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263. Nacht

Die schöne Sklavin brach endlich das Stillschweigen und
sprach also: „Herr, ich habe Euer Majestät so viel zu sagen, dass ich
nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich halte es aber zunächst für meine
Pflicht, euch für alle die Gnade und Ehre, womit ihr mich überhäuft habt, zu
danken, und den Himmel zu bitten, dass er euch segne, alle böse Anschläge
eurer Feinde vereitle, und euch nicht sterben lasse, nachdem ihr mich sprechen
gehört habt, sondern euch ein langes Leben schenke. Demnächst, Herr, kann ich
euch wohl keine größere Freude gewähren, als wenn ich euch ankündige, dass
ich schwanger bin: Und ich wünsche mit euch, dass es ein Sohn sei! – Aber,
Herr,“ fügte sie hinzu, „ohne diese Schwangerschaft (und ich bitte
Euer Majestät, meine Aufrichtigkeit nicht übel zu deuten) war ich
entschlossen, euch nie zu lieben, so wie ein beständiges Stillschweigen zu
beobachten. Gegenwärtig habe ich euch so lieb, wie es meine Pflicht ist.“

Der König von Persien, voll Freuden, dass er die schöne
Sklavin sprechen und eine ihm so wichtige Neuigkeit verkündigen gehört hatte,
umarmte sie zärtlich, und sagte zu ihr: „Licht meiner Augen, es gibt keine
größere Freude für mich, als die, womit ihr mich erfüllt. Ihr habt
gesprochen, und habt mir eure Schwangerschaft angekündigt: Ich bin
überglücklich durch diese beiden erfreulichen Begebenheiten, die ich nicht
erwartete.“

Im Rausch der Freude, welche den König von Persien
erfüllte, sagte er nichts weiter zu der schönen Sklavin, sondern verließ sie,
aber auf eine Weise, die zu erkennen gab, dass er bald zurückkommen würde. Da
er den Gegenstand seiner Freude offenkundig machen wollte, so verkündigte er
ihn seinen Beamten, und ließ seinen Großwesir rufen.

Sobald dieser kam, trug er ihm auf, hunderttausend
Goldstücke an diejenigen Diener seiner Religion, welche das Gelübde der Armut
getan hatten, an die milden Stiftungen und an die Armen zu verteilen, um Gott
dafür zu danken und sein Wille wurde vollzogen.

Nach Erteilung dieses Befehls, kam der König von Persien
wieder zu der schönen Sklavin: „Teure Frau,“ sagte er zu ihr,
„entschuldigt mich, wenn ich euch so plötzlich verlassen habe: Ihr selber
habt mir Anlass dazu gegeben. Aber erlaubt, dass ich ein andermal mehr davon
sage: Mich verlangt jetzt, viel wichtigere Dinge von euch zu vernehmen. Sagt
mir, ich bitte euch, meine geliebte Seele, welchen so triftigen Grund ihr
hattet, mich zu sehen, mich reden zu hören, mit mir täglich zu essen und zu
schlafen, ein ganzes Jahr hindurch, und mit unerschütterlicher Standhaftigkeit
nicht nur den Mund nicht zu öffnen, und mit mir zu sprechen, sondern auch nicht
einmal zu verstehen zu geben, dass ihr sehr wohl alles verstündet, was ich zu
euch sagte. Das geht über meinen Verstand, und ich begreife nicht, wie ihr euch
so viel Gewalt antun konntet. Die Ursache davon muss sehr außerordentlich
sein.“

Um die Neugier des Königs von Persien zu befriedigen,
antwortete die schöne Sklavin: „Herr, Sklavin zu sein und entfernt von dem
Vaterland, ohne Hoffnung, jemals dahin zurückzukommen, das Herz durchdrungen
von dem Schmerz, mich für immer von meiner Mutter, meinem Bruder und unsern
Verwandten getrennt zu sehen, sind das nicht zureichende Beweggründe, so lange
ein Stillschweigen zu beobachten, welches Euer Majestät so befremdet? Die
Vaterlandsliebe ist nicht minder natürlich, als die Elternliebe, und der
Verlust der Freiheit ist jedem unerträglich, der nicht von gesundem Sinne so
entblößt ist, um den Wert derselben nicht zu erkennen. Der Leib kann wohl dem
Gebot eines Herrn unterworfen sein, der die Macht und Gewalt in den Händen hat,
aber der Wille kann nicht beherrscht werden, er bleibt immer sein eigener Herr.
Euer Majestät hat an mir ein Beispiel davon gesehen. Es ist viel, dass ich
nicht einer Menge von Unglücklichen nachgeahmt habe, welche die Freiheitsliebe
zu dem traurigen Entschluss gebracht hat, sich den Tod zu geben.“

„Teure Frau,“ erwiderte der König von Persien,
„ich bin überzeugt von dem, was ihr mir da sagt, aber es hat mir bisher
immer geschienen, als müsse eine schöne, wohl gebildete, verständige und
geistvolle Frau, wie ihr, welche ihr Missgeschick zur Sklavin bestimmt hat, sich
glücklich schätzen, einen König zum Herrn zu erhalten.“

„Herr,“ versetzte die schöne Sklavin, „ich
wiederhole Euer Majestät, selbst ein König kann ihren Willen nicht
beherrschen, welche Sklavin es auch sei. Ist indessen, wie Euer Majestät meint,
eine Sklavin auch im Stande, einem König zu gefallen und sich seine Liebe zu
erwerben, so will ich wohl glauben, dass sie in ihrem Unglück sich glücklich
schätzen kann, wenn sie von unverhältnismäßig niedrigem Stande ist. Welches
Glück gleichwohl! Entrissen den Armen ihres Vaters und ihrer Mutter, und
vielleicht eines Geliebten, welchen sie ihr Leben lang nicht aufhören kann zu
lieben! Aber wenn sie nun gar in keiner Hinsicht dem König nachsteht, der sie
erworben hat, so möge Euer Majestät selber die Härte ihres Schicksals zu
ermessen, ihr Elend, ihre Betrübnis, ihren Schmerz, und was sie zu tun im
Stande ist.“

Der König von Persien, erstaunt über diese Rede,
erwiderte: „Wie, teure Frau, ist es möglich, wie ihr mir zu verstehen
gebt, dass ihr von königlichem Geblüt seid? Ich bitte euch, klärt mich
darüber auf, und vermehrt nicht noch meine Ungeduld. Unterrichtet mich, wer ist
der Vater und die glückliche Mutter eines so hohen Wunders der Schönheit, wer
sind eure Brüder, Schwestern, eure Verwandte, und vor allem, wie heißt
ihr?“