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266. Nacht

Der König von Persien, durch diese Worte beruhigt, stand
auf von seinem Sitz, und trat mit der Königin Gülnare in das Zimmer. Die junge
Königin stellte ihn ihrer Mutter, dem König ihrem Bruder, und ihren Nichten
vor, die sich sogleich vor ihm mit dem Angesicht auf den Boden warfen. Der
König lief alsbald hin zu ihnen, nötigte sie, aufzustehen, und umarmte sie
nacheinander.

Nachdem sich alle gesetzt hatten, nahm der König Saleh
das Wort und sprach zu dem König von Persien: „Herr, wir können Euer
Majestät nicht genug unsere Freude darüber bezeugen, dass Gülnare, meine
Schwester, in ihrem Missgeschick das Glück gehabt hat, den Schutz eines so
mächtigen Monarchen zu finden. Wir können euch versichern, dass sie des hohen
Ranges, zu welchem ihr sie erhoben habt, nicht unwürdig ist. Wir haben stets so
große Liebe und Zärtlichkeit für sie gehabt, dass wir uns nicht entschließen
konnten, sie einem jener mächtigen Fürsten des Meeres zu geben, welche selbst
vor ihrer Mannbarkeit schon bei uns um sie warben. Der Himmel hat sie für euch,
Herr, aufbewahrt, und wir können ihm nicht besser für die euch erzeugte Gunst
danken, als wenn wir ihn bitten, Euer Majestät die Gnade zu gewähren, dass ihr
noch lange Jahre mit ihr im Schoße des Glückes lebt.“

„Es muss wohl so sein,“ erwiderte der König von
Persien, „wie ihr bemerkt, dass der Himmel sie für mich aufbewahrt hat.
Die Leidenschaft, die ich für sie fühle, lässt mich erkennen, dass ich noch
gar nicht geliebt hatte, bevor ich sie sah. Ich kann der Königin Mutter und
euch, mein Fürst, nicht dankbar genug sein für den Edelmut, mit welchem ihr
einwilligt, mich in eine mir so ehrenvolle Verwandtschaft aufzunehmen.“

Nach diesen Worten lud er sie ein, sich zu Tische zu
setzen, und setzte sich auch nebst Gülnare mit ihnen.

Nach dem Imbiss unterhielt sich der König von Persien mit
ihnen bis tief in die Nacht. Als es Zeit war schlafen zu gehen, führte er sie
selber nach den für sie bereiteten Zimmern.

Der König von Persien bewirtete seine erlauchten Gäste
mit ununterbrochenen Festen, bei welchen er nichts vergaß, was seine Größe
und Herrlichkeit zeigen konnte, und unvermerkt bewog er sie so, bis zur
Niederkunft der Königin an seinem Hofe zu bleiben.

Sie kam endlich nieder, und brachte einen Sohn zur Welt,
zur großen Freude der Königin, ihrer Mutter, welche ihn dem König darbrachte,
sobald ihm die ersten prächtigen Windeln angelegt waren.

Der König von Persien empfing dieses Geschenk mit einer
Freude, die man sich leichter denken, als beschreiben kann. Da das Antlitz des
kleinen Prinzen, seines Sohnes, voll und von glänzender Schönheit war, so
glaubte er ihm keinen passenderen Namen geben zu können, als Beder1).
Um dem Himmel dafür zu danken, erteilte er den Armen reichliche Almosen, ließ
die Gefangenen los, schenkte allen seinen Sklaven beiderlei Geschlechts die
Freiheit, und ließ große Summen unter die Geistlichen und andächtigen Brüder
seiner Religion verteilen. Er spendete auch reichliche Gaben an seinem Hof unter
das Volk, und ließ durch die ganze Stadt mehrtägige Freudenfeste ansagen.

Nachdem die Königin Gülnare von ihrem Wochenbett wieder
aufgestanden war, und sie sich eines Tages in ihrem Zimmer mit dem König von
Persien, der Königin, ihrer Mutter, dem König Saleh und den Prinzessinnen,
ihren Nichten, unterhielt, trat die Amme mit dem kleinen Prinzen Beder auf dem
Arm herein. Saleh stand sogleich auf von seinem Sitz, lief zu dem kleinen
Prinzen, und nachdem er ihn der Amme vom Arm genommen, begann er ihn mit großer
Zärtlichkeit zu küssen und zu herzen. Er ging mit ihm mehrmals im Zimmer
umher. Plötzlich, im Entzücken seiner Freude, schwang er sich aus einem offen
stehenden Fenster, und schoss mit dem Prinzen ins Meer hinab.

Der König von Persien, der sich dieses Schauspiels nicht
versah, stieß ein entsetzliches Geschrei aus, im Wahne, dass er den Prinzen,
seinen geliebten Sohn, nie, oder doch nur tot wieder sehen würde. Es fehlte
nicht viel, dass er, übermannt von seiner Betrübnis, seinem Schmerz und seinen
Tränen, den Geist aufgab. „Herr,“ sprach aber Gülnare zu ihm, mit
einem Gesicht und in einem Ton, welcher ihn wohl beruhigen konnte,
„fürchte euer Majestät nichts. Der kleine Prinz ist auch mein Sohn, und
ich liebe ihn nicht weniger als ihr. Ihr seht gleichwohl, dass ich darüber
nicht unruhig bin: In der Tat er läuft keine Gefahr, und ihr werdet bald den
König, seinen Onkel, wieder erscheinen und ihn gesund und unversehrt
zurückbringen sehen. Obschon er aus eurem Blut entsprossen ist, so hat er doch
nicht minder von mir den Vorzug geerbt, eben sowohl im Meer, als auf dem Land
leben zu können.“

Die Königin, ihre Mutter und die Prinzessinnen, ihre
Nichten, bekräftigten dieses dem König von Persien. Aber ihr Zureden machte
doch nicht so große Wirkung, um ihn von seiner Furcht zu befreien: Es war ihm
unmöglich, sie abzulegen, solange der Prinz Beder seinen Augen entrückt
bliebt.

Das Meer ward endlich wieder unruhig, und bald sah man den
König Saleh, welcher, mit dem kleine Prinzen Beder im Arm, daraus emporstieg,
und sich durch die Luft schwingend in dasselbe Fenster wieder hineinschwebte,
durch welches er entschwunden war. Der König von Persien war froh, und in
großer Verwunderung, als er den Prinzen Beder so ruhig als zuvor sah. Der
König Saleh fragte ihn: „Herr, Euer Majestät war wohl sehr bange, als ihr
mich mit dem Prinzen, meinem Neffen, ins Meer tauchen saht?“

„Ach, mein Fürst,“ antwortete der König von
Persien, „ich kann euch nicht ausdrücken, wie. Ich hielt ihn für verloren
und ihr habt mir das Leben wiedergegeben indem ihr ihn mir wiederbringt.“

„Herr,“ versetzte der König Saleh, „ich
habe es wohl gedacht, aber es war nicht das geringste zu fürchten. Bevor ich
hinabtauchte, hatte ich über ihn die geheimnisvollen Worte ausgesprochen,
welche auf dem Siegelring des großen König Salomon, Davids Sohn, eingegraben
waren. Wir tun dasselbe mit allen Kindern, die bei uns in den Ländern auf dem
Grunde des Meeres geboren werden. Durch die Kraft dieser Worte erhalten sie
dieselbe Eigenschaft, welche wir vor den Menschen, die auf dem Land wohnen,
voraus haben.

Hiernach kann euer Majestät beurteilen, welchen Vorzug
der Prinz Beder durch seien Geburt von Seiten der Königin Gülnare, meiner
Schwester, empfangen hat. So lange er lebt, und so oft er will, steht es ihm
frei, ins Meer hinab zu tauchen und die weiten Reiche zu durchlaufen, welche
sein Schoß verschließt.“

Nach diesen Worten öffnete der König Saleh, der schon
den kleinen Prinzen Beder den Armen der Amme wieder überliefert hatte, ein
Kästchen, welches er während der kurzen Zeit seines Entschwindens aus seinem
Palast geholt und mitgebracht hatte, und welches angefüllt war mit dreihundert
Diamanten, so groß wie Taubeneier, mit einer gleichen Anzahl Rubinen von
außerordentlicher Größe, mit ebenso vielen Smaragdstangen von der Länge
eines halben Fußes, und mit dreißig Schnüren oder Halsbändern von Perlen,
jedes von zehn Stück.

„Herr,“ sprach er zu dem König von Persien,
indem er ihm dieses Kästchen zum Geschenk überreichte, „als wir von der
Königin, meiner Schwester, gerufen wurden, wussten wir nicht, in welcher Gegen
der Erde sie war, und dass sie die Ehre hatte, die Gemahlin eines so mächtigen
Königs zu sein: Das ist die Schuld, dass wir mit leeren Händen gekommen sind.
Da wir nun Euer Majestät unsere Erkenntlichkeit nicht anders bezeugen können,
so bitten wir euch, dieses geringe Zeichen derselben anzunehmen, in Betracht der
ausgezeichneten Güte, welche ihr meiner Schwester bewiesen habt, und an welcher
wir nicht minder Teil nehmen, als sie selber.“

Es lässt sich nicht beschreiben, wie groß das Erstaunen
des Königs von Persien war, als er so viel Reichtümer in einen so kleine Raum
eingeschlossen sah.

„Ei wie, mein Prinz!“, rief er aus, „ein
Geschenk von unschätzbarem Wert nennt ihr ein geringes Zeichen eurer
Erkenntlichkeit? Ich erkläre euch noch einmal, das ihr mir gar keinen Dank
schuldig seid, weder die Königin, eure Mutter, noch ihr selber. Ich schätze
mich überglücklich durch eure Beistimmung zu der Verbindung, welche ich mit
euch gestiftet habe. Teure Frau,“ sprach er, sich zu der Königin Gülnare
wendend, „der König euer Bruder versetzt ich in eine Beschämung, aus
welcher ich mich noch nicht wieder finden kann. Ich würde ihn um die Erlaubnis
bitten, sein Geschenk abzulehnen, wenn ich ihn nicht dadurch zu beleidigen
fürchtete. Bittet ihr ihn, dass er mir gütig erlasse, es anzunehmen.“

„Herr,“ entgegnete der König Saleh, „ich
bin nicht verwundert, dass Euer Majestät dieses Geschenk außerordentlich
findet. Ich weiß, dass man auf dem Land nicht gewohnt ist, Edelsteine von
dieser Güte und in so großer Menge beisammen zu sehen. Aber wenn ihr wüsstet,
dass mir die Gruben, wo sie gefunden werden, bekannt sind, und dass es in meiner
Macht steht, von dergleichen einen viel reicheren Schatz zu sammeln, als alles,
was in den Schatzkammern der Landkönige ist, so würdet ihr euch verwundern,
dass wir die Dreistigkeit gehabt haben, euch ein so unbedeutendes Geschenk zu
machen. Auch bitten wir euch, es nicht hiernach, sondern nach der aufrichtigen
Freundschaft zu schätzen, mit welcher wir es euch darbieten, und uns nicht
durch die Ablehnung desselben zu beschämen.“

So höfliche Wendungen nötigten den König von Persien,
es anzunehmen, und er machte ihm und der Königin Mutter große Danksagungen
dafür.

Einige Tage danach bezeugte der König Saleh dem König
von Persien, dass die Königin, seine Mutter, die Prinzessinnen, seine Nichten,
und er selber zwar kein größeres Vergnügen haben könnten, als ihr ganzes
übriges Leben an seinem Hof zuzubringen. Da sie aber schon lange aus ihrem
Reich abwesend und ihre Gegenwart dort nötig wäre: So baten sie ihn um die
Erlaubnis, von ihm und der Königin Gülnare Abschied zu nehmen.

Der König von Persien antwortete ihnen, es täte ihm sehr
leid, dass es nicht in seiner Macht stünde, ihre Höflichkeit zu erwidern, und
sie in ihrem Reiche zu besuchen. „Da ich aber überzeugt bin,“ fügte
er hinzu, „dass ihr die Königin Gülnare nicht vergessen, sondern sie von
Zeit zu Zeit besuchen werdet, so hoffe ich, ich werde die Ehre haben, euch noch
öfter als einmal zu sehen.“

Bei der Trennung wurden auf beiden Seiten viele Tränen
vergossen. Der König Saleh schied zuerst, aber die alte Königin und die
Prinzessinnen mussten sich, um ihm zu folgen, fast mit Gewalt aus den Umarmungen
der Königin Gülnare losreißen, welche sich nicht entschließen konnte, sie
fahren zu lassen.

Als die königliche Gesellschaft entschwunden war, konnte
der König von Persien sich nicht enthalten, zu der Königin Gülnare zu sagen:
„Teure Frau, ich würde denjenigen für einen meine Leichtgläubigkeit
missbrauchenden Menschen gehalten haben, der sich unterfangen hätte, mir alle
die Wunderdinge für Wahrheit auszugeben, von welchen ich Zeuge gewesen bin,
seit dem Augenblick, wo eure erlauchte Verwandtschaft meinen Palast mit ihrer
Gegenwart beehrte. Aber ich kann meine Augen nicht Lügen strafen: Ich werde
mich zeitlebens daran erinnern, und nicht aufhören dem Himmel dafür zu danken,
dass er euch mir vor allen andern Fürsten zugedacht hat.“

Der kleine Prinz Beder wurde in dem Palast gesäugt und
aufgezogen, unter den Augen des Königs und der Königin von Persien, die ihn
mit großem Vergnügen aufwachsen und an Schönheit zunehmen sahen. Er gewährte
ihnen immer mehr und mehr Freude, in dem Maße, wie er im Alter vorrückte,
durch seine stete Heiterkeit, seine Anmut in allem was er tat, und durch die
Kennzeichen seines richtigen und lebhaften Verstandes in allem was er sagte. Und
diese ihre Freude wurde dadurch noch erhöht, dass der König Saleh, sein Onkel,
die Königin, seine Großmutter, und die Prinzessinnen, seine Tanten, oft
hinkamen, um Teil daran zu nehmen. Man hatte keine Mühe, ihn lesen und
schreiben zu lehren, und mit derselben Leichtigkeit unterrichtete man ihn in
allen Wissenschaften, welche einem Prinzen seines Ranges angemessen waren.


1)
Beder bedeutet im arabischen Vollmond.