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298. Nacht

Unterdessen fuhr der Großwesir in seinem Bericht fort,
und war beinahe damit fertig, als der zurückkehrende Polizeirichter erschien,
um von seinem Auftrag Bericht abzustatten. Er näherte sich dem Thron, und sagte
zu Abu Hassan, nachdem er sich dem üblichen Brauch gemäß niedergeworfen
hatte. „Beherrscher der Gläubigen! Ich habe den Imam und die vier Alten in
der Moschee getroffen, welche Euer Majestät mir bezeichnete. Zum Beweis, dass
ich den von euer Majestät empfangenen Befehl treulich vollführt habe,
überreiche ich euch hier das von mehreren ältesten des Viertels als Zeugen
unterschriebene Protokoll.“ Zugleich zog er vorn aus dem Busen ein Papier,
und überreichte es dem angeblichen Kalifen.

Abu Hassan nahm das Protokoll, las es ganz durch, selbst
bis auf die Namen der Zeugen, die ihm sehr wohl bekannt waren. Als er fertig
war, sagte er lächelnd zum Polizeirichter: „Ganz gut. Ich bin zufrieden
und du hast es mir zu Danke gemacht. Nimm jetzt wieder deinen Platz ein. –
Solche Scheinheilige,“ sagte er dann mit zufriedener Miene zu sich selbst,
„die sich einfallen ließen, sich über meine Handlungen aufzuhalten, und
die es schlecht fanden, dass ich ehrliche Leute bei mir aufnahm und bewirtete,
verdienten wohl diese Strafe und Beschimpfung.“ Der Kalif, der ihn
beobachtete, als in seinem Innern, und fühlte selber eine unbeschreibliche
Freude über eine so gute Abfertigung.

Abu Hassan wandte sich hierauf an den Großwesir.
„Lass dir,“ sagte er zu ihm, „vom Oberschatzmeister einen Beutel
mit tausend Goldstücken geben, geh damit in das Stadtviertel, in welches ich
soeben den Polizeirichter schickte, und übergib ihn der Mutter eines gewissen
Abu Hassan, welcher den Beinamen des Liederlichen führt. Den Mann kennt unter
diesem Namen das ganze Viertel, und jeder wird dir sein Haus weisen. Jetzt geh,
und komm bald wieder.“

Der Großwesir Giafar legte seine Hand auf seinen Kopf,
zum Zeichen, dass er gehorchen werde, und nachdem er sich vor dem Thron
niedergeworfen, ging er fort und begab sich zum Oberschatzmeister, der ihm den
Beutel gab. Er ließ ihn durch einen der Sklaven, die ihm folgten, in Empfang
nehmen, und ging dann zur Mutter Abu Hassans. Er traf sie zu Hause, und sagte
ihr, der Kalif sende ihr dies Geschenk, ohne sich weiter darüber zu äußern.
Sie empfing es mit umso größerer überraschung, da sie gar nicht ahnen konnte,
was den Kalifen zu einem bedeutenden Geschenk an sie veranlasst haben könnte,
und da sie nicht wusste, was im Innern des Palastes vorging.

Während der Abwesenheit des Großwesirs stattete der
Polizeirichter über mehrere Angelegenheiten, die in seinen Geschäftskreis
einschlugen, Bericht ab, und dieser dauerte bis zur Rückkehr des Wesirs. Sobald
dieser wieder in den Versammlungssaal getreten war und Abu Hassan versichert
hatte, dass er sich des erhaltenen Auftrags entledigt habe, kam Mesrur, das
Oberhaupt der Verschnittenen, der sich unterdessen in das Innere des Palastes
zurückbegeben hatte, wieder herein, und gab den Wesiren, Emiren, und allen
übrigen Hofbeamten ein Zeichen, dass die Ratsversammlung geendigt wäre und
dass jeder sich entfernen könnte. Dies taten sie denn auch, nachdem sie durch
eine tiefe Verbeugung am Fuß des Thrones sich beurlaubt, und zwar in derselben
Ordnung, wie sie herein getreten waren. Bei Abu Hassan blieb niemand zurück, als
die Befehlshaber der Leibwache des Kalifen und der Großwesir.

Abu Hassan blieb nun nicht länger auf dem Thron des
Kalifen. Er stieg auf dieselbe Weise, wie er hinaufgestiegen war, wieder
herunter, dass heißt, unterstützt von Mesrur und einem andern angesehenen
Verschnittenen, die ihn unter dem Arme anfassten und ihn bis an das Zimmer
begleiteten, aus dem er herausgekommen war. Er trat hinein, und der Großwesir
ging voran. Doch kaum hatte er einige Schritte getan, als er andeutete, dass ihn
ein dringendes Bedürfnis anwandelte. Sogleich öffnete man ihm ein sehr
reinliches, mit Marmor gepflastertes Kabinett. Zugleich überreichte man ihm ein
Paar seidene, mit Gold durchwirkte Pantoffeln, die man gewöhnlich anzog, ehe
man in dies Kabinett eintrat. Er nahm sie, und da er den Gebrauch derselben
nicht kannte, so steckte er sie in einen seiner ärmel, die ziemlich weit waren.

Da man sehr häufig wohl eher über eine Kleinigkeit als
über etwas Wichtiges zu lachen pflegt, so fehlte diesmal wenig, dass nicht der
Großwesir, Mesrur und alle übrigen Diener des Palastes, die in der Nähe
waren, laut auflachten und den ganzen Scherz verdarben. Indessen sie
unterdrückten diese Anwandlung, und der Großwesir musste ihm endlich
erklären, dass er die Pantoffeln vor dem Eintritt in das Kabinett anziehen
möchte.

Während Abu Hassan im Kabinett war, suchte der Großwesir
den Kalif, der sich bereits wieder an einen anderen Ort begeben hatte, um
fortwährend Abu Hassan ungesehen beobachten zu können, und erzählte ihm, was
soeben vorgefallen war, was dem Kalifen ein neues Vergnügen gewährte.

Abu Hassan trat wieder aus dem Kabinett. Mesrur ging vor
ihm her, um ihm den Weg zu zeigen, und führte ihn nach dem inneren Zimmer, wo
die Tafel bereits gedeckt war. Die Tür, die in dasselbe führte, wurde
geöffnet, und mehrere Verschnittene eilten voraus, um den Sängerinnen einen
Wink zu geben, dass der angebliche Kalif sich näherte. Sogleich begannen diese
ein Konzert von melodischen Stimmen und Instrumenten, welches Abu Hassan so
anmutig dünkte, dass er ganz von Freude und Entzücken hingerissen wurde, und
gar nicht wusste, was er von dem Allen denken sollte. „Wenn dies ein Traum
ist,“ sprach er bei sich selbst, „so dauert dieser Traum ziemlich
lange. Doch nein, es ist kein Traum,“ fuhr er fort. „Ich fühle ja,
ich denke, ich sehe, ich gehe, ich höre. Wie dem auch sein mag, ich will mich
darin ganz auf Gott verlassen. Gleichwohl kann ich nicht zweifeln, dass ich
wirklich Beherrscher der Gläubigen bin. Es gibt ja doch nur einen Beherrscher
der Gläubigen, den der Glanz umgeben kann, der mich umgibt. Die Ehre und die
Ehrfurchtsbezeigungen, die man mir erwiesen hat und noch erweist, die Befehle,
die ich erteilt habe, und die vollzogen worden sind, – alles dies beweist es ja
hinlänglich.“

Endlich hielt es Abu Hassan für gewiss, dass er Kalif und
Beherrscher der Gläubigen wäre, und er wurde völlig davon überzeugt, als er
sich in einem prächtigen und weiten Saal erblickte. Von allen Seiten strahlte
ihm Gold und der lebhafteste Farbenglanz entgegen. Sieben Chöre aus
Sängerinnen, eine immer schöner als die andere, umgaben diesen Saal, und
sieben goldene Kronleuchter hingen an verschiedenen Stellen von der Decke herab,
an welcher Gold und Azur so kunstreich angebracht war, dass es eine wundervolle
Wirkung machte. In der Mitte stand eine Tafel, besetzt mit großen Schüsseln
von gediegenem Gold, welche den Saal mit dem Duft von Gewürzen und Ambra
erfüllten, womit das Fleisch gewürzt war. Sieben junge Mädchen mit einer
hinreißenden Schönheit und in den reichsten und glänzendsten Gewändern,
standen um die Tafel her. Jede derselben hatte einen Fächer in der Hand, womit
sie dem Abu Hassan, während er bei Tafel saß, Luft zufächeln sollten.

Wenn jemals ein Sterblicher entzückt gewesen ist, so war
es Abu Hassan, als er in diesen prächtigen Saal trat. Bei jedem Schritt blieb
er stehen, um alle die schönen Sachen, die sich seinem Blick darboten, mit
Muße zu betrachten. Er wandte sich jeden Augenblick, bald rechts, bald links, –
zum großen Behagen des Kalifen, der ihn sehr aufmerksam beobachtete. Endlich
trat er bis in die Mitte vor, und setzte sich zur Tafel. Sogleich setzten die
sieben schönen Mädchen, die umher standen, sämtlich mit ihren Fächern die
Luft in Bewegung, um ihm Kühlung zuzuwehen. Er betrachtete eine nach der
andern, und nachdem er bewundert hatte, mit welcher Anmut sie dies Geschäft
verrichteten, sagte er zu ihnen mit einem huldvollen Lächeln, er glaube, dass
eine einzige von ihnen hinreichend sein würde, um ihm so viel frische Luft
zuzufächeln, als er nur irgend bedürfte, und er wünsche, dass die sechs
übrigen sich mit ihm zu Tafel setzen möchten, drei zu seiner Rechten, und drei
zu seiner Linken, um ihm Gesellschaft zu leisten. Die Tafel war rund, und Abu
Hassan ließ sie rings umher Platz nehmen, damit er, wohin er auch immer den
Blick wenden möchte, nur angenehmen und anziehenden Gegenständen begegnete.

Die sechs Mädchen gehorchten und setzten sich an die
Tafel. Allein Abu Hassan bemerkte sehr bald, dass sie aus Ehrerbietung vor ihm
nicht aßen. Dies gab ihm denn Anlass, ihnen selber vorzulegen und sie in den
verbindlichsten Ausdrücken zum Essen einzuladen und zu nötigen. Er fragte sie
hierauf, wie sie denn hießen, und eine jede befriedigte seine Neugier. Ihre
Namen waren: Alabasterhals, Korallenmund, Mondgesicht, Sonnenglanz, Augenweide,
Herzenslust. Dieselbe Frage tat er auch an die siebente, welche den Fächer
hielt, und sie antwortete ihm, sie hieße: Zuckerrohr. Die Artigkeiten, die er
einer jeden über ihren Namen sagte, bewiesen, dass er sehr viel Verstand hatte,
und man kann sich nicht vorstellen, wie sehr dies die Achtung erhöhte, welche
der Kalif, dem nichts von allem dem entging, was gesprochen wurde, bereits für
ihn empfand.

Als die schönen Frauen sahen, dass Abu Hassan nicht mehr
aß, sagte die eine von ihnen zu den Verschnittenen, welche bei Tafel
aufwarteten: „Der Beherrscher der Gläubigen will in den Saal des
Nachtisches gehen. Man bringe ein Handbecken.“ Zugleich standen sie alle
von der Tafel auf, und nahmen aus den Händen der Verschnittenen, die eine eine
goldene Schale, die andere ein Handbecken von demselben Metall, und die dritte
ein Handtuch. Sie ließen sich dann vor Abu Hassan, der noch dasaß, auf ein
Knie nieder, und reichten ihm das Waschwasser. Als er sich gewaschen hatte,
stand er auf, und in diesem Augenblick zog ein Verschnittener den Türvorhang
auf und öffnete die Tür eines andern Saales, in den er eintreten sollte.