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314. Nacht

Mesrur, der erwartet hatte, dass die Sendung und der
Bericht der Amme zu seinen Gunsten ausfallen würde, kränkte sich schwer
darüber, dass alles so ganz zum Gegenteil ausgeschlagen war. Außerdem
schmerzte es ihn tief, dass Sobeïde um einer Tatsache willen, die er
zuverlässiger als irgend ein anderer zu wissen vermeinte, gegen ihn so heftig
erzürnt war. Es war ihm daher sehr angenehm, einen Anlass zu haben, sich
hierüber ganz offen gegen die Amme erklären zu können, und zwar weit lieber
gegen sie, als gegen die Fürstin, welcher er nicht zu widersprechen wagte, aus
Furcht, die schuldige Ehrerbietung zu verletzen. „Zahnlose Alte,“
sagte er ohne Schonung zur Amme, „du bist eine Lügnerin. Von alle dem, was
du da sagst, ist nichts wahr. Ich habe mit eigenen Augen Nushatulawadat als
Leiche in der Mitte Ihres Zimmers ausgestreckt gesehen.“

„Du bist selber ein Lügner, und zwar ein recht arger
Lügner,“ erwiderte die Amme in einem beleidigenden Ton, „dass du es
wagst, eine solche Unverschämtheit gegen mich zu behaupten, die ich soeben aus
Abu Hassans Wohnung komme, den ich darin als Leiche ausgestreckt gesehen, –
gegen mich, die ich soeben seine Frau lebend und gesund verlassen habe.“

„Ich bin kein Betrüger,“ antwortete Mesrur,
„sondern du vielmehr suchst uns in Irrtum zu versetzen.“

„Das ist doch eine entsetzliche
Unverschämtheit,“ erwiderte die Amme, „mich in Gegenwart beider
Majestäten Lügen zu strafen, – mich, die ich soeben mit eigenen Augen die
Wahrheit dessen gesehen habe, was ich hier behauptete.“

„Amme,“ antwortete Mesrur noch einmal, „du
faselst bloß abgeschmacktes Zeug.“

Sobeïde konnte diese Verletzung der Ehrerbietung nicht
länger an Mesrur ertragen, der ohne Rücksicht ihre Amme in ihrer Gegenwart so
ehrenrührig behandelte. Ohne daher ihrer Amme erst Zeit zu lassen, auf eine so
abscheuliche Beschimpfung zu antworten, sagte sie zu dem Kalifen:
„Beherrscher der Gläubigen, ich verlange von euch Gerechtigkeit gegen
diese Unverschämtheit, die ebenso wenig auf euch, als auf mich Rücksicht
nimmt.“ Sie vermochte nicht weiter zu sprechen, so sehr war sie von innerem
ärger ergriffen. Ihre Tränen erstickten ihre übrigen Worte.

Der Kalif, welcher diesen ganzen Streit angehört hatte,
fand die Sache höchst verwickelt. Er mochte hin und her sinnen, er wusste
nicht, was er von diesen Widersprüchen denken sollte. Andererseits wusste die
Fürstin sowohl, als Mesrur, die Amme und die anwesenden Dienerinnen ebenfalls
nicht, was sie von diesem Abenteuer denken sollten, und schwiegen still. Endlich
nahm der Kalif das Wort. „Meine Gemahlin,“ sagte er, zu Sobeïde sich
wendend, „ich sehe wohl, dass wir alle zusammen Lügner sind, zuerst ich,
dann du, Mesrur, und die Amme. Wenigstens scheint es nicht, als ob einer von uns
glaubwürdiger sein sollte, als der andere. Wir wollen uns daher aufmachen, und
selber an Ort und Stelle hingehen, um nachzusehen, auf wessen Seite die Wahrheit
ist. Ich sehe kein anderes Mittel, um uns über die Zweifel aufzuklären und
unsere Gemüter zu beruhigen.“

Mit diesen Worten stand der Kalif auf, die Fürstin
folgte, und Mesrur, der vor ihnen herging, um den Türvorhang zu öffnen, sagte:
„Beherrscher der Gläubigen, ich freue mich sehr, dass Euer Majestät
diesen Entschluss gefasst hat, und ich werde mich noch mehr freuen, wenn ich der
Amme gezeigt habe, nicht, dass sie aberwitziges Zeug faselt – denn dieses Wort
hat meiner guten Gebieterin zu missfallen das Unglück gehabt – sondern, dass
ihr Bericht nicht wahr gewesen ist.“

Die Amme blieb nicht die Antwort schuldig. „Schweig,
du schwarzes Gesicht,“ antwortete sie, „es gibt hier niemand, der
aberwitziges Zeug faseln könnte, außer dir.“

Sobeïde, die gegen Mesrur aufs äußerste aufgebracht
war, konnte es nicht leiden, dass er wieder auf ihre Amme schmähte, und nahm
daher noch einmal für sie das Wort. „Boshafter Sklave,“ sagte sie zu
ihm, „was du auch immer sagen magst, ich behaupte dennoch, dass meine Amme
die Wahrheit gesagt hat. Was dich aber betrifft, so betrachte ich dich bloß als
einen Lügner.“

„Euer Majestät,“ erwiderte Mesrur, „wenn
die Amme so fest überzeugt ist, dass Nushatulawadat am Leben, und Abu Hassan
tot ist, so mag sie gegen mich eine Wette eingehen. Sie wird dazu gewiss keine
Lust haben.“

Die Amme war schnell mit der Gegenantwort da. „Ich
habe so viel Lust dazu,“ sagte sie, „dass ich dich beim Wort halte.
Wir wollen sehen, ob du es wagen wirst, dein Wort zurückzunehmen.“

Mesrur trat nicht zurück. Er und die Amme wetteten in
Gegenwart des Kalifen und der Fürstin um ein Stück Goldbrokat mit silbernen
Blumen, das sich jeder von ihnen nach Belieben auswählen könnte.

Die Zimmer, aus welchen der Kalif und Sobeïde
herauskamen, waren, obwohl in ziemlicher Entfernung, der Wohnung Abu Hassans und
Nushatulawadats gerade gegenüber. Abu Hassan, der sie kommen sah, vor ihnen
Mesrur, und hinter ihnen her die Amme und die sämtlichen dienenden Frauen
Sobeïdes, sagte sogleich zu seiner Frau, sofern er sich nicht aufs äußerste
täuschte, so gälte dieser Besuch ihnen. Nushatulawadat sah ebenfalls durchs
Gitterfenster und bemerkte dasselbe. Obwohl ihr Mann sie im voraus auf diesen
möglichen Fall gefasst gemacht hatte, so war sie doch deshalb nicht wenig
erschrocken. „Was wollen wir machen?“, rief sie aus, „wir sind
verloren!“

„Ganz und gar nicht. Fürchte nichts,“ erwiderte
Abu Hassan mit kaltem und ruhigem Blut. „Hast du denn schon vergessen, was
wir hierüber besprochen haben? Wir wollen uns beide jetzt tot stellen, wie wir
es schon früher einzeln getan, und wie wir uns verabredet haben, und du wirst
sehen, es wird alles gut gehen. Bei ihrem langsamen Gang werden wir, noch ehe
sie an der Tür sind, in gehöriger Lage sein.“

Abu Hassan und seine Frau entschlossen sich wirklich, sich
so gut als möglich zu verhüllen. In diesem Zustand, nebeneinander mitten im
Zimmer liegend, jeder mit seinem Stück Brokat bedeckt, erwarteten sie ruhig die
zahlreiche Gesellschaft, die ihnen einen Besuch abzustatten kamen.