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285. Nacht

Aber Mobarek, der dem Gebet beigewohnt, und mit den andern
die Rede des Geistlichen gehört hatte, band fünfhundert Goldstücke in ein
Tuch, machte ein Päckchen aus mehreren Seidenstoffen, und ging damit zu Bubekir.

Der Imam fragte ihn mit barschem Ton, was er wollte.
„Oh weiser Lehrer,“ antwortete ihm Mobarek freundlich, indem er ihm
das Geld und das Seidenzeug in die Hand drückte, „ich bin euer Nachbar und
ergebener Diener: Ich komme von Seiten des Fürsten Alasnam, welcher in diesem
Viertel wohnt. Er hat von euren Verdiensten gehört, und mir aufgetragen, euch
zu sagen, dass er eure Bekanntschaft zu machen wünscht. Unterdessen bittet er
euch, dies kleine Geschenk anzunehmen.“

Bubekir war entzückt vor Freuden, und antwortete Mobarek:
„Ich ersuche euch, Herr, bittet den Fürsten recht sehr um Verzeihung für
mich. Ich bin ganz beschämt, ihn noch nicht besucht zu haben, aber ich will
meinen Fehler wieder gut machen, und gleich morgen hingehen und meine
Schuldigkeit tun.“

In der Tat, schon am folgenden Tag sprach er nach dem
Morgengebet zu dem Volk: „Wisst, meine Brüder, kein Mensch ist ohne
Feinde. Der Neid greift vor allen diejenigen an, die große Güter haben. Der
Fremde, von welchem ich gestern Abend euch sagte, ist kein Bösewicht, wie
etliche übel wollende Leute mir einbilden wollten. Es ist ein junger Fürst, der
tausend Tugenden besitzt. Hüten wir uns wohl, dem Kalifen irgend einen bösen
Bericht von ihm zu machen.“

Nachdem Bubekir durch diese Rede die üble Meinung von
Seyn wieder vertilgt, welche er am vorigen Abend den Leuten beigebracht hatte,
ging er wieder nach Hause. Er legte seine Feierkleider an, und ging hin, den
jungen Fürsten zu besuchen, welcher ihn sehr freundlich empfing. Nach mehreren
Höflichkeiten von beiden Seiten, sprach Bubekir zu dem Fürsten:

„Herr, gedenkt ihr lange in Bagdad zu
verweilen?“

„Ich werde hier bleiben,“ antwortete ihm Seyn,
„bis ich eine fünfzehnjährige, vollkommen schöne und so keusche Jungfrau
finde, dass sie nie einen Mann erkannt, noch gewünscht hat, einen zu
erkennen.“

„Da sucht ihr ein gar seltenes Ding,“ versetzte
der Imam, „und ich würde sehr fürchten, dass euer Suchen fruchtlos wäre,
wenn ich nicht wüsste, wo es eine Jungfrau dieser Art gibt. Ihr Vater war
ehemals Wesir, aber er hat den Hof verlassen und lebt seit langer Zeit in einem
abgelegenen Haus, wo er sich gänzlich der Erziehung seiner Tochter widmet. Wenn
ihr wollt, Herr, so will ich hingehen, und für euch um sie anhalten: Ich
zweifle nicht, dass er sich sehr freuen wird, einen Schwiegersohn von eurer
Geburt zu erhalten.“

„Nicht so rasch,“ versetzte der Fürst:
„Ich will diese Jungfrau nicht heiraten, bevor ich nicht weiß, ob sie mir
ansteht. In Betreff ihrer Schönheit kann ich mich wohl auf euch verlassen. Aber
in Rücksicht ihrer Tugend, welche Gewährleistung könnt ihr mir darüber
geben?“

„Ei nun, welche Gewährleistung verlangt ihr?“,
fragte Bubekir.

„Ich muss sie von Angesicht sehen,“ antwortete
Seyn: „Mehr begehre ich nicht, um mich zu bestimmen.“

„Ihr versteht euch also auf die Gesichtszüge?“,
versetzte lächelnd der Imam. „Nun gut: Kommt mit mir zu ihrem Vater. Ich
will ihn bitten, sie euch auf einen Augenblick in seiner Gegenwart sehen zu
lassen.“

Der Müessin führte den Fürsten zu dem Vater, und sobald
dieser von der Geburt und der Absicht Seyns unterrichtet war, seine Tochter
kommen ließ, und ihr gebot, den Schleier abzunehmen.

Niemals hatte sich eine so vollkommene und so anziehende
Schönheit den Augen des jungen Königs von Balsora dargeboten. Er war ganz
erstaunt darüber. Und sobald er nur die Probe anstellen konnte, ob diese
Jungfrau eben so keusch als schön wäre, zog er seinen Spiegel hervor: Und
siehe, das Glas blieb rein und hell.

Als er nun sah, dass er endlich eine Jungfrau gefunden
hatte, wie er sie wünschte, so hielt er bei dem Wesir um sie an. Sogleich wurde
nach dem Kadi geschickt: Er kam, und der Heiratsvertrag wurde gemacht, und das
Gebet dabei gesprochen1).

Nach dieser Feierlichkeit, führte Seyn den Wesir in sein
Haus, wo er ihn prächtig bewirtete, und ihm ansehnliche Geschenke machte.
Demnächst sandte er der Braut durch Mobarek eine Anzahl von Juwelen und dieser
führte sie ihm in sein Haus, wo die Hochzeit mit aller, dem Rang Seyns
angemessenen, Pracht gefeiert wurde.

Als alle Gäste heimgegangen waren, sprach Mobarek zu
seinem Herrn: „Auf, Herr! Lasst uns nicht länger in Bagdad verweilen,
sondern nach Kairo zurückkehren. Gedenkt des Versprechens, welches ihr dem
König der Geister getan habt.“

„Lasst uns reisen,“ antwortete der Fürst.
„Ich will es treulich erfüllen. Ich bekenne euch indessen, mein lieber
Mobarek, dass, wenn ich auch dem König der Geister gehorche, ich es jedoch nur
mit Zwang tue. Das Fräulein, welches ich eben geheiratet habe, ist bezaubernd,
und ich gerate in Versuchung, sie nach Balsora zu führen und auf den Thron zu
setzen.“

„Ach, Herr,“ entgegnete Mobarek, „hütet
euch wohl, eurem Gelüste zu folgen. Beherrscht eure Leidenschaft und was es
euch auch für überwindung kosten mag, haltet dem König der Geister euer
Wort.“

„Wohl an, Mobarek,“ sagte der Fürst,
„sorgt nur dafür, mir diese liebenswürdige Jungfrau zu verbergen, dass
sie nimmermehr meinen Augen begegne! Vielleicht habe ich sie nur schon zu viel
gesehen!“

Mobarek ließ nun die Anstalten zur Abreise machen. Sie
kehrten nach Kairo zurück, und nahmen von dort den Weg nach der Insel des
Königs der Geister.

Als sie dort anlangten, sprach die Braut, welche die Reise
in der Sänfte gemacht hatte, und den Prinzen seit dem Hochzeitstage nicht
wieder gesehen hatte, zu Mobarek: „Wo sind wir denn? Werden wir nicht bald
in das Reich des Königs, meines Gemahls, kommen?“

„Gnädige Frau,“ antwortete Mobarek, „es
ist Zeit, euch zu enttäuschen. Der König Seyn hat euch nur geheiratet, um euch
aus dem Hause eures Vaters zu bekommen. Nicht um euch zur Königin von Balsora
zu machen, hat er sich mit euch vermählt, sondern um euch dem König der
Geister zu überliefern, welcher eine solche Jungfrau, wie ihr seid, von ihm
gefordert hat.“

Auf diese Erklärung fing sie bitterlich an zu weinen, so
dass der Fürst und Mobarek sehr erweicht wurden. „Habt Mitleid mit
mir,“ sprach sie zu ihnen. „Ich bin eine Fremde: Ihr müsst die an mir
begangene Verräterei vor Gott verantworten.“

Ihre Tränen und ihre Klage waren fruchtlos. Man stellte
sie dem König der Geister vor, welcher, nachdem er sie mit Aufmerksamkeit
betrachtet hatte, zu Seyn sprach: „Fürst, ich bin zufrieden mit dir. Die
Jungfrau, welche du mir hergeführt hast, ist reizend und keusch, und deine
Selbstüberwindung, um mir Wort zu halten, ist mir angenehm. Kehre heim in dein
Reich. Wenn du in das unterirdische Gemach der acht Standbilder trittst, so
wirst du darin das neunte finden, welches ich dir versprochen habe: Ich werde es
durch meine Geister dorthin bringen lassen.“

Seyn dankte dem König der Geister, und reiste mit Mobarek
wieder nach Kairo. Aber er blieb nicht lange in dieser Stadt: Die Ungeduld nach
dem neunten Standbild beschleunigte seine Abreise. Indessen unterließ er nicht,
häufig an seine gewesene Braut zu denken. Er machte sich Vorwürfe über den
gegen sie verübten Betrug, und betrachtete sich als die einzige Ursache ihres
Unglücks. „Weh mir!“, sprach er bei sich selber, „ich habe sie
der Zärtlichkeit ihres Vaters entzogen, um sie einem Geist zu opfern. Oh,
unvergleichliche Schönheit, du verdientest ein besseres Schicksal!“

Erfüllt von diesem Gedanken, kam der König Seyn endlich
wieder in Balsora an, wo seine Untertanen, entzückt über seine Heimkehr,
große Freudenfeste anstellten. Er begab sich sogleich zur Königin Mutter, um
ihr von seiner Reise Bericht abzustatten. Diese freute sich sehr, zu vernehmen,
dass er das neunte Standbild erhalten hatte.

„Komm, mein Sohn,“ sprach sie, „lass es uns
sehen, denn ohne Zweifel ist es schon in dem unterirdischen Gemach, weil der
König der Geister dir verheißen hat, dass du es darin finden würdest.“

Der junge König und seine Mutter, beide voll Ungeduld,
dieses wunderbare Standbild zu schauen, stiegen in das unterirdische Gemach
hinab, und traten in das Zimmer der Standbilder. Aber wie groß war ihre
überraschung, als sie, anstatt eines diamantenen Standbildes, auf dem neunten
Fußgestell eine wunderschöne Jungfrau erblickten, welche der König sogleich
für diejenige erkannte, die er nach der Geisterinsel geführt hatte.

„Mein König,“ sprach zu ihm die Jungfrau,
„ihr seid sehr verwundert, mich hier zu sehen! Ihr erwartet, etwas viel
köstlicheres zu finden, als mich, und ich zweifle nicht, dass es in diesem
Augenblick euch gereut, euch so viel Mühe gegeben zu haben. Ihr verspracht euch
eine schönere Belohnung.“

„Nein, geliebte Frau,“ antwortete Seyn,
„der Himmel ist mein Zeuge, dass ich mehr als einmal daran dachte, dem
Geisterkönig mein Wort zu brechen, und euch für mich zu erhalten. Wie kostbar
auch ein diamantenes Standbild sei, kann es die Wonne aufwiegen, euch zu
besitzen? Ich liebe euch mehr, als alle Diamanten und alle Reichtümer der
Welt.“

Indem er diese Worte aussprach, hörte man einen
Donnerschlag, von welchem das unterirdische Gemach erbebte.

Die Mutter Seyns war darüber erschrocken, aber der König
der Geister, welcher plötzlich erschien, zerstreute ihre Furcht.
„Königin,“ sprach er zu ihr, „ich beschütze und liebe euren
Sohn. Ich wollte sehen, ob er in seinem Alter imstande wäre, seine Leidenschaft
zu bezähmen. Ich weiß wohl, dass die Reize dieser jungen Schönen ihn versucht
haben, und dass er sein mir gegebenes Versprechen, ihren Besitz nicht zu
wünschen, nicht genau gehalten hat, aber ich kenne zu gut die Gebrechlichkeit
der menschlichen Natur, um darüber zu zürnen, und ich bewundere seine
Zurückhaltung. Hier ist nun dieses neunte Standbild, welches ich ihm bestimmt
hatte: Es ist viel seltener und viel köstlicher, als alle die andern! – König
Seyn,“ fuhr er fort, indem er sich zu ihm wandte, „lebe glücklich mit
dieser jungen Frau, sie ist deine Gemahlin. Willst du, dass sie dir treu und
beständig sei, so liebe sie immerdar, aber liebe sie nur allein: Gib ihr keine
Nebenbuhlerin, und ich verbürge dir ihre Treue.“

Mit diesen Worten verschwand der Geisterkönig und Seyn,
entzückt über seine Braut, feierte denselben Tag noch seine Hochzeit, und
ließ sie als Königin von Balsora ausrufen: Und diese beiden stets treuen und
liebevollen Gatten verlebten miteinander eine lange Reihe von Jahren.“

Die Sultanin von Indien hatte kaum die Geschichte des
Königs Seyn Alasnam vollendet, als sie schon um die Erlaubnis bat, eine andere
anzufangen. Schachriar bewilligte sie ihr für die folgende Nacht, weil der Tag
schon anbrechen wollte.


1)
Der Kadi ist zugleich bürgerlicher und geistlicher Beamter. Bei einer
Vermählung setzt er selber den Heiratsvertrag auf.