Project Description

318. Nacht

Als Aladdin sich so prächtig vom Kopf bis zu den Füßen
gekleidet sah, stattete er seinem Oheim alle nur erdenklichen Danksagungen ab.
Der Zauberer versprach ihm, ihn auch ferner nicht zu verlassen, sondern ihn
stets bei sich zu behalten. Auch führte er ihn wirklich in die besuchtesten
Gegenden der Stadt, besonders in diejenigen, wo die Läden der reichsten
Kaufleute waren. Als er mit ihm in die Straße gekommen war, wo die Läden mit
den schönsten Stoffen und der feinsten Schleierleinwand sich befanden, sagte er
zu Aladdin: „Da du bald ein eben solcher Kaufmann, wie diese da, sein
wirst, so ist es gut, dass du sie besuchst und dass sie dich kennen
lernen.“ Er zeigte ihm ferner auch die schönsten und größten Moscheen,
führte ihn in die Kane, wo die fremden Kaufleute wohnten, und an alle
diejenigen Orte im Palast des Sultans, zu denen man freien Zutritt hatte.
Endlich, nachdem sie die schönsten Gegenden der Stadt miteinander durchstreift
hatten, gelangten sie in den Kan, worin der Zauberer seine Wohnung genommen
hatte. Es fanden sich da noch einige andere Kaufleute ein, deren Bekanntschaft
er seit seiner Ankunft gemacht, und die er diesmal absichtlich versammelt hatte,
um sie gut zu bewirten und um ihnen seinen angeblichen Neffen vorzustellen.

Das Gastmahl endigte nicht eher als am Abend. Aladdin
wollte von seinem Oheim Abschied nehmen, um nach Hause zurückzukehren. Allein
der Afrikanische Zauberer wollte ihn nicht allein gehen lassen, sondern
geleitete ihn selber bis in die Wohnung seiner Mutter zurück. Als diese ihren
Sohn so gut gekleidet erblickte, war sie vor Freuden außer sich, und konnte gar
nicht aufhören, den Zauberer, der für ihren Sohn so viel Geld ausgegeben, mit
allen möglichen Segenswünschen zu überhäufen. „Großmütiger
Anverwandter,“ sagte sie zu ihm, „ich weiß nicht, wie ich euch für
eure Freigebigkeit genügend danken soll. Ich weiß, dass mein Sohn das Gute,
welches ihr ihm erzeigt, nicht verdient, und er würde dessen gänzlich unwert
sein, wenn er es nicht erkennen, oder nicht euren guten Absichten entsprechen
sollte, die ihr mit ihm vorhabt, indem ihr ihm eine so glänzende Einrichtung
geben wollt. Ich, für meine Person,“ fügte sie hinzu, „danke euch
von ganzem Herzen dafür, und wünsche euch ein recht langes Leben, um Zeuge von
der Dankbarkeit meines Sohnes sein zu können, der euch dieselbe nicht besser an
den Tag legen kann, als wenn er ganz euren guten Ratschlägen folgt.“

„Aladdin,“ erwiderte der Afrikanische Zauberer,
„ist ein guter Junge, er hört auf mich, und ich denke, dass wir noch etwas
recht Gutes aus ihm machen werden. Es tut mir übrigens leid, dass ich morgen
noch nicht das ausführen kann, was ich ihm versprochen habe. Es ist nämlich
Freitag1), die
Läden werden da geschlossen sein, und es ist also nicht daran zu denken, einen
zu mieten und mit Waren zu versehen, da die Kaufleute an diesem Tag nur auf ihr
Vergnügen und auf ihre Zerstreuung denken. Wir werden also die Sache auf
Sonnabend verschieben müssen. Indessen werde ich ihn morgen wieder mitnehmen,
und ihn in die Gärten spazieren führen, wo sich gewöhnlich die schöne Welt
einzufinden pflegt. Er hat vielleicht noch nie etwas von den Vergnügungen
gesehen, die man da genießt. Bisher war er nur immer mit Kindern zusammen, er
muss jetzt auch einmal erwachsene Menschen sehen.“ Der Afrikanische
Zauberer nahm endlich von Mutter und Sohn Abschied, und entfernte sich. Aladdin
indessen, der schon hoch erfreut darüber war, sich so gut gekleidet zu sehen,
freute sich jetzt auch noch im voraus auf den Spaziergang nach den Gärten
außerhalb der Stadt. In der Tat war er noch nie vor die Tore gekommen, und er
hatte noch nie die Umgebungen gesehen, welche überaus schön waren.

Aladdin stand den folgenden Tag sehr früh auf und kleidete
sich an, um zum Mitgehen bereit zu sein, sobald sein Oheim ihn abholen würde.
Nachdem er, wie es ihn dünkte, sehr lange gewartet hatte, bewirkte die
Ungeduld, dass er die Türe öffnete und häufig hinausging, um zu sehen, ob er
denn nicht käme. Sobald er ihn von fern erblickte, gab er seiner Mutter davon
Nachricht, nahm hierauf von ihr Abschied, schloss die Türe zu und eilte ihm
entgegen.

Der Afrikanische Zauberer erzeigte dem Aladdin, als er ihn
wieder sah, viele Liebkosungen. „Wohlan nun, lieber Junge,“ sagte er
mit lächelnder Miene zu ihm, „ich werde dir heute schöne Sachen
zeigen.“ Hierauf führte er ihn durch ein Tor, welches zu großen und
schönen Häusern oder vielmehr zu prächtigen Palästen hinaus führte, deren
jeder einen sehr schönen Garten hatte, in welchen man frei eintreten durfte.
Bei jedem Palast, an welchem sie vorbeikamen, fragte er Aladdin, ob er ihn
schön fände: Und Aladdin, der ihm immer zuvorkam, sagte bei jedem neuen, der
sich ihrem Anblick darbot: „Lieber Oheim, da ist ein noch weit schönerer,
als alle die, welche wir bisher gesehen haben.“ Unterdessen waren sie immer
weiter ins Freie vorgeschritten, und der listige Zauberer, der gern noch weiter
gehen wollte, um den Plan, den er im Kopf hatte, auszuführen, nahm Anlass, in
einen dieser Gärten hinein zu treten. Er setzte sich neben ein großes Becken, in
welches durch einen bronzenen Löwenrachen silberhelles Wasser sprudelte, und
stellte sich ermüdet, damit Aladdin sich ebenfalls setzen möchte. „Lieber
Neffe,“ sagte er zu ihm, „du wirst eben so müde sein, wie ich. Lass
uns hier ein wenig ausruhen, um frische Kräfte zu sammeln. Wir werden dann mehr
Mut haben, unsern Spaziergang zu verfolgen.“

Als sie sich gesetzt hatten, zog der Afrikanische Zauberer
aus einem Tuch, das an seinem Gürtel befestigt war, Kuchen und mehrere Arten
von Früchten, die er zum Vorrat mitgenommen, hervor, und breitete sie auf dem
Rande des Beckens aus. Er teilte einen Kuchen mit Aladdin, und ließ in Hinsicht
der Früchte demselben freie Auswahl unter denen, die ihm am besten schmeckten.
Während dieser kleinen Mahlzeit ermahnte er seinen angeblichen Neffen, sich von
dem Umgang mit Knaben los zu machen, sich lieber an kluge und verständige
Männer anzuschließen, ihnen zuzuhören, und von ihren Unterhaltungen Nutzen zu
ziehen. „Du wirst,“ sagte er, „sehr bald ein Mann wie sie sein,
und du kannst dich nicht früh genug gewöhnen, nach ihrem Beispiel,
verständige Reden zu führen.“ Als sie die kleine Mahlzeit vollendet
hatten, standen sie auf, und verfolgten ihren Weg quer durch die Gärten, die
voneinander bloß durch schmale Gräben geschieden waren, welche die
Grenzscheide bildeten, ohne deshalb die Verbindung zu hemmen. Das gegenseitige
Zutrauen machte, dass die Bürger dieser Hauptstadt weiter keine
Vorsichtsmaßregel brauchten, um gegenseitigen Schaden zu verhüten. Unbemerkt
führte der Afrikanische Zauberer den Aladdin ziemlich weit über die Gärten
hinaus, und durchwandelte mit ihm die Ebene, die ihn allmählich in die Nähe
von Bergen leitete.

Aladdin, der in seinem ganzen Leben noch keinen so weiten
Weg gemacht hatte, fühlte sich durch den weiten Gang sehr ermüdet. Lieber
Oheim,“ sagte er zu dem Afrikanischen Zauberer, „wohin gehen wir denn?
Wir haben die Gärten schon sehr weit hinter uns, und ich sehe nichts als Berge
vor mir. Wenn wir noch weiter vorwärts gehen, so weiß ich nicht, ob ich noch
Kräfte genug haben werde, um wieder nach der Stadt zurückzukehren.“ –
„Fasse nur Mut, lieber Neffe,“ sagte der vermeintliche Oheim zu ihm,
„ich will dir noch einen andern Garten zeigen, der nicht mehr weit von hier
ist, nur noch ein paar Schritte. Wenn wir dahin gekommen sein werden, sollst du
mir einmal sagen, ob es dir nicht leid gewesen wäre, wenn du ihn nicht gesehen
hättest, nachdem du schon nahe daran gewesen.“ Aladdin ließ sich
überreden, und der Zauberer führte ihn noch weiter, indem er ihm verschiedene
anmutige Geschichten erzählte, um ihm den Weg minder langweilig und die
Ermüdung erträglicher zu machen.

Endlich kamen sie zwischen zwei mäßig hohe Berge, die
sich ziemlich gleich, und nur durch ein schmales Tal geschieden waren. Dies war
eben die merkwürdige Stelle, wohin der Afrikanische Zauberer den Aladdin hatte
führen wollen, um mit ihm einen großen Plan auszuführen, um dessentwillen er
von dem äußersten Ende Afrikas bis nach China gereist war. „Wir sind
jetzt an Ort und Stelle,“ sagte er zu Aladdin: „Ich werde dir hier
Dinge zeigen, die ganz außerordentlich und allen übrigen Sterblichen unbekannt
sind. Wenn du sie gesehen haben wirst, so wirst du mir gewiss Dank dafür
wissen, dass ich dich zum Augenzeugen so vieler Wunderdinge gemacht habe, die
außer dir noch niemand gesehen hat. Während ich jetzt mit dem Stahl Feuer
schlage, häufe du hier so viel trockenes Reisig zusammen, als du nur auftreiben
kannst, um Feuer anzumachen.

Es war an dem Ort eine solche Menge Reisig vorhanden, dass
Aladdin sehr bald einen mehr als hinlänglichen Haufen davon beisammen hatte,
während der Zauberer das Schwefelhölzchen anzündete. Er machte nun Feuer an,
und während das Reisig aufloderte, warf der Afrikanische Zauberer Räucherwerk
hinein, welches er schon in Bereitschaft hatte. Ein dicker Rauch stieg empor,
den er bald auf diese, bald auf jene Seite wendete, indem er allerlei
Zauberworte murmelte, von denen Aladdin nichts verstand.


1)
Es darf wohl nicht erst bemerkt werden, dass der Islam niemals in China als
Religion eingeführt gewesen ist.