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295. Nacht

Der Kalif ging in Begleitung des Sklaven, welcher den Abu
Hassan trug, aus dem Haus, jedoch ohne, wie Abu Hassan ihn gebeten, die Tür zu
schließen. Er tat dies absichtlich. Sobald er an seinem Palast angelangt war,
trat er durch eine geheime Tür hinein, und der Sklave musste ihn bis in sein
Zimmer begleiten, wo seine Diener ihn erwarteten. „Kleidet diesen Menschen
aus,“ sagte er zu ihnen, „und legt ihn in mein Bett. Das übrige werde
ich euch dann schon sagen.“

Die Diener kleideten Abu Hassan aus, legten ihm das
Nachtgewand des Kalifen an, und brachten ihn seinem Befehl gemäß zu Bett. Im
Palast war noch niemand schlafen gegangen. Der Kalif ließ nun alle seine
übrigen Diener und alle seine Frauen kommen. Als sie vor ihm erschienen, sagte
er zu ihnen: „Ich will, dass alle die, welche mir des Morgens früh bei
meinem Aufstehen die Aufwartung zu machen pflegen, sich morgen früh zu diesem
Mann, der hier im meinem Bett liegt, hinbegeben, und dass ein jeder ihm bei
seinem Erwachen dieselbe Aufmerksamkeit erweise, die man mir gewöhnlich zu
erweisen pflegt. Ferner will ich, dass man ihm ganz dieselbe Achtung erweise,
wie meiner eigenen Person, und ihm in allem gehorche, was er irgend befehlen
mag. Man soll ihm nichts verweigern, was er irgend verlangen, noch in irgend
etwas ihm widersprechen, was er nur sagen oder wünschen mag. Bei allen
Gelegenheiten, wo zu ihm geredet oder ihm geantwortet werden soll, wird man
nicht unterlassen, ihn durchaus als Beherrscher der Gläubigen zu behandeln. Mit
einem Wort, ich verlange, dass ihr die ganze Zeit über, wo ihr um ihn seid, so
wenig an meine Person denkt, als ob er das wäre, was ich bin, nämlich Kalif
und Beherrscher der Gläubigen. Vor allen Dingen aber nehmt euch in Acht, dass
ihr euch nicht irgend einmal vergesst.“

Die Diener und Frauen, welche sogleich merkten, dass sich
der Kalif einen Scherz machen wollte, antworteten bloß durch eine tiefe
Verbeugung, und jeder bereitete sich von nun an vor, seine Rolle gut zu spielen.

Der Kalif hatte bei seiner Rückkehr in den Palast durch
den ersten Diener, der ihm begegnete, den Großwesir Giafar rufen lassen, und
dieser kam jetzt eben „Giafar,“ sagte der Kalif zu ihm, „ich habe
dich kommen lassen, um dir zu sagen, dass du dich wundern darfst, wenn du morgen
früh beim Eintritt in mein Empfangszimmer diesen Mann, der da im Bett liegt, in
meinem Staatskleid auf dem Thron sitzen sehen wirst. Rede ihn mit derselben
Achtung und Ehrerbietung an, die du mir gewöhnlich zu erweisen pflegst, und
behandelst ihn ganz als den Beherrscher der Gläubigen. Alles, wo er dir
befehlen wird, höre du so an und vollziehe es so pünktlich, als ob ich es dir
befohlen hätte. Auch wenn er bedeutende Geschenke machen und dir die Austeilung
derselben übertragen sollte, so tust du alles, was er dir in diesem Punkt
befehlen wird, und wenn auch alle meine baren Geldvorräte dadurch erschöpft
werden sollten. Ferner vergiss nicht, meinen Emiren, Türstehern und allen
denjenigen meiner Diener, die nicht zum inneren Dienste des Palastes gehören,
einen Wink zu geben, dass sie ihm morgen bei dem öffentlichen Zutritt dieselbe
Ehre erweisen, wie mir selber, und zwar so ganz im Ernst, dass er auch nicht das
mindeste merkt, was den lustigen Scherz, den ich mir machen will, stören
könnte. Jetzt geh und entferne dich, ich habe dir nichts weiter aufzutragen.
Verschaffe mir das Vergnügen, das ich wünsche.“

Nachdem sich der Großwesir entfernt hatte, ging der Kalif
in ein anderes Zimmer, und gab, während er sich zu Bett legte, Mesrur, dem
Oberhaupt der Verschnittenen, ebenfalls die nötigen Befehle, damit alles so vonstatten
gehen möchte, als er es beabsichtigte, um Abu Hassans Wunsch zu erfüllen, und
zu sehen, wie er in der kurzen Frist, die er sich gewünscht hatte, die Gewalt
und das Ansehen eines Kalifen gebrauchen würde. Vor allen Dingen schärfte er
ihm ein, ihn zur gewohnten Stunde zu wecken, und zwar früher als den Abu
Hassan, weil er hierbei durchaus zugegen sein wollte.

Mesrur unterließ nicht, den Kalifen zur bestimmen Stunde
zu wecken. Der Kalif ging sofort in das Zimmer, worin Abu Hassan schlief, und
trat da in ein kleines erhöhtes Seitenkabinett, von wo er durch eine
Vergitterung alles sehen konnte, was vorging, ohne selber bemerkt zu werden. In
derselben Zeit traten auch alle die Diener und Frauen herein, die beim Aufstehen
Abu Hassans zugegen sein sollten, und stellten sich der Reihe nach, im tiefsten
Schweigen, jeder an seinen bestimmten Ort, ganz so, als ob der Kalif selber
aufstehen würde, und jeder schickte sich zu der ihm zugeteilten Verrichtung an.

Da der Tag bereits anzubrechen begann und es Zeit war,
aufzustehen und das vor Sonnenaufgang übliche Gebet zu verrichten, hielt
derjenige Diener, welcher dem Kopfende des Bettes am nächsten stand, einen in
Weinessig getauchten Schwamm an Abu Hassans Nase. Dieser drehte sogleich, ohne
die Augen zu öffnen, den Kopf, nieste, und warf etwas wie Schleim aus, das man
sogleich in einem goldenen Becken auffing, damit es nicht auf den Fußteppich
fallen und diesen verunreinigen möchte. Es ist dies die gewöhnliche Wirkung
dieses Pulvers, welches der Kalif ihm eingegeben, sobald nach Maßgabe der Dosis
die einschläfernde Wirkung desselben zu Ende geht.

Abu Hassan lehnte das Haupt auf das Kopfkissen zurück,
schlug die Augen auf, und sah sich, insoweit die anbrechende Morgendämmerung es
gestattete, mitten in einem großen, prächtigen, reich ausgeschmückten Zimmer,
dessen Decke mit allerlei Figuren in erhobener Arbeit bedeckt und im arabischen
Stil gemalt, und das überdies mit großen Vasen von gediegenem Gold, und mit
golddurchwirkten seidenen Vorhängen und Fußteppichen verziert war. Er fand
sich in einem Kreis junger, reizender Schönen, die zum Teil allerlei
Musikinstrument ein den Händen hielten, und schwarzer Verschnittenen, die sehr
reich gekleidet waren und in einer äußerst demütigen Stellung da standen. Als
er seine Augen auf die Bettdecke warf, sah er, das sie von Goldbrokat mit rotem
Grund und mit Perlen und Diamanten besetzt war. Neben dem Bett gewahrte er ein
Kleid von demselben Stoff und Ausschmückung, und daneben auf einem Kissen eine
Kalifenmütze.