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332. Nacht

Diese plötzliche und unerwartete Veränderung gab zu
allerlei Gerede Anlass. Man fragte sich, wodurch dieser Querstrich wohl
veranlasst sein könnte, und man wusste sich nichts weiter zu sagen, als dass
man den Großwesir mit seinem Sohn, beide mit sehr traurigem Angesicht, aus dem
Palast weggehen und sich nach ihrer Behausung begeben gesehen hatte. Aladdin
allein wusste um dies Geheimnis, und freute sich im Herzen über den
glücklichen Erfolg, den der Gebrauch der Lampe ihm zusicherte. Als er daher mit
Gewissheit erfahren hatte, dass sein Nebenbuhler den Palast verlassen, und dass
die Ehe zwischen ihm und der Prinzessin völlig gelöst war, so hatte er nicht
weiter nötig, die Lampe zu reiben und den Geist zu rufen, um die Vollziehung
derselben zu hindern. Das merkwürdigste bei der Sache war, dass weder der
Sultan noch der Großwesir, welche längst Aladdin und seinen Antrag vergessen
hatten, auch nur im geringsten daran dachten, dass er an dieser Zauberei, welche
die Auflösung der Ehe der Prinzessin herbeigeführt hatte, irgend Anteil haben
könnte.

Aladdin ließ unterdessen die drei Monate vollends
verstreichen, welche der Sultan als Frist für seine Vermählung mit der
Prinzessin Badrulbudur festgesetzt hatte. Er hatte sorgfältig jeden Tag
gezählt, und als sie vorüber waren, schickte er schon am folgenden Morgen
seine Mutter nach dem Palast, um den Sultan an sein gegebenes Wort zu erinnern.

Aladdins Mutter ging nach dem Palast, wie ihr Sohn ihr
gesagt hatte, und stellte sich am Eingang des Diwans an denselben Ort, wo sie
früher immer gestanden hatte. Der Sultan hatte kaum einen Blick auf sie
geworfen, als er sie auch schon wieder erkannte, und sich zugleich der von ihr
getanen Bitte erinnerte, und der Zeit, worauf er sie vertröstet hatte. Der
Großwesir machte ihm soeben einen Vortrag. Der Sultan unterbrach ihn mit den
Worten: „Wesir, ich bemerke da die gute Frau, die uns vor einigen Monaten
ein so schönes Geschenk machte. Lass sie hierher treten. Du kannst ja deinen
Bericht fortsetzen, wenn ich sie angehört habe.“ Der Großwesir warf einen
Blick nach dem Eingang des Diwans und erkannte ebenfalls die Mutter Aladdins.
Sogleich rief er dem Obertürsteher, zeigte sie ihm, und befahl ihm, sie näher
treten zu lassen.

Die Mutter Aladdins näherte sich dem Fuß des Thrones, wo
sie sich, der bestehenden Sitte zufolge, niederwarf. Nachdem sie wieder
aufgestanden war, fragte sie der Sultan, was sie wünschte. „Herr,“
erwiderte sie, „ich erscheine nochmals vor dem Thron Euer Majestät, um in
dem Namen meines Sohnes Aladdin euch in Erinnerung zu bringen, dass die Frist
von drei Monaten verstrichen ist, worauf ihr ihn bei dem Gesuch, welches ich an
euch zu tun die Ehre hatte, vertröstet habt.“

Der Sultan, welcher das erste Mal, wo er die Frau
gesprochen, sich für seine Antwort auf ihr Gesuch einen Aufschub von drei
Monaten genommen, hatte geglaubt, dass gar nicht mehr die Rede sein werde von
einer Heirat, die er für seine Tochter, die Prinzessin, eben nicht angemessen
fand, indem er die Niedrigkeit der Armut der Mutter Aladdins bewog, die in einem
sehr gemeinen Anzug vor ihm erschien. Gleichwohl setzte ihn ihre Mahnung an sein
gegebenes Wort in einige Verlegenheit. Er hielt es nicht für gut, ihr auf der
Stelle zu antworten, sondern zog seinen Großwesir zu Rate, und bezeigte ihm
seine Abneigung gegen eine Vermählung seiner Tochter mit einem Unbekannten,
dessen Stand, wie zu vermuten war, tief unter der Mittelmäßigkeit sein
müsste.

Der Großwesir nahm keinen Anstand, dem Sultan das, was er
hierüber dachte, auseinander zu setzen. „Herr,“ sagte er zu ihm,
„es gibt, wie mich dünkt, nur ein einziges unfehlbares Mittel, um einer so
unpassenden Verheiratung auszuweichen, ohne dass Aladdin, selbst wenn er Euer
Majestät bekannt wäre, sich darüber zu beklagen Ursache hätte: Nämlich
dies, auf die Prinzessin einen so hohen Preis zu setzen, dass seine Reichtümer,
wie groß sie auch immer sein mögen, nicht zureichen. Dies wird ein gutes
Mittel sein, um ihn von einer so kühnen, ich möchte sagen, verwegenen
Bewerbung abzubringen, die er sich offenbar nicht gehörig überlegt hat.“

Der Sultan billigte den Rat des Großwesirs. Er wandte
sich zu Aladdins Mutter, und sagte nach einigem Nachdenken zu ihr: „Gute
Frau, ein Sultan muss sein gegebenes Wort halten, drum bin ich auch bereit, das
meinige zu halten, um deinen Sohn durch die Hand meiner Tochter zu beglücken.
Allein, da ich sie nicht wohl verheiraten kann, ohne zu wissen, welche Vorteile
sie davon haben wird, so kannst du deinem Sohn sagen, dass ich mein Wort
erfüllen werden, sobald er mir vierzig große Becken von gediegenem Gold, ganz
mit dergleichen Kostbarkeiten angefüllt, wie du mir früher einmal in seinem
Namen überreicht hast, überschickt, und zwar durch eben so viele schwarze
Sklaven, die von vierzig anderen weißen und jungen Sklaven, alle sehr
wohl gebildet, vom schönsten Wuchs und in der prächtigsten Kleidung, geführt
sein müssen. Dies sind die Bedingungen, unter denen ich bereit bin, ihm meine
Tochter, die Prinzessin, zu geben. Geh nun, gute Frau. Ich werde seine Antwort
erwarten.“

Aladdins Mutter warf sich nochmals vor dem Thron des
Sultans nieder, und entfernte sich. Unterwegs lachte sie bei sich selbst über
die närrische Grille ihres Sohnes. „Wahrhaftig,“ sagte sie, „wo
wird er so viele goldene Becken und eine so große Menge solcher farbigen
Gläser hernehmen, um sie anzufüllen? Wird er wieder in jenes unterirdische
Gewölbe, dessen Eingang verschlossen ist, hinabsteigen? Und wo wird er ferner
alle diese Sklaven, wie sie der Sultan haben will, hernehmen? Da ist er nun
freilich von seien Ansprüchen weit entfernt, und ich glaube, er wird mit meiner
Sendung schwerlich zufrieden sein.“ Als sie nun mit diesen Gedanken, die
ihr alle Aussichten für Aladdin zu benehmen schienen, nach Hause kam, sagte sie
zu ihm: „Mein Sohn, ich rate dir, nicht weiter an eine Vermählung mit der
Prinzessin Badrulbudur zu denken. Der Sultan hat mich wirklich mit vieler Güte
empfangen, und ich glaube, dass er ganz gut gegen dich gesinnt ist. Allein der
Großwesir hat ihn, wenn ich mich nicht irre, auf andere Gedanken gebracht, und
du wirst das, so wie ich, aus dem, was ich dir sagen werden, abnehmen können.
Nachdem ich dem Sultan vorgestellt hatte, dass die drei Monate abgelaufen seien,
und nachdem ich ihn in deinem Namen gebeten, sich an sein Versprechen zu
erinnern, bemerkte ich, dass er erst mit dem Großwesir eine Weile ganz leise
sprach, und mir dann erst die Antwort gab, die ich dir melden werde.“ Die
Mutter Aladdins stattete nun ihrem Sohn über das, was der Sultan ihr gesagt
hatte, und über die Bedingungen, unter denen er in eine Verbindung mit der
Prinzessin mit ihm einwilligen würde, einen sehr genauen Bericht ab, und
schloss mit den Worten: „Mein Sohn, er erwartet deine Antwort. Allein,
unter uns gesagt,“ fuhr sie lächelnd fort, „ich glaube, er wird da
lange warten müssen.“

„Nicht so lange, als du vielleicht glaubst, liebe
Mutter,“ erwiderte Aladdin, „und der Sultan täuscht sich selber, wenn
er denkt, mich durch seine ungeheuren Forderungen außer Stand zu setzen, an die
Prinzessin Badrulbudur zu denken. Ich hatte andere unüberwindliche
Schwierigkeiten erwartet, oder dass er auf mein unvergleichliche Prinzessin
einen noch höheren Preis setzen würde. Doch jetzt bin ich schon zufrieden, und
das, was er verlangt, ist eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem, was ich im
Stande wäre, ihm für den Besitz derselben zu bieten. Während ich nun darauf
denken werde, ihn zu befriedigen, geh du und besorge uns etwas zum Mittagessen,
und lass mich nur machen.“

Sobald die Mutter nach Lebensmitteln ausgegangen war, nahm
Aladdin die Lampe und rieb sie. Augenblicklich erschien ihm der Geist, und
fragte ihn in den Ausdrücken, die wir schon kennen, was er befehle. Aladdin
sprach: „Der Sultan gibt mir seine Tochter, die Prinzessin, zur Frau, aber
er verlangt zuvor von mir vierzig große und schwere Becken von gediegenem Gold,
angefüllt mit Früchten aus jenem Garten, wo ich die Lampe holte, deren Sklave
du bist. Auch verlangt er von mir, dass diese vierzig Becken von eben so vielen
schwarzen Sklaven getragen werden sollen, vor welchen vierzig weiße, junge und
wohl gebildete Sklaven vom schönsten Wuchs und in der prächtigsten Kleidung,
hergehen müssen. Geh, und schaffe mir dies Geschenk aufs schnellste herbei,
damit ich es dem Sultan senden kann, bevor er die Sitzung des Diwans
schließt.“ Der Geist erwiderte, sein Befehl sollte unverzüglich vollzogen
werden, und verschwand.

Kurze Zeit darauf ließ sich der Geist wieder sehen,
begleitet von vierzig schwarzen Sklaven, deren jeder ein zwanzig Mark schweres
Becken von gediegenem Gold, angefüllt mit Perlen, Diamanten, Rubinen und
Smaragden, an Schönheit und Größe noch auserlesener als die vorigen, auf dem
Kopf trug. Jedes Becken war mit goldgeblümten Silberstoff überdeckt. Alle
diese Sklaven, sowohl die weißen, als die schwarzen mit den goldenen Becken,
erfüllten fast das ganze Haus, welches ziemlich klein war, nebst dem kleinen
Hof an der Vorder-, und dem Gärtchen an der Hinterseite. Der Geist fragte
hierauf Aladdin, ob er zufrieden wäre, und ob er ihm noch etwas anderes
aufzutragen hätte. Aladdin erwiderte, dass er nichts weiter verlangte, und so
verschwand denn der Geist auf der Stelle.

Aladdins Mutter kam vom Markt zurück, und war beim
Eintritt ganz erstaunt, als sie so viele Menschen und Kostbarkeiten erblickte.
Als sie die Nahrungsmittel, welche sie mitbrachte, niedergelegt hatte, wollte
sie den Schleier, der ihr Gesicht verhüllte, ablegen, doch Aladdin hinderte sie
daran. „Liebe Mutter,“ sagte er zu ihr, „es ist jetzt keine Zeit
zu verlieren. Es kommt sehr viel darauf an, dass du, noch ehe der Sultan seinen
Diwan schließt, nach dem Palast zurückkehrst, und das Geschenk und die
Morgengabe, die er für die Prinzessin Badrulbudur verlangt hat, hinbringst,
damit er aus meiner Emsigkeit und Pünktlichkeit auf das heiße und aufrichtige
Verlangen schließen kann, womit ich nach der Ehre einer Heiratsverbindung mit
seinem Haus trachte.“