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315. Nacht

Die glänzende Gesellschaft langte endlich an. Mesrur
öffnete die Tür und der Kalif und Sobeïde traten mit ihrem ganzen Gefolge ins
Zimmer. Sie wurden sehr überrascht, und blieben bei dem Anblick des traurigen
Schauspiels, das sich ihren Augen hier darbot, wie starr und unbeweglich. Keiner
wusste, was er von diesem Ereignis denken sollte. Endlich unterbrach Sobeïde
das Stillschweigen. „Ach,“ sprach sie zum Kalifen, „so sind sie
denn also alle beide tot! So habt ihr – hier sah sie den Kalifen und Mesrur an –
es denn durch euer hartnäckiges Vorspiegeln, als sei meine teure Sklavin
gestorben, dahin gebracht, dass sie es wirklich ist, und ohne Zweifel von
Betrübnis über den Tod ihres Mannes.“ – „Meine Gemahlin,“
antwortete der Kalif, der von der entgegen gesetzten Ansicht eingenommen war,
„sagt lieber, dass Nushatulawadat zuerst gestorben ist, und dass der arme
Abu Hassan seiner Betrübnis über den Tod seiner Frau hat unterliegen müssen.
So werdet ihr denn auch zugeben, dass ihr die Wette verloren habt, und dass euer
Gemäldepalast in allem Ernst mir gehört.“

„Und ich,“ erwiderte Sobeïde, welche durch den
Widerspruch des Kalifen gereizt war, „ich behaupte, dass ihr selber
verloren habt, und dass euer Lustgarten mir gehört. Abu Hassan ist zuerst
gestorben, da meine Amme euch und mich versichert hat, dass sie seine Frau
lebend und über ihren toten Mann weinend gesehen.“

Dieser Streit zwischen dem Kalifen und Sobeïde erregte
einen zweiten. Mesrur und die Amme waren nämlich in gleichem Fall. Sie hatten
ebenfalls gewettet, und jeder behauptete, gewonnen zu haben. Der Wortwechsel
wurde etwas scharf und hitzig, und das Oberhaupt der Verschnittenen stand mit
der Amme auf dem Punkt, zu den gröbsten Beleidigungen überzugehen.

Der Kalif, der alles, was vorgefallen war, bei sich erwog,
räumte endlich stillschweigend ein, dass Sobeïde mit ebenso vielem Recht, als
er, behaupten könnte, dass sie gewonnen hätte. In dem Verdruss, den er
darüber empfand, dass er die Wahrheit bei diesem Abenteuer nicht auszumitteln
vermochte, näherte er sich den beiden Leichen, setzte sich ihnen zu Haupt, und
sann auf irgend ein Auskunftsmittel, das ihm den Sieg über Sobeïde verschaffen
könnte. „Ja,“ rief er einen Augenblick nachher, „ich schwöre
bei dem heiligen Namen Gottes, dass ich tausend Goldstücke von meinem eigenen
Gepräge demjenigen geben will, der mir sagt, wer von diesen beiden zuerst
gestorben sei.“

Kaum hatte der Kalif diese letzten Worte gesprochen, als
er unter dem Stück Brokat, welches Abu Hassan bedeckte, eine Stimme
hervorkommen hörte, die ihm zurief: „Beherrscher der Gläubigen, ich bin
zuerst gestorben. Gebt mir die tausend Goldstücke!“ Zugleich sah er Abu
Hassan aus dem Stück Brokat, das ihn bedeckte, sich hervorarbeiten und zu
seinen Füßen stürzen. Seine Frau warf ebenfalls ihre Umhüllung ab, und warf
sich zu Sobeïdes Füßen, indem sie, des Wohlstandes halben, sich in das Stück
Brokat hüllte. Doch Sobeïde stieß einen heftigen Schrei aus, der das
Entsetzen der Umstehenden noch vermehrte. Endlich erholte sich die Fürstin von
ihrer Furcht, und fühlte nun eine unaussprechliche Freude darüber, dass ihre
teure Sklavin fast in demselben Augenblick, wo sie über den Anblick ihrer
Leiche untröstlich war, wieder von den Toten auferstand. „Ach, du böse
Person,“ rief sie aus, „du bist schuld, dass ich dir zu Liebe so viel
gelitten habe. Indessen verzeihe ich dir herzlich gern, da es doch wahr ist,
dass du nicht gestorben bist.“

Der Kalif hatte sich seinerseits die Sache nicht so zu
Herzen genommen. Anstatt über die Stimme Abu Hassans zu erschrecken, glaubte er
im Gegenteil vor Lachen zu ersticken, als er sie beide sich ihrer Umhüllung
entledigen sah, und Abu Hassan in allem Ernste sich die tausend Goldstücke
ausbitten hörte, die er demjenigen versprochen, der ihm sagen würde, welcher
von beiden zuerst gestorben wäre. „Ei, Abu Hassan,“ sagte der Kalif,
immer noch fortlachend, zu ihm, „hast du denn geschworen, dass ich mich
wegen deiner zu Tode lachen soll? Und wie bist du denn auf den Einfall gekommen,
Sobeïde und mich durch eine List zu fangen, vor welcher wir gar nicht auf der
Hut waren?“

„Beherrscher der Gläubigen,“ antwortete Abu
Hassan, „ich werde es sogleich ohne Rücksicht entdecken. Euer Majestät
erinnert sich wohl noch, dass ich stets sehr viel auf eine gut besetzte Tafel
gehalten habe. Die Frau, welche ihr mir zur Ehe gabt, hat diese Leidenschaft
nicht vermindert, sondern im Gegenteil mussten die Neigungen, die ich in ihr
fand, sie nur noch vermehren. Euer Majestät wird nun leicht ermessen, dass,
wenn wir bei einer solchen Gemütsstimmung auch einen Schatz, so groß wie das
Meer, nebst allen Schätzen Euer Majestät obendrein besessen hätten, wir
dennoch sehr bald damit zu Ende gekommen sein würden. Dies ist denn wirklich
geschehen. Seitdem wir beisammen sind, haben wir nichts gespart, um uns von den
Geschenken Euer Majestät gütlich zu tun. Als wir diesen Morgen mit unserem
Speisewirt abrechneten, fanden wir, dass, wenn wir ihn befriedigten, und unsere
übrigen Schulden bezahlten, uns von dem ganzen Geld, das wir besaßen, nichts
übrig blieb. Betrachtungen über das Vergangene und gute Vorsätze für die
Zukunft drängten sich nun haufenweise unserem Gemüt und unseren Gedanken auf.
Wir entwarfen tausend Pläne, die wir aber immer sogleich wieder aufgaben.
endlich gab uns die Scham, uns in einem so traurigen Zustand zu befinden, den
wir Euer Majestät nicht zu entdecken wagten, dies Mittel ein, um unseren
Bedürfnissen abzuhelfen, und euch zugleich durch diesen kleine Betrug zu
belustigen, wegen dessen wir Euer Majestät um gütige Verzeihung bitten.“

Der Kalif und Sobeïde waren mit der Aufrichtigkeit Abu
Hassans sehr zufrieden, und schienen über das, was vorgefallen, gar nicht böse
zu sein. Im Gegenteil vermochte Sobeïde, welche die Sache immer sehr ernst
genommen, sich ihrerseits nicht des Lachens zu enthalten, wenn sie an alles das
dachte, was Abu Hassan ersonnen hatte, um seinen Plan glücklich auszuführen.
Der Kalif hatte fast noch gar nicht zu lachen aufgehört, so einzig schien ihm
dieser Einfall zu sein. Er stand auf, und sagte zu Abu Hassan und dessen Frau:
„Folgt mir beide. Ich will euch die versprochenen tausend Goldstücke
auszahlen lassen, für die Freude, die ich darüber habe, dass ihr nicht
gestorben seid.“

„Beherrscher der Gläubigen,“ sagte Sobeïde,
„ich bitte euch, begnügt euch damit, die tausend Goldstücke an Abu Hassan
zu zahlen. Ihr seid sie ihm einzig und allein schuldig. Was seine Frau
anbetrifft, so lasst mich nur machen.“ Zugleich befahl sie ihrer
Schatzmeisterin, die sie begleitete, an Nushatulawadat ebenfalls tausend
Goldstücke auszahlen zu lassen, um ihr auch von ihrer Seite die Freude an den
Tag zu legen, die sie darüber empfand, dass dieselbe noch am leben war.

Durch dies Mittel erhielten sich Abu Hassan und seine
Gattin Nushatulawadat noch lange in der Gunst des Kalifen Harun Arreschyd und
seiner Gemahlin Sobeïde, und erlangten von der Freigebigkeit derselben so viel,
dass sie für ihr ganzes übriges Leben alle ihre Bedürfnisse im reichsten
Maße befriedigen konnten.“