und zwar mit
umso mehr Zuversicht, da er der Bedingung, die ihr ihm vorzuschreiben beliebtet,
nachzukommen gesucht hat.“

Der Sultan war gar nicht im Stand, die Begrüßung der
Mutter Aladdins aufmerksam anzuhören. Der erste Blick, den er auf die vierzig
goldenen, mit den glänzendsten und kostbarsten Kleinoden angefüllten Becken
und auf die achtzig Sklaven warf, welche sowohl ihren Mienen nach, als wegen der
erstaunlichen Pracht und Kostbarkeit ihrer Kleidung, Könige zu sein schienen,
hatten ihn gleich so überrascht, dass er sich von seiner Verwunderung gar nicht
erholen konnte. Anstatt auf die Anrede der Mutter Aladdins zu antworten, wandte
er sich an den Großwesir, der selber nicht begreifen konnte, wo ein solcher
überfluss von Reichtum wohl hergekommen sein möchte. „Nun, Wesir,“
sagte er jetzt ganz öffentlich, „was denkst du von dem, wer er auch sein
mag, der mir ein so reiches und außerordentliches Geschenk schickt, und den wir
beide nicht kennen? Hältst du ihn wohl für unwürdig, die Prinzessin
Badrulbudur, meine Tochter, zu heiraten?“

Wie viel Eifersucht und Betrübnis der Wesir auch darüber
empfand, zu sehen, dass ein Unbekannter vorzugsweise vor seinem Sohn der
Schwiegersohn des Sultans werden sollte, so wagte er doch nicht, seine wahre
Meinung zu verhehlen. Es war zu augenscheinlich, dass das Geschenk Aladdins mehr
als hinreichend war, um ihn zu der Aufnahme in eine so hohe Verbindung würdig
zu machen. Er antwortete also dem Sultan, indem er ganz auf dessen Ansicht
einging: „Herr, ich bin so weit entfernt zu denken, als sei derjenige, der
Euer Majestät ein so würdiges Geschenk dargebracht hat, der ihm zugedachten
Ehre unwürdig, dass ich vielmehr wagen würde, zu behaupten, er verdiente noch
weit mehr, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass es auf der Welt keinen Schatz
gibt, der die Prinzessin, Tochter Euer Majestät, an Wert aufwiegen
könnte.“ Die Herren vom Hof, welche dieser Sitzung beiwohnten, gaben durch
ihre Beifallsbezeugungen zu erkennen, dass ihre Meinung von der des Großwesirs
nicht verschieden waren.

Der Sultan verschob jetzt die Sache nicht länger, und
dachte selbst nicht einmal daran, sich zu erkundigen, ob Aladdin auch wohl die
übrigen erforderlichen Eigenschaften besäße, um sein Schwiegersohn werden zu
können. Der bloße Anblick dieser unermesslichen Reichtümer, und die
Emsigkeit, womit Aladdin seine Forderungen erfüllt hatte, ohne wegen der
ungeheuren Bedingungen, die ihm vorgeschrieben worden, die mindeste
Schwierigkeit zu machen, überredete ihn leicht, dass ihm nichts fehlte, um ihn
zu einem ganz vollkommenen Mann und zu einem solchen zu machen, wie er ihn
wünschte. Um daher Aladdins Mutter so befriedigt zu entlassen, als sie es nur
irgend wünschen konnte, sagte er zu ihr: „Gute Frau, geh und sage deinem
Sohn, dass ich ihn mit offenen Armen erwarte, und dass, je früher er kommen
wird, um aus meiner Hand die Prinzessin, meine Tochter, zu empfangen, um so mehr
Vergnügen es mir machen wird.“

Sobald Aladdins Mutter sich mit jener Freude, deren eine
Frau von diesem Stand, wenn sie ihren Sohn unerwartet auf eine so hohe Stufe
gelangt sieht, nur irgend fähig sein kann, sich entfernt hatte, hob der Sultan
die Sitzung dieses Tages auf, stand vom Thron auf und befahl, dass die zum
Dienst der Prinzessin verordneten Verschnittenen herbeikommen, die goldenen
Becken aufheben und sie nach den Zimmern ihrer Gebieterin tragen sollten, wo er
dieselben mit Muße näher betrachten wollte. Dieser Befehl wurde durch die
Fürsorge des Oberhauptes der Verschnittenen auf der Stelle vollzogen.

Die achtzig weißen und schwarzen Sklaven wurden nicht
vergessen. Man ließ sie in das Innere des Palastes hineinkommen, und kurze Zeit
darauf befahl der Sultan, der von ihrer prächtigen Kleidung mit der Prinzessin
Badrulbudur gesprochen hatte, dass man sie vor ihrem Zimmer aufstellen sollte,
damit sie dieselben durch die Gitterfenster beobachten und sich überzeugen
konnte, dass er, weit entfernt in seiner Beschreibung irgend etwas übertrieben
zu haben, vielmehr ihr weit weniger gesagt hatte, als an der Sache wirklich war.

Aladdins Mutter kam unterdessen nach Hause, und zwar mit
einer Miene, welche die gute Nachricht, die sie ihrem Sohn brachte, genügend
ankündigte. „Mein Sohn,“ sagte sie zu ihm, „du hast alle Ursache
vergnügt zu sein. Du bist, wider meine Erwartung, zur Erfüllung deiner
Wünsche gelangt, und du weißt, was ich dir hierüber gesagt habe. Um dich
nicht zu lange in gespannter Erwartung zu halten, will ich dir nur sagen, dass
der Sultan, mit Zustimmung seines ganzes Hofes, dich für würdig erklärt hat,
die Prinzessin Badrulbudur zu besitzen. Er erwartet dich, um dich zu umarmen und
die Heirat abzuschließen. Denke jetzt nur darauf, dich auf diese Zusammenkunft
vorzubereiten, damit sie der hohen Meinung, die er von dir gefasst hat,
entspreche. Allein nach den Wundern, die ich dich bisher habe vollführen sehen,
bin ich fest überzeugt, dass du es hierin an nichts fehlen lassen wirst. Ich
darf indessen nicht vergessen, dir zu sagen, dass der Sultan voll Ungeduld auf
dich wartet. Verliere daher keine Zeit, um dich zu ihm zu begeben.“