Project Description

259. Nacht

Die Nähe des Tigris hatte den Kalifen veranlasst, Wasser
daraus in ein fest ausgemauertes Becken zu leiten, welches einen schönen Teich
bildete, wo die besten Fische des Tigris sich hineingezogen hatten. Die Fischer
wussten dies wohl, und sie hätten sehr gern die Freiheit gehabt, darin zu
fischen, aber der Kalif hatte es Scheich-Ibrahim ausdrücklich verboten, jemand
dorthin zu lassen. Eben diese Nacht hatte gleichwohl ein Fischer, der an dem
Gartentor vorbeiging, nachdem der Kalif hinein getreten war und es offen
gelassen, wie er es gefunden hatte, die Gelegenheit benutzt, und sich in den
Garten nach dem Teich geschlichen.

Dieser Fischer hatte seine Netze ausgeworfen, und war eben
im Begriff, sie ans Land zu ziehen, als der Kalif, der aus der Nachlässigkeit
Scheich-Ibrahims wohl vermutete, was geschehen war, und diesen Umstand zu seinem
Zweck benutzen wollte, eben dorthin kam. Ungeachtet seiner Verkleidung erkannte
der Fischer ihn doch, warf sich sogleich zu seinen Füßen und bat um
Verzeihung, indem er sich durch seine Armut entschuldigte.

„Steh auf, und fürchte nichts,“ erwiderte der
Kalif. „Zieh nur dein Netz heraus, damit ich sehe, was für Fische darin
sind.“

Der beruhigt Fischer gehorchte sofort dem Befehl des
Kalifen, und zog fünf oder sechs schöne Fische heraus, von welchem der Kalif
die beiden größten auswählte und sie mit einer Rute bei den Kiefern
zusammenbinden ließ. Hierauf sagte der Kalif zu dem Fischer: „Gib mir dein
Kleid, und nimm das meine.“

Der Tausch geschah in wenig Augenblicken, und nachdem der
Kalif von den Schuhen bis zum Turban als Fischer verkleidet war, sagte er zu dem
Fischer: „Nimm dein Netz und geh deinem Gewerbe nach.“

Als der Fischer, sehr zufrieden mit seinem guten Glücke,
weggegangen war, nahm der Kalif die beiden Fische in die Hand, und ging wieder
zu dem Großwesir Giafar und Mesrur. Er stand vor dem Großwesir still, und
dieser erkannte ihn nicht. „Was willst du?“, sagte er zu ihm.
„Geh‘ deines Weges.“ Der Kalif fing sogleich an zu lachen, und nun
erkannte ihn der Großwesir: „Beherrscher der Gläubigen,“ rief er
aus, „ist es möglich, seid ihr es? Ich erkannte euch nicht, und ich bitte
euch tausend Mal um Verzeihung wegen meiner Unhöflichkeit. Ihr könnt jetzt in
den Saal gehen, ohne Furcht, dass Scheich-Ibrahim euch erkennen werde.“ –
„Bleibt also noch hier,“ sagte er, „während ich meine Rolle
spiele.“

Der Kalif stieg nun nach dem Saal hinauf, und klopfte an
die Türe. Nureddin, der es zuerst hörte, sagte es Scheich-Ibrahim, und
Scheich-Ibrahim fragte, wer da wäre. Der Kalif öffnete die Türe, und nachdem
er nur einen Schritt in den Saal tat, um sich zu zeigen, antwortete er:
„Scheich-Ibrahim, ich bin der Fischer Kerim1):
Da ich vernommen, dass ihr eure Fremden bewirtet, und jetzt eben zwei schöne
Fische gefangen habe, so komme ich, euch zu fragen, ob ihr sie nicht gebrauchen
könnt.“

Nureddin und die schöne Perserin freuten sich, als sie
von Fischen reden hörten, und die schöne Perserin sagte sogleich:
„Scheich-Ibrahim, ich bitte euch, gewährt uns das Vergnügen, ihn
hereinkommen und uns seine Fische sehen zu lassen.“

Scheich-Ibrahim war nicht mehr im Stand, den vorgeblichen
Fischer zu fragen, wie oder wo er hereingekommen wäre. Er dachte nur daran, der
schönen Perserin zu gefallen. Er drehte also den Kopf mit ziemlicher Mühe –
soviel hatte er getrunken – nach der Türe, und sagte lallend zu dem Kalifen,
den er für einen Fischer hielt: „Komm näher, du braver Nachtdieb, komm
näher und lass dich sehen.“

Der Kalif trat herein, indem er vollkommen alle Gebärden
eines Fischers nachmachte, und zeigte die beiden Fische vor.

„Das sind sehr schöne Fische,“ sagte die
schöne Perserin. „Ich möchte gern davon essen, wenn sie nur gekocht und
gut zugerichtet wären.“

„Die gnädige Frau hat Recht,“ sprach
Scheich-Ibrahim. „Was sollen wir mit deinen Fischen, wenn sie nicht
zugerichtet sind? Geh, richte sie selber zu, und bringe sie uns: Du findest
alles dazu in meiner Küche.“

Der Kalif ging wieder zu dem Großwesir Giafar, und sagte
zu ihm: „Giafar, ich bin sehr wohl aufgenommen worden, aber sie verlangen
die Fische zugerichtet.“

„Ich will sie zurichten,“ sagte der Großwesir
Giafar, „es soll im Augenblicke getan sein.“

„Mir liegt die Ausführung meines Plans so sehr am
Herzen,“ fuhr der Kalif fort, „dass ich gern selber die Mühe
übernehmen will. Da ich so gut den Fischer spiele, so kann ich auch wohl den
Koch machen: Ich habe mich in meiner Jugend mit der Küche abgegeben, und meine
Sache nicht übel gemacht.“

Mit diesen Worten nahm er den Weg nach Scheich-Ibrahims
Wohnung, und der Großwesir und Mesrur folgten ihm dahin.

Sie legten alle drei Hand ans Werk, und obgleich die
Küche Scheich-Ibrahims nicht groß war, so fehlte doch nichts von allem, was
sie gebrauchten, und in kürzer Zeit hatten sie die Schüssel Fische
zugerichtet.

Der Kalif trug sie auf, und legte dabei jedem eine Zitrone
hin, sich nach Belieben davon zu bedienen. Sie aßen mit großer Lust, besonders
Nureddin und die schöne Perserin und der Kalif wartete ihnen auf.

Als sie fertig waren, betrachtete Nureddin den Kalifen und
sprach zu ihm: „Fischer, man kann keine trefflicheren Fische essen, und du
hast uns das größte Vergnügen von der Welt gemacht.“

Zu gleicher Zeit fuhr er mit der Hand in seinen Busen und
zog seine Börse hervor, in welcher sich dreißig Goldstücke befanden, der Rest
von den vierzig, die Sandschiar, der Türhüter des Königs von Balsora, ihm vor
seiner Abreise geschenkt hatte. „Nimm,“ sagte er zu ihm, „ich
würde dir mehr geben, wenn ich mehr hätte. Ja, ich würde dich aus der Armut
gerissen haben, wenn ich dich bekannt hätte, bevor ich mein Erbteil verzehrte.
Nimm es indessen ebenso gutwillig an, als wenn es ein ansehnlicheres Geschenk
wäre.“

Der Kalif nahm die Börse, dankte Nureddin dafür, und als
er fühlte, dass Gold darin war, sagte er zu ihm: „Herr, ich kann euch
nicht genug für eure Freigebigkeit danken. Es ist ein großes Glück mit so
edlen Männern zu tun zu haben, wie ihr seid, aber ehe ich mich entferne, habe
ich noch eine Bitte an euch, welche ihr mir ja gewähren müsst. Da sehe ich
eine Laute, woraus ich schließe, dass die gnädige Frau darauf spielen kann.
Wenn ihr sie dazu bewegen könntet, mir die Gnade zu erzeigen, und ein Stück
darauf zu spielen, so würde ich als der vergnügteste Mensch von der Welt
heimgehen: Die Leute ist ein Saitenspiel, welches ich leidenschaftlich
liebe.“

„Schöne Perserin,“ sagte sogleich Nureddin,
indem er sich zu ihr wandte, „ich bitte euch um diese Gnade, und hoffe, ihr
werdet sie nicht versagen.“

Sie nahm die Laute, und nachdem sie dieselbe in wenig
Augenblicken gestimmt hatte, spielte und sang sie ein Lied, das den Kalifen
bezauberte. Zuletzt spielte sie, ohne dazu zu singen, und sie tat dies mit
solcher Kraft und Anmut, dass er davon zum Entzücken hingerissen wurde.

Als die schöne Perserin aufhörte zu spielen, rief der
Kalif aus: „Welche Stimme, welche Hand und welches Spiel! Kann man besser
singen, besser die Laute spielen! Nimmer hat man desgleichen gesehen, noch
gehört!“

Nureddin, gewohnt alles, was ihm gehörte, denjenigen zu
schenken, die es lobten, erwiderte: „Fischer, ich sehe wohl, dass du dich
darauf verstehst: Da sie dir so sehr gefällt, so ist sie dein, ich mache dir
ein Geschenk damit.“

Zu gleicher Zeit stand er auf, nahm seinen Rock, den er
abgelegt hatte, und wollte weggehen, um den Kalifen, den er immer nur für einen
Fischer hielt, im Besitze der schönen Perserin zu lassen.

Die schöne Perserin, höchst erstaunt über Nureddins
Freigebigkeit, hielt ihn zurück, und sagte zu ihm, ihn zärtlich anblickend:
„Herr, wo wollt ihr denn hin? Ich bitte euch, setzt euch wieder auf euren
Platz, und hört, was eich euch spielen und singen will.“

Er tat, was sie wünschte. Nun rührte sie die Saiten, und
mit Tränen in den Augen ihn anblickend, sang sie dazu aus dem Stehgreif von ihr
gedichtete Verse, worin sie ihm lebhaft seine geringe Liebe zu ihr vorwarf, weil
er sie so leicht und mit solcher Kälte dem Kerim überließ. Sie meinte, ohne
sich weiter darüber zu erklären, einem Fischer, wie Kerim, welchen sie ebenso
wenig, als er, für den Kalifen erkannte. Als sie geendigt hatte, legte sie die
Laute neben sich hin, und hielt ihr Schnupftuch vor das Gesicht, um ihre Tränen
zu verbergen, die sie nicht zurückhalten konnte.

Nureddin erwiderte kein Wort auf ihre Vorwürfe, und sein
Schweigen bezeugte, dass sein Geschenk ihn nicht gereute.

Aber der Kalif, voll Verwunderung über das, was er
hörte, sprach zu ihm: „Herr, so wie ich sehe, so ist diese so schöne, so
seltene, so bewunderungswürdige Frau, welche ihr mir mit solcher Großmut zum
Geschenk gemacht habt, eure Sklavin, und ihr seid ihr Herr?“

„Allerdings, Kerim,“ erwiderte Nureddin,
„und du würdest noch weit mehr erstaunt sein, als du es jetzt scheinst,
wenn ich dir alle die Unglücksfälle erzählte, welche mir im Betreff ihrer
begegnet sind.“ – „Oh, ich bitte euch, Herr,“ versetzte der
Kalif, immer sehr gut die Rolle des Fischers spielend, „erzeigt mir den
Gefallen, und erzählt mir ihre Geschichte.“

Nureddin, der ihm eben schon etwas Wichtigeres gewährt
hatte, obwohl er ihn nur für einen Fischer hielt, wollte ihm auch gern noch
diesen Gefallen tun. Er erzählte ihm also seine ganze Geschichte, von Anfang
her, wie der Wesir, sein Vater, die schöne Perserin für den König von Balsora
gekauft hatte, und verschwieg nichts von allem, was er getan und was ihm
begegnet war, bis zu seiner Ankunft in Bagdad mit ihr, und bis zu diesem
Augenblick, da er mit ihm sprach.

Als Nureddin geendigt hatte, fragte ihn der Kalif:
„Und wohin wollt ihr jetzt gehen?“

„Wohin ich gehen will,“ antwortete er:
„Wohin Gott mich führt.“

„Wollt ihr mir folgen,“ fuhr der Kalif fort,
„so geht nicht weiter: Ihr müsst im Gegenteil nach Balsora zurückkehren.
Ich will euch ein Paar Zeilen an den König mitgeben. Ihr werdet sehen, er wird
euch gut aufnehmen, sobald er sie gelesen hat, und niemand wird euch auch nur
mit einem Wort Leid tun.“

„Kerim,“ entgegnete Nureddin, „was du mir
da sagst, klingt sehr wunderbar: Wo hat man je gehört, dass ein Fischer, wie
du, mit einem König in Briefwechsel steht.“

„Das darf euch nicht verwundern,“ erwiderte der
Kalif, „wir sind zusammen bei demselben Lehrmeister in die Schule gegangen,
und sind immer die besten Freunde von der Welt gewesen. Zwar hat das Glück uns
nicht auf gleiche Weise begünstigt, es hat ihn zum König, und mich zum Fischer
gemacht: Aber diese Ungleichheit hat unsere Freundschaft nicht vermindert. Er
hat sich alle ersinnliche Mühe gegeben, mich aus meinem Stand empor zu ziehen:
Ich aber habe mich immer damit begnügt, die Achtung, welche er für mich hat,
mir nichts abzuschlagen, zu Gunsten meiner Freunde zu benutzen. Drum lasst mich
nur machen: Ihr werdet den Erfolg davon sehen.“

Nureddin ließ sich den Vorschlag des Kalifen gefallen. Da
im Saal alles zum Schreiben Notwendige vorhanden war, so schrieb der Kalif an
den König von Balsora folgenden Brief, über welchen er, fast am äußersten
Rande des Papiers, in sehr kleinen Schriftzügen, die Formel setzte:

„Im Namen des allbarmherzigen Gottes.“
um dadurch anzudeuten, dass er unbedingten Gehorsam forderte.

Brief
des Kalifen Harun Arreschyd an den König von Balsora

„Harun Arreschyd, Mahdi’s Sohn, sendet diesen Brief
an Muhammed, seinen Vetter.

Sobald Nureddin, des Wesirs Chakan Sohn, der überbringer
dieses Briefes, dir denselben übergeben und du ihn gelesen hast, so lege auf
der Stelle den königlichen Mantel ab, bekleide ihn damit, und räume ihm deine
Stelle ein. Gott befohlen.“

Der Kalif faltete und versiegelte den Brief, und ohne
Nureddin dessen Inhalt zu sagen, sprach er zu ihm: „Nimm und geh
unverzüglich hin, und besteig ein Boot, das bald abgehen wird, so wie alle Tage
eins zu derselben Stunde abgeht. Du kannst auf dem Schiffe schlafen.“

Nureddin nahm den Brief, und reiste mit dem wenigen Geld
ab, das er bei sich hatte, als Sandschiar ihm seine Börse gab.

Die schöne Perserin war untröstlich über seine Abreise,
drückte sich in eine Ecke des Sofas, und zerfloss in Tränen.

Kaum hatte Nureddin den Saal verlasen, als
Scheich-Ibrahim, der bisher alles, was vorging, mit Stillschweigen beobachtet
hatte, den Kalifen ansah, den er noch immer für den Fischer Kerim hielt, und zu
ihm sagte: „Höre, Kerim, du bist hergekommen und hast zwei Fische
gebracht, die höchstens zwanzig Kupfermünzen wert sind, und hast dafür eine
Börse und eine Sklavin zum Geschenk erhalten. Denkst du das alles für dich zu
behalten? Ich erkläre dir, dass ich für mein Halbteil die Sklavin haben will.
Was die Börse betrifft, so lass sehen, was drinnen ist: Ist es Silbergeld, so
magst du ein Stück für dich behalten. Ist es aber Gold, so nehme ich alles,
und gebe dir etliche Kupferstücke, die ich noch im Beutel habe.“

„Um recht zu verstehen, was nun folgt,“
unterbrach sich hier Scheherasade, „ist zu bemerken, dass der Kalif, bevor
er die zugerichtete Schüssel mit den Fischen in den Saal trug, dem Großwesir
Giafar befohlen hatte, eilig nach dem Palast zu gehen, und ihm vier Kammerdiener
und ein Kleid zu holen, und damit auf der andern Seite des Saales zu warten, bis
er aus einem der Fenster in die Hände klatschte. Der Großwesir hatte diesen
Befehl vollzogen, und er und Mesrur, mit den vier Kammerdienern, erwarteten an
dem bestimmten Ort das verabredete Zeichen.

Ich komme nun zu meiner Erzählung zurück,“ fuhr die
Sultanin fort.

„Der Kalif, noch immer in der Verkleidung als
Fischer, antwortete kühn dem Scheich-Ibrahim: „Scheich-Ibrahim, ich weiß
nicht, was in der Börse ist: Sei’s Gold oder Silber, ich will es von Herzen
gern mit euch teilen. Was aber die Sklavin betrifft, die will ich für mich
allein behalten. Wenn ihr euch mit dem, was ich euch anbiete, nicht begnügen
wollt, so kriegt ihr nichts.“

Scheich-Ibrahim, von Zorn entbrannt über solche
Unverschämtheit, wofür er diese Rede eines Fischers gegen sich betrachtete,
nahm eines von den Porzellangefäßen, die auf dem Tisch standen, und warf es
dem Kalifen nach dem Kopf. Der Kalif wich leicht dem Wurf eines vom Wein
berauschten Mannes aus: Das Gefäß flog gegen die Wand, und zerbrach in tausend
Stücke.

Scheich-Ibrahim, durch den Fehlwurf noch mehr erzürnt als
zuvor, nimmt nun das auf dem Tisch stehende Licht, steht taumelnd auf, und
steigt eine verborgene Treppe hinab, um einen Stock zu holen.


1)
Kerim bedeutet der Großmütige, Freigebige.