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268. Nacht

„Es ist nicht ratsam,“ fuhr nun der König Saleh
fort, „dass der König, mein Neffe, sobald Kenntnis von dem erlangt, was
ich dir zu sagen habe. Die Liebe, wie du weißt, schlüpft manchmal durch das
Ohr ins Herz, und es ist nicht ratsam, dass er etwa auf diese Weise schon im
voraus diejenige liebe, welche ich dir nennen will. Denn ich sehe große
Schwierigkeiten zu übersteigen, nicht sowohl von Seiten der Prinzessin, wie ich
hoffe, als von Seiten des Königs, ihres Vaters. Ich darf dir nur die Prinzessin
Giäuhare1)
und den König von Samandal nennen.“

„Was sagst du, mein Bruder?“, versetzte die
Königin Gülnare, „die Prinzessin Giäuhare ist noch unvermählt? Ich
erinnere mich, sie kurz vor meiner Trennung von dir gesehen zu haben: Sie war
ungefähr achtzehn Monate alt, und damals schon von erstaunlicher Schönheit.
Sie muss gegenwärtig ein Wunder der Welt sein, wenn ihre Schönheit seitdem
immer zugenommen hat. Der geringe Unterschied des Alters zwischen ihr und dem
König, meinem Sohn, darf uns nicht abhalten, alle unsere Kräfte aufzubieten,
um ihm eine so vorteilhafte Heirat zu verschaffen. Es kommt nur darauf an, die
Schwierigkeit zu kennen, welche du dabei findest, und sie zu überwinden.“

„Meine Schwester,“ fuhr der König Saleh fort,
„sie bestehen darin, dass der König von Samandal einen unerträglichen
Dünkel hat, dass er sich über alle andre Könige erhaben wähnt, und dass also
wenig Anschein ist, mit ihm eine Unterhaltung wegen dieser Verbindung anknüpfen
zu können. Nichts desto weniger will ich selber hingehen und um die Prinzessin,
seine Tochter, bei ihm anhalten, und wenn er sie uns abschlägt, so wollen wir
uns anderswohin wenden, wo wir günstigeres Gehör finden werden. Deshalb ist es
gut, wie du siehst,“ fügte er hinzu, „dass der König, mein Neffe,
nichts von unserer Absicht erfahre, bis wir der Einwilligung des Königs von
Samandal gewiss sind, damit nicht etwa die Liebe zu der Prinzessin Giäuhare
sich seines Herzens bemächtige, ohne dass wir imstande sind, sie ihm zu
verschaffen.“

Sie unterhielten sich noch einige Zeit über denselben
Gegenstand. Bevor sie sich trennten, kamen sie darin überein, dass der König
Saleh unverzüglich in sein Reich zurückkehren und bei dem König von Samandal
um die Prinzessin Giäuhare für den König von Persien anhalten sollte.

Da die Königin Gülnare und der König Saleh wähnten,
dass der König Beder wirklich schliefe, so weckten sie ihn auf, als sie
schlafen gehen wollten, und Beder wusste sich sehr gut zu verstellen, als wenn
er aus einem tiefen Schlaf erwachte. In Wahrheit aber hatte er kein Wort von
ihrer Unterredung verloren, und das Bild, welches sie von der Prinzessin
Giäuhare entworfen, hatte in seinem Herzen eine Leidenschaft angefacht, welche
ihm ganz neu war. Er machte sich von ihrer Schönheit eine so reizende
Vorstellung, dass das Verlangen, sie zu besitzen, ihn die ganze Nacht hindurch
in eine Unruhe versetzte, welche ihn keine Auge zuschließen ließ.

Am folgenden Morgen wollte der König Saleh von der
Königin Gülnare und seinem Neffen Abschied nehmen. Der junge König von
Persien, der wohl wusste, dass sein Onkel nur deshalb sobald abreisen wollte, um
ohne Zeitverlust an seinem Glück zu arbeiten, konnte dies nicht hören, ohne
die Farbe zu wechseln. Seine Leidenschaft war schon so stark, dass sie ihm nicht
mehr erlaubte, auf den Anblick ihres Gegenstandes noch so lange zu warten, als
er zu den Unterhandlungen über seine Vermählung erforderlich glaubte. Er
fasste also den Entschluss, seinen Onkel zu bitten, dass er ihn mitnähme. Da er
aber die Königin, seine Mutter, nichts davon wissen lassen, und Gelegenheit
haben wollte, mit ihm allein davon zu sprechen, so nötigte er ihn, noch da zu
bleiben, um den folgenden Tag an einer Jagdlust mit teilzunehmen, mit dem
Vorsatz, diese Gelegenheit zu benutzen und ihm seine Absicht zu erklären.

Die Jagd wurde angestellt, und der König Beder befand
sich mehrmals mit seinem Onkel allein, aber er hatte nicht das Herz, den Mund zu
öffnen und ihm ein Wort von seinem Anliegen zu sagen. Als in der Hitze der Jagd
der König Saleh sich von ihm getrennt hatte, und auch keiner von seinen
Offizieren, noch von seinen Leuten bei ihm geblieben war, stieg er an einem Bach
ab, und nachdem er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte, der einen schönen
Schatten gab, streckte er sich auf den Rasen hin, und ließ seinen Tränen
freien Lauf, welche im überfluss, mit Seufzern und Schluchzen vermischt, dahin
strömten. Er blieb lange so in seinen Gedanken versunken, ohne ein einziges
Wort vorzubringen.

Unterdessen war der König Saleh, als er seinen Neffen
nicht mehr sah, in großer Sorge, und forschte nach, wo er wäre, fand aber
niemand, der ihm etwas von ihm sagen konnte. Er trennte sich von den übrigen
Jägern, suchte ihn selber, und erblickte ihn von weitem. Er hatte schon gestern
bemerkt, dass er nicht seine gewöhnliche Munterkeit hatte, dass er, gegen seine
Weise, nachdenklich war, und nicht sogleich, oder doch nicht angemessen, auf die
an ihn gerichteten Fragen antwortete. Aber er hatte nicht den geringsten
Verdacht über die Ursache dieser Veränderung gehabt. Als er ihn nun aber in
dieser Lage sah, zweifelte er nicht mehr, dass er seine Unterredung mit der
Königin Gülnare gehört und sich verliebt hatte. Er stieg ziemlich weit von
ihm ab, und nachdem er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte, nahm er einen
großen Umweg, und trat ganz leise so nahe heran, dass er ihn folgende Worte
aussprechen hörte:

„Liebenswürdige Prinzessin des Königreichs
Samandal!“, rief Beder aus, „man hat mir ohne Zweifel nur einen
schwachen Umriss von eurer unvergleichlichen Schönheit gemacht. Ihr seid gewiss
noch viel schöner und übertrefft alle Prinzessinnen der Welt, wie die Sonne
den Mond und alle anderen Gestirne miteinander überstrahlt! Ich würde auf der
Stelle hingehen, euch mein Herz darzubieten, wenn ich euch zu finden wüsste: Es
gehört euch an, und nie soll es eine andere Prinzessin als ihr besitzen!“

Saleh mochte nicht mehr hören. Er trat hervor, so dass
der König Beder ihn sah, und sprach zu ihm: „Wie ich sehe, lieber Neffe,
so hast du gehört, was ich mit der Königin, deiner Mutter, vorgestern von der
Prinzessin Giäuhare geredet habe. Das war nicht unsere Absicht, und wir
wähnten, du schliefest.“

„Mein lieber Onkel,“ antwortete Beder, „ich
habe kein Wort verloren, und die Wirkung davon empfunden, welche ihr
vorausgesehen habt, ohne sie vermeiden zu können. Ich habe euch besonders in
der Absicht noch aufgehalten, um vor eurer Abreise mit euch von meiner Liebe zu
sprechen: Aber die Scham, euch meine Schwäche zu bekennen, wenn es eine
Schwäche ist, eine so liebenswürdige Prinzessin zu lieben, hat mir den Mund
geschlossen. Ich flehe euch nun bei eurer Freundschaft für einen Prinzen, der
die Ehre hat, euer so naher Verwandter zu sein, habt Mitleid mit mir, und lasst
mich nicht so lange auf den Anblick der göttlichen Giäuhare warten, bis ihr
die Einwilligung des Königs, ihres Vaters, zu unserer Vermählung erhalten
habt, wenn ihr nicht wollt, dass ich aus Liebe zu ihr sterbe, bevor ich sie
gesehen habe.“

Diese Rede des Königs von Persien setzte den König Saleh
in große Verlegenheit. Er stellt ihm vor, wie schwer es wäre, ihm hierin zu
genügen, das es nicht anders geschehen könnte, als wenn er ihn mitnähme: Weil
aber seine Gegenwart in seinem Reiche notwendig, und alles zu fürchten wäre,
wenn er sich entfernte, so beschwur er ihn, seine Leidenschaft zu mäßigen, bis
in die Sache so weit gebracht hätte, dass er ihn befriedigen könnte, und
versicherte ihn, dass er alles möglichst beschleunigen, und in wenigen Tagen
wiederkommen würde, um ihm Nachricht zu bringen.

Der König von Persien hörte aber nicht auf diese
Gründe. „Grausamer Onkel,“ entgegnete er, „ich sehe wohl, dass
ihr mich nicht so sehr liebt, als ich glaubte, und dass ihr mich lieber wollt
sterben lassen, als mir die erste Bitte zu gewähren, welche ich euch in meinem
Leben getan habe.“

„Ich bin bereit, dir zu beweisen,“ versetzte der
König Saleh, „dass es nichts auf der Welt gibt, was ich dir nicht zu
gefallen tun wollte, aber ich kann dich nicht mit mir nehmen, ohne dass du mit
deiner Mutter davon gesprochen hast. Was würde sie von dir und von mir denken?
Wenn sie einwilligt, will ich es wohl tun, und ich werde sie mit dir darum
bitten.“

„Ihr wisst recht wohl,“ erwiderte der König von
Persien, „dass die Königin, meine Mutter, nie zugeben wird, dass ich sie
verlasse. Diese Entschuldigung beweist mir nur noch mehr eure Härte gegen mich.
Wenn ihr mich wirklich so liebt, wie ihr mich überreden wollt, so müsst ihr
auf der Stelle in euer Reich zurückkehren und mich mitnehmen.“


1)
Giäuhare bedeutet im arabischen Edelstein.