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275. Nacht

Die Königin Labe schöpfte in einem Gefäß Wasser aus
dem Bach, goss davon in ein Becken, worin Mehl war, und machte daraus einen
Teig, welchen sie sehr lange knetete. Sie tat zuletzt noch Spezereien hinein,
welche sie aus verschiedenen Schachteln nahm, und machte so daraus einen Kuchen,
welchen sie in eine bedeckte Tortenpfanne tat. Da sie vor allen Dingen ein
großes Feuer angezündet hatte, scharrte sie Kohlen daraus hervor, und setzte
die Pfanne darauf. Während der Kuchen backte, setzte sie die Gefäße und
Schachteln, die sie gebraucht hatte, wieder an ihre Stelle. Auf gewisse Worte,
welche sie aussprach, verschwand der Bach wieder, welcher mitten im Zimmer
rieselte. Als der Kuchen gar war, nahm sie ihn von den Kohlen, und trug ihn in
ein Gemach, worauf sie sich wieder zu dem König Beder ins Bett legte, welcher
sich so gut verstellte, dass sie nicht den geringsten Verdacht schöpfte, er
könnte etwas von dem gesehen haben, was sie eben vorgenommen hatte.

Der König Beder, der über alle die Vergnügungen und
Ergötzlichkeiten des guten alten Abdallah, seines Wirtes, seit er ihn
verlassen, gänzlich vergessen hatte, erinnerte sich jetzt wieder seiner, und
glaubte nach dem, was er die Königin Labe in der Nacht hatte tun sehen, seines
Rates zu bedürfen.

Als er aufgestanden war, äußerte er der Königin sein
Verlangen, ihn zu besuchen, und bat sie um die Erlaubnis dazu.

„Ei wie, mein lieber Beder,“ erwiderte die
Königin, „langweilt es euch schon, ich will nicht sagen, in einem so
prächtigen Palast zu wohnen, worin ihr so viel Annehmlichkeiten findet, sondern
in der Gesellschaft einer Königin, die euch so leidenschaftlich liebt, und euch
so viele Beweise davon gibt?“

„Große Königin,“ antwortete der König Beder,
„wie könnte ich mich langweilen bei so viel Anmut und unter solchen
Gunstbezeugungen, womit Euer Majestät mich gütigst überschüttet? Weit
entfernt davon, Herrin, begehre ich diese Erlaubnis nur, um meinem Onkel
Rechenschaft von den unendlichen Verbindlichkeiten abzulegen, welche ich gegen
Euer Majestät habe, und um ihm zu erkennen zu geben, dass ich ihn nicht
vergesse. Ich verhehle indessen nicht, dass es besonders aus diesem Grund
geschieht: Da ich weiß, dass er mich zärtlich liebt, und es schon vierzig Tage
sind, dass er mich nicht gesehen hat, so will ich ihm durch mein längeres
Ausbleiben nicht Anlass zu dem Gedanken geben, dass ich seine Gesinnungen für
mich nicht erwidere.“ – „Geht hin,“ sagte hierauf die Königin,
„ich erlaube es gern. Ihr werdet aber nicht lange ausbleiben, wenn ihr euch
erinnert, dass ich ohne euch nicht leben kann.“

Sie ließ ihm ein reich aufgeschirrtes Ross vorführen und
er ritt hin.

Der alte Abdallah war erfreut, den König Beder
wieder zu sehen. Ohne Rücksicht auf seinen Stand, umarmte er ihn zärtlich, und
der König Beder erwiderte es eben so, damit niemand daran zweifelte, dass er
sein Neffe wäre.

Als sie sich gesetzt hatten, fragte Abdallah den König:
„Wie habt ihr euch bei dieser Treulosen, dieser Zauberin, befunden ,und wie
befindet ihr euch noch bei ihr?“

„Bisher,“ antwortete der König Beder,
„kann ich sagen, hat sie alle nur erdenklichen Rücksichten für mich
gehabt, und mir alle mögliche Achtung und Aufmerksamkeit bewiesen, um mich
recht zu überzeugen, dass sie mich vollkommen liebe. Aber diese Nacht habe ich
etwas bemerkt, was mir gegründeten Verdacht gibt, dass alles, was sie getan
hat, nur Verstellung ist. Während sie wähnte, dass ich fest schliefe, obwohl
ich aufgewacht war, bemerkte ich, dass sie sehr behutsam von mir wegrückte und
aufstand. Diese Vorsicht bewirkte, dass ich, anstatt wieder einzuschlafen, sie
genau beobachtete, indes ich mich stellte, als wenn ich immer fort
schliefe.“ Und so erzählte er ihm weiter, wie und unter welchen Umständen
er sie den Kuchen backen sah, und schloss mit den Worten: „Bis dahin, ich
bekenne es, hatte ich euch fast vergessen, samt allen Weisungen, welche ihr mir
über ihre Bosheit gegeben habt: Aber diese Handlung lässt mich fürchten, dass
sie weder die Versprechungen, noch die feierlichen Schwüre halten will, welche
sie euch getan hat. Da habe ich sogleich an euch gedacht. Ich schätze mich
glücklich, dass sie willfähriger, als ich erwartete, mir erlaubt hat, euch zu
besuchen.“

„Ihr habt euch nicht getäuscht,“ erwiderte der
alte Abdallah mit einem Lächeln, welches andeutete, dass er selber wohl gedacht
hätte, sie würde nicht anders verfahren. „Nichts ist im Stande, die
treulose zur Besserung zu bewegen. Aber fürchtet nichts, ich weiß ein Mittel,
dass das übel, welches sie euch antun will, auf sie selbst zurückfalle. Ihr
habt noch zur rechten Zeit Verdacht geschöpft, und konntet nichts besseres tun,
als euch wieder an mich wenden. Da sie ihre Liebhaber nicht länger als vierzig
Tage behält, und sie, anstatt sie anständig zu entlassen, jeden in ein Tier
verwandelt, mit welchen sie ihre Wälder, Parke und Felder anfüllt, so nahm ich
gestern gleich meine Maßregeln, um zu verhindern, dass sie euch nicht dasselbe
Schicksal bereite. Schon zu lange trägt die Erde dieses Ungeheuer. Sie soll
endlich selber behandelt werden, wie sie es verdient.“