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269. Nacht

Gedrungen, dem Willen des Königs von Persien nachzugeben,
zog Saleh von seinem Finger einen Ring, auf welchem dieselben geheimnisvollen
Namen Gottes eingegraben waren, wie auf dem Siegelring des Propheten Salomon,
und deren Kraft so viele Wunder gewillt hatten. Diesen überreichte er ihm, und
sprach dabei: „Nimm diesen Ring, stecke ihn an deinen Finger, und fürchte
weder die Fluten noch die Tiefe des Meeres.“

Der König von Persien nahm den Ring, und als er ihn an
den Finger gesteckt hatte, fuhr der König Saleh fort: „Mach es, wie
ich!“

Zu gleicher Zeit erhuben sich beide leicht in die Luft,
schwebten nach dem Meere zu, und tauchten darin hinab.

Der Meerkönig brauchte nicht viel Zeit, um mit dem
König, seinem Neffen, in seinen Palast zu kommen. Er führte ihn zuerst in die
Wohnung der alten Königin, der er ihn vorstellte. Der König von Persien
küsste die Hand der Königin, seiner Großmutter, und diese umarmte ihn mit
herzlicher Freude. „Ich frage dich nicht nach deinem Befinden,“ sprach
sie zu ihm, „ich sehe, dass du wohlauf bist, und bin erfreut darüber, aber
ich bitte dich, sage mir, was macht die Königin Gülnare, deine Mutter und
meine Tochter?“

Der König von Persien hütete sich wohl, ihr zu sagen,
dass er abgereist wäre, ohne Abschied von ihr zu nehmen. Er versicherte sie im
Gegenteil, dass er sie bei vollkommener Gesundheit verlassen, und sie ihm viele
Grüße an sie aufgetragen hätte.

Die Königin stellte ihm hierauf die Prinzessinnen vor,
und während sie ihm Zeit ließ, sich mit ihnen zu unterhalten, ging sie mit dem
König Saleh in ein anderen Zimmer, und dieser erzählte ihr die Liebe des
Königs von Persien zu der Prinzessin Giäuhare, auf das bloße Hörensagen von
ihrer Schönheit, und wider seine Absicht. Er fügte hinzu, dass er ihn
mitgebracht, weil er es sich nicht hätte erwehren können, und dass er eben auf
Mittel sänne, um sie ihm zur Gemahlin zu verschaffen.

Obwohl der König Saleh, eigentlich gesprochen, unschuldig
an der Leidenschaft des Königs von Persien war, so wusste gleichwohl die
Königin es ihm wenig Dank, dass er von der Prinzessin Giäuhare in seiner
Gegenwart mit so wenig Vorsicht gesprochen hätte. „Deine
Unbesonnenheit,“ sprach sie zu ihm, „ist unverzeihlich. Machst du dir
Hoffnung, dass der König von Samandal, dessen Gemütsart dir so bekannt ist,
mehr Achtung für dich haben wird, als für so viel andere Könige, denen er
seine Tochter mit so auffallender Verachtung abgeschlagen hat? Willst du dich
von ihm mit derselben Beschämung heimschicken lassen?“

„Frau Mutter,“ erwiderte der König Saleh,
„ich habe euch schon bemerkt gemacht, dass der König, mein Neffe, wider
meine Absicht gehört hat, was ich meiner Schwester von der Schönheit der
Prinzessin Giäuhare erzählte. Das Versehen ist nun einmal geschehen, und wir
müssen jetzt nur bedenken, dass er sie leidenschaftlich liebt, und dass er vor
Betrübnis und Schmerz sterben wird, wenn wir sie ihm nicht verschaffen, auf
welche Wiese es nun auch sei. Ich darf nichts hierbei versäumen, weil ich es
bin, der, obgleich unschuldig, dieses übel gestiftet hat, und ich werde alles,
was in meiner Macht steht, anwenden, um ein Mittel dafür zu finden. Ich hoffe,
Frau Mutter, ihr werdet meinen Entschluss billigen, selber mit einem reichen
Geschenk aus Edelgesteinen zu dem König von Smandal zu gehen und um die
Prinzessin, seine Tochter, für den König von Persien, euren Enkel, anzuhalten.
Ich habe einiges Vertrauen, dass er sie mir nicht abschlagen, sondern es
annehmlich finden wird, mit einem der mächtigsten Monarchen der Erde in
Verbindung zu treten.“

„Es wäre zu wünschen,“ entgegnete die
Königin, „dass wir nicht in der Notwendigkeit wären, diesen Antrag zu
machen, von welchem wir keines so glücklichen Erfolges, als wir ihn wünschen,
versichert sind. Da es aber die Ruhe und Zufriedenheit des Königs, meines
Enkels, gilt, so gebe ich dazu meine Einwilligung. Vor allen Dingen bitte ich
dich, weil du die Denkungsart des Königs von Samandal kennst, sei auf deiner
Hut, und sprich zu ihm mit aller ihm gebührenden Achtung und auf eine so
verbindliche Weise, dass er sich nicht darüber beleidigt dünke.“

Die Königin bereitete selber das Geschenk, setzte es aus
Diamanten, Rubinen, Smaragden und Perlenschnüren zusammen, und tat es in einer
sehr reiches und zierliches Kästchen.

Am folgenden Morgen beurlaubte sich Saleh von ihr und dem
König von Persien, und reiste ab mit einem nicht zahlreichen Gefolge seiner
Offiziere und Leute. Bald erreichte er das Königreich, die Hauptstadt und den
Palast des Königs von Samandal. Dieser säumte nicht, ihn vor sich zu lassen,
sobald er seine Ankunft vernommen hatte. Er erhub sich, als er ihn eintreten
sah, von seinem Thron. Der König Saleh, der gern auf einige Augenblicke
vergessen wollte, wer er war, warf sich ihm zu Füßen, indem er ihm die
Erfüllung alles dessen wünschte, was sein Herz nur begehrte.

Der König von Samandal bückte sich alsbald, um ihn
aufzuheben, und nachdem er ihn neben sich hatte Platz nehmen lassen, hieß er
ihn willkommen, und fragte ihn, ob er ihm in irgend etwas dienen könnte.

„Herr,“ antwortete der König Saleh, „wenn
mein Besuch auch keinen anderen Beweggrund hätte, als um einem der mächtigsten
Fürsten der Welt, der sich durch seine Weisheit und Tapferkeit so glänzend
auszeichnet, meine Ehrfurcht zu bezeigen, so würde dies jedoch immer nur ein
schwacher Ausdruck derselben für Euer Majestät sein. Könntet ihr aber bis auf
den Grund meines Herzens schauen, so würdet ihr die große Verehrung erkennen,
von welcher es für euch erfüllt ist, und das heiße Verlangen, welches ich
hege, euch meine Ergebenheit zu bezeugen.“

Mit diesen Worten nahm er das Kästchen aus den Händen
eines seiner Leute, öffnete es, und bat den König, indem er es ihm darbot, es
freundlich anzunehmen.

„Prinz,“ erwiderte der König von Smandal,
„ihr macht mir nicht ein so bedeutendes Geschenk, ohne ein demselben
entsprechendes Gesuch an mich zu haben. Ist es etwas, das von meiner Macht
abhängt, so werde ich mir ein großes Vergnügen daraus machen, es euch zu
bewilligen. Redet, und sagt mir frei heraus, worin ich euch dienen kann.“

„Es ist wahr, Herr,“ fuhr der König Saleh fort,
„dass ich Euer Majestät um eine Gnade anzusprechen habe, und ich würde
mich wohl hüten, diese Bitte zu tun, wenn ihre Gewährung nicht in eurer Macht
stünde. Ja, sie hängt so gänzlich von euch allein ab, dass ich jeden andern
vergeblich darum ansprechen würde. Ich bitte euch also aufs inständigste
darum, und flehe euch, sie mir nicht abzuschlagen.“

„Wenn dem so ist,“ erwiderte der König von
Smandal, „so habt ihr mir nur zu eröffnen, was es ist, und ihr sollt
sehen, wie dienstfertig ich sein kann, wenn ich es vermag.“

„Herr,“ sagte nun der König Saleh, „nach
dem Vertrauen, welches Euer Majestät mir auf euer Wohlwollen zu geben geruht,
will ich es nicht länger verhehlen, dass ich mit der Bitte komme, uns durch
eine Vermählung der Prinzessin Giäuhare, euer verehrten Tochter mit eurer
Verbindung zu ehren, und dadurch das gute Einverständnis zu befestigen, welches
die beiden Reiche seit so langer Zeit vereinigt.“

Bei dieser Rede brach der König von Samandal in ein
lautes Gelächter aus, indem er sich auf das Kissen, woran er den Rücken
lehnte, zurück sinken ließ, auf eine für den König Saleh höchst
beleidigende Weise. „König Saleh,“ sprach er zu ihm mit
verächtlichem Ton, „ich hatte mir eingebildet, ihr wärt ein Fürst von
gesundem Verstand, klug und bedachtsam, aber eure Rede gibt mir zu erkennen, wie
sehr ich mich getäuscht habe. Sagt mir, ich bitte euch, wo hattet ihr eure
Besinnung, als ihr euch ein solches Hirngespinst in den Kopf setztet, wie das
ist, wovon ihr eben zu mir geredet habt? Wie hat es euch nur im Traum einfallen
können, an die Vermählung mit der Prinzessin Tochter eines so großen und
mächtigen Königs zu denken, als ich bin? Ihr hättet zuvor besser den großen
Abstand zwischen euch und mir ermessen, und nicht in einem Augenblick die
Achtung wieder vernichten sollen, welche ich für euch hegte.“

Der König Saleh ward durch eine so schimpfliche Antwort
äußerst beleidigt, und er hatte viel Mühe, seinen gerechten Zorn
zurückhalten. „Möge Gott, Herr,“ antwortete er mit aller möglichen
Mäßigung, „Euer Majestät nach Verdienst vergelten!

Ich muss aber die Ehre haben, euch zu sagen, dass ich eure
Prinzessin Tochter nicht für mich zur Ehe begehre. Wäre dies, so würde ich,
weit entfernt, dass Euer Majestät oder die Prinzessin selber sich dadurch
beleidigt wähnen dürfte, dem einen wie der andern viel Ehre zu erweisen
glauben. Euer Majestät weiß recht wohl, dass ich einer der Meerkönige bin,
wie ihr, dass die Könige, meine Ahnherren, keinem der übrigen
Königsgeschlechter an Alter weichen, und dass mein von ihnen ererbtes
Königreich nicht minder blühend und mächtig ist, als zu ihren Zeiten. Wenn
ihr mich nicht unterbrochen hättet, so würdet ihr bald vernommen haben, dass
die Gnade, warum ich euch bitte, nicht mich betrifft, sondern den jungen König
von Persien, als seine persönlichen Eigenschaften, euch nicht unbekannt sein
können. Alle Welt erkennt an, dass die Prinzessin Giäuhare die schönste
Jungfrau unter dem Himmel ist: Aber nicht minder wahr ist, dass der junge König
von Persien der wohl gebildetste und vollkommenste Prinz auf Erden und in allen
Reichen des Meeres ist: Darüber sind die Stimmen durchaus nicht geteilt. Da
also mein Antrag nur zum großen Ruhme Euer Majestät und der Prinzessin
Giäuhare gereichen kann, so dürft ihr nicht zweifeln, dass eure Einwilligung
in eine so angemessene Verbindung allgemeiner Beifall begleiten werde. die
Prinzessin ist des Königs von Persien würdig, und der König von Persien ist
nicht minder ihrer würdig: Es gibt keinen König, noch Fürsten auf der Welt,
welcher ihm solches streitig machen könnte.“

Der König von Samandal würde dem König Saleh nicht
Muße gegeben haben, so lange zu reden, wenn die Wut, worin er dadurch versetzt
wurde, es ihm gestattet hätte. Er saß noch eine Weile, nachdem Saleh schon
geendigt hatte, ohne ein Wort hervorzubringen, so sehr war er außer sich
selber. Endlich brach er in wilde und eines so großen Königs unwürdige
Schimpfreden aus. „Du Hund,“ schrie er, „du wagst es, diese Rede
gegen mich zu führen und den Namen meiner Tochter vor mir auch nur
auszusprechen? Wer bist du denn? Wer war dein Vater? Wer ist deine Schwester,
und wer ist dein Neffe? War sein Vater nicht ein Hund, und eines Hundes Sohn,
wie du? Man ergreife den Unverschämten und haue ihm den Kopf ab.“

Die kleine Anzahl von Offizieren, die um den König von
Samandal waren, setzten sich in Bereitschaft, zu gehorchen, aber da der König
Saleh in voller Kraft seines Alters, rasch und gewandt war, so entkam er, bevor
sie die Säbel gezogen hatten, und gewann die Türe des Palastes, wo er tausend
wohl bewaffnete und berittene Mann seiner Verwandten und seines Hauses fand, die
soeben angekommen waren.

Die Königin, seine Mutter, hatte bedacht, dass er nur so
wenig Leute mit sich genommen hätte, und da ihr der üble Empfang ahnte,
welchen der König von Samandal ihm bereiten könnte, so hatte sie diese Schar
gesendet und ihr die größte Eile empfohlen. Diejenigen seiner Verwandten, die
an der Spitze standen, waren sehr froh, noch zur rechten Zeit angelangt zu sein,
als sie ihn so mit seinen Leuten in großer Verwirrung herauskommen und verfolgt
sahen.

„Herr,“ riefen sie, sobald er bei ihnen war,
„was gibt es? Wir sind bereit, euch zu rächen: Ihr dürft nur
befehlen!“

Der König Saleh erzählte ihnen in wenig Worten den
Vorgang, stellte sich an die Spitze einer starken Schar, während die übrigen
an der Türe blieben, deren sie sich bemächtigten, und kehrte auf der Stelle
wieder um. Da die wenigen Offiziere und Wachen, die ihn verfolgt, sich zerstreut
hatten, trat er wieder in das Zimmer des Königs von Samandal, der alsbald von
den Seinen verlassen, und nun festgenommen wurde. Der König Saleh ließ
Mannschaft genug bei ihm, um sich seiner Person zu versichern, und ging von
Zimmer zu Zimmer, um das der Prinzessin Giäuhare zu suchen.

Aber gleich auf den ersten Lärm hatte sich diese
Prinzessin mit den Frauen, die um sie waren, auf die Oberfläche des Meeres
emporgeschwungen, und sich auf eine wüste Insel geflüchtet.

Während diese Dinge im Palast des Königs von Samandal
vorgingen, setzten diejenigen von des Königs Saleh Gefolge, welche gleich bei
den ersten Drohungen die Flucht ergriffen hatten, die Königin Mutter in große
Unruhe, indem sie ihr die Gefahr verkündigten, in welcher sie ihn verlassen
hatten.

Der junge König Beder, der bei ihrer Ankunft gegenwärtig
war, wurde um so mehr dadurch beunruhigt, da er sich als die erste Ursache alles
des übels ansah, welches daraus entstehen konnte. Er hatte nicht Mut genug, den
Anblick der Königin, seiner Großmutter zu ertragen, weil er den König Saleh
seinetwegen in so großer Gefahr wusste. Während er sie beschäftigt sah, die
Befehle zu erteilen, welche sie unter diesen Umständen für nötig erachtete,
schwang er sich aus der Tiefe des Meeres empor. Da er nicht wusste, auf welchem
Weg er nach dem Königreich Persien heimkehren sollte, so flüchtete er sich auf
dieselbe Insel, auf welche die Prinzessin Giäuhare sich gerettet hatte.

Ganz außer sich, setzte er sich am Fuß eines großen
Baumes nieder, welcher von mehreren kleinen umgeben war. Indem er sich hier
wieder sammelte, hörte er sprechen: Er horchte sogleich hin, weil er aber ein
wenig zu entfernt war, um etwas von dem zu verstehen, was gesprochen wurde, so
stand er auf und näherte sich ohne Geräusch dem Ort, woher die Stimmen kamen,
und erblickte durch das Laub eine Schönheit, von welcher er geblendet wurde.

„Ohne Zweifel,“ sagte er bei sich selber, indem
er still stand, und sie mit Bewunderung betrachtete, „ist dies die
Prinzessin Giäuhare, welche vielleicht der Schreck gezwungen hat, den Palast
des Königs, ihres Vaters, zu verlassen, und wenn sie es nicht ist, so verdient
diese doch nicht minder, dass ich sie von Herzen liebe.“

Er weilte nicht länger, sondern trat hervor, und indem er
sich der Prinzessin mit vieler Ehrerbietung näherte, sprach er zu ihr:
„Edles Fräulein, ich kann dem Himmel nicht genug danken für die Gunst,
welche er mir heute erzeigt, indem er meinen Augen das Schönste darbietet, auf
welches er nieder blickt.

Es könnte mir kein größeres Glück begegnen, als die
Gelegenheit, euch meine Dienste darzubieten. Ich bitte euch, edles Fräulein,
sie anzunehmen: Eine Person, wie ihr, befände sich nicht in dieser Einöde,
wenn sie keiner Hilfe bedürfte.“

„Es ist wahr, mein Herr,“ antwortete die
Prinzessin Giäuhare mit trauriger Mine, „dass es eher ungewöhnlich für
eine Frau meines Standes ist, sich in einer solchen Lage zu befinden. Ich bin
eine Prinzessin, Tochter des Königs von Samandal, und nenne mich Giäuhare. Ich
saß ruhig in meiner Wohnung, als ich plötzlich einen erschreckenden Lärm
hörte. Man kam, mir zu verkündigen, dass der König Saleh, ich weiß nicht aus
welchem Grunde, den Palast gestürmt und sich meines Vaters bemächtigt, nachdem
er alle diejenigen von seiner Wache, welche ihm Widerstand geleistet,
niedergemacht hätte. Ich hatte nur noch so viel Zeit, zu entfliehen und hier
einen Zufluchtsort vor seiner Gewalttätigkeit zu suchen.“

Bei der Erzählung der Prinzessin geriet der König Beder
in Verwirrung, dass er die Königin, seine Großmutter, so voreilig verlassen
hatte, ohne über die gebrachte Nachricht nähere Aufklärung abzuwarten. Er
freute sich aber, dass der König, sein Onkel, sich der Person des Königs von
Samandal bemeistert hatte: Denn er zweifelte nicht, dass dieser ihm nun für
seine Freiheit die Prinzessin bewilligen würde.“

„Anbetungswürdige Prinzessin,“ erwiderte er,
„euer Schmerz ist sehr gerecht, aber es ist leicht, ihn, zugleich mit der
Gefangenschaft eures Vaters, zu heben. Ihr werdet mir beistimmen, wenn ihr
erfahrt, dass ich mich Beder nenne, König von Persien bin, und der König Saleh
mein Onkel ist. Ich kann euch wohl versichern, dass dieser keineswegs die
Absicht hat, sich der Staaten eures Vaters zu bemächtigen. Er hat keinen andern
Zweck als mir das Glück zu verschaffen, dass ich sein Schwiegersohn werde,
indem ich euch aus seiner Hand zur Gemahlin empfange. Ich hatte schon auf die
Schilderung von eurer Schönheit und euren Reizen, euch mein Herz gewidmet. Weit
entfernt, dass es mich gereue, bitte ich euch nun, es anzunehmen und überzeugt
zu sein, dass es immer für euch brennen wird. Ich wage zu hoffen, ihr werdet es
nicht ausschlagen, sondern bedenken, dass ein König, der sein Reich einzig
deshalb verlassen hat, um es euch darzubieten, einige Erkenntlichkeit verdiene.
Erlaubt also, schönste Prinzessin, dass ich die Ehre habe, euch meinem Onkel
vorzustellen. Der König, euer Vater, wird nicht sobald seine Einwilligung zu
unserer Vermählung gegeben haben, als er ihn wieder seine Staaten beherrschen
lassen wird, wie zuvor.“

Die Erklärung des Königs Beder brachte nicht die Wirkung
hervor, welche er davon erwartet hatte. Als die Prinzessin ihn erblickte, hatte
er ihr bei seiner guten Miene, seiner Bildung, und dem edlen Anstand, womit er
sich ihr nahte, anfangs nicht missfallen. Aber sobald sie von ihm selber
vernommen, dass er die Ursache der üblen Behandlung wäre, welche ihr Vater
jetzt eben erfahren hatte, so ließ sie ihr Schmerz darüber, und die Furcht,
welche sie gezwungen hatte die Flucht zu ergreifen, ihn als einen Feind
betrachten, mit welchem sie keine Gemeinschaft haben dürfte. überdies, wie
geneigt sie selber auch sein mochte, in die von ihm gewünschte Vermählung zu
willigen, so erkannte sie doch wohl, dass ihr Vater diese Verbindung unter
andern auch aus dem Grunde verwerfe weil der König Beder von einem Landkönig
abstammt, und war entschlossen, sich in diesem Stück gänzlich seinem Willen zu
unterwerfen. Gleichwohl wollte sie nichts von ihrem Unmut merken lassen. Sie
sann nur auf ein Mittel, sich geschickt aus den Händen des Königs Beder zu
befreien. Indem sie sich stellte, als ob sie ihn mit Vergnügen ansähe, sprach
sie zu ihm mit aller möglichen Höflichkeit:

„Herr, ihr seid also ein Sohn der durch ihre
außerordentliche Schönheit so berühmten Königin Gülnare? Ich freue mich
sehr, in euch einen ihrer so würdigen Prinzen zu sehen. Der König, mein Vater,
hat sehr Unrecht, sich so heftig unserer gegenseitigen Verbindung zu
widersetzen. Sobald er euch aber nur sieht, wird er nicht länger anstehen, uns
beide glücklich zu machen.“ Indem sie diese Worte sagte, reichte sie ihm
die Hand.

Der König Beder wähnte sich schon auf dem Gipfel seines
Glücks. Er streckte seine Hand aus, fasste die Hand der Prinzessin, und bückte
sich, um sie ehrfurchtsvoll zu küssen.

Die Prinzessin ließ ihm aber nicht Zeit dazu.
„Verwegener,“ sprach sie zu ihm, indem sie ihn zurückstieß und ihm
ins Gesicht spie, weil sie kein Wasser bei der Hand hatte, „verlass diese
Menschengestalt, und nimm die Gestalt eines weißen Vogels an, mit rotem
Schnabel und roten Füßen!“