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329. Nacht

Der Sultan hörte den ganzen Vortrag mit viel Milde und
Güte an, ohne irgend ein Zeichen von Zorn oder Unwillen zu äußern, und selbst
ohne dies Gesuch scherzhaft zu nehmen.

Doch ehe er noch der guten Frau eine Antwort erteilte,
fragte er sie, was sie denn da in dem leinen Tuch eingehüllt habe. Sogleich
nahm sie die Vase aus Porzellan, die sie, bevor sie sich niederwarf, an den Fuß
des Thrones hingesetzt hatte, enthüllte sie und überreichte sie dem Sultan.

Es ist unmöglich, die überraschung und das Erstaunen des
Sultans zu beschreiben, als er in dieser Vase so viel ansehnliche, kostbare,
vollkommene und in die Augen fallende Edelsteine beisammen sah, und zwar alle
von einer solchen Größe, dergleichen er noch nie gesehen hatte. Er blieb eine
Weile in einer solchen Verwunderung, dass er fast ganz regungslos dastand.
Nachdem er endlich wieder zu sich gekommen war, nahm er das Geschenk aus den
Händen der Mutter Aladdins in Empfang, indem er ganz außer sich vor Freuden
rief: „Ah, wie schön! Wie kostbar!“ Nachdem er die Edelsteine einen
nach dem anderen bewundert, in die Hand genommen, und nach ihren
hervor stechendsten Eigenschaften gepriesen hatte, wandte er sich zu seinem
Großwesir, zeigte ihm die Vase und sagte ihm: „Sieh einmal an, und du
wirst gestehen, dass man auf der Welt nichts kostbareres und vollkommeneres
sehen kann.“ Der Wesir war ganz bezaubert davon. „Nun,“ fuhr der
Sultan fort, „was sagst du zu einem Geschenk der Art? Ist es nicht meiner
Tochter würdig, und kann ich sie nicht um diesen Preis demjenigen geben, der um
sie anhalten lässt?“

Diese Worte versetzten den Großwesir in eine seltsame
Unruhe. Vor einiger Zeit hatte nämlich der Sultan ihm angedeutet, dass er seine
Tochter, die Prinzessin, seinem Sohn zur Ehe zu geben gedächte. Er fürchtete
jetzt, und nicht ohne Grund, dass der Sultan, durch ein so reiches und
außerordentliches Geschenk verblendet, seine Gesinnung ändern könnte. Er
näherte sich also dem Sultan und sagte ihm ins Ohr: „Herr, man muss
gestehen, das dies Geschenk der Prinzessin würdig ist. Allein ich bitte Euer
Majestät, die Entscheidung hierüber noch drei Monate aufzuschieben. Ich hoffe,
dass bis dahin mein Sohn, auf welchen ihr früher eure Augen zu werfen geruht,
im Stande sein wird, euch ein noch kostbareres Geschenk zu machen, als Aladdin,
den Euer Majestät noch nicht kennt.“ Der Sultan, obwohl er überzeugt war,
es wäre unmöglich, dass der Großwesir für seinen Sohn etwas ausmitteln
könnte, womit er der Prinzessin ein Geschenk von gleichem Wert zu machen im
Stande wäre, unterließ dennoch nicht, auf ihn zu hören, und ihm diese Gnade
zu bewilligen. Er wandte sich also zu Aladdins Mutter, und sagte zu ihr:
„Geh nach Hause, gute Frau, und sage deinem Sohn, dass ich den Vorschlag,
den du mir in seinem Namen gemacht hast, genehmige, dass ich aber meine Tochter,
die Prinzessin, nicht eher verheiraten könne, als bis ich ihre Ausstattung
besorgt habe, die erst in drei Monaten fertig werden kann. Um diese Zeit kannst
du dann wiederkommen.

Aladdins Mutter kehrte mit einer umso größeren Freude
zurück, da sie hinsichtlich ihres Standes es anfänglich für unmöglich
gehalten, Zutritt beim Sultan zu erlangen, und nun überdies einen so günstigen
Bescheid erhalten, anstatt dass sie eine beschämende, abschlägige Antwort
erwartet hatte. Aus zwei Umständen schloss Aladdin bei dem Eintritt seiner
Mutter, dass sie ihm eine gute Nachricht brächte, erstens, weil sie früher als
gewöhnlich heim kam, und zweitens, weil sie eine frohes und aufgeheitertes
Gesicht hatte. „Nun, liebe Mutter,“ sagte er zu ihr, „darf ich
hoffen? Oder soll ich vor Verzweiflung sterben?“ Sobald sie ihren Schleier
abgelegt, und sich neben ihn aufs Sofa gesetzt hatte, sprach sie zu ihm:
„Lieber Sohn, um dich nicht lange in Ungewissheit zu lassen, will ich dir
gleich von vorn herein sagen, dass du, anstatt an den Tod zu denken, alle
Ursache hast, guten Mutes zu sein.“ Im ferneren Verlauf des Gesprächs
erzählte sie ihm dann, wie sie vor allen anderen Zutritt erhalten, welches denn
auch die Ursache ihrer frühen Rückkehr wäre. Ferner, welche
Vorsichtsmaßregeln sie genommen, um dem Sultan, ohne ihn zu beleidigen, den
Antrag einer Heirat zwischen ihm und der Prinzessin Badrulbudur zu machen,
sodann die günstige Antwort, die sie aus dem eigenen Mund des Sultans erhalten
hatte. Sie fügte hinzu, dass das Geschenk, so viel sie aus dem Benehmen des
Sultans schließen können, vor allen andern Dingen auf sein Gemüt einen
mächtigen Eindruck gemacht, und ihn zu der günstigen Antwort, die sie
empfangen, bewogen hätte. „Ich versah mich dessen umso weniger,“ fuhr
sie fort, „da der Großwesir noch kurz vorher ihm etwas ins Ohr gesagt
hatte, und da ich fürchtete, er möchte ihn von der günstigen Gesinnung, die
er für dich etwa hegte, abbringen.“

Aladdin hielt sich bei Empfang dieser Nachricht für den
glückseligsten aller Sterblichen. Er dankte seiner Mutter für alle die Mühe,
die sie sich im Verlauf dieser Angelegenheit gegeben, deren Gelingen für seine
Lebensruhe so wichtig war. Und obwohl ihn, bei seiner ungeduldigen Sehnsucht
nach dem Gegenstand seiner Leidenschaft, drei Monate fast eine Ewigkeit zu sein
dünkten, so schickte er sich doch an, in Geduld zu warten, gestützt auf das
Wort des Sultans, welches er für unverbrüchlich hielt. Während er nicht bloß
die Stunden, Tage und Wochen, sondern sogar die Augenblick zählte, in Erwartung
des ersehnten Ziels, waren bereits zwei Monate verflossen, als die Mutter eines
Abends beim Anzünden der Lampe gewahr wurde, dass kein öl mehr zu Hause war.
Sie ging aus, um welches einzukaufen, und als sie in die Stadt hineinkam, sah
sie, dass alles festlich geschmückt war. Wirklich waren die Kaufläden, anstatt
verschlossen zu sein, geöffnet, man schmückte sie mit Laub und machte Anstalt
zu festlichen Erleuchtungen. Jeder suchte es dem andern hierin an Pracht und
Glanz zuvorzutun, um dadurch seinen Eifer an den Tag zu legen. überhaupt
bezeigte alles seine Freude und Fröhlichkeit. Sogar die Straßen waren mit
Hofbeamten in Galakleidern angefüllt, die auf reich geschmückten Pferden
saßen, und von einer großen Menge von Bedienten umgeben waren, welche gingen
und kamen. sie fragte den Kaufmann, bei welchem sie ihr öl kaufte, was dies
alles bedeuten solle. „Wo seid ihr her, liebe Frau?“, erwiderte
dieser. „Wisst ihr denn nicht, dass der Sohn des Großwesirs diesen Abend
sich mit der Prinzessin Badrulbudur, der Tochter des Sultans, vermählt? Sie
wird jetzt bald aus dem Bad kommen, und die Hofbeamten, die ihr da seht,
versammeln sich so eben, um sie als Gefolge bis zu dem Palast zu begleiten, wo
die Vermählungsfeierlichkeit vor sich gehen soll.“

Die Mutter Aladdins wollte nichts weiter hören. Sie
kehrte so eilfertig heim, dass sie beim Eintritt in ihre Wohnung fast außer
Atem war. Sie traf ihren Sohn, der auf nichts weniger, als auf die schlimme
Nachricht, die sie ihm brachte, gefasst war. „Lieber Sohn,“ rief sie
aus, „für dich ist alles verloren! Du rechnetest auf das schöne
Versprechen des Sultans, aber es wird nichts daraus.“ Aladdin, der durch
diese äußerungen beunruhigt wurde, antwortete: „Liebe Mutter, warum
sollte denn der Sultan sein Wort nicht halten?“ – „Diesen Abend
noch,“ fuhr die Mutter fort, „vermählt sich der Sohn des Großwesirs
mit der Prinzessin Badrulbudur im Palast des Sultans.“ Sie erzählte ihm
nun, auf welche Weise sie es erfahren hatte, und teilte ihm so genau die ein
einzelnen Umstände mit, dass er nicht mehr daran zweifeln konnte.

Bei dieser Nachricht erstarrte Aladdin, wie vom Blitz
getroffen. Jeder andere als er würde diesem Schrecken erlegen haben. Doch eine
geheime Eifersucht hinderte ihn, länger in diesem Zustand zu bleiben.
Augenblicklich erinnerte er sich an die Lampe, die ihm bisher so gute Dienste
geleistet hatte, und ohne die geringste hitzige Aufwallung gegen den Sultan, den
Großwesir oder seinen Sohn, sagte er nur: „Liebe Mutter, der Sohn des
Großwesirs wird diese Nacht vielleicht nicht so glücklich sein, als er hofft.
Während ich auf einen Augenblick nach meinem Zimmer gehe, bereite du das
Abendessen für uns.“

Die Mutter Aladdins merkte wohl, dass ihr Sohn von der
Lampe Gebrauch machen wollte, um wo möglich, zu verhindern, dass die Heirat des
Sohnes des Großwesirs mit der Prinzessin nicht ganz vollzogen würde, und sie
täuschte sich hierin nicht. Aladdin nahm wirklich, sobald er auf seinem Zimmer
war, die Wunderlampe, die er seit jener Erscheinung des Geistes aus den Augen
seiner Mutter entfernt und dorthin getragen hatte, und rieb sie an derselben
Stelle, wie früher. Augenblicklich erschien der Geist und sagte:

„Was verlangst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen
als dein Sklave, und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben,
sowohl ich, als die übrigen Sklaven der Lampe!“

„Höre,“ sagte Aladdin, „du hast mir bisher
immer zu essen gebracht, so oft ich dessen bedurfte, jetzt indessen ist von
einem Auftrag von ganz anderer Wichtigkeit die Rede. Ich habe bei dem Sultan um
die Hand seiner Tochter, der Prinzessin Badrulbudur, anhalten lassen. Er hat mir
sie zugesagt und bloß einen Aufschub von drei Monaten sich ausbedungen. Anstatt
aber Wort zu halten, vermählt er sie diesen Abend, noch vor Ablauf der Frist,
mit dem Sohn des Großwesirs. Ich habe es soeben erfahren, und die Sache ist
ganz gewiss. Ich verlange nun von dir, dass du die Neuvermählten, sobald sie
sich zu Bett gelegt haben, fortführest, und alle beide in ihren Betten hierher
bringst.“

„Mein Gebieter,“ erwiderte der Geist, „ich
werde dir auf der Stelle Folge leisten. Hast du mir noch etwas anderes zu
befehlen?“

„Für den Augenblick weiter nichts,“ antwortete
Aladdin und sogleich verschwand der Geist.

Aladdin kam wieder zu seiner Mutter zurück, und speiste
mit ihr zu Abend, und zwar so ruhig, wie sonst. Nachdem Abendessen unterhielt er
sich eine Weile mit ihr von der Vermählung der Prinzessin, wie von einer ihm
ganz gleichgültigen Sache. Er ging sodann wieder auf sein Zimmer, damit seine
Mutter sich ungestört schlafen legen konnte. Er selbst indessen legte sich
nicht, sondern erwartete die Rückkehr des Geistes und die Vollziehung des an
ihn erlassenen Befehles.

Unterdessen waren im Palast des Sultans mit der größten
Pracht alle Anstalten zu der Vermählungsfeier der Prinzessin getroffen worden,
und der Abend verging unter Zeremonien und Lustbarkeiten bis tief in die Nacht.
Als alles geendigt war, gab der Obertürsteher der Prinzessin dem Sohn des
Großwesirs ein Zeichen. Dieser entfernte sich unvermerkt, und derselbe
Hofbeamte führte ihn nach den Zimmern der Prinzessin, bis in das Gemach, wo das
hochzeitliche Lager bereitet war. Er legte sich zuerst nieder. Kurze Zeit darauf
brachte die Sultanin, in Begleitung ihrer Frauen und der Frauen ihrer Tochter,
die Neuvermählte hereingeführt. Nach der Sitte der Neuvermählten sträubte
sie sich heftig1).
Die Sultanin half sie auskleiden, legte sie dann wie mit Gewalt ins Bett,
umarmte sie, und wünschte ihr eine gute Nacht, und entfernte sich dann mit
allen ihren Frauen. Die letzte derselben schloss die Tür des Gemachs zu.

Kaum war die Türe des Gemachs verschlossen, als der
Geist, ein treuer Sklave der Lampe und pünktlicher Vollzieher der Befehle ihrer
Besitzer, ohne dem jungen Gatten Zeit zu lassen, seiner Neuvermählten die
mindeste Liebkosung zu erzeigen, zum großen Erstaunen beider, das Bett nahm,
und es in einem Augenblick nach dem Zimmer Aladdins fortführte, wo er es
niedersetzte.


1)
Im ganzen Morgenland ist es Sitte, dass die Neuvermählte sich aus allen
Kräften gegen diejenigen sträubt, die sie ihrem Gatten zuführen wollen, und
dass sie den heftigsten Widerstand leistet, wenn man sie zwingen will, das
eheliche Lager mit ihm zu teilen. Bisweilen pflegen junge Frauen sich ganze
Monate hindurch dagegen zu sträuben.