Project Description

265. Nacht

Als der König von Persien in das Gemach getreten war,
ließ die Königin Gülnare sich durch eine ihrer Frauen ein Rauchfass mit Feuer
bringen, und hieß die Frau wieder hinausgehen und die Türe zuschließen. Als
sie allein war, nahm sie ein Stück Aloeholz, tat es in das Rauchfass, und
sobald sie den Rauch aufsteigen sah, sprach sie einige dem König von Persien,
der all ihr tun mit großer Aufmerksamkeit beobachtete, unverständliche Worte
aus, und sie hatte noch nicht geendigt, als das Wasser des Meeres unruhig wurde.
Das Gemach, worin der König sich befand, war so gelegen, dass er dies durch das
Gitterfenster gewahrte, indem er nach dem Meere hinausblickte.

Das Meer tat sich endlich in einiger Entfernung auf: Und
alsbald stieg ein junger wohl gebildeter und schön gewachsener Mann, mit einem
meergrünen Knebelbart, daraus empor. Eine schon bejahrte Frau von königlichem
Ansehen, stieg ebenso bald nach ihm auf, mit fünf Meerfräulein, die keineswegs
der Königin Gülnare an Schönheit nachstanden.

Die Königin Gülnare trat sogleich an eins der Fenster,
und erkannte den König, ihren Bruder, die Königin ihre Mutter und ihre
Nichten, welche auch sie erkannten. Die Gesellschaft schwebte auf der
Oberfläche des Wassers daher, ohne sichtlich zu schreiten. Als sie alle am Ufer
waren, schwangen sie sich leicht, eins nach dem andern, zum Fenster hinein, wo
die Königin Gülnare erschienen, und zurückgetreten war, um ihnen Platz zu
machen. Der König Saleh, die Königin Mutter und ihre Nichten umarmten sie
zärtlich und mit Tränen in den Augen, so wie sie nacheinander hereinkamen.

Als Gülnare sie mit allen möglichen Ehren empfangen und
sie auf dem Sofa hatte Platz nehmen lassen, nahm die Königin, ihre Mutter das
Wort. „Meine Tochter,“ sprach sie zu ihr, „ich habe große
Freude, dich nach so langer Abwesenheit wieder zu sehen, und ich bin gewiss,
dass dein Bruder und deine Nichten sich nicht weniger darüber freuen. Deine
heimliche Entfernung hat uns in unglaubliche Betrübnis versetzt, und wir
können dir nicht sagen, wie viel Tränen wir darüber vergossen haben. Wir
wissen nichts weiter von der Ursache, welche dich bewogen haben kann, einen so
unerwarteten Entschluss zu fassen, als was dein Bruder uns von seiner
Unterredung mit dir berichtet hat. Der Rat, welchen er dir gab, schien ihm in
unsern damaligen Umständen vorteilhaft für deine Wohlfahrt. Du durftest dich
deshalb nicht so sehr beunruhigen, wenn er dir missfiel, und du wirst mir
erlauben, dir zu sagen, dass du die Sache ganz anders genommen hast, als du
solltest. Aber schweigen wir jetzt von dem, was nur deinen Schmerz von Verdruss
erneuern würde, die du mit uns vergessen sollst: Teile uns nun alles mit, was
dir seit so langer Zeit, dass wir dich nicht gesehen haben, begegnet ist. Vor
allen Dingen sage uns, ob du glücklich bist.“

Die Königin Gülnare warf sich sogleich ihrer Mutter zu
Füßen, und nachdem sie ihr die Hand geküsst hatte und wieder aufgestanden
war, antwortete sie: „Frau Mutter, ich habe einen großen Fehler begangen,
ich bekenne es, und nur eurer Güte verdanke ich die Verzeihung, welche ihr mir
anbietet. Was ich euch zu erzählen habe, wird euch zu erkennen geben, dass es
oft vergeblich ist, sich gegen gewisse Dinge zu sträuben. Ich habe es an mir
selber erfahren, da dasjenige, dem mein Wille am meisten widerstrebte, gerade
das ist, dem mein Schicksal mich entgegengeführt hat.“

Sie erzählte ihnen nun alles, was ihr begegnet war. Als
sie damit geendigt hatte, dass sie zuletzt an den König von Persien verkauft
worden, bei welchem sie noch wäre, sprach der König, ihr Bruder, zu ihr:
„Meine Schwester, du hast sehr Unrecht, dass du so viel Unwürdiges
erduldet, und kannst nur dich selber anklagen. Es stand in deiner Macht, dich
davon zu befreien, und ich erstaune über dein Geduld, so lange in der Sklaverei
zu bleiben: Steh auf, und komm wieder mit uns in unser Königreich, welches ich
von unserm stolzen Feinde, der sich dessen bemächtigt hatte, wiedererobert
habe.“

Der König von Persien, der in seinem Verstecke diese
Worte hörte, war darüber höchst beunruhigt: „Ach,“ sprach er bei
sich selber, „ich bin verloren, und mein Tod ist gewiss, wenn meine
geliebte Gülnare, auf einen so unseligen Rat hört! Ich kann nicht mehr ohne
sie leben und man will sie mir entreißen!“

Die Königin Gülnare ließ ihn nicht lange in dieser
Furcht. „Mein Bruder,“ erwiderte sie lächelnd, „was ich da von
dir höre, lässt mich mehr als jemals erkennen, wie aufrichtig deine Liebe für
mich ist. Der Rat, den du mir gabest, einen Fürsten des Landes zu heiraten, war
mir damals unerträglich: Und gegenwärtig fehlt wenig, dass ich über den Rat
in Zorn gerate, den du mir hier gibst, meine Verbindung mit dem mächtigsten und
berühmtesten aller Fürsten aufzugeben. Ich rede nicht von der Verpflichtung
einer Sklavin gegen ihren Herren: Es würde uns leicht sein, ihm die zehntausend
Goldstücke wieder zu geben, welche ich ihn gekostet habe. Ich rede von der
Verpflichtung einer Frau gegen ihren Gemahl, und zwar einer Frau, welche
durchaus keine Ursache zur Unzufriedenheit mit ihm hat. Er ist ein frommer,
weiser und gemäßigter Fürst, der mir die unzweideutigsten Zeichen seiner
Liebe gegeben hat. Er konnte sie mir wohl nicht stärker beweisen als dadurch,
dass er gleich in den ersten Tagen meines Besitzes die ganze große Anzahl
seiner Frauen verabschiedete, um sich allein mir zu widmen. Ich bin seine
Gemahlin. Er hat mich soeben zur Königin von Persien erklärt, und an seinem
Rat Teil gegeben. Noch mehr, ich bin schwanger, und wenn ich das Glück habe,
unter Vergünstigung des Himmels, ihm einen Sohn zu geben, so ist dieses ein
neues Band, welches mich unzertrennlich an ihn fesselt. Also, mein Bruder,“
fuhr die Königin Gülnare fort, „weit entfernt, deinem Rat zu folgen,
verpflichten diese Rücksichten, wie du siehst, mich nicht nur, den König von
Persien ebenso zu lieben, wie er mich liebt, sondern auch bei ihm zu bleiben und
mein Leben mit ihm zu teilen, mehr aus Erkenntlichkeit, als aus Pflicht. Ich
hoffe, dass weder meine Mutter, noch du, noch meine lieben Nichten meinen
Entschluss missbilligen werden, so wenig, als die Verbindung, welche ich
eingegangen, ohne sie gesucht zu haben: Eine Verbindung, welche gleich ehrenvoll
für die Fürsten des Meeres, wie des Landes ist. Verzeiht mir, wenn ich euch
aus den Tiefen der Wogen hierher bemüht habe, um euch dieses mitzuteilen und
das Glück zu haben, nach einer so langen Trennung euch wieder zu sehen.“

„Meine Schwester,“ sagte hierauf der König
Saleh, „der Vorschlag, welchen ich dir, auf die Erzählung deiner
Abenteuer, die ich nicht ohne Schmerz anhören konnte, getan habe, mit uns
heimzukehren, sollte dir nur beweisen, wie sehr wir dich alle lieben, wie sehr
insbesondere ich dich achte, und dass nichts uns mehr am Herzen liegt, als
alles, was zu deinem Glück beitragen kann. Aus denselben Beweggründen kann ich
meinerseits einen so vernünftigen und deiner so würdigen Entschluss nicht
anders als billigen, nach dem, was du uns von der Person des Königs von Persien
und deinen großen Verpflichtungen gegen ihn erzählt hast. Was die Königin,
deine und meine Mutter betrifft, so bin ich überzeugt, dass sie derselben
Meinung ist.“

Diese Fürstin bestätigte die Voraussetzung des Königs,
ihres Sohnes, und sprach, indem sie sich auch zu der Königin Gülnare wandte:
„Meine Tochter, ich bin erfreut, dass du zufrieden bist, und ich habe dem,
was der König dein Bruder dir gesagt hat, nichts weiter hinzuzufügen. Ich
würde die erste sein, die dich tadelte, wenn du nicht einem Fürsten, der dich
so leidenschaftlich liebt und so Großes für dich getan hat, alle ihm schuldige
Dankbarkeit erzeigtest.“

So sehr der König von Persien, in dem Gemach, durch die
Furcht bekümmert gewesen war, die Königin Gülnare zu verlieren, so viel
Freude hatte er, zu sehen, dass sie entschlossen war, ihn nicht zu verlassen. Da
er, nach einer so bestimmten Erklärung, nicht mehr an ihrer Liebe zweifeln
konnte, so liebte er sie nun noch tausend Mal mehr, und er gelobte, ihr seine
Erkenntlichkeit dafür auf alle ihm nur mögliche Weise zu bezeigen.

Während der König von Persien also mit sich selber
redete, hatte Gülnare in die Hände geklatscht, und den sogleich eingetretenen
Sklavinnen befohlen, einen Imbiss aufzusetzen. Als aufgetragen war, lud sie die
Königin, ihre Mutter, den König, ihren Bruder, und ihre Nichten zum Essen ein.
Aber alle hatten denselben Gedanken, dass sie, ohne um die Erlaubnis gebeten zu
haben, sich in dem Palast eines mächtigen Königs befanden, den sie nie gesehen
hatten, und der sie nicht kannte, dass es also eine große Unhöflichkeit sein
würde, an seinem Tisch ohne ihn zu essen. Die Röte stieg ihnen darüber ins
Gesicht, und von der inneren Aufwallung fuhren ihnen Flammen aus den Nüstern
und aus dem Munde, und ihren Augen funkelten.

Der König von Persien geriet in unsäglichen Schrecken
über dieses unerwartete Schauspiel, dessen Ursache er nicht wusste. Gülnare,
welche die Absicht ihrer Verwandten verstand, deutete ihnen nur an, indem sie
sich von ihrem Sitz erhob, dass sie sogleich wiederkommen würde. Sie ging in
das Gemach, wo sie den König durch ihre Gegenwart beruhigte. „Herr,“
sagte sie zu ihm, „ich zweifle nicht, dass Euer Majestät mit dem Zeugnisse
zufrieden ist, welches ich soeben von meinen großen Verpflichtungen gegen euch
abgelegt habe. Es stand nur bei mir, ihrem Verlangen nachzugeben, und mit ihnen
in unser Reich heimzukehren: Das aber wäre eine Undankbarkeit, wofür ich mich
selber zuerst verdammen würde.“

„Ach,“ rief der König von Persien aus,
„redet nicht mehr von den Verpflichtungen, die ihr gegen mich habt. Ich
selber bin euch so sehr verpflichtet, dass ich euch meine Erkenntlichkeit nicht
genügend bezeugen kann. Ich hatte nicht geglaubt, dass ihr mich so sehr
liebtet, als ich jetzt sehe: Ihr habt mir soeben den schönsten Beweis davon
gegeben.“

„Wie, Herr,“ erwiderte Gülnare, „könnte
ich weniger tun, als ich tue? Ich tue noch nicht genug, nach allen den Ehren,
die mir zu Teil geworden sind, nach so viel Wohltaten, womit ihr mich
überhäuft habe, nach so vielen Beweisen der Liebe, für welche ich unmöglich
unempfindlich sein könnte. Aber, Herr,“ setzte die Königin hinzu,
„schwiegen wir jetzt davon, und überzeugt euch von der aufrichtigen
Freundschaft, mit welcher meine Mutter und mein Bruder euch verehren. Sie
brennen vor Verlangen, euch zu sehen, und es euch selber zu versichern. Ich
besorgte sogar, mir einen Handel mit ihnen zuzuziehen, als ich ihnen einen
Imbiss geben wollte, bevor ich ihnen diese Ehre verschafft hatte. Ich bitte
also, Euer Majestät geruhe herein zu treten, und sie mit eurer Gegenwart zu
beehren.“

„Teure Frau,“ erwiderte der König von Persien,
„es würde mir ein großes Vergnügen machen, diese euch so nahe
angehörigen Personen zu begrüßen: Aber die Flammen erschrecken mich, welche
ich aus ihren Nüstern und ihrem Munde fahren sehe.“

„Herr,“ versetzte die Königin lächelnd,
„diese Flammen dürfen Euer Majestät nicht die geringste Furcht machen.
Sie bedeuten nichts anders, als ihren Widerwillen, in eurem Palast zu essen,
ohne dass ihr sie mit eurer Gegenwart beehrt.“