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321. Nacht

Der Afrikanische Zauberer war in der Tat weder ein Bruder
des Schneiders Mustafa, wie er vorgegeben hatte, noch auch Aladdins Oheim.
Dagegen war er wirklich aus Afrika, und da Afrika ein Land ist, wo man für die
Zauberei mehr eingenommen ist als irgend anderswo, so hatte er sich von Jugend
an darauf gelegt. Nachdem er sich vierzig Jahre lang mit Zaubereien, mit der Punktierkunst,
mit Räucherungen und Lesung von Zauberbüchern beschäftigt hatte, war er
endlich auf die Entdeckung gekommen, dass es in der Welt eine Wunderlampe gäbe,
deren Besitz ihn mächtiger als alle Könige der Erde machen würde, sofern er
derselben je habhaft werden könnte. Durch seinen letzten Versuch in der Punktierkunst
hatte er ausgemittelt, dass diese Lampe sich an einem unterirdischen Ort mitten
in China befände, und zwar in einer Gegend und unter allen den Umständen, die
wir bereits wissen. Von der Richtigkeit dieser Entdeckung überzeugt, war er von
dem äußersten Ende Afrikas ausgereist und nach einer langen und beschwerlichen
Reise, in die Stadt gekommen, welche in der Nähe dieses kostbaren Schatzes
gelegen war. Allein, obwohl die Lampe sich ganz gewiss an dem bewussten Ort
befand, so war es ihm doch nicht gestattet, sie selber wegzunehmen oder
persönlich in das unterirdische Gewölbe einzutreten, worin sie sich befand. Es
musste durchaus ein anderer da hinabsteigen, sie abholen und sie ihm sodann
einhändigen. Daher hatte er sich an Aladdin gewandt, den er für einen jungen
unbedeutenden Menschen und für sehr geeignet hielt, ihm diesen erforderlichen
Dienst zu leisten, mit dem festen Vorsatz, sobald er die Lampe in Händen haben
würde, die letzte, schon erwähnte Räucherung zu tun, die beiden Zauberworte
auszusprechen, welche die bereits erwähnte Wirkung hatten, und so den armen
Aladdin seiner Habsucht und Bosheit aufzuopfern, um an ihm keinen Zeugen dieser
Sache zu haben. Die Ohrfeige, welche er dem Aladdin gegeben, und das Ansehen,
welches er sich über ihn angemaßt hatte, sollten diesen bloß daran gewöhnen,
ihn zu fürchten und ihm pünktlich zu gehorchen, damit, wenn er diese berühmte
Zauberlampe von ihm fordern würde, dieser sie ihm sogleich übergebe. Indessen
erfolgte gerade das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hatte. Am Ende
verfuhr der Boshafte bloß darum so eilig, um den armen Aladdin zu verderben,
weil er fürchtete, dass, wenn er sich länger mit ihm herumzankte, irgend ein
anderer es hören und sein Geheimnis offenbaren möchte.

Als der Afrikanische Zauberer seine großen und schönen
Hoffnungen auf immer verschwunden sah, blieb ihm nichts weiter übrig, als nach
Afrika zurückzukehren. Was er denn auch an demselben Abend noch tat. Auf der
Heimreise machte er einige Umwege, um nicht mehr die Stadt betreten zu dürfen,
aus welcher er sich mit Aladdin entfernt hatte. Auch musste er wirklich
fürchten, dass ihn da mehrere Personen beobachten könnten, die ihn mit Aladdin
hatten gehen sehen, und ihn jetzt ohne ihn zurückkommen sähen.

Allem Anschein nach musste es jetzt mit Aladdin aus sein.
Allein gerade der, welcher ihn auf immer zu vernichten geglaubt, hatte nicht
beachtet, dass er ihm einen Ring an den Finger gesteckt, der zu seiner Rettung
dienen könnte. In der Tat, eben dieser Ring wurde Anlass zu der Rettung des
jungen Menschen, der die Kräfte desselben gar nicht kannte. Es ist zu
verwundern, das dieser Verlust nebst dem der Lampe den Zauberer nicht in die
tiefste Verzweiflung stürzte. Indessen die Zauberer sind so sehr an Unfälle
und Fehlschlagen ihrer Wünsche gewöhnt, das sie, so lange sie leben, nicht
aufhören, sich an Rauch und Dunst, an Luftschlössern und Einbildungen zu
ergötzen.

Aladdin, der nach allen diesen Liebkosungen und
empfangenen Wohltaten gar nicht auf diese Bosheit seines angeblichen Oheims
gefasst war, befand sich in einer Bestürzung, die sich leichter denken als
beschreiben lässt. Als er sich so lebendig begraben sah, reif er tausend mal
seinen Oheim beim Namen, und erklärte, dass er bereit wäre, ihm die Lampe zu
geben. Aber sein Rufen war fruchtlos und konnte auch gar nicht gehört werden.
Er musste daher so im Finstern und Dunkeln bleiben. Endlich nachdem er seine
Tränen getrocknet hatte, stieg er wieder die Treppe der Höhle hinunter, um
nach dem Garten, den er schon einmal durchgegangen, und ins helle Tageslicht zu
kommen. Aber die Mauer, die sich ihm früher geöffnet, hatte sich schon wieder
durch einen neuen Zauber geschlossen und zusammengefügt. Er tappte mehrmals
links und rechts vor sich hin, ohne eine Tür zu finden. Er verdoppelte sein
Schreien und Weinen, und setze sich endlich auf die Stufen der Höhle, ohne
Hoffnung, jemals das Tageslicht wieder zu sehen, und in der traurigen Gewissheit
eines nahen Todes.

Aladdin blieb in diesem Zustand zwei Tage, ohne zu essen
und zu trinken. Am dritten Tag endlich, da er seinen Tod als unvermeidlich
betrachtete, faltete und hob er seine Hände empor, und rief mit völliger
Ergebung in den Willen Gottes aus:

„Es gibt keine Macht und Kraft, als in Gott, dem
Allerhöchsten und Größten!“