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283. Nacht

Es begegnete ihm kein Unfall auf der Fahrt. Er kam nach
Kairo, wo er sich nach Mobarek erkundigte. Man sagte ihm, er wäre einer der
reichsten Bürger in der Stadt, er lebe als ein großer Herr, und sein Haus
stünde besonders den Fremden offen.

Seyn ließ sich dahin führen. Er klopfte an die Türe.
Ein Sklave öffnet, und fragt: „Was wünscht ihr, und wer seid ihr?“

„Ich bin ein Fremder,“ antwortete der Prinz.
„Ich habe von der Großmut des Herrn Mobarek gehört, und komme bei ihm zu
wohnen.“

Der Sklave bat Seyn, einen Augenblick zu warten, dann ging
er hin und meldete es seinem Herrn, der ihm befahl, den Fremden eintreten zu
lassen. Der Sklave kam wieder an die Türe, und sagte dem Prinzen, er wäre
willkommen.

Hierauf trat Seyn hinein, ging durch einen großen Hof,
und gelangte in einen prächtig ausgezierten Saal, wo Mobarek ihn erwartete, ihn
sehr höflich empfing, und ihm für die Ehre dankte, welche er ihm dadurch
erzeigte, dass er eine Wohnung bei ihm vorlieb nehmen wollte.

Der König erwiderte diese Höflichkeit, und sprach dann
zu Mobarek: „Ich bin der Sohn des verstorbenen Königs von Balsora, und
nenne mich Seyn Alasnam.“

„Dieser König,“ sagte Mobarek, „ist einst
mein Herr gewesen. Aber, Herr, ich weiß nicht, dass er einen Sohn gehabt hat.
Wie alt seid ihr?“

„Ich bin zwanzig Jahre alt,“ antwortete der
Fürst. „Wie lange ist es her, dass ihr den Hof meines Vaters verlassen
habt?“

„Es sind beinahe zweiundzwanzig Jahre,“
antwortete Mobarek. „Aber wodurch wollt ihr mich überzeugen, dass ihr sein
Sohn seid?“

„Mein Vater,“ versetzte Seyn, „hatte unter
seinem Kabinett ein unterirdisches Gemach, in welchem ich vierzig Porphyr-Urnen,
alle voll Gold gefunden habe.“

„Und was befindet sich dort sonst noch?“, fragte
Mobarek weiter.

„Es sind dort noch,“ antwortete der Fürst,
„neun Fußgestelle aus gediegenem Gold, von welchen acht Standbilder aus
Diamanten tragen, und auf dem neunten liegt ein Stück weißer Atlas, auf
welches mein Vater geschrieben hat, was ich tun soll, um das neunte Bild zu
erlangen, welches noch köstlicher ist, als die übrigen miteinander. Ihr wisst
den Ort, wo dieses Bild sich befindet, weil auf dem Atlas geschrieben steht,
dass ihr mich dahin führen werdet.“

Er hatte diese Worte noch nicht ausgesprochen, als Mobarek
sich ihm zu Füßen warf. Indem er ihm die Hand zu wiederholten malen küsste,
rief er aus: „Ich danke Gott, dass er euch hierher gesandt hat. Ich erkenne
euch für den Sohn des Königs von Balsora. Wenn ihr nach dem Ort wollt, wo dies
wunderbare Standbild sich befindet, so will ich euch dahin führen. Aber ihr
müsst euch hier zuvor einige Tage ausruhen. Ich gebe heute den Großen von
Kairo ein Fest. Wir waren gerade bei Tisch, als man mir eure Ankunft meldete.
Würdet ihr es wohl verschmähen, Herr, hereinzukommen und euch mit uns zu
erfreuen?“

„Nein,“ antwortete Seyn, „ich werde mich
freuen, an eurem Fest teilzunehmen.“

Sogleich führte Mobarek ihn in einen Kuppelsaal, worin
die Gesellschaft war. Er führte ihn zum Sitz an der Tafel, und begann, ihn
kniend zu bedienen. Die Großen von Kairo waren darüber verwundert, und
sprachen leise untereinander: „Ei, wer ist doch dieser Fremde, den Mobarek
mit solcher Ehrfurcht bedient?“

Nachdem sie gegessen hatten, nahm Mobarek das Wort:
„Meine Herren,“ sprach er, „verwundert euch nicht, dass ihr mich
auf solche Weise diesen jungen Fremden bedienen saht. Wisst, er ist der Sohn des
Königs von Balsora, meines Herrn. Sein Vater kaufte mich für sein eigenes
Geld. Er ist gestorben, ohne mir die Freiheit zu schenken: Also bin ich noch
Sklave, und folglich gehört all mein Habe und Gut von Rechts wegen diesem
jungen Fürsten, seinem einzigen Erben1).“

Seyn unterbrach ihn an dieser Stelle, und sprach zu ihm:
„Oh Mobarek, ich erkläre vor allen diesen Herren, dass ich euch von diesem
Augenblick an freigebe, und dass ich euch selbst und alles, was ihr besitzt, von
meinem Eigentum absondere. überdies besinnt euch, was ich euch sonst noch geben
soll.“

Mobarek küsste auf diese Rede den Boden, und machte dem
Fürsten große Danksagungen.

Hierauf setze man den Wein auf: Sie tranken den ganzen
übrigen Tag. Am Abend wurden Geschenke unter die Gäste verteilt, welche
heimgingen.

Am folgenden Morgen sprach Seyn zu Mobarek: „Ich habe
mich genug ausgeruht. Ich bin nicht nach Kairo gekommen, um lustig zu leben. Ich
will das neunte Standbild haben, und es ist Zeit, dass wir uns auf den Weg
machen, es zu erobern.“

„Herr,“ antwortete Mobarek, „ich bin
bereit, eurem Verlangen nachzugeben. Aber ihr kennt nicht alle Gefahren, die mit
dieser kostbaren Eroberung verknüpft sind.“

„Welche Gefahr auch dabei sei,“ entgegnete der
Fürst, „ich habe beschlossen, sie zu bestehen. Ich komme dabei um, oder
gelange zum Ziel. Alles was geschieht, kommt von Gott. Begleitet mich nur, und
seid ebenso standhaft, wie ich.“

Als Mobarek ihn zur Abreise entschlossen sah, rief er
seinem Gesinde und befahl ihnen, alles zur Fahrt in den Stand setzen. Demnächst
verrichteten der Fürst und er die vorgeschriebene Abwaschung und das Gebet Fars2),
worauf sie sich auf den Weg machten.

Sie bemerkten auf ihrem Weg zahllose seltene und
wunderbare Dinge. So ritten sie mehrere Tage fort, bis sie auf ein sehr
anmutiges Gefilde kamen, wo sie vom Pferd stiegen. Hier nun sprach Mobarek zu
seinem ganzen Gefolge: „Bleibt an diesem Ort, und bewahrt sorgfältig unser
Reisezeug bis zu unserer Rückkehr.“ Dann sagte er zu Seyn: „Kommt,
Herr, lasst uns allein weiter gehen. Wir sind nahe an dem schrecklichen Ort, wo
das neunte Standbild bewahrt wird: Ihr bedürft nun eures ganzen Mutes.“

Sie kamen bald ans Ufer eines großen Sees. Mobarek setze
sich hier nieder, und sprach zu dem Fürsten: „Wir müssen über dieses
Meer.“

„Ei, wie kämen wir denn hinüber?“, frage Seyn.
„Wir haben ja kein Schiff.“

„Ihr werdet im Augenblick eins erscheinen
sehen,“ fuhr Mobarek fort, „die Zauberbarke des Königs der Geister
wird kommen, uns abzuholen. Aber merkt wohl, was ich euch sage: Man muss ein
tiefes Stillschweigen beobachten. Sprecht also nicht mit dem Schiffsmann: Wie
seltsam euch seine Gestalt auch vorkomme, und was ihr auch Außerordentliches
gewahrt, sagt gar nichts, denn ich warne euch, wenn ihr auf der Barke ein
einziges Wort aussprecht, so versinkt die Barke in die Fluten.“

„Ich will schon schweigen,“ sagte der Prinz.
„Ihr dürft mir nur vorschreiben, was ich tun soll, und ich werde es ganz
genau erfüllen.“

Indem er dies sprach, bemerkte er plötzlich auf dem See
eine Barke aus rotem Sandelholz. Sie hatte einen Mast aus feinem Ambra mit einer
Flagge aus blauem Atlas. Drinnen war allein der Schiffsmann, dessen Kopf einem
Elefantenkopf glich, so wie der Leib die Gestalt eines Tigers hatte.

Als das Fahrzeug sich dem Prinzen und Mobarek genähert
hatte, nahm der Schiffsmann einen nach dem andern mit seinem Rüssel, und setze
sie in sein Schiff. Sodann fuhr er sie in einem Augenblick nach der andern Seite
des Sees über. Hier setze er sie wieder mit seinem Rüssel ans Land, und
verschwand alsbald samt der Barke.


1)
Nach den muselmännischen Gesetzen gehören alle Güter des Sklaven seinem
Herrn.