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304. Nacht

Abu Hassan war kaum dort angelangt und hatte sich auf eine
Bank am Brückengeländer gesetzt, als er auch schon vom andern Ende der Brücke
her den Kalifen, wie das erste mal, als Kaufmann von Mussul verkleidet und in
Begleitung desselben Sklaven, wieder auf sich zukommen sah. In der überzeugung,
dass all das Unglück, welches er erlitten, einzig davon hergekommen wäre, dass
dieser angebliche Kaufmann von Mussul beim Weggehen die Türe des Zimmers offen
gelassen, überlief ihn beim Anblick desselben ein kalter Schauer. „Gott
behüte mich!“, sprach er bei sich selbst, „da kommt ja, wo ich nicht
irre, der Zauberer wieder, der mich neulich so behexte!“ Er lehnte sich
daher über das Brückengeländer und wandte das Gesicht nach dem Strom des
Flusses hin, um ihn nicht ansehen zu dürfen, bis er vorüber gegangen wäre.

Der Kalif, der den Scherz, den er sich mit Abu Hassan
gemacht, noch weiter treiben wollte, hatte sich sorgfältig nach allem
erkundigen lassen, was er den folgenden Tag bei seinem Erwachen gesagt und
getan, und was ihm überhaupt nach seiner Rückkunft nach Hause begegnet wäre.
Das, was er über ihn vernommen, so wie auch die schlimme Behandlung, die er im
Narrenhaus erfahren, hatten ihn sehr belustigt. Da er indessen ein sehr
großmütiger und gerechtigkeitsliebender Fürst war, und an Abu Hassan einen
Mann gefunden zu haben glaubte, der ihn noch viel Unterhaltung gewähren
könnte, und da er ferner zweifelte, ob wohl Abu Hassan nach Niederlegung seiner
angeblichen Kalifenwürde seine gewohnte Lebensweise noch fortsetzen würde, so
hielt er es, um ihn wieder an sich zu ziehen, am angemessensten, sich am Ersten
des Monats wieder in einen Kaufmann von Mussul zu verkleiden, um seinen
gefassten Entschluss besser ausführen zu können. Er erblickte also Abu Hassan
fast in demselben Augenblick, als er von ihm erblickt wurde, merkte aber sehr
bald aus seinem Benehmen, dass er mit ihm unzufrieden wäre, und dass er die
Absicht hätte, ihm auszuweichen. Demzufolge ging er an der Seite des
Brückengeländers hin, wo Abu Hassan saß. Als er ihm ganz nahe gekommen war,
neigte er den Kopf und sah ihm ins Gesicht. „Bist du es, mein Bruder
Hassan?“, rief er aus. „Sei mir gegrüßt und erlaube mir, dass ich
dich umarme.“

„Und ich,“ erwiderte Abu Hassan ganz kalt, ohne
den angeblichen Kaufmann aus Mussul anzusehen, „ich grüße dich nicht. Ich
brauche weder deinen Gruß, noch deine Umarmungen. Geh deines Weges.“

„Ei, wie?“, fragte ihn hierauf der Kalif.
„Kennst du mich denn nicht? Erinnerst du dich nicht mehr jenes Abends, den
wir heute vor einem Monat auf deinem Zimmer zubrachten, wo du mir die Ehre
erzeigtest, mich so freigebig zu bewirten?“ – „Nein,“ erwiderte
Abu Hassan in dem nämlichen Ton wie zuvor. „Ich kenne dich nicht, und
weiß nicht, wovon du da mit mir sprechen willst. Fort, ich sag es dir noch
einmal, geh deines Weges!“

Der Kalif ließ sich durch die Unhöflichkeit Abu Hassans
nicht abschrecken. Er wusste wohl, dass es sich Abu Hassan unter anderem zum
Gesetz gemacht hatte, mit keinem der Fremden, die er einmal bewirtet hatte, noch
irgend weiter Gemeinschaft zu haben, Abu Hassan hatte es ihm selbst gesagt.
Allein er wollte sich stellen, als wüsste er es nicht. „Ich kann es gar
nicht glauben,“ fuhr er fort, „dass du mich nicht mehr wieder erkennen
solltest. Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir uns gesehen, und es ist
nicht möglich, das du mich so leicht vergessen haben solltest. Es muss dir
irgend etwas begegnet sein, was in dir diese Abneigung gegen mich erweckt hat.
Du wirst dich indessen erinnern, dass ich dir meine Dankbarkeit durch die besten
Wünsche an den Tag gelegt, und dir sogar in Hinsicht eines gewissen Punktes,
der dir sehr am Herzen lag, meinen Einfluss anbot, der gar nicht zu verachten
ist.“

„Ich weiß nicht,“ antwortete Abu Hassan,
„von welcher Art dein Einfluss sein mag, und ich habe auch nicht die
mindeste Lust, ihn auf die Probe zu stellen. Ich weiß bloß so viel, dass deine
guten Wünsche weiter keinen Erfolg gehabt haben, als den, dass ich beinahe ein
Narr geworden wäre. Ich bitte dich daher nochmals um Gotteswillen, geh deine
Straße und ärgere mich nicht weiter.“

„Ach, mein Bruder Hassan,“ erwiderte der Kalif,
und umarmte ihn, „ich möchte nicht gern auf diese Art von dir scheiden! Da
mein Glücksstern gewollt hat, dass ich dich noch einmal treffen sollte, so
musst du mir schon noch einmal dieselbe Gastfreundschaft erzeigen, wie heute vor
einem Monat, und mich noch eine Flasche Wein mit dir trinken lassen.“

„Davor werde ich mich gar sehr hüten,“
antwortete Abu Hassan. „Ich habe schon noch so viel Gewalt über mich, um
jedes fernere Zusammensein mit einem Mann, wie du bist, zu vermeiden, der einem
nur Unglück ins Haus bringt. Du kennst ja wohl das Sprichwort: Nimm deine
Trommel auf die Schultern und packe dich! Wende es jetzt auf dich an. Soll ich
es dir denn so oft wiederholen? Gott geleite dich! Du hast mir Unheil genug
zuwege gebracht, ich mag mich dergleichen nicht ferner aussetzen.“

„Mein guter Freund Abu Hassan,“ fuhr der Kalif
fort, und umarmte ihn nochmals, „du behandelst mich mit einer Härte, die
ich mir nicht erwartet hätte. Ich bitte dich, nicht länger so beleidigende
Reden gegen mich zu führen, sondern im Gegenteil von meiner Freundschaft
überzeugt zu sein. Tu mir den Gefallen und erzähle mir, was dir begegnet ist,
– mir, der ich dir bloß gutes gewünscht habe, und noch wünsche, und der ich
gern eine Gelegenheit finden möchte, dir es durch die Tat zu erzeigen, um
einigermaßen das Unheil wieder gut zu machen, was ich dir, wie du sagst,
zugezogen habe, wofern es anders wirklich meine Schuld ist.“ Abu Hassan gab
endlich den inständigen Bitten des Kalifen nach, und nachdem er ihn neben sich
sitzen geheißen, sagte er zu ihm: „Deine Ungläubigkeit und
Zudringlichkeit haben meine Geduld aufs äußerste gebracht. Was ich dir jetzt
erzählen werde, wird dir leicht begreiflich machen, ob ich Unrecht habe, wenn
ich mich über dich beklage.“

Der Kalif setzte sich neben Abu Hassan, und dieser
erzählte ihm nun alle die Abenteuer, die ihm, von seinem Erwachen im Palast an
bis zu seinem zweiten Erwachen in seinem Gemach, begegnet waren, und zwar
erzählte er ihm dies alles, als ob es ein lebhafter Traum gewesen, mit einer
Menge von einzelnen Umständen, die der Kalif ebenso gut wusste, wie er, und die
das Vergnügen jenes Scherzes in ihm erneuerten. Er schilderte ihm sodann auf
eine übertriebene Weise den Eindruck, den dieser Traum in seiner Seele
zurückgelassen, dass er Kalif und Beherrscher der Gläubigen wäre.
„Dieser Eindruck,“ fuhr er fort, “ stürzte mich in so große
Narrheiten, dass meine Nachbarn genötigt waren, mich wie einen Wütenden zu
binden und mich ins Narrenhaus zu führen, wo man mich auf eine Art behandelt
hat, die wahrhaft grausam, barbarisch und unmenschlich zu nennen ist. Aber was
dich am meisten überraschen wird und worauf du gewiss nicht gefasst bist, ist,
dass das alles bloß durch deine Schuld begegnet ist. Du erinnerst dich wohl
noch der Bitte, die ich damals an dich tat, dass du doch beim Weggehen von mir
die Türe des Gemachs gut zuschließen möchtest. Du hast es indessen nicht
getan, sondern im Gegenteil sie offen gelassen, und so ist denn der böse Geist
hereingekommen und hat mir jenen Traum in den Kopf gesetzt, der, so angenehm er
mir auch vorkam, mir doch alle die Leiden zugezogen hat, über die ich mich
beklage. Du bist also durch deine Nachlässigkeit schuld und verantwortlich für
jenes abscheuliche und verruchte Verbrechen, welches ich beging, indem ich nicht
bloß die Hand gegen meine Mutter erhob, sondern es beinahe dahin brachte, dass
sie zu meinen Füßen den Geist aufgegeben und ich einen Muttermord begangen
hätte, und das alles um einer Ursache willen, über die ich, so oft ich daran
denke, erröten muss, weil sie mich nämlich ihren Sohn nannte, der ich wirklich
bin, und mich nicht für den Beherrscher der Gläubigen anerkennen wollte,
wofür ich mich gegen sie ausgab. Du bist ferner schuld an dem ärgernis, das
ich meinen Nachbarn gegeben, als sie auf das Geschrei meiner armen Mutter
herbeiliefen und mich im Begriff fanden, sie halbtot zu schlagen. Das alles
wäre gar nicht vorgefallen, wenn du beim Weggehen die Türe meines Zimmers, so
wie ich dich gebeten, sorgfältig verschlossen hättest. Sie hätten dann ohne
meine Erlaubnis gar nicht in mein Haus kommen können, und wären dann also auch
nicht, was mich am meisten verdrießt, Zeugen meiner Narrheit gewesen. Ich
hätte sie ferner in meiner Gegenwehr dann nicht geschlagen, und sie hätte mich
nicht misshandelt und gebunden, um mich ins Narrenhaus zu führen und
einzusperren, wo man mir, wie ich dich versichern kann, die ganze Zeit über,
die ich darin war, täglich eine tüchtige Tracht Hiebe mit dem Ochsenziemer zu
geben nicht unterlassen hat.“

Abu Hassan erzählte diese Anlässe zu Beschwerden dem
Kalifen mit vieler Wärme und Heftigkeit. Der Kalif wusste besser als er, was
mit ihm vorgegangen war, und freute sich im Stillen über das Gelingen seines
lustigen Einfalls und der Täuschung, indessen konnte er die unbefangene
Erzählung des ganzen Vorfalls nicht anhören, ohne laut aufzulachen.

Abu Hassan, welcher glaubte, dass seine Geschichte wohl
Mitleid verdiente, und dass jedermann so viel Anteil daran nehmen müsste, als
er selber, ärgerte sich sehr über dies laute Auflachen des angeblichen
Kaufmanns von Mussul. „Du machst dich wohl über mich lustig?“, sagte
er zu ihm, „da du mir so geradezu ins Gesicht lachst. Oder denkst du etwas,
ich scherze, wenn ich ganz ernsthaft mit dir rede? Willst du augenscheinliche
Beweise von dem, was ich dir sage? Da, sieh einmal her, und sage dann selbst, ob
ich bloß scherze.“ Bei diesen Worten bückte er sich, entblößte sich die
Schultern und die Brust, und zeigte dem Kalifen die Narben und die blauen
Flecken, welche ihm die erhaltenen Schläge verursacht hatten.

Der Kalif konnte dies nicht ohne Entsetzen ansehen. Er
fühlte Mitleid gegen den armen Abu Hassan, und es tat ihm sehr leid, seinen
Scherz so weit getrieben zu haben. Er ging sofort in sich, umarmte Hassan
herzlich, und sagte zu ihm ganz ernsthaft: „Steh auf, mein Bruder, ich
bitte dich. Komm, las uns nach deiner Wohnung gehen. Ich möchte gern noch das
Vergnügen haben, diesen Abend angenehm mit dir hinzubringen. Morgen wirst du,
so Gott will, sehen, dass alles recht gut gehen wird.“

Abu Hassan, ungeachtet seines Entschlusses und seines getanen
Gelübdes, keinen Fremden öfter als einmal bei sich zu bewirten, konnte dennoch
dem einschmeichelnden Zureden des Kalifen, den er immer noch für einen Kaufmann
aus Mussul hielt, nicht widerstehen. „Ich will es wohl tun,“ sagte er
zu ihm, „aber nur unter der Bedingung, dass ihr mir mit einem Eidschwur
versprecht, beim Weggehen aus meiner Wohnung die Türe gefälligst zu
verschließen, damit der böse Geist nicht wieder kommt und mein Gehirn
zerrüttet, wie er es schon einmal getan hat.“ Der angebliche Kaufmann
versprach alles. Sie standen nun beide auf und nahmen den Weg nach der Stadt. Um
sich den Abu Hassan noch mehr zu verbinden, sagte der Kalif zu ihm: „Fasse
Zutrauen zu mir. Ich werde mich gewiss nicht treulos beweisen. Ich verspreche es
dir als ehrlicher Mann. Demnach darfst du keinen Anstand nehmen, dein Zutrauen
einem Mann zu schenken, der dir alles mögliche Glück und Wohl wünscht, wovon
du den Erfolg bald sehen wirst.“

„Ich verlange dergleichen gar nicht von dir,“
erwiderte Abu Hassan ganz kurz. „Ich gebe gern deinem Anbringen nach, aber
ich verlasse dir alle guten Wünsche, und bitte dich um Gottes Willen, einen
dergleichen zu äußern. Alles Unheil, was mir bisher begegnet ist, rührt bloß
von dem Offenlassen der Tür und von den Wünschen her, die du schon früher
gegen mich geäußert hast.“

„Nun gut,“ antwortete der Kalif, indem er bei
sich selbst über die noch immer kranke Einbildungskraft Abu Hassans lächelte,
„da du es wünschst, so will ich dir gehorchen, und verspreche, dir nie
etwas zu wünschen.“

„Wenn du so sprichst, so freue ich mich,“ sagte
hierauf Abu Hassan. „Ich verlange von dir nichts weiter, und bin zufrieden,
wenn du Wort hältst. Das übrige erlasse ich dir gern.“

Während Abu Hassan und der Kalif, den sein Sklave
begleitete, sich so unterhielten, näherten sie sich unvermerkt dem Ort ihrer
Bestimmung. Der Tag fing bereits an sich zu neigen, als sie bei Abu Hassans Haus
anlangten. Dieser rief sogleich seine Mutter, und ließ Licht bringen. Dann bat
er den Kalifen, auf dem Sofa Platz zu nehmen und setzte sich neben ihn. Binnen
kurzer Zeit wurde hierauf das Abendessen aufgetragen, nachdem man den Tisch vor
sie hin gestellt hatte. Sie aßen ohne alle Umstände. Als sie abgegessen
hatten, trug Abu Hassans Mutter alles vom Tisch ab, setzte Früchte auf, und
stellte Wein mit Schalen neben ihren Sohn, dann entfernte sie sich und erschien
nicht wieder.