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26. Nacht

Dinarsade war so ungeduldig, den Verlauf des Märchens der
gestrigen Nacht zu hören, dass sie ihre Schwester sehr zeitig aufweckte und sie
bat, die wunderbare Erzählung fortzusetzen, welche sie gestern nicht vollenden
konnte.

„Ich will es gern tun,“ antwortete die Sultanin,
„hört mir zu:

Ihr könnt wohl denken,“ fuhr sie fort, „dass
der Sultan höchst erstaunt war, als er den beweinenswürdigen Zustand des
jungen Mannes erblickte. „Was ihr mir da zeigt,“ sagte er zu ihm,
„erfüllt mich mit Entsetzen, und erregt zugleich meine Neugier. Ich brenne
vor Verlangen, eure Geschichte zu hören, welche ohne Zweifel höchst seltsam
ist, und ich bin überzeugt, dass der Teich und die Fische damit in irgend einem
Zusammenhang stehen: Also beschwöre ich euch, sie mir zu erzählen, ihr werdet
eine Art von Trost darin finden, indem es gewiss ist, dass die Unglücklichen
eine gewisse Erleichterung darin finden, ihr Unglück zu erzählen.“

„Ich will euch diese Genugtuung nicht versagen,“
erwiderte der junge Mann, „obwohl ich sie euch nicht geben kann, ohne meine
lebhaften Schmerz zu erneuern: Aber ich rate euch im Voraus, eure Ohren, euren
Geist, und selbst eure Augen auf Dinge vorzubereiten, welche alles übertreffen,
was die Einbildungskraft außerordentliches ersinnen kann.

Geschichte
des jungen Königs der Schwarzen Inseln

„So wisst denn, mein Herr,“ fuhr er fort,
„dass mein Vater, der Mahmud hieß, König dieses Staates war. Das ist das
Königreich der Schwarzen Inseln, welches seinen Namen von den vier kleine
Bergen hier in der Nähe hat, denn diese Berge waren vormals Inseln, und die
Hauptstadt, in welcher mein Vater seinen Hof hielt, stand an der Stelle, wo
gegenwärtig dieser Teich ist, welchen ihr gesehen habt. Die folge meiner
Geschichte wird euch alle diese Verwandlungen erklären.

Der König, mein Vater, starb in einem Alter von siebzig
Jahren. Sobald ich seine Stelle eingenommen hatte, vermählte ich mich.
Diejenige, die ich dazu erwählte, den Thron mit mir zu teilen, war meine
Nichte. Ich habe alle Ursache mit den Zeichen der Liebe zufrieden zu sein,
welche sie mir gab, und ich meinerseits empfand für sie eine solche
Zärtlichkeit, dass nichts unserer Vereinigung zu vergleichen war. Aber nach
Verlauf von fünf Jahren bemerkte ich, dass sie keinen Geschmack mehr an mir
fand.

Eines Tages, als sie nach Tisch im Bad war, empfand ich
eine große Lust zu schlafen, und ich warf mich auf ein Sofa. Zwei ihrer Frauen,
welche sich in meinem Zimmer befanden, setzten sich hierauf, die eine zu meinem
Haupt, die andere zu meinen Füßen, je mit einem Fächer in der Hand, sowohl um
mir Kühlung zuzuwehen, als um mir die Fliegen abzuwehren, welche meinen
Schlummer hätten stören können. Sie wähnten, dass ich eingeschlafen wäre,
und unterhielten sich ganz leise; aber ich hatte nur die Augen zugeschlossen,
und verlor kein Wort von ihrem Gespräch.

Eine dieser Frauen sagte zu der andern: „Hat die
Königin nicht sehr Unrecht, einen so liebenswürdigen Fürsten, wie der unsere
ist, nicht zu lieben?“ – „Sicherlich,“ antwortete die andere.
„Was mich betrifft, so begreife ich es nicht, und ich weiß nicht, warum
sie alle Nächte aufsteht und ihn allein lässt: Bemerkt er es denn nicht?“
– „Ei, wie soll er es denn bemerken?“, fuhr die erste fort. „Sie
mischt alle Abend einen gewissen Kräutersaft in sein Getränk, wodurch er die
ganze Nacht in so tiefem Schlaf liegt, dass sie Zeit hat zu gehen, wohin sie
will. Mit Anbruch des Tages kommt sie zurück und legt sich wieder zu ihm. Dann
weckt sie ihn durch einen gewissen Geruch, den sie ihm unter die Nase
hält.“

„Denkt euch, Herr, mein Erstaunen bei dieser
Unterredung, und die Empfindungen, welche es in mir erregte. Gleichwohl, welche
Aufwallung sie mir auch verursachte, hatte ich Herrschaft genug über mich, mich
zu verstellen: Ich tat, als erwachte ich, und hätte nichts davon gehört.

Die Königin kam wieder aus dem Bade, wir speisten
zusammen zu Abend, und ehe wir uns niederlegten, reichte sie selber mir eine
Schale voll Wasser, welche ich zu trinken pflegte: Aber anstatt sie an meinem
Mund zu setzen, näherte ich mich einem offen stehenden Fenster, und
verschüttete das Wasser so geschickt, dass sie es nicht bemerkte. Ich gab ihr
darauf die Schale wieder in die Hand, damit sie nicht zweifelte, dass ich
getrunken hätte.

Hierauf legten wir uns nieder. Aber bald darauf stand sie
wieder auf, mit so wenig Vorsicht, dass sie ziemlich laut sagte: „Schlaf‘,
und möchtest du nie wieder erwachen!“ Sie kleidete sich eilig an, und
verließ das Gemach …“

Bei diesen Worten bemerkte Scheherasade, dass es schon Tag
war, und hörte auf zu reden.

Dinarsade hatte ihre Schwester mit großem Vergnügen
angehört. Schachriar fand die Geschichte des Königs der Schwarzen Inseln
seiner Neugier so würdig, dass er sehr ungeduldig aufstand, in der folgenden
Nacht die Fortsetzung zu hören.