Project Description

300. Nacht

Der Sklave ergriff Abu Hassan, trug ihn durch die
verborgene Tür aus dem Palast, legte ihn, wie der Kalif befohlen, in seinem
Haus nieder, und kehrte sodann eilfertig zurück, um ihm von dem, was er getan,
Rechenschaft abzustatten. „Abu Hassan,“ sagte hierauf Harun,
„hatte sich gewünscht, bloß einen Tag lang Kalif sein zu können, um den
Imam der Moschee seines Viertels und die vier Scheichs1)
oder Greise, deren Betragen ihm nicht gefiel, bestrafen zu können. Ich habe ihm
diese Gelegenheit verschafft, und er kann damit zufrieden sein.“

Abu Hassan schlief auf seinem Sofa, auf welchen ihn der
Sklave niedergelegt, bis tief in den folgenden Tag hinein, und erwachte nicht
eher, als bis das Pulver, welches man ihm in das letzte Glas geworfen, seine
Wirkung getan hatte. Da nun schlug er die Augen auf und war nicht wenig
überrascht, sich wieder auf seinem Zimmer zu sehen. „Perlenstrauß,
Morgenstern, Korallenmund, Morgenröte, Mondgesicht!“, rief er ganz laut,
indem er eine jede von den Schönen des Palastes, die ihm Gesellschaft geleistet
hatte, so weit er sich ihrer noch erinnern konnte, bei ihrem Namen rief.
„Wo seid ihr? Kommt doch hierher!“

Abu Hassan schrie aus allen Kräften. Seine Mutter, die
ihn auf ihrem Zimmer hörte, lief auf das Rufen sogleich herbei, trat in sein
Zimmer, und fragte ihn: „Was ist dir denn, mein Sohn? Was ist dir
zugestoßen?“

Bei diesen Worten hob Abu Hassan den Kopf in die Höhe,
sah seine Mutter stolz und verächtlich an, und fragte sie: „Gute Frau, wen
nennst du denn deinen Sohn?“

„Dich!“, erwiderte die Mutter mit vieler
Freundlichkeit. „Bist du nicht Abu Hassan, mein Sohn? Das wäre doch
höchst seltsam, wenn du es in so kurzer Zeit vergessen haben solltest.“

„Ich, dein Sohn? Abscheuliche Alte,“ antwortete
Abu Hassan, „du weißt nicht, was du redest, du bist eine Lügnerin! Ich
bin nicht Abu Hassan, von dem du da sprichst. Ich bin der Beherrscher der
Gläubigen.“

„Sei doch still, mein Sohn!“, fuhr die Alte
fort. „Du bist nicht klug. Man könnte dich für einen Narren halten, wenn
es jemand hörte.“

„Du bist selber eine alte Närrin,“ erwiderte
Abu Hassan. „Ich aber bin kein Narr, wie du behauptest. Ich wiederhole dir
nochmals, dass ich der Beherrscher der Gläubigen und der irdische
Stellvertreter des Herrn der beiden Welten2)
bin.“

„Ach, mein Sohn!“, rief die Mutter aus.
„Ist es möglich, dass ich solche Worte von dir höre, die eine so große
Geistesabwesenheit verraten? Welcher böse Geist hält dich besessen, und lässt
dich solche Reden führen? Gottes Gnade komme über dich, und befreie dich von
der Macht des Satans. Du bist mein Sohn Abu Hassan, und ich bin deine
Mutter.“

Nachdem sie ihm alles mögliche, was ihr nur irgend
einfiel, gesagt hatte, um ihn wieder zu sich zu bringen und ihm zu zeigen, dass
er im Irrtum wäre, fuhr sie weiter fort: „Siehst du nicht, dass dies
Zimmer, worin du dich befindest, das deinige ist, und nicht das Zimmer eines
Palastes, wie es sich für einen Beherrscher der Gläubigen ziemen würde, und
dass du es, seitdem du auf der Welt bist, nie vertauscht, sondern immer bei mir
gewohnt hast? überlege alles wohl, was ich dir sage, und bilde dir nicht Dinge
ein, die nicht sind und die auch gar nicht sein können. Noch einmal, mein Sohn,
denke ernsthaft darüber nach.“

Abu Hassan hörte die Ermahnungen seiner Mutter ruhig an,
schlug die Augen nieder, und stützte sich die Hand unter das Gesicht, wie
einer, der in sich geht, um die Wahrheit dessen, was er sieht und hört, zu
prüfen. „Ich glaube, du hast Recht,“ sagte er einige Augenblicke
nachher, wie aus einem tiefen Schlaf erwachend, doch ohne seine Stellung zu
ändern. „Es kommt mir selbst so vor, dass ich Abu Hassan bin, und du meine
Mutter, und dies mein Zimmer. Noch einmal,“ fuhr er fort, indem er die
Augen auf sie und auf alles warf, was sich seinen Blicken darbot, „ich bin
Abu Hassan, ich zweifle nicht mehr daran, und begreife nicht, wie ich mir diese
Einbildung in den Kopf setzen konnte.“

Die Mutter glaubte nun wirklich, dass ihr Sohn von seiner
Geistesverwirrung, die sie einem Traum zuschrieb, geheilt wäre. Sie war sogar
schon im Begriff, mit ihm darüber zu lachen und ihn über den Traum zu
befragen, als er sich plötzlich aufsetzte, sie von der Seite ansah und ausrief:
„Alte Hexe, alte Zauberin, du weißt nicht, was du redest. Ich bin weder
dein Sohn, noch bist du meine Mutter. Du täuschst dich selber, und willst mich
es ebenfalls überreden. Ich sage dir, ich bin Beherrscher der Gläubigen, und
du wirst mir nicht das Gegenteil weismachen.“

„Ich bitte dich, mein Sohn, befiehl dich Gott, und
enthalte dich solcher Reden, damit dich nicht der Himmel strafe. Lass uns lieber
von etwas anderem reden. Ich will dir erzählen, was gestern in unserm Viertel
dem Imam unserer Moschee und vier Scheichs unter unseren Nachbarn begegnet ist.
Der Polizeirichter ließ sie verhaften, und nachdem er ihnen vor seinen Augen
einem jeden, ich weiß nicht, wie viel Schläge mit dem Ochsenziemer hatte geben
lassen, ließ er durch einen Ausrufer bekannt machen, dies sei die Strafe für
diejenigen, die sich in Angelegenheiten mischten, die sie nichts angingen und
die es sich zum Geschäft machten, die Familien ihrer Nachbarn zu beunruhigen.
Endlich ließ er sie unter demselben Ausruf durch alle Stadtviertel führen und
verbot ihnen, jemals wieder einen Fuß in unser Stadtviertel zu setzen.“

Die Mutter Abu Hassans, die sich nicht einbilden konnte,
dass ihr Sohn an dem Abenteuer, welches sie erzählte, irgend Anteil gehabt,
hatte absichtlich das Gespräch auf etwas anderes geleitet, und betrachtete die
Erzählung dieses Vorfalls als ein Mittel, ihn aus dem Irrtum zu reißen, worin
er sich befand.


1)
Scheichs heißen nicht bloß die Lehrer und Erklärer des Gesetztes, sondern
auch insbesondere gewisse Geistliche, die in den Moscheen predigen müssen.