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311. Nacht

Obwohl es in der gegenwärtigen Sitzung noch mehreres
anzuordnen und zu beraten gab, so stand dennoch bald nach Abu Hassans Weggang
der Kalif, voll Ungeduld, zu Sobeïde hinzugehen und ihr seinen Beileidsbesuch
wegen des Todes ihrer Sklavin abzustatten, von seinem Sitz auf, und verschob die
weitere Beratung auf den folgenden Tag. Der Großwesir und die übrigen Wesire
nahmen Abschied von ihm, und entfernten sich.

Sobald sie weggegangen waren, sagte der Kalif zu Mesrur,
dem Oberhaupt der Verschnittenen seines Palastes, der von seiner Person fast
unzertrennlich war, und außerdem an allen seinen Beratungen Teil hatte:
„Folge mir, und bezeige gleich mir, der Fürstin deine Teilnahme über den
Tod ihrer Sklavin.“

Sie gingen nun miteinander zu den Zimmern Sobeïdes. Als
der Kalif an der Tür war, öffnete er den Türvorhang, und sah die Fürstin in
der tiefsten Betrübnis, und die Augen voll Tränen, auf dem Sofa sitzen.

Der Kalif trat hinein, näherte sich ihr, und sagte:
„Meine Gemahlin, ich darf euch wohl nicht erst sagen, wie großen Anteil
ich an eurer Betrübnis nehme, da euch nicht unbekannt ist, wie sehr ich alles
das mitfühle, was euch Schmerz oder Freude verursacht. Aber wir sind alle
sterblich, und müssen Gott das Leben, das er uns verliehen hat, zurückgeben,
sobald er es verlangt. Nushatulawadat, eure treue Sklavin, besaß in der Tat
Eigenschaften, die sie eurer Achtung würdig machten, und ich billige es sehr,
dass ihr noch nach ihrem Tod ihr Beweise davon geht, überlegt indessen, dass
euer Schmerz ihr das Leben nicht wieder gibt. Darum, meine Gemahlin, wenn ihr
mir glaubt und mich liebt, werdet ihr euch über diesen Verlust trösten, und
mehr Sorge für euer Leben tragen, das, wie ihr wisst, mir unendlich teuer ist,
und das ganze Glück des meinigen ausmacht.“

Wenn die Fürstin auch von den zärtlichen Gesinnungen,
wovon der Besuch des Kalifen begleitet war, sehr entzückt wurde, so war sie
doch übrigens außerordentlich überrascht, den Tod der Nushatulawadat zu
vernehmen, worauf sie sich gar nicht gefasst gemacht hatte. Diese Nachricht
versetzte sie in ein solches Staunen, dass sie lange Zeit nichts zu antworten
vermochte. Ihre überraschung wurde dadurch noch verdoppelt, dass diese
Nachricht zugleich der soeben vernommenen ganz entgegengesetzt war, und sie
wurde völlig sprachlos. Endlich fasste sie sich wieder, und sagte mit einer
Miene und mit einem Ton, die noch ganz ihr Befremden verriet: „Beherrscher
der Gläubigen, ich fühle die zärtlichen Gesinnungen, die ihr mir an den Tag
legt, sehr tief. Aber erlaubt mir, euch zu sagen, dass ich die Nachricht, die
ihr mir von dem Tod meiner Sklavin gegeben, nicht begreife, da sie sich
vollkommen wohl und gesund befindet. Gott bewahre euch und mich, o Herr! Wenn
ihr mich betrübt seht, so ist es bloß wegen des Todes ihres Mannes Abu Hassan,
eures Lieblings, den ich ebenso sehr um der Achtung willen, die ihr für ihn
hegt, hochschätzte, als auch deswegen, weil ihr so gütig wart, ihn mit mir
bekannt zu machen, und weil er mich bisweilen sehr angenehm unterhalten hat.
Allein, Herr, die Teilnahmslosigkeit, die ich an euch in Betreff seines Todes
bemerke, und euer gänzliches Vergessen des Mannes, den ihr sonst immer so gern
um euch hattet, setzen mich in Staunen und überraschung. Und diese eure
Teilnahmslosigkeit wird umso mehr in die Augen fallend durch die Art und Weise,
wie ihr mich davon ablenken wollt, indem ihr mir den Tod meiner Sklavin statt
des seinigen anmeldet.“

Der Kalif, welcher von dem Tod der Sklavin vollkommen
unterrichtet zu sein glaubte, und der nach dem, was er gesehen und gehört, auch
wohl Ursache dazu hatte, fing an zu lachen und mit den Achseln zu zucken, als er
Sobeïde so reden hörte. „Mesrur,“ sagte er, indem er sich nach ihm
umdrehte und ihn anredete, „was sagst du zu der Rede meiner Gemahlin? Ist
es nicht wahr, dass die Frauen bisweilen Geistesabwesenheiten haben, die man
ihnen nur sehr schwer vergeben kann? Mit einem Wort, du hast es ja doch wohl so
gut wie ich gesehen und gehört.“ Hierauf wandte er sich wieder zu
Sobeïde, und sagte zu ihr: „Meine Gemahlin, vergießt keine Träne mehr um
den Tod Abu Hassans. Er befindet sich ganz wohl. Beweint vielmehr den Tod eurer
lieben Sklavin. Erst vor wenigen Momenten kam ihr Mann ganz in Tränen und in
einer Mitleid erweckenden Betrübnis in mein Zimmer, um mir den Tod seiner Frau
zu melden. Ich habe ihm einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück
Brokat geben lassen, zum Trost und zur Unterstützung bei der Leichenfeier der
Verstorbenen. Mesrur hier ist von allen Augen- und Ohrenzeuge gewesen, und wird
euch dasselbe sagen.“

Die Fürstin hielt diese äußerung des Kalifen nicht für
Ernst, sondern glaubte, er wollte ihr etwas weismachen. „Beherrscher der
Gläubigen,“ erwiderte sie, „obwohl ihr sonst zu scherzen pflegt, so
muss ich euch doch sagen, dass hier nicht der Ort dazu ist. Was ich euch sage,
ist mein völliger Ernst. Es ist hier nicht von dem Tod meiner Sklavin die Rede,
sondern von dem Tod ihres Mannes Abu Hassan, dessen Los ich beklage, und den ihr
mit mir beklagen müsst.“

„Und ich,“ fuhr der Kalif im tiefsten Ernst
fort, „sage euch ohne Scherz, dass ihr euch täuscht. Nushatulawadat ist
tot und Abu Hassan lebend und gesund.“

Sobeïde fühlte sich durch die trockene Antwort des
Kalifen beleidigt. „Beherrscher der Gläubigen,“ erwiderte sie in
einem lebhaften Ton, „Gott bewahre euch, dass ihr länger in diesem Irrtum
verharrt. Ihr könntet sonst in mir den Glauben erwecken, dass euer Geist nicht
ganz in seiner gewohnten Fassung ist. Erlaubt mir, euch noch einmal zu
wiederholen, dass Abu Hassan tot, und Nushatulawadat, meine Sklavin, die Witwe
des Verstorbenen, lebend und gesund ist. Es ist noch nicht eine Stunde her, dass
sie von hier weggegangen ist. Sie kam hier ganz trostlos und in einem Zustand,
der allein schon im Stande gewesen wäre, mir Tränen zu entlocken, selbst wenn
sie mir nicht unter Schluchzen die gerechte Ursache ihrer Betrübnis entdeckt
hätte. Alle meine dienenden Frauen haben mit mir darüber geweint, und sie
können euch ein zuverlässiges Zeugnis hierüber ablegen. Diese werden euch
auch sagen, dass ich ihr einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück
Brokat zum Geschenk gemacht habe. Der Schmerz, den ihr beim Eintreten auf meinem
Gesicht bemerktet, war eben so sehr durch den Tod ihres Mannes, als durch die
Trostlosigkeit, worin ich sie sah, veranlasst worden, und ich war, als ihr
herein tratet, eben im Begriff, zu euch zu schicken, und euch mein Beileid
bezeigen zu lassen.“

Bei diesen Worten Sobeïdes rief der Kalif, laut
auflachend: „Meine Gemahlin, das ist denn doch eine seltsame
Hartnäckigkeit! Und ich sage euch dagegen,“ fuhr er in dem ernsthaftesten
Ton weiter fort, „dass Nushatulawadat tot ist.“ – „Nein,
Herr,“ erwiderte Sobeïde, augenblicklich ganz ernsthaft, „ich sage
euch, Abu Hassan ist tot. Ihr werdet nie bewirken können, dass ich das
Gegenteil glaube.“

Dem Kalifen stieg jetzt die Glut ins Gesicht. Er setzte
sich ziemlich fern von der Fürstin auf das Sofa, und sagte, zu Mesrur sich
wendend: „Geh auf der Stelle und sieh, wer von beiden gestorben ist, und
melde mir dann unverzüglich, was an der Sache ist. Obwohl ich sehr versichert
bin, dass es Nushatulawadat ist, welche gestorben, so will ich doch lieber
diesen Weg einschlagen, als noch länger eine Sache behaupten, die mir so gut
bekannt ist.“

Der Kalif hatte kaum ausgesprochen, als Mesrur sich auch
schon entfernt hatte. „Ihr werdet,“ fuhr er zu Sobeïde gewendet fort,
„augenblicklich sehen, wer von uns beiden Recht hat.“

„Was mich betrifft,“ antwortete Sobeïde,
„so weiß ich schon, dass das Recht auf meiner Seite ist, und ihr selber
werdet sehen, dass, wie ich gesagt habe, Abu Hassan tot ist.“

„Und ich,“ erwiderte der Kalif, „bin dessen
so gewiss, dass es Nushatulawadat ist, dass ich bereit bin, mit euch zu wetten,
um was ihr nur wollt, dass sie nicht mehr am Leben ist, und das Abu Hassan sich
ganz wohl befindet.“

„Denkt ja nicht,“ antwortete Sobeïde,
„mich dadurch zu besiegen. Ich nehme die Wette an. Ich bin von dem Tod Abu
Hassans so gewiss überzeugt, dass ich gern das Liebste, was ich nur habe, gegen
das, was ihr Luft habt, wie gering es auch an Wert sein mag, verwetten will. Ihr
wisst recht gut, was ich besitze und was ich, meinem Geschmack zufolge, am
liebsten habe. Ihr dürft also nur wählen und vorschlagen, ich werde darauf
eingehen, wie auch immer die Sache für mich ausschlagen mag.“

„Da es so weit gekommen ist,“ sagte jetzt der
Kalif, „so wette ich meinen Lustgarten gegen euren Gemälde-Palast. Eins
ist wohl des andern wert.“ – „Es kommt hier gar nicht darauf an,“
erwiderte Sobeïde, „ob euer Garten mehr wert ist, als mein Palast, – wir
sind darüber hinweg. – Sondern es handelt sich hier bloß darum, dass ihr
dasjenige, was euch unter allen meinen Besitztümern am meisten gefällt,
ausgewählt habt, als Gegeneinsatz gegen das, was ihr von eurer Seite wette. Ich
gehe also darauf ein, und die Wette steht fest. Gott sei mein Zeuge, ich werde
nicht die erste sein, die ihr Wort zurücknimmt.“ Der Kalif tat denselben
Schwur, und so blieben sie, die Rückkehr Mesrurs erwartend.

Während der Kalif und Sobeïde über den Tod Abu Hassans
oder Nushatulawadats einen so lebhaften und hitzigen Wortwechsel hatten, war Abu
Hassan, der ihren Streit über diesen Punkt vorausgesehen, sehr aufmerksam auf
alles, was daraus irgend erfolgen könnte. Sobald er daher durch das
Gitterfenster, welchem er im Gespräch mit seiner Frau gegenüber saß, Mesrur
von fern erblickte, und ihn gerade auf seine Wohnung zukommen sah, merkte er
sogleich, zu welchem Zweck er geschickt wäre. Er sagte also zu seiner Frau, sie
möchte sich noch einmal tot stellen, wie sie es miteinander verabredet hätten,
und dabei keine Zeit verlieren.