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272. Nacht

Der König Beder dankte dem Greis für die
Gastfreundschaft und den Schutz, welchen er ihm so gutherzig gewährte. Er setze
sich an den Eingang des Ladens. Kaum erschien er hier, als seine Jugend und sein
schönes Ansehen die Augen aller Vorübergehenden auf sich zog. Mehrere blieben
sogar stehen, und wünschten dem Alten Glück, dass er einen so wohl gebildeten
Sklaven, wofür sie ihn hielten, erworben hatte. Sie schienen umso mehr darüber
verwundert, als sie nicht begreifen konnten, wie ein so schöner junger Mann den
Nachstellungen der Königin hatte entgehen können.

„Wähnt nicht, dass es ein Sklave ist,“ sagte
der Alte zu ihnen. „Ihr wisst, dass ich weder reich noch vornehm genug bin,
um einen Sklaven von solcher Schönheit zu haben. Es ist mein Neffe, der Sohn
meines verstorbenen Bruders und da ich kinderlos bin, so habe ich ihn kommen
lassen, um mir Gesellschaft zu leisten.“

Alle erfreuten sich mit ihm über die Zufriedenheit,
welche dessen Ankunft gewähren müsste, aber zugleich konnten sie sich nicht
enthalten, ihm ihre Furcht zu äußern, das die Königin ihm denselben
entführen möchte.

„Ihr kennt sie,“ sagten sie zu ihm, „und
euch kann, nach so vielen Beispielen davon, die Gefahr nicht verborgen sein,
welcher ihr ausgesetzt seid. Wie groß würde euer Schmerz sein, wenn sie ihn
dieselbe Behandlung erfahren ließe, wie so viele andere, die wir kennen!“

„Ich bin euch sehr verbunden,“ erwiderte der
Greis, „für die herzliche Freundschaft, welche ihr mir bezeugt, und für
die Teilnahme an meinen Angelegenheiten. Ich danke euch dafür mit aller
möglichen Erkenntlichkeit. Aber ich darf nicht fürchten, dass die Königin mir
das geringste Leid antun werde, nachdem sie mir immerdar so viel Güte erzeigt
hat. Falls sie etwas davon vernimmt und mit mir davon redet, so hoffe ich, wird
sie doch nicht weiter daran denken, sobald ich ihr sage, dass er mein Neffe
ist.“

Der Greis freute sich über die Lobsprüche, welche man
dem jungen König von Persien erteilte. Er nahm solchen Teil daran, als wenn er
wirklich sein eigener Sohn gewesen wäre. Er fasste zu ihm eine herzliche Liebe,
welche in dem Maße zunahm, wie sein Aufenthalt bei ihm ihm Gelegenheit gab, ihn
immer besser kennen zu lernen.

Es war ungefähr ein Monat, dass sie so zusammen lebten,
als eines Tages der König Beder, wie gewöhnlich am Eingang des Ladens saß,
und die Königin Labe1)
(so nannte er die Zauberkönigin) mit großen Gepränge am Hause des Greises
vorüber zog. Der König Beder hatte nicht sobald die Spitze der voran reitenden
Leibwache erblickt, als er aufstand, in den Laden zurücktrat, und den Greis,
seinen Wirt, fragte, was das bedeute? „Das ist die Königin, die hier
vorbeikommen wird,“ antwortete er, „aber bleibt nur, und fürchtet
nichts.“

Die Leibwache der Königin Labe, sämtlich purpurfarbig
gekleidet, wohl beritten und ausgerüstet, zog mit blanken Säbeln, in vier
Reihen, tausend an der Zahl, einher. Es war keiner von den Offizieren, welcher
nicht im Vorbeireiten an dem Laden des Greises, diesen begrüßte. Ihnen folgte
eine Anzahl von Verschnittenen, in Brokat gekleidet und noch besser beritten.
Ihre Offiziere erwiesen ihm dieselbe Ehre. Nach ihnen kamen eben so viele junge
Mädchen: Fast alle gleich schön, reich gekleidet und mit Edelsteinen
geschmückt, schritten sie feierlich einher, mit einer kleinen Picke in der
Hand: Und in ihrer Mitte erschien die Königin Labe, auf einem Ross, welches
ganz von Diamanten strahlte mit einem goldenen Sattel und einer Schabracke von
unschätzbarem Wert. Die jungen Mädchen grüßten ebenfalls den Greis, so wie
sie an ihm vorbeikamen. Die Königin, getroffen von der Schönheit des Königs
Beder, hielt vor dem Laden still, und sprach zu dem Alten:

„Abdallah2),“
so hieß er, „sage mir, ich bitte dich, gehört dir dieser so wohl gebildete
und reizende Sklave? Hast du ihn schon lange?“

Abdallah warf sich vor der Königin auf die Erde, und
antwortete ihr, indem er aufstand:

„Königin, es ist mein Neffe, der Sohn meines
unlängst verstorbenen Bruders. Da ich keine Kinder habe, so betrachte ich ihn
wie meinen Sohn, und ich habe ihn zum Troste meines Alters kommen lassen, und
damit er nach meinem Tod das Wenige, was ich hinterlassen werde, in Besitz
nehme.“


1)
Labe, vielleicht vom arabischen Laba, liebende Gattin, oder, mit etwas anderer
Aussprache, Löwin.