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313. Nacht

Während dieses Wortwechsels zwischen Sobeïde und Mesrur
musste der Kalif, welcher die von beiden Seiten beigebrachten Beweise gesehen
und immer noch vom Gegenteil dessen, was die Fürstin behauptete, überzeugt
war, sowohl durch das, was er im Gespräche mit Abu Hassan selber gesehen, als
durch das, was ihm Mesrur soeben gemeldet hatte, herzlich darüber lachen, dass
Sobeïde gegen Mesrur so heftig erzürnt war. „Meine Gemahlin,“ sagte
er zu ihr, „um es noch einmal zu wiederholen, ich weiß nicht, wer es
gesagt hat, dass die Frauen bisweilen Geistesabwesenheiten haben. Allein, nehmt
es mir nicht übel, ihr zeigt selber, dass er keine größere Wahrheit sagen
konnte, als diese ist. Mesrur kommt in diesem Augenblick aus Abu Hassans
Wohnung. Er sagt euch, dass er mit seinen eigenen Augen Nushatulawadat in der
Mitte des Zimmers tot daliegen und Abu Hassan lebend am Haupt der Verstorbenen
sitzen gesehen hat: Und ungeachtet seines Zeugnisses, das man vernünftiger
Weise nicht verwerfen kann, wollt ihr es doch nicht glauben. Ich kann so etwas
nicht begreifen!“

Ohne auf das zu hören, was der Kalif ihr vorstellte,
erwiderte Sobeïde: „Beherrscher der Gläubigen, verzeiht mir, wenn ich
gegen euch Argwohn schöpfe. Ich sehe wohl, dass ihr mit Mesrur einverstanden
seid, um mich zu kränken, und meine Geduld auf die äußerste Probe zu stellen,
und da ich merke, dass der von Mesrur an euch abgestattete Bericht etwas
Verabredetes ist, so bitte ich mir es aus, dass ich ebenfalls von meiner Seite
jemand in Abu Hassans Wohnung schicken darf, um zu erfahren, ob ich mich irre
oder nicht.“

Der Kalif genehmigte es, und die Fürstin übertrug diese
wichtige Sendung ihrer Amme. Dies war eine schon sehr bejahrte Frau, die seit
Sobeïdes Kindheit immer um sie gewesen, und die gegenwärtig nebst den übrigen
Frauen gleichfalls zugegen war. „Liebe Amme,“ sage sie zu ihr,
„höre einmal! Geh du doch in die Wohnung Abu Hassans, oder vielmehr
Nushatulawadats – denn Abu Hassan ist ja tot. Du siehst, was für einen Streit
ich mit dem Beherrscher der Gläubigen und mit Mesrur habe, weiter darf ich dir
nichts sagen. Verschaffe mir über dies alles Aufschluss, und wenn du mir eine
gute Nachricht bringst, so hast du ein schönes Geschenk zu erwarten. Geh recht
schnell, und komm unverzüglich wieder.“

Die Amme entfernte sich zur großen Freude des Kalifen,
dem es Vergnügen machte. Sobeïde in einer solchen Verlegenheit zu sehen.
Mesrur dagegen, der sich sehr darüber kränkte, dass die Fürstin so heftig
gegen ihn erbittert war, suchte alles mögliche auf, um sie zu besänftigen, und
zu bewirken, dass der Kalif und Sobeïde gleich zufrieden mit ihm wären. Daher
war es ihm sehr lieb als er sah, dass Sobeïde sich entschloss, ihre Amme in die
Wohnung Abu Hassans zu schicken, weil er überzeugt war, der Bericht, den sie
abstatten würde, müsste unfehlbar mit dem seinigen übereinstimmen, und dazu
dienen, ihn zu rechtfertigen, und ihn wieder in die vorige Gunst zu setzen.

Unterdessen hatte Abu Hassan, der beständig an seinem
Gitterfenster stand, die Amme schon von Ferne bemerkt, und ahnte sogleich, dass
dies eine Sendung von Seiten Sobeïdes wäre. Er rief seiner Frau, und ohne
über den zu fassenden Entschluss einen Augenblick zu zögern, sagte er zu ihr:
„Da kommt soeben die Amme der Fürstin, um sich von der Wahrheit zu
unterrichten. Ich werde jetzt meinerseits mich noch einmal tot stellen.“

Alles wurde nun vorbereitet. Nushatulawadat zog den Abu
Hassan schnell als Leiche an, breitete das Stück Brokat, welches Sobeïde ihr
gegeben, über ihn hin, und legte ihm den Turban auf das Gesicht. Unterdessen
hatte die Amme, voll Eifers, sich des erhaltenen Auftrags zu entledigen, sich
mit ziemlich raschen Schritten genähert. Beim Eintritt in das Zimmer sah sie
Nushatulawadat mit aufgelöstem Haar und ganz in Tränen am Haupt Abu Hassan
sitzen, indem sie sich an Brust und Wangen schlug und ein lautes Geschrei
ausstieß.

Sie näherte sich der angeblichen Witwe, und sagte zu ihr
mit teilnehmender Miene: „Meine liebe Nushatulawadat, ich komme nicht
hierher, um dich in deiner Trauer zu stören, oder dich zu hindern, einen Mann,
der dich so zärtlich liebte, mit Tränen zu betrauern.“ – „Ach, gute
Mutter!“, unterbrach sie ganz kläglich die angebliche Witwe, „du
siehst, wie groß mein Leid ist, und von welchem Unglück ich heute durch den
Tod meines lieben Abu Hassans betroffen bin, den mir meine und eine Gebieterin
Sobeïde und der Beherrscher der Gläubigen zum Mann gegeben hatte. Abu Hassan,
mein teurer Gatte,“ rief sie noch einmal aus, „was habe ich dir getan,
dass du mich so bald verließest? Bin ich nicht stets deinem Willen mehr
gefolgt, als dem meinigen? Ach was wird aus der armen Nushatulawadat
werden?“

Die Amme war außerordentlich überrascht, das Gegenteil
von dem zu erblicken, was das Oberhaupt der Verschnittenen dem Kalifen gemeldet
hatte. „Dies schwarze Gesicht Mesrurs,“ rief sie ganz laut mit
emporgehobenen Händen aus, „verdiente wohl, dass Gotte s dafür strafte,
dass es durch eine so entsetzliche Lüge einen so heftigen Zwiespalt zwischen
meine gute Gebieterin und dem Beherrscher der Gläubigen erregt hat. Ich muss
dir nur, meine Tochter,“ sagte sie hierauf zu Nushatulawadat, „die
Bosheit und den Betrug dieses nichtswürdigen Mesrur entdecken, der mit einer
unbegreiflichen Unverschämtheit gegen unsere gute Gebieterin behauptet hat, du
seiest tot, und Abu Hassan am Leben.“

„Ach, meine gute Mutter,“ rief Nushatulawadat
aus, „wollte Gott, er hätte wahr gesprochen! Ich wäre dann nicht in der
Betrübnis, in welcher du mich siehst, und ich würde nicht den Tod eines so
geliebten Gatten beweinen.“ Bei diesen letzten Worten brach sie in Tränen
aus, und bezeigte durch die Verdopplung ihres Weinens und Klagens eine noch
größere Trostlosigkeit.

Die Amme war von den Tränen Nushatulawadats gerührt. Sie
setzte sich neben sie, weinte mit ihr, näherte sich ganz leise dem Kopf Abu
Hassans, hob ein wenig seinen Turban in die Höhe, und deckte ihm das Gesicht
auf, um ihn zu erkennen. „Ach, armer Abu Hassan,“ sagte sie dann,
indem sie ihn bald wieder zudeckte, „ich bitte Gott, dass er dir
Barmherzigkeit widerfahren lasse! Lebe wohl, meine Tochter,“ sagte sie
hierauf zu Nushatulawadat, „wenn ich dir länger Gesellschaft leisten
könnte, so würde ich es herzlich gern tun, aber ich kann mich nicht länger
aufhalten. Meine Pflicht drängt mich unverzüglich fortzueilen, und unsere gute
Gebieterin von dieser betrübten Unruhe zu befreien, worin dieser nichtswürdige
Schwarze sie durch seine unverschämte Lüge versetzt hat, indem er ihr mit
einem Schwur versicherte, du wärest tot.“

Kaum hatte die Amme Sobeïdes im Weggehen die Türe
geschlossen, als auch schon Nushatulawadat, welche wohl merkte, dass sie bei
ihrer Eilfertigkeit nicht noch einmal umkehren würde, ihre Tränen trocknete,
Abu Hassan aufs schnellste von seiner Umhüllung befreite, und mit ihm sodann
ihren vorigen Platz auf dem Sofa, dem Gitterfenster gegenüber, einnahm, indem
beide ganz ruhig das Ende dieses Betrugs abwarteten, und stets bereit waren,
sich aus dem Handel herauszuziehen, von welcher Seite her man sie auch immer zu
fassen suchen würde.

Die Amme Sobeïdes hatte unterdessen auf ihrem Rückweg,
ungeachtet ihres Alters, ihre Schritte noch mehr beschleunigt, als auf dem
Hinweg. Die Freude, der Fürstin eine gute Nachricht zu bringen, und mehr noch
die Hoffnung auf eine gute Belohnung, beschleunigten ihre Rückkunft. Sie trat,
fast außer Atem, in das Zimmer der Fürstin, und indem sie ihr von ihrer
Sendung Bericht abstattete, erzählte sie Sobeïde ganz unbefangen alles, was
sie soeben gesehen hatte.

Sobeïde hörte den Bericht ihrer Amme mit lebhafter
Freude an, und legte es auch deutlich an den Tag. Denn sobald diese zu Ende
gesprochen hatte, sagte sie zur Amme mit einem Ton, der gewonnenes Spiel
verkündigte: „Erzähle doch dasselbe dem Beherrscher der Gläubigen, der
uns als Unsinnige betrachtet, und der uns daneben gern überreden möchte, als
hätten wir kein Gefühl für Religion und keine Furcht vor Gott mehr. Sage es
ferner diesem bösen Schwarzen, der die Unverschämtheit besitzt, mit eine Sache
ins Gesicht zu behaupten, die nicht ist, und die ich besser weiß, als er.“