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296. Nacht

Bei diesen schönen Sachen geriet Abu Hassan in Erstaunen
und in eine unbeschreibliche Verwirrung. Er betrachtete alles, wie in einem
tiefen Traum, und doch erschien ihm dieser Traum wiederum so wahrscheinlich,
dass er wünschte, es möchte keiner sein. „Gut,“ sagte er bei sich
selbst, „so bin ich denn also wirklich Kalif! – Aber nein,“ fuhr er
nach einer Pause des Nachdenkens fort, „ich täusche mich bloß, es ist ein
Traum, die Wirkung des Wunsches, den ich gestern meinem Gast äußerte.“
Und so schloss er wieder die Augen, um zu schlafen.

In diesem Augenblick näherte sich ein Verschnittener und
redete ihn ehrfurchtsvoll an: „Beherrscher der Gläubigen, möchte Euer
Majestät nur nicht wieder einschlafen, die Morgenröte zeigt sich schon.“

Bei diesen Worten, welche Abu Hassan erstaunlich
überraschten, sagte er wiederum bei sich selber: „Wache ich, oder schlafe
ich? Doch nein, ich schlafe,“ fuhr er fort, indem er die Augen immer noch
fest zuhielt. „Ich darf daran nicht zweifeln.“

Einen Augenblick darauf begann der Verschnittene, welcher
sah, das er gar nicht antwortete und auch keine Miene machte aufzustehen, von
neuem: „Beherrscher der Gläubigen! Euer Majestät wird es gnädigst
erlauben, dass ich noch einmal wiederhole, dass es Zeit aufzustehen ist, damit
ihr nicht den gehörigen Zeitpunkt verfehlt, um euer Gebet zu verrichten. Die
Sonne wird bald aufgehen, und Euer Majestät pflegt dies nie zu
versäumen.“

„Ich täusche mich also,“ sprach sogleich Abu
Hassan. „Ich schlafe nicht, sondern ich wache. Die, welche schlafen, hören
ja nicht, und ich höre doch, dass man zu mir redet.“ Er schlug die Augen
wieder auf, und da es schon heller Tag geworden war, so sah er jetzt ganz
deutlich das, was er zuvor nur undeutlich wahrgenommen hatte. Mit lächelnder
Miene setzte er sich im Bett auf, wie ein Mann, der sich freut, sich so hoch
über seinen Stand erhöht zu sehen. Der Kalif, der ihn ungesehen beobachtete,
las mit vielem Vergnügen, was in seinem Innern vorging.

Hierauf warfen sich die jungen Schönen des Palastes vor
Abu Hassan auf ihr Angesicht, und die, welche Musikinstrumente hatten,
begrüßten ihn mit einem Konzert von sanften Flöten1),
von Hoboen, Theorben und andern harmonischen Instrumenten, wovon er so bezaubert
und entzückt wurde, dass er gar nicht wusste, wo er war, und überhaupt ganz
außer sich geriet. Gleichwohl kam er wieder auf seinen vorigen Gedanken, und
zweifelte noch immer, ob alles das, was er sah und hörte, ein Traum oder
Wirklichkeit wäre. Er hielt sich die Hände vor die Augen, senkte den Kopf
niederwärts, und sagte bei sich selbst: „Was bedeutet dies alles? Wo bin
ich? Was ist mir begegnet? Was ist dies für ein Palast? Was bedeuten diese
Verschnittenen, diese so wohlgestalteten und gut gekleideten Diener? Diese
schönen Frauen und diese bezaubernden Musikspielerinnen? Ist es möglich, dass
ich gar nicht unterscheiden kann, ob ich träume, oder ob ich bei vollem
Verstand bin?“ Endlich nimmt er seine Hände von den Augen hinweg, öffnet
diese, hebt den Kopf in die Höhe, und sieht, dass die Sonne bereits ihre ersten
Strahlen durch die Fenster des Zimmers wirft, worin er sich befand.

In diesem Augenblick trat Mesrur, das Oberhaupt der
Verschnittenen, herein, warf sich vor Abu Hassan nieder, und sagte dann beim
Aufstehen: „Beherrscher der Gläubigen, Euer Majestät wird mir erlauben,
euch aufmerksam zu machen, dass ihr sonst nie so spät aufzustehen pflegt und
dass ihr die Stunde des Gebets versäumt habt, sofern ihr nicht etwa eine üble
Nacht gehabt oder sonst unpässlich seid, so ist es jetzt Zeit, dass ihr auf den
Thron steigt, um die Ratsversammlung zu halten und euch wie gewöhnlich zu
zeigen. Die Befehlshaber eurer Heere, die Statthalter eurer Provinzen, und die
übrigen hohen Beamten warten nur auf den Augenblick, wo die Türe des
Ratssaales sich öffnen wird.“

Bei diesen Worten Mesrurs wurde Abu Hassan einigermaßen
überzeugt, dass er nicht schliefe und dass der Zustand, worin er sich befand,
kein Traum wäre. Er fühlte sich indessen ebenso verwirrt als verlegen, bei der
Ungewissheit, welchen Entschluss er jetzt fassen sollte. Endlich sah er dem
Mesrur scharf ins Gesicht und frage ihn im ernsthaften Ton: „Zu wem redet
ihr, und wer ist der, den ihr Unbekannter, Beherrscher der Gläubigen nennt? Ihr
müsst mich gewiss verkennen.“

Jeder andere als Mesrur würde durch Abu Hassans Frage aus
der Fassung gebracht worden sein. Allein er spielte seine Rolle, wie sie ihm der
Kalif vorgeschrieben hatte, außerordentlich gut. „Mein verehrungswürdiger
Herr und Gebieter,“ rief er aus. „Eure Majestät spricht heute
offenbar bloß darum so, um mich auf die Probe zu stellen. Ist Euer Majestät
denn nicht Beherrscher der Gläubigen, Gebieter der Welt, des Ostens und
Westens, und Stellvertreter des Propheten, den Gott, der Herr des Himmels und
der Erde, gesandt hat? Mesrur, euer geringer Sklave, hat es seit so vielen
Jahren her nicht vergessen, in denen er das Glück und die Ehre hatte, Euer
Majestät seine Ehrfurcht und seine Dienste zu erweisen. Er würde sich für den
unglücklichsten aller Sterblichen achten, wenn er sich eure Ungnade zugezogen
haben sollte, und er bittet euch daher demütigst, dass ihr ihn huldreichst
beruhigt, indem er lieber glauben will, dass ein unangenehmer Traum eure Ruhe in
dieser Nacht gestört habe.“

Abu Hassan lachte bei diesen Worten Mesrurs so mächtig
auf, das er rücklings auf das Kopfkissen zurücksank, zum großen Vergnügen
des Kalifen, welcher selber lachen würde, wenn er nicht gefürchtet hätte, der
lustigen Szene, die er hier eingeleitet hatte, dadurch gleich anfangs ein Ende
zu machen.

Nachdem Abu Hassan in dieser Lage lange Zeit so fort
gelacht hatte, setzte er sich wieder auf, und wandte sich an einen kleinen
schwarzen Verschnittenen mit der Frage: „Höre einmal, sage du mir, wer bin
ich?“ – „Herr,“ antwortete der kleine Verschnittene mit einer
ehrerbietigen Miene, „Eure Majestät ist Beherrscher der Gläubigen und
irdischer Stellvertreter des Herrn beider Welten.“ – „Du bist ein
kleiner Lügner, du schwarzes Pechgesicht!“, antwortete ihm Abu Hassan.

Abu Hassan rief hierauf eine von den Frauen, die ihm
gerade näher stand als die anderen, hielt ihr die Hand hin und sagte:
„Tritt näher, meine Schöne, und beiße mich hier in die Fingerspitze,
damit ich fühle, ob ich schlafe oder wache.“

Das Mädchen, welche wusste, dass der Kalif alles sähe,
was im Zimmer vorging, freute sich, Gelegenheit zu haben, zu zeigen, was sie zu
tun im Stande wäre, wenn es ihm zur Belustigung gereichen könnte. Sie näherte
sich also Abu Hassan mit dem möglichsten Ernst, und klemmte seine ihr
dargereichte Fingerspitze so zwischen ihre Zähne, dass es ihm einigen Schmerz
verursachte.

Abu Hassan zog schnell seine Hand zurück und rief
sogleich: „Nein, ich schlafe nicht, ich schlafe gewiss nicht. Durch welches
Wunder bin ich denn aber in einer Nacht Kalif geworden? Das ist doch etwas
höchst merkwürdiges und erstaunliches!“ Hierauf wandte er sich wieder an
dieselbe Schöne und sagte zu ihr: „Verhehle mir die Wahrheit nicht. Ich
beschwöre dich beim Schutz Gottes, auf den du so gut vertraust, wie ich. Ist es
wirklich wahr, dass ich Beherrscher der Gläubigen bin?“ – „Es ist so
gewiss wahr,“ erwiderte diese, „dass wir uns alle wundern müssen,
dass ihr uns das Gegenteil glauben machen wollt.“ – „Du bist eine
Lügnerin,“ antwortete Abu Hassan. „Ich weiß recht gut, wer ich
bin.“


1)
Es ist hier die so genannte Derwisch-Flöte gemeint, die einen weit sanfteren Ton
hat, als die Querflöte.