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274. Nacht

Indem der König Beder, die Augen auf die Königin Labe
geheftet, diese Betrachtungen anstellte, drehte sich Abdallah nach ihm um, fasst
ihn bei der Hand, und stellte ihn ihr vor, mit den Worten: „Hier ist er,
Herrin. Ich flehe Euer Majestät, noch einmal zu bedenken, dass er mein Neffe
ist, und ihm zu erlauben, dass er mich manchmal besuche.“

Die Königin versprach es ihm, und ließ ihm, zum Zeichen
ihrer Erkenntlichkeit einen Beutel mit tausend Goldstücken geben, welchen sie
hatte mitbringen lassen. Er weigerte sich anfangs, ihn anzunehmen, sie aber
wollte es durchaus, und er konnte es nicht abschlagen.

Sie hatte ein ebenso reich aufgeschirrtes Ross, als das
ihrige, für den König von Persien herführen lassen. Man bot es ihm dar und
während er den Fuß in den Steigbügel setzte, sagte die Königin noch zu
Abdallah: „Ich habe vergessen, dich zu fragen, wie dein Neffe heißt.“
Auf seine Antwort, dass er Beder hieße, fuhr sie fort: „Man hat sich
versehen. Er sollte vielmehr Schems (Sonne) heißen.“

Als der König Beder zu Pferde gestiegen war, wollte er
hinter der Königin reiten. Sie aber nahm ihn zu ihrer Linken, und ließ ihn
neben ihr reiten. Sie sah Abdallah an, und nachdem sie ihm eine Verneigung
gemacht, setzte sie ihren Weg fort.

Anstatt auf dem Gesicht des Volks eine gewisse
Zufriedenheit, von Ehrfurcht begleitet, bei dem Anblick ihrer Königin zu sehen,
bemerkte der König Beder im Gegenteil, dass man sie mit Verachtung ansah, und
dass mehrere sogar tausend Verwünschungen gegen sie ausstießen. „Die
Zauberin,“ sprachen einige, „hat wieder einen neuen Gegenstand für
ihre Bosheit gefunden. „Wird denn der Himmel niemals die Welt von ihrer
Tyrannei befreien?“ – „Armer Fremdling,“ riefen andere aus,
„du bist sehr betrogen, wenn du wähnst, dass dein Glück lange dauern
wird: Man erhebt dich nur so hoch, damit dein Fall desto furchtbarer sei!“

Aus diesen Reden erkannte er wohl, dass der alte Abdallah
ihm die Königin so geschildert hatte, wie sie wirklich war. Da es aber nicht
mehr von ihm abhing, sich der Gefahr, worin er schwebte, zu entziehen, so
überließ er sich der Vorsehung und dem, was dem Himmel gefiele, über sein
Schicksal zu bestimmen.

Die Zauberkönigin kam nach ihrem Palast, und als sie
abgestiegen war, ließ sie sich vom König Beder die Hand reichen, und trat, in
Begleitung ihrer Frauen und der Offiziere ihrer Verschnittenen, mit ihm hinein.
Sie selber zeigte ihm darin alle Zimmer, wo man lauter gediegenes Gold,
Edelsteine und Gerät von ungemeiner Pracht sah. Als sie ihn in ihr Wohnzimmer
geführt hatte, trat sie mit ihm auf einen Altan hinaus, und zeigte ihm einen
Garten von bezaubernder Schönheit. Der König Beder lobte alles, was er sah,
mit vieler Feinheit, doch keineswegs so, dass sie hätte mutmaßen können, er
wäre etwas anderes, als der Neffe des alten Abdallah. Sie unterhielten sich von
verschiedenen gleichgültigen Dingen, bis man der Königin zu melden kam, dass
aufgetragen wäre.

Die Königin und der König Beder standen auf, gingen hin
und setzten sich zu Tisch. Der Tisch war von gediegenem Gold, und die Schüsseln
desgleichen. Sie aßen, ohne fast zu trinken, bis zum Nachtisch, jetzt aber
ließ die Königin ihre Schale voll köstlichen Weines schenken, und nachdem sie
auf die Gesundheit des Königs Beder getrunken hatte, ließ sie dieselbe, sie in
ihrer Hand behaltend, wieder füllen, und bot sie ihm dar. Der König Beder nahm
sie mit großer Ehrerbietung, und mit einer tiefen Verneigung des Hauptes
bezeigte er ihr, dass er zur Erwiderung auf ihre Gesundheit tränke.

Zu gleicher Zeit traten zehn von den Frauen der Königin
Labe mit Instrumenten herein, und machten, durch Begleitung derselben mit ihren
Stimmen, ein angenehmes Konzert, während beide fort fuhren zu trinken bis tief
in die Nacht. Dies starke Trinken erhitzte sie miteinander endlich so sehr, dass
der König Beder allmählich bei der Königin die Zauberin vergaß und sie nur
für die schönste Königin auf der Welt ansah.

Sobald die Königin gewahrte, dass sie ihn so weit
gebracht hatte, wie sie wünschte, gab sie den Verschnittenen ein Zeichen, sich
zu entfernen. Sie gehorchten, und der König Beder legte sich mit ihr zu Bett.

Am folgenden Morgen, gleich nach dem Aufstehen, gingen die
Königin und der König Beder ins Bad, und nach dem Bad brachten die Frauen,
welche den König darin bedient hatten, ihm weiße Wäsche und ein höchst
prächtiges Kleid. Die Königin, welche auch ein reicheres Kleid angelegt hatte,
kam, ihn abzuholen, und sie gingen zusammen in ihr Zimmer. Man trug ihnen ein
gutes Mahl auf, nach welchem sie den Tag mit Lustwandeln im Garten und
verschiedenen andern Ergötzlichkeiten angenehm zubrachten.

Auf diese Weise behandelte und bewirtete die Königin Labe
den König Beder vierzig Tage lang, wie sie mit allen ihren Liebhabern zu tun
pflegte.

Als in der Nacht des vierzigsten Tages beide sich
niedergelegt hatten, und die Königin wähnte, dass der König Beder schliefe,
stand sie leise wieder auf. Der König Beder aber, der aufgewacht war und
merkte, dass sie etwas vor hatte, stellte sich, als wenn er schliefe, und gab
auf alle ihre Handlungen Acht.

Als sie aufgestanden war, öffnete sie ein Kästchen, und
zog daraus eine Schachtel mit einem gewissen gelben Pulver hervor. Dieses Pulver
nahm sie, und streute es in einer Reihe quer durch das Zimmer. Sogleich
verwandelte sich dieser Strich in einen Bach sehr klaren Wassers, zum Erstaunen
des Königs Beder. Er zitterte vor Furcht, tat aber, als wenn er noch fester
schliefe, um der Zauberin nicht zu verraten, dass er wachte.