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273. Nacht

Die Königin, die noch keinen so schönen Jüngling
gesehen hatte, wie den König Beder, und in eine heftige Leidenschaft für ihn
entbrannte, suchte es auf diese Erklärung dahin zu bringen, dass der Greis ihn
ihr überließe. „Guter Vater,“ fuhr sie fort, „willst du mir
nicht die Liebe tun und mir ein Geschenk mit ihm machen? Schlag es mir nicht ab,
ich bitte dich. Ich schwöre bei dem Feuer und bei dem Licht, ich will ihn so
groß und so gewaltig machen, dass noch niemals einer seinesgleichen ein so
hohes Glück soll gemacht haben. Wenn ich auch die Absicht hätte, dem ganzen
Menschengeschlecht Böses zu tun, so sollte doch er der einzige sein, bei dem
ich mich wohl davor hüten würde. Ich vertraue, dass du mir meine Bitte
gewährst, und ich gründe dieses Vertrauen noch mehr auf die Liebe, welche du,
wie ich weiß, zu mir hast, als auf die Hochachtung, welche ich für dich gehegt
habe und noch hege.“

„Herrin,“ erwidere Abdallah, „ich bin Euer
Majestät unendlich verpflichtet für alle die Güte, welche ihr mir erzeigt,
und für die Ehre, welche ihr meinem Neffen antun wollt. Er ist nicht würdig,
einer so großen Königin zu nahen: Ich bitte also euer Majestät, ihn gütigst
davon zu entbinden.“

„Abdallah,“ versetzte die Königin, „ich
hatte mir geschmeichelt, dass du mich mehr liebtest. Ich hätte niemals
geglaubt, dass meine Bitte so wenig Gewicht bei dir haben könnte. Aber ich
schwöre nochmals bei dem Feuer und bei dem Licht, ja selbst bei dem
Allerheiligsten meiner Religion, dass ich nicht von dannen gehe, als bis ich
deine Hartnäckigkeit überwunden habe. Ich begreife sehr wohl, was dir sorge
macht. Ich verspreche dir, du sollst nicht die geringste Ursache haben, es zu
bereuen, dass du mich so höchst verpflichtet hast.“

Dem alten Abdallah tat es unaussprechlich weh sowohl für
ihn selbst als für den König Beder, als er sich gezwungen sah, dem Willen der
Königin nachzugeben. „Herrin,“ erwiderte er, „ich kann es nicht
zugeben, dass Euer Majestät eine so schlechte Meinung habe von meiner Ehrfurcht
für euch, und von meinem Eifer, zu allem, was euch nur Vergnügen machen kann,
beizutragen. Ich setze volles Vertrauen in euer Wort, und zweifle nicht, dass
ihr es mir halten werdet. Ich bitte euch nur, die große, meinem Neffen
zugedachte Ehre noch bis zum nächsten Mal zu verschieben, wo ihr wider hier
vorbei kommt.“

„Das ist also bis morgen,“ versetzte die
Königin. Und mit diesen Worten neigte sie das Haupt, ihm zu danken, und setzte
ihren Weg nach dem Palast fort.

Als die Königin Labe mit ihrem Prunkgefolge
vorüber gezogen war, sprach der gute Abdallah zu dem König Beder: „Mein
Sohn,“ so pflegte er ihn zu nennen, um ihn nicht im öffentlichen Gespräch
zu erkennen zu geben, „ich habe, wie ich selber gesehen, der Königin ihre
so dringende Bitte nicht abschlagen können, um sie nicht zu reizen, gegen euch
öffentlich, oder heimlich durch ihre Zauberkunst Gewalt zu brauchen, und euch
im Grimm gegen uns beide eine noch grausamere und auffallendere Behandlung zu
bereiten, als allen denen, welche bis jetzt in ihre Gewalt geraten sind, wie ich
euch schon gesagt habe. Ich habe einigen Grund zu glauben, dass sie so
freundlich mit euch verfahren wird, wie sie mir versprochen hat, in Betracht der
besonderen Achtung, welche sie für mich hegt. Ihr habt selbst davon urteilen
können, nach dem Benehmen ihres ganzen Hofes und nach der Ehre, welche man mir
erzeigt hat. Sie wäre verflucht von Gott, wenn sie mich betröge, aber sie
sollte mich nicht ungestraft betrügen, und ich würde mich dafür zu rächen
wissen.“

Diese Versicherungen, die sehr ungewiss erschienen,
machten auf den König Beder keinen sonderlichen Eindruck. „Nach allem, was
ihr mir von der Bosheit dieser Königin erzählt habt,“ sagte er hierauf,
„verhehle ich euch nicht, dass ich mich scheue, ihr zu nahen. Ich würde
vielleicht alles, was ihr mir von ihr gesagt habt, verachten, und mich von dem
Glanz der Herrlichkeit, welcher sie umgibt, blenden lassen, wenn ich nicht schon
aus Erfahrung wüsste, was es heißt, in der Gewalt einer Zauberin sein. Der
Zustand, in welchem ich mich durch die Bezauberung der Prinzessin Giäuhare
befand, aus welcher ich, wie es scheint, nur deshalb befreit bin, um sogleich
wieder in eine andere zu geraten, erfüllt mich mit Entsetzen von ihr.“

Seine Tränen hinderten ihn, mehr hierüber zu sagen, und
gaben zu erkennen, mit welchem Widerwillen er sich in der verhängnisvollen
Notwendigkeit sah, der Königin Labe überliefert zu werden.

„Mein Sohn,“ fuhr der alte Abdallah fort,
„betrübt euch nicht: Ich gestehe, dass man eben nicht sehr auf die
Versprechungen und selbst auf die Schwüre einer so arglistigen Königin bauen
darf. Ich will euch aber wohl sagen, dass all ihre Macht sich nicht bis auf mich
erstreckt. Dies ist ihr nicht unbekannt, und deshalb besonders hat sie so viel
Rücksicht für mich. Ich will sie schon verhindern, euch das geringste Leid
anzutun, wenn sie auch treulos genug wäre, es sich zu unterfangen. Ihr könnt
euch deshalb auf mich verlassen, und sofern ihr genau die Weisung befolgt,
welche ich euch geben werde, bevor ich euch ihr überliefere, so bin ich euch
Bürge, dass sie nicht mehr Gewalt über euch haben wird, als über mich.“

Die Zauberkönigin ermangelte nicht, den folgenden Tag an
dem Laden des alten Abdallah vorbei zu kommen, in demselben prächtigen Aufzug,
wie am vorigen Tag, und der Greis erwartete sie mit großer Ehrfurcht.

„Guter Vater,“ sprach sie zu ihm, indem sie
anhielt, „aus der Eilfertigkeit, mit welcher ich komme, dich an dein
Versprechen zu erinnern, kannst du auf meine Ungeduld schließen, deinen Neffen
bei mir zu haben. Ich weiß, du bist ein Mann von Wort, und will nicht glauben,
dass du deinen Sinn geändert hast.“

Abdallah, der sich sogleich bei der Annäherung der
Königin niedergeworfen, stand wieder auf, als sie ausgeredet hatte. Da er
niemand wollte hören lassen, was er ihr zu sagen hatte, trat er ehrerbietig bis
zu dem Kopf ihres Rosses hin, und sagte leise zu ihr: „Mächtige Königin,
ich weiß, euer Majestät wird die Schwierigkeit nicht übel nehmen, welche ich
gestern machte, euch meinen Neffen anzuvertrauen. Ihr selber müsst meine
Beweggründe erkannt haben. Ich will in euch heute wohl übergeben, aber ich
bitte euch, in Ansehung seiner, aller Geheimnisse dieser wunderbaren Kunst,
welche ihr in so hohem Grade besitzt, zu vergessen. Ich betrachte meinen Neffen
als meinen eigenen Sohn. Euer Majestät würde mich in Verzweiflung stürzen,
wenn ihr mit ihm anders verführt, als wie ihr die Güte gehabt habt, mir zu
versprechen.“

„Ich verspreche es dir noch einmal,“ versetzte
die Königin, „und ich wiederhole dir mit demselben Schwur, wie gestern,
dass du und er alle Ursachen haben sollt, mit mir zufrieden zu sein. Ich sehe
wohl, du kennst mich noch nicht recht,“ fügte sie hinzu, „du hast
mich bisher nur mit verschleiertem Antlitz gesehen. Weil ich aber deinen Neffen
meiner Freundschaft würdig finde, so will ich dich sehen lassen, dass ich auch
der seinigen nicht unwürdig bin.“

Bei diesen Worten ließ sie dem König Beder, der sich mit
Abdallah genähert hatte, eine vollendete Schönheit sehen.

„Es ist nicht genug, schön zu sein,“ sprach er
bei sich selber, „die Handlungen müssen auch ebenso regelmäßig sein, als
die Schönheit vollkommen.“