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293. Nacht

Da der Kalif, ungeachtet seiner Verkleidung, ein sehr
ernstes und ehrwürdiges Aussehen hatte, so stand Abu Hassan, der ihn für einen
Kaufmann von Mussul hielt, von seinem Platz auf, begrüßte ihn freundlich,
küsste ihm die Hand, und sagte dann zu ihm: „Herr, ich wünsche euch zu
eurer glücklichen Ankunft Glück, und bitte euch, mir die Ehre zu erzeigen, bei
mir zu Abend zu speisen und diese Nacht in meinem Hause zuzubringen, um euch von
den Beschwerden der Reise etwas zu erholen.“ Und um ihn noch mehr dazu zu
bewegen, dass er ihm diese Gefälligkeit nicht abschlagen möchte, erzählte er
ihm mit wenigen Worten, wie er es sich zur Gewohnheit gemacht habe, jeden Tag
den ersten Fremden, der sich ihm zeigen würde, auf eine Nacht bei sich
aufzunehmen und zu bewirten.

Der Kalif fand in dem seltsamen Geschmack Abu Hassans so
viel Sonderbares, dass er neugierig wurde, ihn näher kennen zu lernen. Ohne
indessen aus der angenommen Rolle eines Kaufmanns herauszutreten, sagte er ihm,
er glaubte einer so großen Artigkeit, die er bei seiner Ankunft in Bagdad gar
nicht erwartet hätte, nicht besser entsprechen zu können, als wenn er dies
höfliche Anerbieten annähme, und er möchte ihm daher nur den Weg zeigen, er
würde ihm dann sogleich folgen.

Abu Hassan, der nicht wusste, dass der Gast, welchen der
Zufall ihm zugeführt hatte, so unendlich hoch über ihm stände, behandelte den
Kalifen ganz wie seinesgleichen. Er führte ihn in sein Haus, und ließ ihn in
ein sehr reinlich ausgeschmücktes Zimmer treten, wo er ihn auf dem Sofa obenan
Platz nehmen ließ. Das Abendessen war schon bereit, und der Tisch gedeckt. Abu
Hassans Mutter, die sich auf die Küche sehr gut verstand, hatte drei Schüsseln
aufgesetzt: Mitten nämlich eine mit einem guten Kapaun, umgeben von vier
gemästeten Hühnchen, dann links und rechts noch zwei Schüsseln, die als
Vorspeisen dienen sollten: Nämlich eine mit einer fetten Gans, und dann noch
eine mit jungen Tauben in einer Gewürzbrühe. Weiter gab es diesmal nichts,
aber das Fleisch war sehr gut und von einem köstlichen Geschmack.

Abu Hassan setze sich bei Tisch seinem Gast gegenüber,
und er und der Kalif fingen an, sich es schmecken zu lassen, indem jeder nach
seinem Belieben zulangte, ohne ein Wort zu reden und selbst ohne zu trinken,
nach der Sitte des Landes. Als sie fertig gegessen hatten, reichte ihnen der
Sklave des Kalifen Wasser zum Waschen, und unterdessen räumte Abu Hassans
Mutter ab, und setzte den Nachtisch auf, der aus verschiedenen Arten von
Früchten, wie sie die Jahreszeit gerade mit sich brachte, bestand: Nämlich aus
Weintrauben, Pfirsichen, äpfeln, Birnen, und mehreren Arten gebackenem
Mandelteig. Bei Anbruch der Nacht wurden Wachslichter angezündet, worauf Abu
Hassan einige Flaschen Wein nebst Schalen neben sich setzen ließ, und seiner
Mutter einen Wink gab, dass sie dem Sklaven des Kalifen zu essen geben möchte.

Als der angebliche Kaufmann aus Mussul, nämlich der
Kalif, und Abu Hassan sich wieder zu Tisch gesetzt hatten, nahm Abu Hassan, ehe
er noch das Obst berührt hatte, eine Schale, schenkte sich zuerst darin ein,
und sagte dann, die Schale in der Hand haltend, zum Kalifen, der seiner Meinung
nach ein bloßer Kaufmann aus Mussul war: „Herr, ihr wisst so gut wie ich,
dass die Henne nie trinkt, ohne ihre Hühnchen zu rufen, um mit ihr zu trinken.
Ich lade euch daher ebenfalls ein, meinem Beispiel zu folgen. Ich weiß zwar
nicht, wie ihr hierüber denkt. Allein, was mich betrifft, so dünkt mich, dass
ein Mann, der den Wein hasst und den Weisen spielen will, es gewiss nicht ist.
Wir wollen diese Art von Leuten mit ihrer finsteren und verdrießlichen Laune
sich selber überlassen, und lieber die Freude aufsuchen. Sie ist in der Schale
allein zu finden, und die Schale teilt sie allen denen mit, die sie
austrinken.“

Während Abu Hassan trank, sagte der Kalif, indem er die
Schale ergriff, die für ihn dastand: „Das gefällt mir, und das nenne ich
mir einen wackeren Mann. Ich schätze diese heitere Laune an euch, und erwarte
bei dieser Fröhlichkeit, das ihr mir ebenfalls einschenkt.“

Abu Hassan hatte kaum getrunken, als er auch schon die
Schale, die ihm der Kalif hinreichte, vollschenkte, und zu ihm sagte:
„Herr, kostet nur, ihr werdet ihn recht gut finden.“

„Davon bin ich überzeugt,“ erwiderte der Kalif
mit lächelnder Miene. „Ein Mann, wie ihr, kann bei der Auswahl solcher
Sachen keinen andern als den besten Geschmack haben.“

Während der Kalif trank, äußerte Abu Hassan: „Man
darf euch nur ansehen, um gleich beim ersten Blick zu wissen, dass ihr ein Mann
seid, der die Welt gesehen hat, und der zu leben weiß.“

„Wenn mein Haus,“ fügte er in arabischen Versen
hinzu, „Empfindungen hätte, und die Freude über das Glück, euch zu
besitzen, fühlen könnte, so würde es solche laut an den Tag legen, und vor
euch niederfallend ausrufen: „Ach, welche Luft, welches Glück, dass mich
ein so edler und gefälliger Mann mit seiner Gegenwart beehrt, und es nicht
verschmäht, bei mir Nachtherberge zu nehmen!“

Mit einem Wort, Herr, ich bin seelenvergnügt, dass ich
heute einen Mann von eurem Wert getroffen habe.“

Die sinnreichen Einfälle Abu Hassans machten dem Kalifen
viel Vergnügen, der von Natur sehr heiter gestimmt war, und der sich ein
Vergnügen daraus machte, seinen Wirt dadurch, dass er ihm häufig seine Schale
zum Einschenken überreichte, zum Trinken aufzufordern, um ihn bei der
Fröhlichkeit der Unterhaltung, die der Wein immer mehr weckte, noch besser
kennen zu lernen. Um ein Gespräch einzuleiten, fragte er ihn, wie er hieße,
womit er sich beschäftigte, und auf welche Weise er sein Leben hinbrächte?
„Herr,“ erwiderte jener, „mein Name ist Abu Hassan. Ich habe
durch den Tod meinen Vater verloren, welcher Kaufmann war, wenn auch nicht
gerade einer von den reichsten, doch wenigstens einer von denen, die in Bagdad
am bequemsten leben. Als er starb, hinterließ er mir eine Erbschaft, die mehr
als hinlänglich war, um ohne Ehrgeiz meinem Stande gemäß leben zu können. Da
sein Betragen gegen mich immer sehr streng gewesen war, und ich daher den
größten Teil meiner Jugend unter einem drückenden Zwang verlebt hatte, so
wollte ich die schöne Zeit, die ich verloren zu haben glaubte, wieder
einzubringen suchen. Indessen,“ fuhr Abu Hassan fort, „benahm ich mich
in diesem Punkt etwas anders, als sonst gewöhnlich junge Leute zu tun pflegen.
Diese überlassen sich nämlich ohne Maß den Ausschweifungen, und zwar so weit,
bis sie zur tiefsten Armut herabgekommen, und ihr ganzes übriges Leben Buße zu
tun notgedrungen sind. Um nun nicht in dasselbe Elend zu geraten, teilte ich
mein ganzes Vermögen in zwei Hälften. Die eine legte ich auf Zinsen, die
andere behielt ich in barem Geld. Das bare Geld bestimmte ich zu den Ausgaben,
die ich vor hatte, und fasste zugleich den festen Entschluss, meine anderen
Einkünfte nie anzugreifen. Ich bildete mir einen Gesellschaftskreis von Leuten
meiner Bekanntschaft und meines Alters, und für das bare Geld, das ich mit
vollen Händen ausgab, bewirtete ich sie täglich sehr glänzend und dergestalt,
dass uns zu unserer Belustigung nichts fehlte. Aber dies dauerte nicht lange so
fort. Am Ende des Jahres fand ich nichts mehr in meinem Geldkasten, und zu
gleicher Zeit verschwanden auch alle meine Tischfreunde. Ich besuchte sie, einen
nach dem andern. Ich stellte ihnen meine traurige Lage vor: Aber keiner bot mir
irgend eine Unterstützung an. Ich leistete also auf ihre Freundschaft Verzicht,
beschränkte von nun an meine Ausgaben bloß auf meine Einkünfte, und nahm mir
vor, niemand weiter zur Gesellschaft zu haben, als den ersten Fremden, der mir
jeden Tag bei seiner Ankunft in Bagdad aufstoßen würde. Doch mit der
Bedingung, dass ich ihn bloß diesen Tag bei mir bewirten wollte. Das übrige
wisst ihr, und ich danke meinem guten Glück, dass es mir heute einen Fremdling
von eurem Wert zugeführt hat.

Der Kalif war mit der erhaltenen Aufklärung sehr
zufrieden, und sagte zu Abu Hassan: „Ich kann euch wegen des Entschlusses,
den ihr gefasst habt, nicht genug loben, dass ihr nämlich, als ihr das
ausschweifende Leben anfingt, mit so viel Klugheit handeltet und euch auf eine
Weise benahmt, die der Jugend sonst nicht eigen ist. Ferner achte ich euch, dass
ihr selbst auf dem Punkt, auf welchem ihr standet, euch noch treu geblieben
seid. Die Bahn war wenigstens sehr schlüpfrig, und ich kann mich nicht genug
wundern, dass ihr, als ihr euer bares Geld zu Ende gehen saht, euch noch so weit
mäßigen konntet, um nicht auch eure Einkünfte und selbst euer Kapital zu
vergeuden. Um euch offen meine Meinung zu sagen, ich glaube, ihr seid der
einzige Schwelger, dem dergleichen begegnet ist und überhaupt jemals begegnen
kann. Mit einem Wort, ich gestehe es, ich beneide euch um eurer Glück. Ihr seid
der glücklichste Sterbliche, den es auf Erden gibt, da ihr jeden Tag die
Gesellschaft eines Mannes habt, mit dem ihr euch angenehm unterhalten könnt,
und dem ihr Anlass gebt, überall die gute Aufnahme zu rühmen, die ihr ihm
erzeigt. Aber wir bemerken beide nicht, dass wir schon zu lange miteinander
gesprochen haben, ohne zu trinken. Trinkt also, und schenkt mir dann auch
ein.“

Der Kalif und Abu Hassan tranken noch lange fort, indem
sie sich auf das Angenehmste unterhielten.

Unterdessen war die Nacht schon weit vorgerückt, und der
Kalif, der sich von den Beschwerden der zurückgelegten Reise sehr ermüdet
stellte, sagte zu Abu Hassan, dass er der Ruhe bedürfte. „Ich
meinerseits,“ fuhr er fort, „will zugleich nicht, dass ihr euch aus
Liebe zu mir irgend der eurigen beraubt. Ehe wir uns nun trennen, denn ich werde
morgen früh, wenn ihr aufsteht, vielleicht schon fort sein, ist es mir sehr
angenehm, euch an den Tag legen zu können, wie sehr ich für eure Höflichkeit,
gute Bewirtung und Gastfreundlichkeit, die ihr auf eine so zuvorkommende Weise
mir erzeigt habt, mich euch verpflichtet fühle. Das einzige, was mich
bekümmert, ist dass ich nicht weiß, wie ich euch meine Dankbarkeit betätigen
kann. Ich bitte euch, mich dies wissen zu lassen, und ihr werdet sehen, dass ich
kein undankbarer bin. Es ist unmöglich, dass ein Mann, wie ihr, nicht irgend
ein Geschäft, irgend ein Bedürfnis haben, oder nicht wenigstens sich etwas
wünschen sollte, das ihm Vergnügen machen würde. öffnet mir euer Herz und
sprecht offen mit mir. Wenn ich gleich nur ein Kaufmann bin, so bin ich deshalb
doch nicht außer Stande, entweder persönlich oder durch Vermittlung meiner
Freunde, jemand Gefälligkeiten zu erzeigen.“