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261. Nacht

Auf diese grausamen und unmenschlichen Worte ertönte der
ganze Platz von lauten Verwünschungen gegen den Wesir, und der auf sein Ansehen
eifersüchtige König missbilligte diese Kühnheit in seiner Gegenwart, und gab
es dadurch zu erkennen, dass er rief, man sollte noch warten.

Er hatte noch einen anderen Grund dazu: Nämlich als er zu
gleicher Zeit die Augen nach einer großen Straße richtete, die ihm gegenüber
in den großen Platz auslief, erblickte er mitten in derselben einen Trupp
Reiter, die mit verhängten Zügeln daher sprengten. „Wesir,“ sprach
er sogleich zu Sawy, „was bedeutet das? Schau her.“

Sawy, der wohl ahnte, was es sein könnte, drang in den
König, dem Scharfrichter das Zeichen zu geben. „Nein,“ erwiderte der
König, „zuvor will ich wissen, wer diese Reiter sind.“

Es war der Großwesir Giafar mit seinem Gefolge, der
selber im Namen des Kalifen von Bagdad kam.
Zum Verständnis, warum dieser Minister nach Balsora kam, ist zu bemerken, dass
nach Nureddins Abreise mit dem Brief des Kalifen, dieser am folgenden Morgen,
und selbst mehrere Tage darauf, nicht daran gedacht hatte einen besonderen Boten
mit der Kundmachung abzusenden, von welcher er der schönen Perserin gesagt
hatte.

Er befand sich in dem inneren Palast der Frauen, als er,
im Vorbeigehen an einem Zimmer, eine sehr schöne Stimme hörte. Er blieb
stehen, und kaum hatte er einige Worte vernommen, die den Schmerz der Trennung
ausdrückten, so fragte er einen der ihm folgenden Verschnittenen, wer die Frau
wäre, die in diesem Zimmer wohnte. Der Bediente antwortete, es wäre die
Sklavin des jungen Herrn, welchen er nach Balsora gesandt hätte, um an
Muhammeds Statt König zu sein.

„Ach, armer Nureddin, Chakans Sohn!“, rief
sogleich der Kalif aus, „ich habe dich ganz vergessen! – Eile,“ fügte
er hinzu, „und lass mir unverzüglich Giafar kommen.“

Dieser Minister kam, und der Kalif sprach zu ihm:
„Giafar, ich habe nicht daran gedacht, die Kundmachung hin zu senden, damit
Nureddin zum König von Balsora anerkannt werde. Es ist keine Zeit mehr, sie
ausfertigen zu lassen. Nimm Leute zu Pferde mit dir, und eile nach Balsora. Ist
Nureddin nicht mehr am Leben und hingerichtet, so lass den Wesir Sawy
aufhängen. Ist er noch nicht tot, so führe ihn mir her, samt dem König und
dem Wesir.“

Der Großwesir Giafar nahm sich nur so viel Zeit, als er
brauchte, um zu Pferde zu steigen, und reiste sogleich ab, mit einer guten
Anzahl seiner Hausbedienten. So kam er in diesem Aufzug und zur angegebenen Zeit
in Balsora an.

Sobald er auf dem Platze anlangte, wichen alle zurück und
machten ihm Platz, indem sie laut um Gnade für Nureddin riefen, und mit solchem
Geleit kam er bis an die Treppe in dem Palast, wo er abstieg.

Der König von Balsora, der den ersten Minister des
Kalifen erkannt hatte, ging ihm entgegen, und empfing ihn am Eingang seines
Zimmers.

Der Großwesir fragte sogleich, ob Nureddin noch lebte,
und gebot, wenn er noch lebte, ihn kommen zu lassen.

Als derselbe bald darauf, zwar gebunden und geknebelt,
erschien, ließ er ihn losbinden und in Freiheit setzen, und gebot dagegen, sich
des Wesirs Sawy zu versichern und ihn mit denselben Stricken zu binden.

Der Großwesir Giafar blieb nur eine Nacht zu Balsora. Am
folgenden Morgen schon reiste er wieder zurück, und führte dem ihm erteilten
Befehl zufolge, Sawy, den König von Balsora, und Nureddin mit sich.

Als er in Bagdad ankam, stellte er sich dem Kalifen vor,
und nachdem er von seiner Reise Rechenschaft abgelegt hatte, besonders von dem
Zustand, worin er Nureddin gefunden, und von der Behandlung, welche derselbe
durch den Rat und Hass Sawys erduldet hatte, erbot der Kalif dem Nureddin,
selber dem Wesir Sawy den Kopf abzuhauen.

Nureddin aber erwiderte: „Beherrscher der Gläubigen,
wie viel Böses dieser Boshafte mir auch getan, und schon meinem seligen Vater
zu tun sich bemüht hat, so würde ich mich jedoch für den verruchtesten aller
Menschen achten, wenn ich meine Hände mit seinem Blut befleckt hätte.“

Der Kalif lobte ihn für diesen Edelmut, und ließ
dasselbe Urteil durch die Hand des Scharfrichters vollstrecken.

Der Kalif wollte Nureddin wieder nach Balsora schicken,
dort zu regieren, aber Nureddin bat ihn, er möchte ihn davon entbinden, indem
er vorstellte: „Beherrscher der Gläubigen, die Stadt Balsora würde mir
nach dem, was mir darin widerfahren ist, fortan solchen Abscheu erregen, dass
ich Euer Majestät inständig zu bitten wage, zu vergönnen, dass ich den Schwur
halte, welchen ich getan habe, mein Leben lang nicht wieder dahin zu kommen. Ich
würde meinen höchsten Ruhm darin setzen, der Person Euer Majestät meine
Dienste zu widmen, wenn dieselbe die Güte hätte, mir diese Gnade zu
bewilligen.“

Der Kalif nahm ihn also unter die Zahl seiner
vertrautesten Hofleute auf, gab ihm die schöne Perserin wieder, und tat ihm so
viel Gutes, dass sie zusammen bis an ihren Tod in aller Glückseligkeit lebten,
die sie nur wünschen konnten.

Anlangend den König von Balsora, so begnügte sich der
Kalif, ihm eingeschärft zu haben, wie vorsichtig er bei der Wahl der Wesire
sein müsste, und schickte ihn in sein Königreich zurück.“

Da der Tag noch nicht anbrach, so begann Scheherasade mit
Genehmigung des Sultans folgende Geschichte:

Geschichte
des Prinzen Beder von Persien und der Prinzessin Giäuhare von Samandal

„Persien ist ein so umfassender Teil der Erde, dass
die alten Könige dieses Reiches nicht ohne Grund den stolzen Titel König der
Könige geführt haben. So viel Provinzen er hatte, abgesehen von allen den
andern eroberten Reichen, so viel waren auch der Könige. Diese Könige zahlten
nicht nur einen starken Zins, sondern waren selbst ebenso dienstpflichtig, als
es die Statthalter in allen anderen Königreichen sind.

Einer dieser alten Könige, der seine Regierung mit glänzenden Eroberungen
begonnen hatte, herrschte lange Jahre her mit einem Glück und einer Ruhe,
welche ihn zu dem zufriedensten aller Monarchen machten. Es war nur ein einziger
Punkt, in welchem er sich unglücklich fühlte, nämlich, dass er schon bejahrt
war und von allen seinen Frauen ihm keine einen Prinzen und Nachfolger geboren
hatte.

Er hatte ihrer mehr als hundert, alle in prächtigen und abgesonderten
Wohnungen, mit Sklavinnen zu ihrem Dienst und Verschnittenen zu ihrer Wache.
Ungeachtet aller seiner Sorgfalt, sie zufrieden zu stellen und ihren Wünschen
zuvorzukommen, erfüllte jedoch keine seine Hoffnung. Man führte ihm manche aus
den entferntesten Ländern zu, und er bezahlte sie nicht nur, wenn sie ihm
gefielen, ohne den Preis zu achten, sondern überhäufte die Verkäufer auch mit
Ehren, Wohltaten und Danksagungen, um dadurch noch andere zu ermuntern, in der
Hoffnung, doch endlich eine Frau zu finden, von welcher er einen Sohn erhielte.
Er unterließ auch keine gute Werke, um den Himmel zu bewegen. Er gab den Armen
Almosen ohne Maß, den andächtigen Brüderschaften seiner Religion reiche
Spenden, und machte neue, durchaus königliche Stiftungen zu ihren Gunsten, um
durch ihre Gebete zu erhalten, was er so heiß wünschte.

Eines Tages hielt er, nach der täglichen Gewohnheit seiner königlichen
Vorfahren, wenn sie sich in ihrer Hauptstadt befanden, einen öffentlichen Hof,
bei welchem sich alle Gesandten und alle vornehmen Fremden einfanden, und man
unterhielt sich nicht von Staatsneuigkeiten, sondern über Wissenschaften,
Geschichte, Literatur, Dichtkunst und andere Gegenstände, welche den Geist
angenehm zu beschäftigen und zu erheitern vermögen. An diesem Tag nun meldete
ein Verschnittener ihm einen Kaufmann an, der aus einem sehr entfernten Lande
ihm eine Sklavin zuführte, und um Erlaubnis bat, sie ihm zu zeigen. „Man
lasse ihn herein, und weise ihm eine Stelle an,“ sprach der König,
„nach der Versammlung will ich mit ihm reden.“

Man führte den Kaufmann herein, und brachte ihn an eine Stelle, wo er den
König bequemlich sehen und ihn vertraulich mit den nächsten Personen reden
hören konnte.

Diesen Gebrauch beobachtete der König gegen alle Fremden, die mit ihm sprechen
sollten. Er tat es absichtlich, damit sie sich an seinen Anblick gewöhnten, und
indem sie ihn mit andern freundlich und gütig sprechen sähen, Vertrauen zu ihm
fassten, ebenso mit ihm zu sprechen, ohne sich durch den Glanz und die Größe,
welche ihn umringten und die nicht daran Gewöhnten sprachlos machen konnten,
verwirren zu lassen. Er beobachtete dies selbst bei den Gesandten: Zuerst
speiste er mit ihnen, und über Tische erkundigte er sich nach ihrer Gesundheit,
ihrer Reise und den Besonderheiten ihres Landes. Dies machte sie dreist in
seiner Gegenwart, und hierauf erteilte er ihnen Audienz.

Als die Hofgesellschaft geendigt war, und alle sich zurückgezogen hatten, so
dass nur der Kaufmann noch übrig blieb, warf dieser sich vor dem Thron des
Königs mit dem Gesicht auf den Boden, und wünschte ihm die Erfüllung aller
seiner Wünsche. Als er wieder aufgestanden war, fragte ihn der König, ob es
wahr wäre, dass er ihm eine Sklavin gebracht, wie man ihm gesagt hätte, und ob
sie schön wäre.

„Herr,“ antwortete der Kaufmann, „ich zweifle nicht, dass Euer
Majestät sehr schöne Sklavinnen hat, weil man sie in allen Weltgegenden mit so
viel Fleiß für euch aufsucht, aber ich darf versichern, ohne Furcht meine Ware
zu überpreisen, dass ihr noch keine gesehen habt, welche mit dieser einen
Vergleich aushalten könnte, in Betracht ihrer Schönheit, ihres schöner
Wuchses, ihrer Anmut und aller der Vollkommenheiten, womit sie ausgestattet
ist.“

„Wo ist sie?“, fragte der König, „bringe sie mir her.“

„Herr,“ versetzte der Kaufmann,“ ich habe sie bei einem
Befehlshaber eurer Verschnittenen in Verwahrung gelassen. Euer Majestät darf
nur befehlen, sie her zu führen.“

Man brachte die Sklavin: Und sobald sie der König erblickte, war er bezaubert,
schon allein von ihrem schönen freien Wuchse. Er trat sogleich in ein Gemach,
wohin der Kaufmann mit etlichen Verschnittenen ihm folgte. Die Sklavin trug
einen Schleier aus rotem Samt mit goldenen Streifen, der ihr Gesicht verhüllte.
Der Kaufmann nahm ihr denselben ab, und der König von Persien sah eine Frau,
die alle, welche er damals besaß und welche er jemals gesehen hatte, an
Schönheit übertraf. Er ward von diesem Augenblick an leidenschaftlich verliebt
in sie, und fragte den Kaufmann, wie teuer er sie verkaufen wollte.

„Herr,“ antwortete der Kaufmann, „ich habe demjenigen, der sie
mir verkauft hat, tausend Goldstücke dafür gegeben, und ich rechne, dass ich
ebenso viel während der drei Jahre ausgegeben, die ich auf Reisen bin, um an
euren Hof zu gelangen. Ich werde mich aber wohl hüten, einem so großen König
einen Preis für sie zu bestimmen: Ich bitte Euer Majestät, sie als ein
Geschenk anzunehmen, wenn sie euch gefällig ist.“

„Ich danke dir,“ erwiderte der König. „Es ist aber nicht meine
Gewohnheit, so mit Kaufleuten zu verfahren, die so weit herkommen , in der
Absicht, mir Vergnügen zu machen: Ich werde dir zehntausend Goldstücke
auszahlen lassen. Bist du damit zufrieden?“

„Herr,“ antwortete der Kaufmann, „ich würde mich sehr glücklich
geschätzt haben, wenn Euer Majestät sie unentgeltlich hätte annehmen wollen,
aber ich wage nicht, eine so große Freigebigkeit auszuschlagen. Ich werde nicht
ermangeln, dieselbe in meinem Vaterland und aller Orten, wo ich hinkomme, zu
rühmen.“

Die Summe wurde ihm ausgezahlt, und bevor er sich entfernte, ließ ihn der
König noch in seiner Gegenwart mit einem Rock von Goldbrokat bekleiden.

Der König räumte der schönen Sklavin die prächtigste Wohnung nächst der
seinigen ein, und gab ihr mehrere Weiber und andere Sklavinnen zur Bedienung,
mit dem Befehl, sie ins Bad zu führen, sie mit dem prächtigsten Gewand, so zu
finden wäre, zu bekleiden, und ihr die schönsten Halsbänder aus Perlen und
aus den feinsten Diamanten, und sonst die kostbarsten Edelsteine zu bringen,
damit sie selber auswählte, was ihr am besten gefiele.

Die geschäftigen Weiber, die nur darauf bedacht waren, dem König zu gefallen,
waren selber von der Schönheit der Sklavin entzückt. Da sie sich vollkommen
darauf verstanden, sagten sie zu ihm: „Herr, wenn Euer Majestät die Geduld
hat, uns nur drei Tage Zeit zu geben, so verbürgen wir uns, sie euch umso viel
reizender vorzuführen, dass ihr sie nicht wieder erkennen werdet.“

Der König konnte sich mit Mühe so lange noch ihres vollständigen Besitzes
enthalten, antwortete jedoch: „Ich bin zufrieden, aber unter der Bedingung,
dass ihr euer Versprechen haltet.“