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264. Nacht

„Herr,“ sagte hierauf die schöne Sklavin,
„mein Name ist Gülnare1)
vom Meere. Mein Vater, der nicht mehr lebt, war einer der mächtigsten Könige
des Meeres, und bei seinem Tod hinterließ er sein Reich meinem Bruder, Namens
Saleh2), und
der Königin, meiner Mutter. Diese ist ebenfalls die Tochter eines anderen sehr
mächtigen Meerkönigs. Wir lebten in unserm Reich ruhig und in tiefem Frieden,
als plötzlich ein auf unser Glück neidischer Feind mit einem gewaltigen Heer
in unsere Staaten einfiel, bis zu unserer Hauptstadt vordrang, sich derselben
bemächtigte, und uns nur so viel Zeit ließ, uns mit einigen treuen Offizieren,
die uns nicht verließen, nach einem unzugänglichen und unbezwingbaren Ort zu
retten.

In diesem Zufluchtsort versäumte mein Bruder nicht, auf
Mittel zu sinnen, um den ungerechten Besitzer unserer Staaten wieder zu
vertreiben. Während dieser Zeit nahm er mich eines Tages beiseite und sprach zu
mir: „Liebe Schwester, der Erfolg der geringsten Unternehmung ist immer
sehr ungewiss. Ich kann in derjenigen erliegen, welche ich zur Rückkehr in
meine Staaten vorhabe. Aber ich bin dabei weniger um mein Unglück bekümmert,
als um das, was dich alsdann betreffen könnte. Um dem zuvor zu kommen und dich
davor zu behüten, möchte ich dich zuvor gern vermählen, aber bei dem
bedrängten Zustand unserer Angelegenheiten sehe ich nicht, wie du dich mit
irgend einem unserer Prinzen des Meeres verbinden könntest. Ich wünschte also,
dass du dich zu meinem Vorschlag entschließen möchtest, nämlich, einen
Prinzen des Landes zu heiraten. Ich bin bereit, alle Mittel dazu anzuwenden. Bei
deiner Schönheit bin ich sicher, es ist keiner, wie mächtig er auch sei, der
nicht mit Freuden seine Krone mit dir teilen möchte.“

Diese Rede meines Bruders brachte mich sehr auf gegen ihn.
„Mein Bruder,“ sagte ich zu ihm, „von Seiten meines Vaters und
meiner Mutter stamme ich, wie du, von Königen und Königinnen des Meeres, ohne
alle Vermischung mit den Königen des Landes: Ich mag so wenig als sie eine
Missheirat eingehen, und habe darauf einen Schwur getan, sobald ich Einsicht
genug hatte, den Adel und das Altertum unseres Hauses zu erkennen. Der Zustand,
in welchen wir versetzt sind, wird mich nicht dahin bringen, diesen Entschluss
zu verändern, und wenn du in der Ausführung deines Unternehmens umkommen
solltest, so will ich lieber mit dir sterben, als einen Rat befolgen, welchen
ich von deiner Seite nicht erwartete.“

Mein Bruder, von dieser Heirat eingenommen, die meiner
Meinung nach eine Missheirat war, stellte mir vor, dass es Landkönige gäbe,
welche den Meerkönigen nicht nachstünden. Dieses versetzte mich in solchen
Zorn und Ungestüm gegen ihn, dass es mir harte Reden von ihm zuzog, welche mich
aufs empfindlichste verletzten. Er verließ mich, ebenso unzufrieden mit mir,
als ich mit ihm. In dem ärger, worin ich war, schwang ich mich aus der Tiefe
des Meeres, und begab mich nach der Mondinsel.

Ungeachtet des gerechten Missvergnügens, welches mich
genötigt hatte, mich auf diese Insel zurückzuziehen, lebte ich dort jedoch
ziemlich zufrieden, und ich hielt mich an abgelegenen Orten auf, wo ich sicher
war. Meine Vorsicht verhinderte jedoch nicht, dass ein Mann von einiger
Bedeutung mit seinen Leuten mich im Schlaf überfiel und mit sich heimführte.
Er bezeugte mir seine große Liebe, und unterließ nichts, mich zu bereden, sie
zu erwidern. Als er sah, dass er mit Güte nichts ausrichtete, wähnte er, durch
Gewalt besser zum Ziel zu gelangen. Ich aber ließ ihn seine Unverschämtheit so
sehr bereuen, dass er mich zu verkaufen beschloss: Und so verkaufte er mich an
den Kaufmann, der mich Euer Majestät zugeführt hat. Dies war ein
verständiger, sanfter und freundlicher Mann, und auf der langen Reise, welche
er mit mir machte, hat er mir nur Anlass gegeben, ihn zu rühmen.

„Was Euer Majestät betrifft,“ fuhr die
Prinzessin Gülnare fort, „wenn ihr für mich nicht alle die Aufmerksamkeit
gehabt hättet, wofür ich euch dankbar bin, wenn ihr mir nicht so viel
aufrichtige Zeichen der Liebe gegeben, dass ich nicht daran zweifeln konnte,
wenn ihr nicht ohne Zaudern alle eure Frauen entlassen hättet. So, scheu ich
mich nicht, zu sagen, wäre ich nimmer bei euch geblieben. Ich hätte mich durch
dieses Fenster, wo ihr zuerst in diesem Zimmer mir nahtet, ins Meer gestürzt,
und meinen Bruder, meine Mutter und meine Verwandte wieder aufgesucht. Ich wäre
sogar in dieser Absicht beharrt, und hätte sie ausgeführt, wenn ich nach einer
gewissen Zeit die Hoffnung der Schwangerschaft verloren hätte. Ich werde mich
aber wohl hüten, es in dem Zustand zu tun, worin ich mich nun befinde. Denn,
was ich auch meiner Mutter und meinem Bruder sagen möchte, nimmer würden sie
glauben wollen, dass ich die Sklavin eines Königs, wie Euer Majestät, gewesen,
und nimmer würden sie mir auch den Fehltritt verzeihen, welchen ich wissentlich
gegen meine Ehre begangen habe. Demnach, Herr, sei es nun ein Prinz oder eine
Prinzessin, so ich zur Welt bringe, wird dieses ein Pfand sein, welches mich
nötigt, mich nimmer von Euer Majestät zu trennen. Ich hoffe auch, dass ihr
mich nicht mehr als eine Sklavin, sondern als eine Fürstin behandeln werdet,
die eurer Verbindung nicht unwürdig ist.“

Auf solche Weise gab die Prinzessin Gülnare sich dem
König von Persien zu erkennen, und endigte die Erzählung ihrer Geschichte.
„Meine anbetungswürdige Fürstin,“ rief jetzt der König aus,
„welche Wunder höre ich da von euch! Welche Fülle der Gegenstände für
meine Neugier, um euch über so unerhörte Dinge zu befragen! Aber zuvor muss
ich euch für eure Güte und Geduld danken, mit welcher ihr die Aufrichtigkeit
und Beständigkeit meiner Liebe geprüft habt. Ich glaubte, nicht stärker
lieben zu können, als ich euch schon liebte. Seitdem ich indessen weiß, dass
ihr eine hohe Prinzessin seid, liebe ich euch noch tausend Mal mehr. Was sage
ich, Prinzessin? Meine Gemahlin, ihr seid es nicht mehr, ihr seid meine Königin
und Königin von Persien, so wie ich König von Persien bin, und dieser Name
soll alsbald in meinem ganzen Königreiche widerhallen. Gleich morgen soll er
meine Hauptstadt erfüllen, zugleich mit noch nie gesehen Freudenfesten, welche
kund geben sollen, dass ihr meine rechtmäßige Gemahlin seid. Solches wäre
schon längst geschehen, wenn ihr mich früher aus meinem Irrtum gezogen
hättet, weil ich von dem ersten Augenblick an, wo ich euch sah, dieselbe
Gesinnung hegte, wie heute, nämlich euch immer zu lieben, und keine andere zu
lieben, als euch.

Unterdessen, bis ich mir völlig genug tue und euch alles
wiedergebe, was euch gebührt, bitte ich euch, teure Frau, mich genauer von
diesen mir unbekannten Staaten und Völkern des Meeres zu unterrichten. Ich habe
wohl von Meermenschen gehört, aber was man mir davon erzählt hat, immer nur
für Märchen und Fabeln gehalten. Gleichwohl ist nach dem, was ihr mir davon
sagt, nichts wahrhafter. Ich habe einen sichern Beweis davon in eurer Person
selber, die ihr dorther stammt, und meine Gemahlin zu sein mich durch einen
Vorzug würdigt, dessen kein anderer Erdbewohner, außer mir, sich rühmen kann.
Eins nur macht mir dabei Bedenken, und ich bitte euch, mich darüber
aufzuklären: Ich kann nämlich nicht begreifen, wie ihr im Wasser leben und
euch regen und bewegen könnt, ohne zu ertrinken. Es verstehen wohl einige Leute
bei uns die Kunst, unter dem Wasser zu bleiben: Sie würden aber nichts desto
weniger umkommen, wenn sie nicht nach Verlauf einer gewissen, durch die
Geschicklichkeit und Kraft eines jeden bedingten Zeit wieder aufzutauchen.“

„Herr,“ antwortete die Königin Gülnare,
„mit vielem Vergnügen will ich Euer Majestät hierüber befriedigen. Wir
wandeln in der Tiefe des Meeres ebenso wie auf dem Lande, und atmen im Wasser,
wie in der Luft, so dass es, anstatt uns zu ersticken, wie es euch erstickt,
vielmehr zu unserm Leben beiträgt. Was dabei noch sehr merkwürdig, ist, dass
es unsere Kleider nicht benetzt, und wenn wir ans Land kommen, wir nicht nötig
haben, uns zu trocknen. Unsere gewöhnliche Sprache ist dieselbe, in welcher die
auf dem Siegelringe des großen Propheten Salomon eingegrabene Inschrift
verfasst ist.

Ich darf nicht vergessen, dass das Wasser uns auch nicht
hindert, im Meer zu sehen. Wir haben darin die Augen offen, ohne irgend eine
Unbequemlichkeit davon zu spüren. Da unsere Augen sehr scharf sind, so
vermögen wir, ungeachtet der Tiefe des Meeres, darin ebenso deutlich zu sehen,
als man auf dem Land sieht. Es verhält sich ebenso in der Nacht: Der Mond
leuchtet uns, und die Planeten und Gestirne sind uns nicht unsichtbar. Von
unsern Königreichen habe ich schon geredet: Da das Meer viel geräumiger ist,
als das Land, so gibt es darin auch deren viel mehr und viel größere. Sie
bestehen aus Provinzen, und in jeder Provinz sind mehrere große, sehr
volkreiche Städte. Endlich gibt es hier eine große Menge an Sitten und
Gewohnheiten unterschiedener Völkerschaften, wie auf dem Lande.

Die Paläste der Könige sind herrlich und prächtig: Sie
sind teils von Marmor von verschiedenen Farben, von Bergkristall, woran das Meer
überfluss hat, von Perlmutter, von Korallen und anderen noch kostbareren
Stoffen. Gold, Silber und alle Arten von Edelsteinen sind hier in viel
größerer Fülle, als auf der Erde. Ich geschweige der Perlen: Die größten,
die man auf dem Lande kennt, achtet man bei uns gar nicht. Es sind nur die
geringsten Bürgerinnen, die sich damit schmücken.

Da wir eine wunderbare und unglaubliche Geschwindigkeit
haben, uns in weniger als nichts dahin zu bewegen, wo wir wollen, so bedürfen
wir weder Wagen noch Reitzeug. Gleichwohl ist kein König, der nicht seine
Marställe von Seepferden hätte, aber sie bedienen sich derselben nur zum
Vergnügen bei Festen und öffentlichen Lustbarkeiten. Manche, nachdem sie sie
wohl abgerichtet haben, gefallen sich, sie zu reiten und ihre Geschicklichkeit
im Wettrennen zu zeigen. Andere spannen sie an Wagen von Perlenmuscheln,
geschmückt mit tausenderlei Muschelwerk von den mannigfaltigsten und
lebhaftesten Farben. Die Wagen sind offen, mit einem Thron, auf welchem die
Könige sitzen, wenn sie sich ihren Untertanen zeigen. Sie sind selber
geschickt, sie zu lenken, und bedürfen keines Kutschers.

Ich übergebe mit Stillschweigen,“ setzte die
Königin Gülnare hinzu, „eine Anzahl anderer sehr merkwürdiger
Besonderheiten der Meerländer, welche Euer Majestät sehr großes Vergnügen
machen würden, aber erlaubt, dass ich euch ein andermal bei mehr Muße davon
unterhalte, um von etwas anderem mit euch zu reden, das gegenwärtig von mehr
Wichtigkeit ist. Ich muss euch nämlich sagen, Herr, dass die Entbindung der
Meerfrauen von der Entbindung der Landfrauen verschieden ist, und ich habe
Grund, zu fürchten, dass die Hebammen dieses Landes mich nicht gut entbinden.
Da Euer Majestät nicht minder als mir daran gelegen ist, so halte ich es, mit
eurer Genehmigung für ratsam, zur Sicherung meiner Niederkunft, die Königin,
meine Mutter mit meinen Nichten kommen zu lassen, und zugleich auch meinen
Bruder, mit welchem ich mich gern wieder aussöhnen möchte. Sie werden erfreut
sein, mich wieder zu sehen, sobald ich ihnen meine Geschichte erzählt habe und
sie vernehmen, dass ich die Gattin des mächtigen Königs von Persien bin. Ich
bitte euer Majestät, es mir zu erlauben. Sie werden sich auch freuen, euch ihre
Ehrfurcht zu bezeigen, und ich kann euch versprechen, dass ihre Gesellschaft
euch vergnügen wird.“

„Teure Frau,“ erwiderte der König von Persien,
„ihr habt zu gebieten. Tut, was euch gefällt. Ich werde mich bemühen, sie
mit allen gebührenden Ehren zu empfangen. Aber ich möchte wohl wissen, auf
welche Weise ihr ihnen euren Wunsch kund tun wollt, und wann sie etwa ankommen
werden, damit ich Befehl zu den Anstalten ihres Empfanges gebe und selber ihnen
entgegen gehe.“

„Herr,“ antwortete die Königin Gülnare,
„es bedarf nicht dieser Feierlichkeiten. sie werden in einem Augenblick
hier sein, und Euer Majestät wird sehen, auf welche Weise sie ankommen: Ihr
dürft nur in dieses kleine Gemach treten, und durch das Gitterfenster
schauen.“


1)
Gül-nare bedeutet im persischen Rose oder Blüte des Granatenbaums.