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331. Nacht

Die Sultanin hörte die Erzählung der Prinzessin ganz
ruhig an, wollte ihr aber keinen Glauben beimessen. „Liebe Tochter,“
sagte sie zu ihr, „du hast wohl getan, dass du deinem Vater, dem Sultan,
nichts davon gesagt hast. Hüte dich nur ja, irgend jemand etwas davon zu sagen,
wenn man dich so sprechen hörte, so könnte man dich leicht für wahnsinnig
halten.“ – „Verehrungswürdigste Mutter,“ erwiderte die
Prinzessin, „ich kann euch versichern, dass ich dies alles bei vollem
Verstand rede. Ihr könnt euch bei meinem Gemahl erkundigen. Er wird euch
dasselbe sagen.“ – „Ich werde mich bei ihm erkundigen,“
antwortete die Sultanin, „aber wenn er auch dasselbe sagte, wie du, ich
würde deshalb noch immer nicht überzeugt sein. Steh nur auf und schlage dir
diese Gedanken aus dem Sinn. Das wäre was Schönes, wenn du durch eine solche
Einbildung die, wegen deiner Hochzeit veranstalteten, Feierlichkeiten stören
wolltest, die in diesem Palast, wie im ganzen Reich, noch mehrere Tage lang
fortdauern sollen! Hörst du nicht schon die Trompetenstöße blasen, und den
Einklang der Trompeten, Pauken und Trommeln? Dies alles sollte dir Vergnügen
und Fröhlichkeit erwecken, und dich alle die Einbildungen, wovon du so eben
gesprochen hast, vergessen lassen.“ Zu gleicher Zeit rief die Sultanin die
Frauen der Prinzessin, und nachdem sie dieselbe zum Aufstehen bewogen hatte, und
sah, dass sie sich zu schmücken begann, begab sie sich nach den Zimmern des
Sultans, und sagte diesem, es wäre wirklich ihrer Tochter etwas durch den Kopf
gegangen, doch nun schon wieder beseitigt. Sie ließ hierauf den Sohn des
Großwesirs kommen, um von ihm etwas über das, wovon die Prinzessin gesprochen
hatte, zu erfahren. Doch dieser, welcher sich durch die Verwandtschaft mit dem
Sultan unendlich geehrt fühlte, hatte beschlossen, die Sache zu verheimlichen.
„Lieber Schwiegersohn,“ sagte die Sultanin zu ihm, „sage mir
doch, hast du dieselbe Einbildung dir in den Kopf gesetzt, wie deine Frau?“
– „Euer Majestät,“ erwiderte der Sohn des Wesirs, „dürfte ich
euch wohl fragen, worauf eure Frage hinzielt?“ – „Dies ist mir
genug,“ antwortete die Sultanin, „ich will nicht mehr wissen. Du bist
klüger, als sie.“

Die Lustbarkeiten im Palast dauerten den ganzen Tag fort.
Die Sultanin, welche der Prinzessin nicht von der Seite wich, unterließ nichts,
was ihr irgend Freude machen oder in ihr irgend Teilnahme an den Vergnügungen
und Schauspielen, die ihr zu Ehren gegeben wurden, erwecken konnte. Allein das
Begebnis der verflossenen Nacht hatte auf sie einen so tiefen Eindruck gemacht,
dass man leicht sehen konnte, dass sie bloß damit beschäftigt war. Der Sohn
des Großwesirs fühlte sich von der Nacht, die er so schlimm zugebracht hatte,
nicht minder niedergedrückt. Allein sein Ehrgeiz bewog ihn, dies zu verhehlen,
und wer ihn nur sah, zweifelte nicht, dass er ein sehr glücklicher Ehemann
wäre.

Aladdin, der von allem, was im Palast vorging, sehr wohl
unterrichtet war, zweifelte nicht, dass die Neuvermählten, ungeachtet des
verdrießlichen Abenteuers, welches ihnen in der vorigen Nacht begegnet war,
wieder beisammen schlafen würden, und hatte nicht Lust, sie in Ruhe zu lassen.
Sobald daher die Nacht etwas vorgerückt war, nahm er wieder seine Zuflucht zu
der Lampe. Augenblicklich erschien der Geist, begrüßte Aladdin ebenso wie
zuvor, und bot ihm seine Dienste an. „Der Sohn des Großwesirs und die
Prinzessin Badrulbudur,“ sagte Aladdin zu ihm, „werden diese Nacht
wieder beisammen schlafen. Geh du nun hin, und bringe mir dem Augenblick, wo sie
sich gelegt haben, das Bett, wie gestern, hierher.“

Der Geist diente dem Aladdin mit ebenso viel Treue und
Pünktlichkeit, als den vorigen Tag. Der Sohn des Großwesirs brachte die Nacht
wieder so kalt und unangenehm zu, wie die erste, und die Prinzessin musste zu
ihrem Verdruss wieder den Aladdin zu ihrem Lagergenossen haben, während
zwischen ihr und ihm ein Säbel lag. Der Geist kam, dem Befehl Aladdins zufolge,
den folgenden Morgen wieder, legte den Gatten neben seine Gemahlin, hob das Bett
mit den Neuvermählten auf, und trug es in das Zimmer des Palastes zurück, wo
er es weggenommen hatte.

Der Sultan, welcher nach dem Empfang, den er am vorigen
Morgen bei der Prinzessin Badrulbudur gefunden, ungeduldig war, zu wissen, wie
sie die zweite Nacht zugebracht hatte, und ob sie ihn ebenso, wie das erste Mal,
empfangen würde, begab sich wieder, und zwar ebenso früh, nach ihrem Zimmer,
um sich davon zu unterrichten. Der Sohn des Großwesirs, welcher sich über den
schlechten Ausgang dieser Nacht noch mehr schämte und ärgerte, als über den
der ersten, hatte kaum gehört, dass der Sultan käme, als er auch schon eilig
aufstand und in die Kleiderkammer stürzte.

Der Sultan näherte sich dem Bett der Prinzessin,
wünschte ihr einen guten Morgen, und sagte dann, nachdem er ihr dieselben
Liebkosungen, wie am vorigen Tag, erzeigt hatte: „Nun, meine Tochter, bist
du diesen Morgen ebenso übel gestimmt, wie gestern? Wirst du mir wohl sagen,
wie du die Nacht zugebracht hast?“ Die Prinzessin beobachtete dasselbe
Stillschweigen, und der Sultan bemerkte, dass ihr Gemüt noch weit unruhiger und
niedergeschlagener war, als das erste Mal. Er zweifelte jetzt nicht mehr, dass
ihr etwas Außerordentliches begegnet sein müsste, und über ihr Geheimhalten
erbittert, rief er ihr im höchsten Zorn und mit gezücktem Säbel zu:
„Meine Tochter, entweder gesteh mir, was du mir verhehlst, oder ich haue
dir augenblicklich den Kopf ab.“

Die Prinzessin, mehr über den Ton und die Drohung des
beleidigten Sultans, als über den Anblick des blanken Säbels erschrocken,
brach endlich ihr Stillschweigen, und rief mit Tränen in den Augen: „Mein
teurer Vater und Gebieter, ich bitte Euer Majestät um Verzeihung, sofern ich
euch beleidigt habe. Ich hoffe von eurer Güte und Gnade, dass an die Stelle des
Zorns bei euch Mitleid treten wird, wenn ich euch den traurigen und kläglichen
Zustand, worin ich mich diese und die ganze vorige Nacht befunden, treu
geschildert habe.“

Nach dieser Einleitung, welche den Sultan ein wenig
besänftigte und rührte, erzählte sie ihm ganz treu alles, was ihr während
dieser zwei bösen Nächte begegnet war, aber auf eine so rührende Weise, dass
er davon tief betrübt wurde. Sie schloss mit den Worten: „Wenn Euer
Majestät an der Wahrheit meiner Erzählung auch nur im mindesten zweifelt, so
könnt ihr euch bei dem Gemahl, den ihr mir gegeben habt, danach erkundigen. Ich
bin überzeugt, dass er die Wahrheit der Sache ebenso bezeugen wird, wie
ich.“

Der Sultan ging ganz auf die tiefe Bekümmernis ein,
welche ein so überraschendes Abenteuer der Prinzessin verursacht haben musste.
„Meine Tochter,“ sagte er zu ihr, „du hast sehr unrecht getan,
dass du nicht gestern bereits dich gegen mich über einen so seltsamen Vorfall
erklärt hast, wie dieser ist, an dem ich nicht geringeren Anteil nehme, als du
selber. Ich habe dich nicht in der Absicht verheiratet, um dich unglücklich zu
machen, sondern vielmehr in der Absicht, dich zufrieden zu machen, und in den
Besitz alles des Glücks zu setzen, das zu verdienst, und das du in den Armen
eines Gemahls, der für dich zu passen schien, hoffen konntest. Verscheuche aus
deinem Gemüt die traurigen Gedanken an das, was du mir soeben erzählt hast.
Ich werde sogleich Befehl erteilen, damit du von nun an nie wieder eine Nacht so
unangenehm und unerträglich zubringen darfst, wie die bisherigen.“

Sobald der Sultan in seine Zimmer zurückgekehrt war,
ließ er seinen Großwesir rufen. „Wesir,“ sagte er zu ihm, „hast
du deinen Sohn schon gesprochen, und hat er dir nichts gesagt?“ Als der
Großwesir antwortete, er hätte ihn noch nicht gesehen, so teile ihm der Sultan
alles das mit, was die Prinzessin Badrulbudur ihm soeben erzählt hatte.
„Ich zweifle nicht,“ fügte er hinzu, „dass meine Tochter mir die
Wahrheit gesagt hat, indessen würde es mir sehr lieb sein, es durch deinen Sohn
bestätigen zu hören. Geh daher zu ihm, und frage ihn, was an der Sache
ist.“

Der Großwesir begab sich sogleich zu seinem Sohn, meldete
ihm, was der Sultan ihm soeben mitgeteilt hatte, und schärfte ihm ein, ihm ja
nichts zu verhehlen, und ihm zu sagen, ob dies wahr wäre. „Ich kann dir
nicht verhehlen, mein Vater,“ erwiderte der Sohn, „dass alles, was die
Prinzessin dem Sultan gesagt hat, völlig wahr ist. Aber sie konnte zugleich
auch die schlechte Behandlung erzählen, die ich insbesondere erfahren habe. Die
Sache verhält sich nämlich also: Seit meiner Vermählung habe ich zwei Nächte
so schrecklich hingebracht, als man sich es nur denken kann, und Leiden
ausgestanden, für deren umständliche und genaue Schilderung ich keinen
Ausdruck habe. Ich will hier nicht erst von dem Entsetzen reden, welches ich
empfand, als ich viermal nacheinander in meinem Bett emporgehoben wurde, ohne
dass ich sehen konnte, wer denn das Bett aufhob und von einem Ort nach dem
andern versetzte, und ohne das ich begriff, wie dies möglich wäre. Du kannst
dir meinen traurigen Zustand leicht denken, wenn ich dir sage, dass ich zwei
ganze Nächte, stehend und im bloßen Hemd, in einer Art von engem Abtritt
zugebracht habe, ohne imstande zu sein, mich von der Stelle zu rühren oder die
geringste Bewegung zu machen, obwohl ich kein Hindernis vor mir sah, welches
mich davon hätte abhalten können. Wie viel ich dabei gelitten habe, darf ich
dir wohl nicht erst bis ins Einzelne ausmalen. ich will dir nicht verhehlen,
dass dies alles mich nicht abgehalten hat, gegen die Prinzessin, als meine
Gemahlin, alle Gefühle der Liebe, der Ehrerbietung und Dankbarkeit zu hegen,
die sie verdient. Allein ich kann dir bei meiner Treue versichern, dass,
ungeachtet aller der Ehre und des Glanzes, welcher aus der Vermählung mit der
Tochter des Sultans für mich entspringt, ich gleichwohl lieber sterben, als
länger in einer so glänzenden Verbindung leben will, wenn ich immer eine so
unangenehme Behandlung, wie die bisherige, erfahren soll. Ich zweifle nicht,
dass die Prinzessin ebenso denken wird, wie ich, und sie wird leicht zugeben,
dass unsere Trennung ebenso nötig für ihre Ruhe, als für die meinige ist.
Darum bitte ich, lieber Vater, bei der Liebe, die dich bewog, mir eine so hohe
Ehre zu verschaffen, jetzt den Sultan dahin zu vermögen, dass er unsere Ehe
für null und nichtig erklärt.“

Wie groß auch immer der Ehrgeiz des Großwesirs war,
seinen Sohn als Schwiegersohn des Sultans zu sehen, so bewirkte doch der feste
Entschluss desselben in Hinsicht einer Scheidung von der Prinzessin, dass er es
nicht für gut fand, ihn noch für einige Tage zur Geduld zu ermahnen, um
abzuwarten, ob diese Widerwärtigkeit nicht vorübergehen würde. Er verließ
ihn daher, um dem Sultan Bescheid zu bringen, welchen er feierlich versicherte,
dass nach dem, was er soeben von seinem Sohn erfahren, die Sache wirklich sich
so verhielte. Ohne erst abzuwarten, bis der Sultan von einer Ehescheidung zu
reden anfinge, wofür er ihn nur zu sehr gestimmt sah, bat er ihn selber um die
Erlaubnis, dass sein Sohn sich aus dem Palast entfernen und in sein Haus
zurückkehren dürfte, indem er vorgab, es wäre nicht billig, dass die
Prinzessin wegen ihrer Liebe zu seinem Sohn auch nur einen Augenblick länger
einer so schrecklichen Plage ausgesetzt würde.

Es kostete den Großwesir nicht viel Mühe, die Gewährung
seines Gesuchs zu erlangen. Augenblicklich gab der Sultan, der bereits denselben
Entschluss gefasst hatte, seine Befehle wegen Einstellung der Lustbarkeiten in
seinem Palast, in der Hauptstadt, ja im ganzen Gebiet seines Königsreiches,
wohin er sofort Gegenbefehle abfertigte. In kurzer Zeit hörten alle
öffentlichen Freudenbezeigungen und Lustbarkeiten auf.