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289. Nacht

Die sarazenische Fürstin nahm das Erbieten an, und am
folgenden Morgen begleitete sie den König, meinen Vater, der am Ausgang des
Gehölzes alle seine Leute traf, welche ihn die ganze Nacht gesucht hatten und
sehr um ihn in Sorgen waren. Sie waren ebenso erfreut, ihn wieder zu finden, als
verwundert, ihn in Begleitung einer Frau zu sehen, deren Schönheit sie in
Erstaunen setzte. Er erzählte ihnen, wie er sie gefunden und welche Gefahr er
gelaufen hätte, als er sich der Höhle genähert, wo er ohne Zweifel das Leben
verloren, wenn der Riese ihn erblickt hätte.

Einer der Offiziere nahm die Fürstin hinter sich auf sein
Ross, und ein anderer trug das Kind.

In diesem Aufzug erreichten sie den Palast des Königs,
meines Vaters, und ihr Kind mit vieler Sorgfalt erziehen ließ. Die Fürstin war
nicht unempfindlich für die Güte des Königs: Sie bewies sich ihm so
erkenntlich, wie er nur wünschen mochte. Anfangs schien sie ziemlich unruhig
und ungeduldig darüber, dass ihr Gemahl sie nicht heimholte, aber nach und nach
verlor sich ihre Unruhe: Die Aufmerksamkeit, welche mein Vater für sie hatte,
beschwichtigte ihre Ungeduld. Kurz, ich glaube, dass sie es dem Schicksal
weniger Dank gewusst, wenn es sie wieder den ihrigen zugeführt hätte, als dass
es sie von denselben entfernt hatte.

Unterdessen wuchs ihr Sohn auf: Er war sehr wohl gebildet.
Da es ihm nicht an Verstand fehlte, so ward es ihm leicht, meinem Vater zu
gefallen, der große Zuneigung zu ihm fasste. Alle Hofleute bemerkten dies, und
meinten, das dieser Jüngling mich wohl heiraten könnte. In solcher
Voraussetzung betrachteten sie ihn schon als Thronerben, machten ihm den Hof,
und beeiferten sich sämtlich, sein Vertrauen zu gewinnen. Er durchschaute den
Beweggrund ihrer Anhänglichkeit, freute sich darüber, und den Abstand zwischen
uns vergessend, schmeichelte er sich der Hoffnung, dass mein Vater ihn so sehr
liebte, um ihn bei dieser Verbindung allen Prinzen der Welt vorzuziehen. Er tat
noch mehr: Da für seine Wünsche der König zu lange säumte, ihm meine Hand
anzubieten, so hatte er die Kühnheit, ihn selber darum zu bitten. Welche Strafe
seine Dreistigkeit auch verdient hätte, doch begnügte mein Vater sich damit,
ihm zu antworten, dass er andere Absichten mit mir hätte, und sah ihn darum
nicht scheel an. Den jungen Mann aber erbitterte diese abschlägige Antwort. In
seinem Hochmut fand er sich über diese Verschmähung seiner Bewerbung so
beleidigt, als wenn er um ein Mädchen aus dem gemeinen Volk geworben hätte,
oder als wenn er von gleicher Geburt mit mir gewesen wäre. Er bleib dabei nicht
stehen: Er beschloss sich an dem König zu rächen. Mit einer Undankbarkeit, von
welcher es wenig Beispiele gibt, stiftete er eine Verschwörung gegen ihn,
erdolchte ihn, und ließ sich zum König von Deryabar ausrufen, unterstützt
durch eine große Anzahl von Missvergnügen, deren Unzufriedenheit er zu
benutzen wusste.

Nachdem er meinem Vater aus dem Weg geräumt hatte, war
seine erste Sorge, selber an der Spitze eines Teils der Verschwornen in mein
Zimmer zu dringen. Seine Absicht war, mir das Leben zu nehmen, oder mich mit
Gewalt zu zwingen, ihn zu heiraten. Aber ich hatte gerade noch Zeit, ihm zu
entrinnen: Während er damit beschäftigt war, meinen Vater zu ermorden, kam der
Großwesir, der seinem Herrn stets treu geblieben war, entführte mich aus dem
Palast, und brachte mich in dem Haus eines seiner Freude in Sicherheit, wo er
mich verborgen hielt, bis ein heimlich durch seine Vorsorge ausgerüstetes
Schiff im Stande war, unter Segel zu gehen. Alsdann verließ ich die Insel,
allein in Begleitung einer Hofmeisterin und dieses edelmütigen Ministers, der
es vorzog, der Tochter seines Herrn zu folgen, und ihr Unglück zu teilen, als
dem Thronräuber zu gehorchen.

Der Großwesir hatte die Absicht, mich an die Höfe der
benachbarten Könige zu führen, um ihren Beistand anzufehlen, und sie zur Rache
meines Vaters zu bewegen. Aber der Himmel begünstigte nicht einen uns so
vernünftig erscheinen Vorsatz. Nachdem wir einige Tage fortgeschifft waren,
erhub sich ein so wütender Sturm, dass, ungeachtet der Geschicklichkeit unserer
Matrosen, unser Schiff durch die Gewalt der Winde und der Wogen an einen Felsen
geschleudert wurde uns scheiterte. Ich halte mich nicht bei einer Beschreibung
unsers Schiffbruchs auf. Ich könnte euch schlecht schildern, auf welche Weise
meine Hofmeisterin, der Großwesir und meine ganze Begleitung in den Abgrund des
Meeres verschlungen wurden. Der Schreck, der mich ergriffen hatte, erlaubte mir
nicht, unser ganzes grauenvolles Schicksal zu erkennen. Ich verlor das
Bewusstsein. Sei es nun, dass einige Trümmer des Schiffes mich ans Ufer trugen,
oder dass der Himmel, der mich noch zu anderen Unglücksfällen aufsparte, mich
durch ein Wunder rettete, genug, als ich wieder zur Besinnung kam, befand ich
mich am Gestade.

Oft macht das Unglück uns ungerecht. Anstatt Gott für
die besondere Gnade zu danken, welche mir zu Teil wurde, erhob ich die Augen nur
gen Himmel, um ihm Vorwürfe über meine Rettung zu machen. Weit entfernt, den
Wesir und meine Hofmeisterin zu beweinen, beneidete ich vielmehr ihr Schicksal.
Nach und nach wurde meine Vernunft von den furchtbaren Vorstellungen, welche
mich beunruhigten, so verwirrt, dass ich den Entschluss fasste, mich ins Meer zu
stürzen.

Ich war schon im Begriff, hinein zu springen, als ich
hinter mir ein lautes Getöse von Menschen und Pferden hörte. Ich drehte mich
sogleich um, um zu sehen, was es wäre, und erblickte mehrere bewaffnete Reiter,
unter welchen einer ein arabisches Pferd ritt. Dieser trug einen
Silber gestickten Rock, mit einem Edelsteingürtel, und hatte eine Krone auf dem
Haupt. Hätte ich auch nicht an seiner Kleidung ihn für den Herrn der übrigen
erkannt, so würde ich es aus dem edlen Wesen geschlossen haben, welches über
seine ganze Person verbreitete war. Es war ein vollkommen wohl gebildeter Mann,
schöner wie der Tag. Verwundert, an diesem Ort ein Fräulein so allein zu
sehen, sandte er einige Offiziere ab, mich zu fragen, wer ich wäre. Ich
antwortete ihnen nur durch Tränen. Da das Ufer mit den Trümmern unsers
Schiffes bedeckt war, so erkannten sie wohl, dass eben ein Schiff an der Küste
gescheitert wäre und ich mich ohne Zweifle aus dem Schiffbruch gerettet hätte.
Diese Vermutung und der lebhafte Schmerz, den sie an mir sahen, erregte die
Neugier der Offiziere, welche mir nun tausend Fragen stellten, und mir dabei
versicherten, ihr König wäre ein großmütiger Fürst, und an seinem Hof
würde ich Trost finden.

Ihr König war ungeduldig, zu vernehmen, wer ich wäre,
und die Rückkunft seiner Offiziere währte ihm zu lange: Er näherte sich mir,
und betrachtete mich mit vieler Aufmerksamkeit. Da ich nicht aufhörte zu weinen
und zu jammern, ohne denen antworten zu können, die mich befragten, so verbot
er ihnen, mich länger mit ihren Fragen zu belästigen. Hierauf wandte er selber
sich zu mir mit den Worten:

„Mein Fräulein, ich beschwöre euch, eure
überschwängliche Betrübnis zu mäßigen. Wenn der Himmel, in seinem Zorn,
euch seine Härte empfinden lässt, dürft ihr euch deshalb nur der Verzweiflung
hingeben? Ja, ich wage es, euch zu versichern, dass, wenn euer Unglück
vergütet werden kann, dies in meinem Reich geschehen soll. Ich biete euch
meinen Palast an: Ihr könnt darin bei der Königin, meiner Mutter, wohnen,
welche sich bemühen wird, durch eine freundliche Behandlung eure Leiden zu
lindern. ich weiß noch nicht, wer ihr seid, aber ich fühle schon, dass ich
herzlichen Teil an euch nehme.“

Ich dankte dem jungen König für seine Gütigkeit. Ich
nahm sein freundliches Erbieten an, und um ihm zu zeigen, dass ich desselben
nicht unwürdig wäre, entdeckte ich ihm meine Herkunft. Ich schilderte ihm die
Frechheit des jungen Sarazenen, und ich durfte ihm nur ganz einfach meine
Unglücksfälle erzählen, um sein und all seiner Offiziere Mitleid zu erregen.

Als ich meine Erzählung geendigt hatte, nahm der Prinz
wieder das Wort, und versicherte mich von neuem, dass er großen Teil an meinem
Unglück nähme.

Er führte mich hierauf in seinen Palast, wo er mich der
Königin, seiner Mutter, vorstellte. Dort musste ich die Erzählung meiner
Abenteuer wiederholen, was nicht ohne neue Tränen geschah. Die Königin
bezeigte auch große Zärtlichkeit. Der König, ihr Sohn, ward sogleich
sterblich verliebt in mich, und bot mir bald seine Hand und Krone dar. Ich war
noch zu sehr mit meinem Unglück beschäftigt, so dass der junge Fürst, so
liebenswürdig er war, auf mich nicht den ganzen Eindruck machte, welchen er zu
einer anderen Zeit gemacht haben würde. Indessen, von Dankbarkeit durchdrungen,
versagte ich es nicht, sein Glück zu machen. Unsere Hochzeit wurde mit aller
ersinnlichen Pracht vollzogen.

Während alle Welt mit den Vermählungsfeierlichkeiten des
Königs beschäftigt war, überfiel in einer Nacht ein benachbarter feindlicher
Fürst die Insel mit einem ansehnlichen Kriegsheere. Dieser furchtbare Feind war
der König von Sangebar. Er fiel über alles her, und hieb alle Untertanen
meines Gemahls in Stücken.

Es fehlte nicht viel, so hätte er selbst uns beide
gefangen, denn er war schon mit einem Teil seiner Leute in den Palast gedrungen.
Aber wir fanden noch Mittel und Wege, uns zu retten und das Ufer des Meeres zu
gewinnen, wo wir uns in eine Fischerbarke warfen, welche wir glücklicherweise
dort antrafen.

Wir schwammen, ein Spiel der Winde und Wogen, zwei Tage
lang dahin, ohne zu wissen, was aus uns werden sollte. Am dritten erblickten wir
ein Schiff, welches mit vollen Segeln auf uns zusteuerte. Wir freuten uns
anfangs darüber, weil wir es für einen Kauffahrer hielten, welcher uns
aufnehmen könnte. Aber ich kann euch unsere Bestürzung nicht ausdrücken, als
das Schiff herankam und auf dem Verdeck zehn bis zwölf bewaffnete Seeräuber
erschienen. Sie kamen, uns aufzunehmen. Fünf oder sechs warfen sich in ein
Boot, bemächtigen sich unser beider, banden den Fürsten, meinem Gemahl, und
brachten uns in ihr Schiff, wo sie mir erst den Schleier abnahmen.

Meine Jugend und meine Züge verblendeten sie: Alle diese
Seeräuber erklärten mir, das sie bezaubert von meinem Anblick sind. Anstatt zu
losen, will jeder den Vorzug und mich zur Beute haben. Sie erhitzen sich, werden
handgemein, und schlagen wie Rasende aufeinander los. In einem Augenblick ist
das Verdeck mit Leichen bedeckt. Kurz, sie erschlagen einander alle, bis auf
einen, der sich nun im Besitz meiner Person sah, und zu mir sprach:

„Du gehörst mir: Ich werde dich nach Kairo führen,
um dich einem meiner Freunde zu überliefern, dem ich eine schöne Sklavin versprochen
habe. – Aber,“ fügte er hinzu, indem er den König, meinem Gemahl
anblickte, „wer ist dieser Mann da? Welche Bande verknüpfen ihn mit dir?
Sind es Bande des Blutes oder der Liebe?“ – „Herr,“ antwortete
ich, „es ist mein Gemahl.“ – „Wenn das ist,“ fuhr der
Seeräuber fort, „so muss ich aus Erbarmen mich seiner entledigen: Er
würde zu viel leiden, wenn er euch in den Armen meines Freundes sähe.“
Mit diesen Worten ergriff er den unglücklichen gefesselten Fürsten, und
stürzte ihn ins Meer, trotz allen Anstrengungen, die ich machen konnte, ihn
daran zu verhindern.

Ich stieß bei dieser grausamen Tat ein Geschrei des
Entsetzens aus, und ich hätte mich ohne Zweifel in die Fluten gestürzt, wenn
der Seeräuber mich nicht zurückgehalten hätte. Er sah wohl, dass dieses mein
einziger Wunsch war, deshalb band er mich mit Stricken an den großen Mastbaum.

Sodann spannte er die Segel auf, und segelte ans Land, wo
er aussteigen wolle. Er band mich los, führte mich in eine kleine Stadt, wo er
Kamele, Zelte und Sklaven kaufte, und nahm dann seinen Weg nach Kairo, in der
Absicht, wie er immer wiederholte, mich seinem Freunde zu bringen und so sein
Wort zu lösen.

Wir waren schon mehrere Tage unterwegs, als wir gestern
durch diese Ebene zogen und den Schwarzen erblickten, der dieses Schloss
bewohnte. Wir hielten ihn von Ferne für einen Turm; und noch als er uns nahe
kam, konnten wir kaum glauben, dass es ein Mensch wäre. Er zog sein breites
Schlachtschwert, und forderte den Seeräuber auf, sich zu ergeben, samt allen
seinen Sklaven und dem Fräulein, die er mit sich führte. Der Seeräuber war
beherzt, und in Beistand aller seiner Sklaven, welche ihm Treue gelobten, griff
er den Schwarzen an. Der Kampf dauerte lange, aber endlich fiel der Seeräuber
unter den Streichen seines Feindes, und eben so wie alle seine Sklaven, die
lieber sterben, als ihn verlassen wollten.

Danach führte der Schwarze mich in dieses Schwarze mich
in dieses Schloss, wohin er auch den Leichnam des Seeräubers brachte, welchen
er zum Abendbrot verzehrt. am Ende dieser grässlichen Mahlzeit sprach er zu
mir:

„Fräulein, bequeme dich lieber, meine Begierde zu
stillen, anstatt dich so sehr zu betrüben. Weiche gutwillig der Notwendigkeit:
Ich gebe dir bis morgen Zeit es zu überlegen. Ich möchte dich ganz getröstet
über dein Unglück sehen. Du solltest dich freuen, für mein Bett aufgehoben zu
sein.“

Mit diesen Worten führte er mich in ein besonderes
Zimmer, und legte sich in dem seinen zu Bette, nachdem er selber alle Türen des
Schlosses verschlossen hatte.

Er öffnete dieselben auch diesen Morgen, und schloss sie
wieder hinter sich zu, um einigen Reisenden nachzusetzen, welche er von Ferne
bemerkte, aber sie müssen ihm entwischt sein, weil er allein und ohne Beute
zurückkam, als ihr ihn angegriffen habt.“