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309. Nacht

Abu Hassan säumte nicht, das zu tun, was ihm Nushatulawadat gesagt hatte. Er streckte sich rücklings die Länge lang auf das Leichentuch hin, welches mitten im Zimmer auf den Fußteppich hingebreitet war, kreuzte die Beine, und ließ sich einhüllen, dass es schien, als dürfte man ihn bloß noch auf die Totenbahre legen und zur Beerdigung forttragen. Seine Frau kehrte seine Füße nach Mekka hin, bedeckte ihm das Gesicht mit einem sehr feinen Musselin-Schleier, und legte ihm seinen Turban oben darüber, doch so, dass er frei atmen konnte. Hierauf legte sie ihren Kopfputz ab, und mit Tränen in den Augen und mit aufgelöstem und fliegendem Haar, welches sie sich unter lautem Geschrei scheinbar ausraufte, schlug sie sich auf Wangen und Brust, und gab alle übrigen Zeichen eines heftigen Schmerzes von sich. In diesem Aufzug eilte sie fort, und flog über den sehr geräumigen Hof des Palastes, um sich nach dem Zimmer der Fürstin Sobeïde zu begeben.

Nushatulawadat stieß ein so durchdringendes Geschrei aus, dass Sobeïde es auf ihrem Zimmer hören konnte. Sie befahl ihren Sklavinnen, die um sie waren, nachzusehen, woher denn dies Wehklagen und dies Schreien käme. Diese eilten schnell an die Fenstergitter, und meldeten Sobeïde, es wäre Nushatulawadat, die ganz in Tränen sich näherte. Die Fürstin, voll Ungeduld, zu wissen, was ihr begegnet wäre, stand sogleich auf, und ging ihr bis an die Tür ihres Vorzimmers entgegen.

Nushatulawadat spielte hier ihre Rolle ganz vortrefflich. Sobald sie Sobeïde erblickte, welche selber den Türvorhang ihres Vorzimmers geöffnet in der Hand heilt, und sie erwartete, verdoppelte sie ihr Geschrei und ihre Schritte, raufte sich mit den Händen die Haare aus, schlug sich heftig an Brust und Wangen, und warf sich ihr sodann zu Füßen, und benetzte dieselben mit Tränen.

Sobeïde, die ganz überrascht war, ihre Sklavin in so tiefer Betrübnis zu erblicken, fragte sie, was es denn gäbe, und welcher Unfall ihr begegnet wäre?

Anstatt zu antworten, fuhr die fälschlich Betrübte noch einige Zeit zu schluchzen fort, indem sie sich scheinbar Gewalt antat, es zu unterdrücken. „Ach meine teure Gebieterin,“ rief sie endlich, immer noch von Schluchzen unterbrochen, aus. „Welches größere und traurigere Unglück konnte mir begegnen, als das, welches mich jetzt nötigt, mich in meiner höchst traurigen Lage zu den Füßen Euer Majestät zu werfen? Gott verlängere eure Tage, meine verehrungswürdigste Fürstin, bei der vollkommensten Gesundheit, und schenke euch noch lange und glückliche Jahre! Abu Hassan, der arme Abu Hassan, den ihr mit eurer Gnade beehrtet, den ihr und der Beherrscher der Gläubigen mir zum Ehegatten gabt, ist nicht mehr!“

Bei diesen letzten Worten verdoppelte Nushatulawadat ihre Tränen und ihr Schluchzen, und warf sich noch einmal zu den Füßen der Fürstin. Sobeïde erschrak über diese Nachricht außerordentlich. „Also Abu Hassan ist tot?“, rief sie aus, „dieser so gesunde, so angenehme und unterhaltende Mann? In der Tat, ich hätte es nicht erwartet, so schnell den Tod eines solchen Mannes vernehmen zu müssen, der ein längeres Leben verhieß, und es so sehr verdient hatte.“ Sie konnte sich nicht enthalten, ihrem Schmerz durch Tränen Luft zu machen. Ihre Sklavinnen, die sie begleiteten, und mehrmals an den Scherzen Abu Hassans teilgenommen hatten, wenn er zu den vertraulichen Unterhaltungen Sobeïdes und des Kalifen zugelassen worden war, legten ebenfalls durch ihre Tränen ihren Anteil und ihr bedauern über seinen Verlust an den Tag.

Sobeïde, ihre Sklavinnen und Nushatulawadat weinten eine ganze Weile lang über diesen Todesfall. Endlich unterbrach die Fürstin Sobeïde das Schweigen, und rief, zu der angeblichen Witwe gewendet, aus: „Du Böse, vielleicht bist du selber die Ursache seines Todes! Du hast ihm vielleicht durch deine üble Laune so viel Verdruss gemacht, dass du ihn endlich dadurch bis ans Grab gebracht hast.“

Nushatulawadat schien über den Vorwurf, den Sobeïde ihr machte, sehr gekränkt. „Ach, Euer Majestät,“ rief sie aus, „ich glaube euch nie, während der ganzen Zeit, wo ich eure Sklavin zu sein das Glück hatte, Anlass gegeben zu haben zu einer so unvorteilhaften Meinung über mein Betragen gegen einen so geliebten Gatten. Ich würde mich für die unglücklichste aller Frauen halten, wenn ihr dies glaubtet. Ich habe Abu Hassan so unaussprechlich lieb gehabt, als eine Frau ihren Mann, den sie leidenschaftlich anbetet, nur irgend haben kann, und ich kann sagen, dass ich für ihn alle die Zärtlichkeit empfunden habe, die seine zuvorkommende Gefälligkeit, womit er mir seine zärtliche Liebe an den Tag legte, nur irgend verdiente. Ich bin überzeugt, wenn er noch lebte, so würde er mich vor Euer Majestät deshalb vollkommen rechtfertigen. Aber, ach!“, fuhr sie mit einem neuen Strom von Tränen fort, „Seine Stunde ist gekommen, und dies ist die einzige Ursache seines Todes.“

Sobeïde hatte wirklich stets an ihrer Sklavin eine immer gleiche Laune, eine unveränderliche Sanftheit, eine große Folgsamkeit, und einen Eifer in allen ihren Dienstleistungen bemerkt, welcher anzeigte, dass sie mehr aus Neigung, als aus Pflichtzwang handelte. Daher nahm sie keinen Anstand, ihr aufs Wort zu glauben, und befahl ihrer Schatzmeisterin, aus ihrem Schatz einen Beutel mit hundert Goldstücken und ein Stück Brokat zu holen.

Die Schatzmeistern kam bald mit dem Beutel und dem Stück Brokat zurück, und händigte es, auf Sobeïdes Befehl, Nushatulawadat ein.

Diese warf sich, beim Empfang dieses schönen Geschenks, zu den Füßen der Fürstin, und sagte ihr den ehrerbietigsten Dank, indem sie über den glücklichen Erfolg innerlich sehr vergnügt war. „Geh,“ sagte Sobeïde zu ihr, „lass aus dem Stück Brokat ein Leichentuch über die Bahre deines Mannes machen, und verwende das Geld dazu, ihm ein ehrenvolles und seiner würdiges Leichenbegängnis zu veranstalten. Sodann mäßige deine Betrübnis. Ich werde für dich sorgen.“

Nushatulawadat war kaum aus den Augen Sobeïdes, als sie auch schon ihre Tränen freudig abtrocknete, und eiligst zurückkehrte, um Abu Hassan von dem Gelingen ihrer Rolle Bericht abzustatten.

Als sie in ihr Zimmer trat, lachte sie laut auf, als sie Abu Hassan noch in derselben Lage antraf, in der sie ihn verlassen hatte, das heißt, mitten im Zimmer im Sterbekleid. „Steh auf,“ sagte sie lachend zu ihm, „und sieh hier die Früchte meiner Lüge gegen Sobeïde. Wir werden heute noch nicht Hungers sterben.“

Abu Hassan stand schnell auf, und freute sich sehr nebst seiner Frau über den Anblick des Geldbeutels und des Stücks Brokat.

Nushatulawadat war über das glückliche Gelingen der Täuschung, die sie an der Fürstin begangen hatte, so vergnügt, dass sie ihre Freude nicht zurückhalten konnte. „Das ist noch nicht genug,“ sagte sie lachend zu ihrem Mann. „Jetzt werde ich meinerseits ebenfalls die Tote spielen, und zusehen, ob du auch so geschickt sein wirst, ebenso viel vom Kalifen zu bekommen.“

„Daran erkenne ich recht den Charakter der Frauen,“ erwiderte Abu Hassan. „Man hat wohl recht, wenn man sagt, dass sie beständig die Eitelkeit haben, zu glauben, dass sie mehr als die Männer vermögen, obwohl sie meist nur auf Eingebung derselben etwas Gutes leisten. Das wäre schön, wenn ich nicht wenigstens ebenso viel, als du, bei dem Kalifen ausrichten sollte, ich, der ich der Erfinder dieses Betrugs bin! Doch, wir wollen nicht die Zeit mit unnützen Reden verlieren. Spiele du die Tote, wie ich, und du wirst sehen, ob ich nicht dasselbe Glück haben werde.“

Abu Hassan zog seine Frau als Leiche an, legte sie auf dieselbe Stelle, wo er gelegen hatte, kehrte ihre Füße nach Mekka hin, und ging ganz verstört, mit verkehrt aufgesetztem Turban, wie ein Mensch, der in der höchsten Betrübnis ist, aus dem Zimmer. In diesem Zustand begab er sich nach den Zimmern des Kalifen, der soeben mit dem Großwesir Giafar und mit anderen Wesiren, auf die er großes Vertrauen setzte, eine geheime Beratung hielt. Er zeigte sich an der Türe, und der Türsteher, welcher wusste, dass er freien Zutritt hatte, öffnete sie ihm. Er trat also hinein, das Schnupftuch mit einer Hand vor die Augen haltend, um die verstellten Tränen zu verbergen, die er reichlich fließen ließ, während er sich mit der anderen Hand heftig vor die Brust schlug, unter Ausrufungen, die das übermaß des höchsten Schmerzes ausdrückten.