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328. Nacht

Aladdins Mutter, welche gesehen hatte, wie der Sultan
aufstand und sich entfernte, schloss sehr richtig, dass er denselben Tag nicht
wieder erscheinen würde, da sie alle weggehen sah. Sie fasste daher den
Entschluss, ebenfalls nach Hause zurückzukehren. Aladdin, der sie mit dem für
den Sultan bestimmten Geschenk zurückkommen sah, wusste anfangs nicht, was er
von dem Erfolg seiner Sendung denken sollte. In der Angst, worin er sich befand,
dass sie ihm eine schlimme Botschaft bringen würde, vermochte er nicht den Mund
zu öffnen, um sie zu fragen, welche Nachricht sie ihm brächte. Die gute
Mutter, welche nie einen Fuß in den Palast des Sultans gesetzt hatte, und die
nicht die mindeste Kenntnis von dem hatte, was da täglich vorzugehen pflegte,
zog ihren Sohn aus der Unruhe, worin er sich befand, indem sie ihm höchst naiv
folgendes erzählte: „Lieber Sohn, ich habe den Sultan gesehen und bin fest
überzeugt, dass er mich ebenfalls gesehen hat. Ich stand vor ihm, und niemand
hinderte mich ihn zu sehen. Aber er war so sehr mit denen beschäftigt, welche
links und rechts mit ihm sprachen, dass es mir Leid tat, wenn ich die Geduld und
Mühe sah, die es ihn kostete, sie anzuhören. Dies dauerte so lange, dass er
sich zuletzt, glaub ich, langweilen mochte, denn er stand ganz unerwartet auf,
und entfernte sich ziemlich eilig, ohne eine Menge anderer Leute, die noch mit
ihm sprechen wollten, anzuhören. Gleichwohl war ich darüber sehr froh, denn
ich fing wirklich schon an, die Geduld zu verlieren, und war von dem langen
Stehen außerordentlich müde. Indessen ist bei der Sache nichts verdorben. Ich
werde nämlich nicht unterlassen, morgen wieder hinzugehen. Der Sultan wird da
vielleicht nicht so beschäftigt sein.“

Wie sehr Aladdin von Liebe entbrannt war, so musste er
sich doch mit dieser Entschuldigung begnügen und sich mit Geduld waffnen. Er
sah wenigstens mit Vergnügen, dass seine Mutter den schwersten Schritt bereits
getan hatte, nämlich den, den Anblick des Sultans auszuhalten, und hoffte nun,
dass sie, nach dem Beispiel derer, die in ihrer Gegenwart mit ihm gesprochen
hatten, ebenfalls nicht anstehen würde, sich ihres Auftrags zu entledigen,
sobald der günstige Augenblick zum Sprechen eintreten würde.

Den folgenden Morgen ging Aladdins Mutter wieder ebenso
früh mit dem Geschenk von Edelsteinen nach dem Palast des Sultans. Doch ihr
Gang war vergeblich. Sie fand die Türe des Diwans verschlossen, und erfuhr,
dass nur alle zwei Tage Sitzung wäre, und dass sie also den folgenden Tag
wiederkommen müsste. Sie brachte sofort diese Nachricht ihrem Sohn, der seine
Geduld nun verdoppeln musste. Sie ging noch sechs Mal an den ihr bezeichneten
Tagen hin, und stellte sich immer dem Sultan gegenüber, aber mit so wenig
Erfolg, als das erste Mal. Vielleicht würde sie noch hundert Mal unverrichteter
Sache zurückgekehrt sein, wenn nicht der Sultan, der sie bei jeder Sitzung sich
gegenüber stehen sah, sie endlich beachtet hätte. Dies ist umso
wahrscheinlicher, da nur solche, welche dem Sultan Bittschriften zu überreichen
hatten, sich nach der Reihe demselben näherten, um ihre Sachen verhandelt zu
sehen, in welchem Fall aber sich Aladdins Mutter nicht befand.

An diesem Tag endlich sagte der Sultan, als er nach
Aufhebung der Sitzung in seine Gemächer zurückgekehrt war, zu seinem
Großwesir: „Schon seit einiger Zeit bemerkte ich eine gewisse Frau, welche
regelmäßig jeden Tag, wo ich öffentlich Sitzung halte, sich einstellt, und
etwas in einem Leinwandtuch eingehüllt trägt. Sie bleibt von Anfang bis zu
Ende der Sitzung stehen, und zwar immer mir gerade gegenüber. Weißt du wohl,
was ihr Begehr ist?“

Der Großwesir, der so wenig davon wusste, als der Sultan,
wollte indessen nicht gern eine Antwort schuldig bleiben, und antwortete daher:
„Herr, Euer Majestät weiß vielleicht nicht, dass die Frauen oft über
sehr unbedeutende Dinge Beschwerde führen. Diese da kommt offenbar, um sich bei
Euer Majestät darüber zu beschweren, dass man ihr schlechtes Mehl verkauft,
oder irgend ein anderes unbedeutendes Unrecht zugefügt hat.“ Der Sultan
begnügte sich indessen nicht mit dieser Antwort, sondern sagte: „Wenn die
Frau bei der nächsten Sitzung wiederkommt, so vergiss ja nicht, sie rufen zu
lassen, damit ich sie anhöre.“ Der Großwesir antwortete nichts, sondern
küsste die Hand des Sultans und legte sie auf seinen Kopf, zum Zeichen, dass er
denselben zu verlieren bereit wäre, wenn er den Befehl des Sultans zu
vollziehen unterließe.

Aladdins Mutter war schon so daran gewöhnt, im Diwan vor
dem Sultan zu erscheinen, dass sie ihre Mühe für nichts achtete, sofern sie
nur ihrem Sohn zeigen konnte, dass sie in allem dem, was von ihr abhinge, nichts
unterließe, um sich ihm gefällig zu beweisen. Sie ging also am Tag nach der
Sitzung wieder nach dem Palast, und stellte sich am Eingang des Diwans wie
gewöhnlich dem Sultan gegenüber.

Der Großwesir hatte noch keine Angelegenheit vorzutragen
angefangen, als der Sultan die Mutter Aladdins bemerkte. Voll Mitleid über ihr
geduldiges Ausharren, wovon er selber Zeuge gewesen war, sagte er zum
Großwesir: „Vor allen Dingen, damit du es nicht etwa vergessest, dort ist
wieder die Frau, von der ich neulich mit dir sprach. Lass sie hierher treten,
und wir wollen zuerst sie anhören und ihre Angelegenheit abfertigen.“
Sogleich bezeichnete der Großwesir diese Frau dem Obertürsteher, welcher zu
seinen Befehlen bereit stand, und befahl ihm, sie näher heran zu führen.

Der Obertürsteher kam zur Mutter Aladdins und gab ihr ein
Zeichen. Sie folgte ihm bis an den Fuß des Thrones, wo er sie verließ, um sich
wieder an seine Platz neben dem Großwesir hinzustellen.

Aladdins Mutter, welche sich nach dem Beispiel der vielen
anderen, die sie den Sultan anreden gesehen hatte, richtete, berührte mit ihrer
Stirn den Teppich, der die Stufen des Thrones bedeckte, und blieb in dieser
Stellung, bis der Sultan ihr aufzustehen befahl. Sie stand auf, und er sprach zu
ihr: „Gute Frau, ich sehe dich schon seit sehr langer Zeit in meinen Diwan
kommen, und von Anfang bis zu Ende am Eingang stehen. Welche Angelegenheit
führt dich hierher?“

Die Mutter Aladdins warf sich, nachdem sie diese Worte
vernommen hatte, noch einmal nieder, und sagte dann, als sie wieder aufgestanden
war: „Erhabenster Beherrscher des Erdkreises, bevor ich Euer Majestät die
außerordentlich und fast unglaubliche Sache, die mich vor euren erhabenen Thron
führt, auseinander setzte, bitte ich euch, mir das dreiste, ich möchte fast
sagen unverschämte Ansuchen zu verzeihen, welches ich an euch zu tun im Begriff
bin. Es ist so ungewöhnlich, dass ich zittere und mich schäme, es meinem
Sultan vorzutragen.“ Um ihr volle Freiheit zu geben, sich zu äußern,
befahl der Sultan, dass sich alle Anwesenden aus dem Diwan entfernen, und ihn
mit dem Großwesir allein lassen möchten. Hierauf sagte er ihr, sie könnte
jetzt ohne Furcht reden und sich erklären.

Die Mutter Aladdins begnügte sich nicht mit der Güte des
Sultans, der ihr soeben die Verlegenheit, vor der ganzen Versammlung sprechen zu
müssen, erspart hatte, sondern sie wollte sich auch vor seinem Zorn
sicherstellen, den sie bei dem ihm zu machenden Antrag zu fürchten hatte, und
worauf sie gar nicht gefasst war. „Herr,“ fuhr sie fort, „ich
wage auch noch Euer Majestät zu bitten, mir im voraus eure Gnade und Verzeihung
zuzusichern, im Fall ihr das Gesuch, welches ich bei euch anzubringen habe, im
mindesten anstößig oder beleidigend finden solltet.“ – „Was es auch
immer sein mag,“ erwiderte der Sultan, „ich verzeihe es dir jetzt
schon, und es wird für dich daraus nicht die mindestens schlimme Folge
entspringen. Rede ganz ohne Scheu.“

Als die Mutter Aladdins alle diese Vorsichtsmaßregeln
genommen hatte, wie eine Frau, welche den Zorn des Sultans in Betreff des ihm zu
machenden Antrags fürchten zu müssen glaubte, erzählte sie ihm nun ganz treu,
bei welcher Gelegenheit Aladdin die Prinzessin Badrulbudur gesehen, welche
heftige Liebe ihm dieser Anblick eingeflößt, welche Erklärung er ihr
hierüber gemacht, und was sie ihm alles vorgestellt hätte, um ihn von einer
Leidenschaft abzulenken, die ebenso beleidigend für den Sultan als für die
Prinzessin, seine Tochter, sein müsste. „Indessen,“ fuhr sie fort,
„mein Sohn, anstatt diese Ermahnungen zu beherzigen, und seine Kühnheit
einzusehen, beharrte hartnäckig bei der Sache, und zwar bis zu dem Grad, dass
er mir mit irgend einem Schritt der Verzweiflung drohte, wenn ich mich weigerte,
zu Euer Majestät hinzugehen und für ihn um die Hand der Prinzessin anzuhalten.
Gleichwohl hat es mich viel überwindung gekostet, ehe ich mich entschloss, ihm
hierin zu willfahren, und ich bitte daher nochmals Euer Majestät, nicht allein
mir zu verzeihen, sondern auch meinem Sohn Aladdin, dass er den verwegenen
Gedanken gehabt hat, nach einer so erhabenen Verbindung zu trachten.“