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308. Nacht

Abu Hassan erinnerte sich recht wohl, dass der Kalif, als er ihn in den Palast aufnahm, ihm versprochen hatte, er wollte es ihm an nichts fehlen lassen. Allein, wenn er überlegte, in wie kurzer Zeit er die Schenkungen seiner freigebigen Hand vergeudet, so hatte er einerseits nicht Lust zu bitten, andererseits wollte er sich nicht der Schande aussetzen, dem Kalifen den schlechten Gebrauch, den er von seinen Gaben gemacht und das Bedürfnis, neue Gaben anzunehmen, an den Tag zu legen. Sein Erbteil hatte er übrigens von dem Augenblick an, wo ihn der Kalif in seine Umgebung aufgenommen hatte, seiner Mutter überlassen, und er war weit entfernt, zu dem Geldbeutel derselben seine Zuflucht zu nehmen. wodurch er zu erkennen gegeben hätte, dass er wieder in dasselbe unordentliche Leben verfallen sei, wie nach dem Tod seines Vaters.

Nushatulawadat, welche die Geschenke Sobeïdes, und die Freiheit, die sie ihr bei ihrer Vermählung erteilt hatte, als eine mehr als hinreichende Belohnung für ihre Dienste und Anhänglichkeit betrachtete, glaubte ihrerseits ebenfalls kein Recht zu haben, sie noch um irgend etwas zu bitten.

Endlich unterbrach Abu Hassan dies Schweigen, sah Nushatulawadat mit aufgeheiterter Miene an, und sagte zu ihr: „Ich sehe wohl, dass du in derselben Verlegenheit bist, wie ich, und dass du nachsinnst, was wir in einer so traurigen Lage, wie diese, wo uns auf einmal, ohne dass wir es vorhergesehen, das Geld ausgeht, für einen Entschluss fassen sollen. ich weiß zwar nicht, was du für eine Ansicht hast. Allein ich für mein Teil bin der Meinung, es komme, wie es wolle, in unserer täglichen Ausgabe auch nicht die mindeste Einschränkung zu treffen, und ich glaube, dass du deinerseits mir darin nicht entgegen sein wirst. Es kommt hierbei bloß darauf an, uns die Mittel dazu zu verschaffen, ohne uns etwas zu vergeben und den Kalifen oder Sobeïde irgend ansprechen zu dürfen. Ich glaube einen Weg gefunden zu haben. Allein wir müssen dabei uns beide gegenseitig unterstützen.“

Diese äußerung Abu Hassans gefiel Nushatulawadat gar sehr, und sie schöpfte daraus einige Hoffnung. „Ich war nicht minder, als du,“ sagte sie zu ihm, „mit diesem Gedanken beschäftigt, und wenn ich nichts äußerte, so war es bloß darum, weil ich kein Auskunftsmittel sah. Ich muss gestehen, die Eröffnung, die du mir soeben getan hast, macht mir die größte Freude von der Welt. Allein, da du ein Mittel gefunden zu haben versicherst, wozu du meiner Hilfe bedarfst, so darfst du nur sagen, was ich tun soll, und du wirst sehen, wie gut ich mich dazu anstellen werde.“

„Ich hatte es wohl erwartet,“ erwiderte Abu Hassan, „dass du dieser Sache, die dich ebenso nahe angeht, als mich, dich nicht entziehen würdest. Das Mittel, welches ich mir ausgesonnen habe, um zu bewirken, dass es uns in dieser gegenwärtigen Verlegenheit, wenigstens einige Zeit hindurch, nicht am Geld fehle, ist folgendes. Es beruht nämlich auf einem kleinen Betrug, den wir beide – ich gegen den Kalifen, du gegen Sobeïde – spielen müssen, und der, wie ich gewiss überzeugt bin, sie belustigen und für uns nicht ohne Vorteil sein wird. Dieser Betrug besteht darin, dass wir beide sterben.“

„Das wir alle beide sterben?“, unterbrach ihn Nushatulawadat. „Stirb, wenn du Lust hast, ganz allein. Was mich betrifft, so bin ich des Lebens gar nicht überdrüssig, und mag auch nicht, nimm mir es nicht übel, so gar bald sterben. Wenn du mir kein anderes Mittel vorzuschlagen hast, als dieses, so magst du es nur selber anwenden, denn ich versichere dich, dass ich mich nicht damit befassen will.“

„Du bist eine Frau,“ antwortete Abu Hassan, „das heißt, eine Person von erstaunlicher Lebhaftigkeit und übereilung, und lässt mir kaum Zeit, mich zu erklären. Höre mich nur einen Augenblick mit Geduld an, und du wirst sehen, dass du wohl selber gern den Tod wirst sterben wollen, den ich sterben will. Du kannst dir wohl denken, dass ich hier nicht einen wirklichen, sondern bloß einen Scheintod meine.“

„Ah, sehr schön!“, unterbrach ihn wiederum Nushatulawadat, „wenn es hier bloß auf einen Scheintod ankommt, so bin ich gern dabei. Du kannst jetzt auf mich rechnen, und du wirst Zeuge sein, mit welchem Eifer ich dich in dieser Art des Sterbens unterstützen werde. Denn, um es dir offen zu gestehen, ich habe einen unüberwindlichen Widerwillen davor, jetzt augenblicklich auf die Art zu sterben, wie ich es vorhin verstand.“

„Nun gut!“, erwiderte Abu Hassan, „du sollst schon damit zufrieden sein. Ich meine die Sache so. Ich werde mich tot stellen, und du wirst ein Leichentuch nehmen, und mich ganz so bestatten, als ob ich es wirklich wäre. Du wirst mich nach dem herkömmlichen Brauch in die Mitte des Zimmers legen, mit dem Turban auf dem Gesicht, und die Füße nach Mekka hingekehrt, ganz so, als ob ich auf den Begräbnisplatz hinausgetragen werden sollte1). Sobald alles so angeordnet ist, so fang an zu weinen, das übliche Klagegeschrei zu erheben, deine Kleider zu zerreißen, und dir die Haare auszuraufen, oder stelle dich wenigstens so, als tätest du es, und geh dann ganz in Tränen und mit fliegenden Haaren zu Sobeïde.

1) Wenn ein Muselmann sich, nach dem Ausdruck des Morgenländers, „mit seinem Kopf aufs Sterbekissen hingelegt hat,“ so kommt der Imam der Moschee, um neben ihm das sechsunddreißigste Kapitel des Korans und das Glaubensbekenntnis herzubeten. Er lässt die Leiche so legen, dass ihr Gesicht nach Mekka gewendet ist, und man stellt einen kleinen Herd daneben, auf welchem man wohlriechendes Räucherwerk anzündet. Dann legt man einen Säbel auf den Toten, reibt seine Stirn, Nase, Hände und Knie mit Kampfer, und den Kopf und Bart mit Seife ein. Hierauf bindet man den Bart zusammen, der nächste Anverwandte drückt ihm die Augen zu, und umhüllt ihn mit dem Leichentuch.
Sobald die Zeit der Beerdigung gekommen ist, trägt man die Leiche ohne alle Zeremonie auf den Begräbnisplatz hinaus. Bloß nach der Beerdigung kniet der Imam nieder und ruft dreimal den Toten nach seinem mütterlichen Geschlechtsnamen. ­