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327. Nacht

Die Mutter Aladdins brachte die Vase, und Aladdin zog die
Edelsteine aus den Beuteln, und legte sie in der besten Ordnung hinein. Die
Wirkung, welche sie bei hellem Tageslicht durch die Mannigfaltigkeit ihrer
Farben, durch ihren Glanz und durch ihre Feuer hervorbrachten, war von der Art,
dass Mutter und Sohn davon fast geblendet wurden. Sie waren ganz erstaunt, denn
beide hatten dieselben immer nur beim Lampenschein besehen. Freilich hatte
Aladdin sie auch noch auf ihren Bäumen gesehen, wo sie als Früchte erschienen,
die einen herrlichen Anblick gewährten. Allein er war damals fast noch Kind,
und hatte diese Edelsteine nur wie Spielsachen betrachtet, und sie auch bloß
darum, ohne weitere Kenntnis davon zu haben, eingesteckt.

Nachdem sie eine Weile die Schönheit des Geschenks
bewundert hatten, nahm Aladdin wieder das Wort. „Liebe Mutter,“ sagte
er zu ihr, „du wirst nun wohl den Gang zum Sultan nicht länger unter dem
Vorwand ablehnen, dass du ihm kein Geschenk anzubieten habest. Mich dünkt, hier
hast du eins, welches dir einen sehr günstigen Empfang bewirken wird.“

Obwohl Aladdins Mutter, ungeachtet der Schönheit und des
Glanzes dieses Geschenks, es nicht von so hohem Wert hielt, als ihr Sohn es
schätzte, so glaubte sie dennoch wohl, dass es der Sultan genehmigen könnte,
auch fühlte sie, dass in dieser Hinsicht nichts weiter einzuwenden wäre.
Allein sie kam immer wieder auf den Antrag zurück, den sie unter Begünstigung
des Geschenks an den Sultan machen sollte, und dies machte ihr viel Unruhe.
„Lieber Sohn,“ sagte sie zu ihm, „ich begreife wohl, dass das
Geschenk eine gute Wirkung machen, und dass der Sultan mich mit gnädigen Augen
ansehen wird. Allein, was das Gesuch betrifft, das ich bei ihm anbringen soll,
so fühle ich wohl, dass ich dazu nicht die Kraft haben, sondern stumm bleiben
werde. So wird dann nicht nur mein Gang, sondern auch das Geschenk – das, wie du
sagst, von so außerordentlicher Kostbarkeit ist, – verloren sein, und ich werde
voll Bestürzung zurückkommen, und dir melden, dass du dich in deiner Hoffnung
getäuscht hast. Ich habe dir es schon einmal gesagt, und du wirst sehen, dass
es so kommen wird. Aber,“ fuhr sie fort, „gesetzt auch, dass ich mir
Gewalt antäte, um mich deinem Wunsch zu fügen, und gesetzt, ich hätte Kraft
genug, um ein solches Gesuch, wie du willst, zu wagen, so wird doch der Sultan
sicherlich sich entweder über mich lustig machen, und mich wie eine Närrin
fortschicken, oder in einen gerechten Zorn geraten, wovon du und ich unfehlbar
das Opfer sein werden.“

Aladdins Mutter führte ihrem Sohn noch mehrere andere
Gründe an, um ihn, wo möglich, umzustimmen. Aber die Reize der Prinzessin
Badrulbudur hatten einen so tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht, als dass er
sich von seinem Plan hätte abwendig machen lassen. Er verlangte fortwährend
von seiner Mutter, dass sie seinen Entschluss doch ausführen möchte. Teils aus
Zärtlichkeit gegen ihn, teils aus Furcht, dass er irgend ein äußerstes wagen
könnte, überwand sie ihre Abneigung und gab dem Willen ihres Sohnes nach.

Da es schon zu spät, und die Zeit, wo man nach dem Palast
gehen und sich dem Sultan vorstellen konnte, an diesem Tag schon vorbei war, so
wurde die Sache bis auf den folgenden Tag verschoben. Die Mutter und der Sohn
unterhielten sich den noch übrigen Teil des Tages von nichts anderem als davon,
und Aladdin brachte seiner Mutter mit viel Sorgfalt alles das bei, was ihm
irgend nur einfiel, um sie in dem Entschluss, den sie endlich genehmigt hatte,
sich nämlich dem Sultan vorzustellen, noch mehr zu bestärken. Ungeachtet aller
überredungsgründe des Sohnes konnte sich indessen die Mutter nicht
überzeugen, dass ihr diese Unternehmung irgend gelingen könnte. Auch muss man
wirklich gestehen, dass sie alle Ursache hatte, daran zu zweifeln. „Mein
Sohn,“ sagte sie zu Aladdin, „wenn der Sultan mich so günstig
aufnimmt, als ich es dir zu Liebe wünsche, wenn er ferner den Antrag, den ich
ihm von deinetwegen machen soll, ruhig anhört, aber nach diesem guten Empfang
sich einfallen lässt, mich zu fragen, wo dein Vermögen, deine Reichtümer,
deine Besitzungen sind – denn danach wird er sich vor allen Dingen, und zwar
eher, als nach deiner Person, erkundigen – wenn er mich nun, sag ich, danach
fragt, was soll ich ihm darauf antworten?“

„Liebe Mutter,“ erwiderte Aladdin, „wir
wollen uns nicht im voraus um etwas kümmern, das vielleicht gar nicht erfolgen
wird. Wir wollen jetzt erst abwarten, welche Aufnahme du beim Sultan finden, und
welche Antwort du von ihm erhalten wirst. Sollte es sich ereignen, dass er über
das, was du sagst, Auskunft haben will, so werde ich dann schon sehen, welche
Antwort ich ihm darüber geben soll. Ich habe das Vertrauen, dass die Lampe,
vermöge welcher wir schon seit einigen Jahren unseren Unterhalt haben, mich in
der Not nicht im Stich lassen wird.“

Die Mutter Aladdins wusste auf das, was ihr Sohn soeben
gesagt hatte, nichts zu erwidern. Sie bedachte nämlich, dass die Lampe, von
welcher er sprach, wohl noch größere Wunder zu Wege bringen könnte, als
bisher, wo sie ihnen bloß ihren Lebensunterhalt herbeigeschafft hatte. Dies
stellte sie zufrieden, und hob zugleich alle Schwierigkeiten, die sie etwas
hätten von dem Dienst abhalten können, den sie ihrem Sohn bei dem Sultan zu
leisten versprochen hatte. Aladdin, welcher die Gedanken seiner Mutter erriet,
sagte zu ihr: „Liebe Mutter, vergiss wenigstens nicht, die Sache
verschwiegen zu halten. Es hängt davon der ganze glückliche Erfolg ab, den ich
und du von dieser Angelegenheit erwarten können.“ Hierauf trennten sich
Mutter und Sohn, um sich zur Ruhe zu legen. Doch die heftige Liebe und die
großen Entwürfe eines unermesslichen Glücks, welche das Gemüt des Sohnes
erfüllten, hinderten ihn, die Nacht so ruhig hinzubringen, als er es gewünscht
hätte. Er stand noch vor Anbruch des Tages auf und weckte seine Mutter. Er
drang in sie, dass sie sich aufs schleunigste ankleiden, sich dann nach dem Tor
des Palastes begeben, und gleich bei Eröffnung desselben hineintreten möchte,
und zwar in dem Augenblick, wo der Großwesir, die Wesire, und alle übrigen
hohen Staatsbeamten zu der Sitzung des Diwans hineingingen, welcher der Sultan
stets in Person beizuwohnen pflegte.

Aladdins Mutter tat alles, was ihr Sohn wünschte. Sie
nahm das Porzellangefäß, worin sich das Geschenk von Edelsteinen befand,
hüllte es in ein doppeltes Leinwandtuch, zuerst in ein sehr feines und weißes,
so dann in ein minder feines, welches letztere sie an vier Zipfeln zusammenband,
um es desto leichter forttragen zu können. Endlich ging sie zur großen Freude
Aladdins fort und nahm ihren Weg nach dem Palast des Sultans. Der Großwesir
nebst den übrigen Wesiren und die angesehensten Herren vom Hof waren bereits
hineingegangen, als sie an der Tür anlangte. Die Zahl derer, welche beim Diwan
etwas zu suchen hatten, war sehr groß. Man öffnete endlich und sie ging mit
ihnen allen bis in den Diwan hinein. Dies war ein schöner, tiefer und
geräumiger Saal, dessen Eingang groß und prächtig war. Sie stellte sich so,
dass sie den Sultan, den Großwesir und die übrigen Herren, welche links und
rechts im Diwan ihren Sitz hatten, gerade sich gegenüber hatte. Man rief die
verschiedenen Parteien nacheinander vor, und zwar in der Ordnung, wie sie ihre
Bittschriften eingereicht hatten, ihre Angelegenheiten wurden vorgetragen,
verhandelt und entschieden, bis zu dem Augenblick, wo der Diwan gewöhnlich
geschlossen wurde. Dann stand der Sultan auf, entließ die versammelten
Mitglieder, und ging in sein Zimmer zurück, wohin ihm der Großwesir folgte.
Die übrigen Wesire und die Mitglieder des Staatsrats entfernten sich. Alle die,
welche sich wegen Privatangelegenheiten dort eingefunden hatten, taten dasselbe,
einige zufrieden mit dem Gewinn ihres Rechtshandels, andere unzufrieden über
das gegen sie gefällte Urteil, und noch andere endlich in der Hoffnung, dass
ihre Sache in einer anderen Sitzung entschieden würde.