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305. Nacht

Abu Hassan schenkte zuerst sich selber und sodann dem
Kalifen Wein ein. Sie tranken jeder etwa fünf bis sechs Becher, und
unterhielten sich dabei von gleichgültigen Sachen. Als der Kalif bemerkte, dass
Abu Hassan anfing vom Wein erhitzt zu werden, so brachte er das Gespräch auf
Liebesgeschichten und fragte ihn, ob er wohl jemals geliebt habe.

„Mein Bruder,“ erwiderte ganz zutraulich Abu
Hassan, der bloß mit einem seinesgleichen zu reden wähnte, „ich habe die
Liebe oder – wenn ihr es so nennen wollt – die ehe immer nur wie ein Joch
betrachtet, dem ich mich zu unterwerfen niemals Lust gehabt habe. Bis diesen
Augenblick, muss ich euch gestehen, habe ich stets nur die Freuden der Tafel,
gutes Essen, und besonders guten Wein, mit einem Wort, angenehme Unterhaltungen
und Zusammenkünfte mit guten Freuden geliebt. Gleichwohl kann ich euch
versichern, dass ich weder gegen die Ehe gleichgültig, noch für Zuneigung
unempfänglich sein würde, sobald ich nur eine Frau fände, die so schön und
so liebenswürdig als die wäre, die ich jene Nacht im Traum gesehen, wo ich
euch hier zum ersten Mal aufnahm, und wo ihr zu meinem Unglück die Tür des
Zimmers offen ließet, – eine Frau, die mit mir die Abende beim Wein
hinbrächte, zu singen verstände, ein oder mehrere Instrumente spielte, und
mich angenehm zu unterhalten wüsste, mit einem Wort, die bloß darauf dächte,
mir zu gefallen und mich zu erheitern. Ich glaube sogar, dass sich meine
Gleichgültigkeit in die höchste Anhänglichkeit an eine solche Person
verwandeln, und dass ich mit ihr sehr glücklich leben würde. Aber wo sollte
ich eine Frau der Art, wie ich sie eben geschildert habe, wohl in aller Welt
finden können, außer in dem Palast des Beherrschers der Gläubigen, oder im
Haus des Großwesirs Giafar, oder bei den mächtigsten Großen des Hofes, welche
Gold und Silber genug haben, um sich dergleichen verschaffen zu können?1) Ich
will mich also nur lieber an die Weinflasche halten. Dies ist ein Vergnügen,
das mich wenig kostet, und das ich so gut haben kann, wie jene.“ Bei diesen
Worten ergriff er die Schale, schenkte sich Wein ein, und sagte zum Kalifen:
„Nehmt nur eure Schale damit ich euch ebenfalls einschenken kann. Wir
wollen im Genuss eines so angenehmen Vergnügens nicht lässig sein.“

Als der Kalif und Abu Hassan getrunken hatten, fuhr der
erstere wieder fort: „Es ist doch recht Schade, dass ein so artiger Mann,
wie ihr, der gegen die Liebe nicht gleichgültig ist, ein so einsames und
zurückgezogenes Leben führt.“

„Es ist für mich keine Aufopferung,“ erwiderte
Abu Hassan, „dies ruhige Leben, welches ich, wie ihr seht, führe, der
Gesellschaft einer Frau vorzuziehen, die vielleicht nicht einmal schön genug
wäre, um mir zu gefallen, und die außerdem durch ihre Fehler und ihre üble
Laune mir tausend Verdrießlichkeiten verursachen könnte.“

Sie führten ihr Gespräch über diesen Gegenstand
ziemlich weit, und als der Kalif den Abu Hassan auf dem Punkt erblickte, wo er
ihn wünschte, sagte er zu ihm: „Lass mich nur machen. Da du den richtigen
Geschmack hast, wie ihn alle rechtschaffene Männer haben, so will ich dir
schon, was du wünschest, ausfindig machen, ohne dass es dir etwas kosten
soll.“ Zugleich nahm er die Weinflasche und Abu Hassans Schale, in welche
er sehr geschickt zwei Finger voll von dem Pulver, das er sonst schon gebraucht
hatte, hineinwarf, schenkte sie ihm bis oben voll, überreichte sie ihm und
sagte: „Da nimm und trink im voraus auf die Gesundheit der Schönen, die
das Glück deines Lebens vollenden soll. Ich denke, du wirst zufrieden
sein.“

Abu Hassan nahm lächelnd die Schale, schüttelte den
Kopf, und sagte: „Nun aufs Geradewohl, da du es denn einmal so willst! ich
möchte nicht gern gegen dich eine Unhöflichkeit begehen, noch auch einen so
schätzbaren Gast, wie du bist, um einer solchen Kleinigkeit willen vor den Kopf
stoßen. Ich will also auf die Gesundheit der Schönen trinken, die du mir
verheißest, obwohl ich mit meinem Schicksal ganz zufrieden bin und auf dein
Versprechen gar keine Hoffnung weiter gründe.“

Abu Hassan hatte kaum den vollen Becher getrunken, als
auch schon eine tiefe Schläfrigkeit, wie die beiden vorigen Male, seine Sinne
umnebelte und dem Kalifen Gelegenheit gab, über ihn ganz nach seinem Belieben
zu verfügen. Dieser befahl daher sogleich dem Sklaven, den er mitgebracht
hatte, Abu Hassan zu nehmen, und ihn nach dem Palast zu tragen. Der Sklave hob
ihn auf seine Schultern, und der Kalif, der nicht die Absicht hatte, den Abu
Hassan wie das erste mal zurückzuschicken, schloss beim Weggehen die Türe des
Zimmers zu.

Der Sklave ging mit seiner Bürde hinter ihm her, und als
der Kalif im Palast angekommen war, ließ er den Abu Hassan auf ein Sofa im
vierten Saal legen, aus welchem er ihn vor einem Monat im tiefsten Schlaf hatte
in seine Wohnung zurücktragen lassen. Ehe man ihn da ruhig fortschlummern
ließ, befahl er, dass man ihm wieder dasselbe Kleid anziehen sollte, welches er
damals als angeblicher Kalif getragen hatte. Sodann befahl er, dass jeder
schlafen gehen sollte, und dem Aufseher und der Dienerschaft des Innern des
Palastes, den Sängerinnen und allen den Mädchen, welche sich damals im Saal
befunden, als er das letzte Glas Wein mit dem Schlaftrunk zu sich genommen, trug
er auf, den andern Tag ganz früh bei seinem Erwachen unfehlbar gegenwärtig zu
sein, und schärfte noch einem jeden ein, seine Rolle gut zu spielen.

Der Kalif legte sich jetzt auch zu Bett, nachdem er an
Mesrur hatte melden lassen, dass er ihn etwas früher wecken möchte, ehe noch
die andern in den Saal traten.

Mesrur unterließ nicht, den Kalifen pünktlich zu der
Stunden zu wecken, die er ihm bezeichnet hatte. Dieser ließ sich schnell
ankleiden, und begab sich in den Saal, wo Abu Hassan noch schlief. Er traf da
die Verschnittenen, die Diener des inneren Palastes, die Frauen und die
Sängerinnen bereits an der Tür stehend und auf seine Ankunft wartend. Nachdem
er ihnen ganz kurz angedeutet, welches eigentlich seine Absicht sei, ging er
hinein und setzte sich in das dicht vergitterte Kabinett. Mesrur, die
Palastdienerschaft, die Frauen und die Sängerinnen traten nach ihm hinein und
reihten sich um das Sofa, auf welchem Abu Hassan lag, doch so, dass der Kalif
dadurch nicht verhindert wurde, ihn zu sehen und alle seine Handlungen zu
beobachten.

Nachdem alles so angeordnet und die Wirkung des
Schlafpulvers vorüber war, erwachte Abu Hassan, ohne die Augen aufzuschlagen,
und warf etwas Schleim aus, welches wie das erste Mal in einem kleinen goldenen
Becken aufgefangen wurde. In diesem Augenblick ließen die sieben Chöre von
Sängerinnen ihre reizenden Stimmen zum Klang der Hoboen, Flöten und anderen
Instrumente ertönen, und machten das angenehmste Konzert.

Das Erstaunen Abu Hassans war außerordentlich, als er
eine so harmonische Musik hörte. Er schlug die Augen auf, und sein Erstaunen
verdoppelte sich, als er die Frauen und Hofdiener bemerkte, welche um ihn her
standen und die er zu kennen glaubte. Der Saal worin er sich befand, schien ganz
der nämliche zu sein, den er in seinem früheren Traum gesehen hatte, auch fand
er ihn ganz ebenso erleuchtet, möbliert und verziert.

Das Konzert hörte auf, damit der Kalif auf die ganze
Haltung seines Gastfreundes und auf alles, was er etwa in der überraschung
sagen möchte, aufmerksam sein konnte. Die rauen, Mesrur und alle Diener der
inneren Gemächer beobachten das tiefste Stillschweigen und blieben ein jeder
voll Ehrerbietung auf seinem Platz. „Ach!“, rief Abu Hassan, indem er
sich n die Finger biss, mit lauter Stimme, dass es der Kalif hören konnte,
„da bin ich schon wieder in denselben Traum und in dieselbe Täuschung, wie
vor einem Monat, verfallen. Jetzt kann ich mich nur wieder auf die Schläge mit
dem Ochsenziemer, auf das Narrenhaus und auf den eisernen Käfig gefasst halten.
Allmächtiger Gott,“ fügte er hinzu, „ich übergebe mich in die
Hände deiner göttlichen Vorsehung! Es war ein höchst unredlicher Mann, den
ich gestern Abend in meinem Haus aufnahm und der mir wiederum diese Täuschung
und die davon zu erwartenden Unannehmlichkeiten zugezogen hat. Dieser Treulose
und Verräter hatte mir mit einem Eidschwur versprochen, dass er beim Weggehen
die Türe meines Gemachs zuschließen wollte. Aber er hat es nicht getan, und so
ist denn der Teufel hereingedrungen, der mir jetzt den Kopf ganz zerrüttet
durch diesen verwünschten Traum von einem Beherrscher der Gläubigen und durch
so viele andere Hirngespinste, womit er meine Augen verblendet und bezaubert.
Gott mache dich zu Schanden, Satan, und möchte doch eine großer Berg von
Steinen auf dich geschüttet werden!“


1)
Die Frauen im Morgenland werden gewöhnlich in besonderen Basars verkauft.
Gewöhnlich sind es junge Mädchen, die in Georgien und Circassien aufgekauft
worden, woselbst ein sehr schöner Menschenschlag ist, und wo sie von den Eltern
gewöhnlich schon in einem Alter von zwölf Jahren verhandelt werden. Seitdem
Russland im Besitz dieser Länder ist, ist die Ausfuhr verboten. Allein ein
Reisender (Orouville), der kürzlich erst Persien durchreiste, versichert, dass
der Schleichhandel die Märkte von Eriwan, Kars und Erserum noch ebenso
reichlich mit Mädchen versorgt, als ehedem. Man findet in diesen Basars sehr
schöne Jungfrauen, das Stück zu 60 bis 100 Tumans (etwas 1200 bis 2000
Franken).