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257. Nacht

Die schöne Perserin bemerkte, dass Scheich-Ibrahim auf
der Treppe stehen blieb, und benachrichtigte Nureddin davon. „Herr,“
setzte sie hinzu, „ihr seht, dass er einen Abscheu vor dem Weine bezeugt:
Gleichwohl zweifle ich nicht, ihn zum Trinken zu bringen, wenn ihr tun wollt,
was ich euch sage.“

„Und was denn?“, frage Nureddin. „Ihr
dürft nur befehlen, ich tue alles, was ihr wollt.“

„Beredet ihn nur, herein zu treten und bei uns zu
bleiben,“ sagte sie. „Ein Weilchen danach schenkt zu trinken ein, und
bietet ihm die Schale dar, wenn er es euch versagt, so trinkt, und darauf tut,
als wenn ihr einschlieft, für das übrige lasst mich sorgen.“

Nureddin verstand die Absicht der schönen Perserin. Er
rief Scheich-Ibrahim, der gleich wieder an der Türe erschien.
„Scheich-Ibrahim,“ sagte er zu ihm, „wir sind eure Gäste, und
ihr habt uns auf die höflichste Weise von der Welt aufgenommen: Warum wolltet
ihr uns nun die Bitte abschlagen, uns mit eurer Gesellschaft zu beehren. Wir
verlangen von euch nicht, dass ihr trinken sollt, sondern nur das Vergnügen,
euch zu sehen.“

Scheich-Ibrahim ließ sich bereden. Er trat herein und
setzte sich auf den Rand des zunächst an der Türe stehenden Sofas. „Ihr
sitzt da nicht gut, und wir können so nicht die Ehre haben, euch zu
sehen,“ sagte darauf Nureddin. „Kommt näher, ich bitte euch darum,
und setzt euch neben meine Frau: Sie wird es gern sehen.“

„So tue ich denn, was ihr befehlt,“ sagte
Scheich-Ibrahim. Er näherte sich, und nachdem er vor Vergnügen schmunzelte,
bei einer so reizenden Frau zu sein, setzte er sich in einiger Entfernung von
der schönen Perserin.

Nureddin bat sie, zum Dank für die Ehre, welche
Scheich-Ibrahim ihnen erzeigte, ein Lied zu singen und sie sang eins, das ihn
zum Entzücken hinriss.

Als die schöne Perserin ausgesungen hatte, schenkte
Nureddin Wein in eine Schale, und bot sie Scheich-Ibrahim dar, mit den Worten:
„Scheich-Ibrahim, trinkt einmal auf unsere Gesundheit, ich bitte euch
darum.“

„Herr,“ erwiderte er, indem er
zurückschauderte, als wenn der bloße Anblick des Weines ihm schon ein Gräuel
wäre, „Ich bitte euch, mich zu entschuldigen. Ich habe euch schon gesagt,
dass ich vorlängst den Wein abgelobt habe.“

„Weil ihr denn durchaus nicht auf unsere Gesundheit
trinken wollt,“ sagte Nureddin, „so werdet ihr doch vergönnen, dass
ich auf die eurige trinke.“

Während Nureddin trank, durchschnitt die schöne Perserin
einen Apfel, und bot die eine Hälfte dem Scheich-Ibrahim dar, indem sie zu ihm
sagte: „Ihr habt nicht trinken wollen, aber ich glaube nicht, dass ihr eben
so viel Schwierigkeit machen werdet, von diesem Apfel zu kosten, der
vortrefflich ist.“

Scheich-Ibrahim konnte es einer so schönen Hand nicht
abschlagen. Er nahm mit einer Verneigung des Hauptes den Apfel und führte ihn
an den Mund. Sie sagte ihm darüber einige Schmeicheleien, während Nureddin
sich über den Sofa zurücklehnte und sich stellte, als wenn er schliefe.
Sogleich rückte die schöne Perserin näher zu Scheich-Ibrahim, und sagte leise
zu ihm: „Da seht ihr es. So macht er es immer, so oft wir uns zusammen
erlustigen: Kaum hat er zwei Züge getrunken, so schläft er ein, und lässt
mich allein. Aber ich glaube, ihr werdet mir gern Gesellschaft leisten, während
er schläft.“

Die schöne Perserin nahm eine Schale, füllte sie mit
Wein, und bot sie Scheich-Ibrahim, indem sie zu ihm sagte: „Nehmt und
trinkt auf meine Gesundheit. Ich will euch Bescheid tun.“

Scheich-Ibrahim machte noch große Schwierigkeiten, er bat
sie sehr dringend, es ihm zu erlassen. Sie aber setzte ihm so lebhaft zu, dass
er, überwunden von ihren Reizen und Zureden, die Schale nahm und sie rein
austrank.

Der gute Greis liebte wohl ein Schlückchen, aber er
scheute sich, es vor Leuten zu tun, die er nicht kannte. Er ging heimlich, wie
so viele andere, in die Schenke, und er hatte keineswegs die Vorsicht gebraucht,
welche Nureddin ihn zum Einkauf des Weines gelehrt hatte. Er hatte ihn ohne
Umstände bei dem Schankwirt gekauft, wo er wohl bekannt war. Die Nacht hatte
ihm zum Deckmantel gedient, und er hatte so das Geld gespart, welches er dem
hätte geben müssen, dem er, nach Nureddins Anleitung, den Auftrag zum Einkauf
geben sollte.

Während Scheich-Ibrahim, nachdem er getrunken hatte, die
Hälfte des Apfels aufaß, schenkte die schöne Perserin ihm eine andere Schale
voll Weins, die er schon mit weniger Schwierigkeit annahm. Er machte gar keine
mehr bei der dritten. Er trank endlich die vierte, wobei Nureddin tat, als wenn
er aus dem Schlaf erwachte: Er richtete sich auf, und indem er ihn mit lauten
Lachen ansah, rief er ihm zu:

„Ha, ha, Scheich-Ibrahim, ich ertappe euch. Ihr habt
mir gesagt, ihr habt den Wein abgelobt, und gleichwohl trinkt ihr ihn!“

Scheich-Ibrahim versah sich dieser überraschung nicht,
und die Röte stieg ihm etwas ins Angesicht. Jedoch hinderte ihn dies nicht, die
Schale zu leeren, und als er es getan hatte, sagte er lächelnd: „Herr,
wenn es Sünde ist, was ich getan habe, so fällt sie nicht auf mich, sondern
auf eure Frau: Wie vermöchte man so vielen Reizen zu widerstehen!“

Die schöne Perserin, die sich mit Nureddin verstand,
verteidigte Scheich-Ibrahim, und sagte zu ihm: „Scheich-Ibrahim, lasst ihn
reden, und tut euch keinen Zwang an. Fahrt fort, mit uns zu trinken, und seid
fröhlich.“

Bald darauf schenke Nureddin sich und dann der schönen
Perserin ein. Als Scheich-Ibrahim sah, dass Nureddin ihn überging, nahm er eine
Schale und hielt sie ihm hin, und er sagte: „Und ich, soll ich nicht eben
so gut trinken, als ihr?“

Bei diesen Worten Scheich-Ibrahims brachen Nureddin und
die schöne Perserin in ein lautes Lachen aus. Nureddin schenkte ihm ein, und
sie fuhren fort zu scherzen, zu lachen und zu trinken, bis gegen Mitternacht.

Um diese Zeit ungefähr bemerkte die schöne Perserin,
dass der Tisch nur von einer Kerze erleuchtet war.

„Scheich-Ibrahim,“ sagte sie zu dem guten alten
Aufseher, „ihr habt uns nur ein Licht gebracht, und da sind so viele
schöne Wachskerzen. Ich bitte euch, macht uns das Vergnügen, sie anzuzünden,
damit wir heller sehen.“

Scheich-Ibrahim bediente sich der Freiheit, welche der
Wein gibt, wenn der Kopf erhitzt ist. Um nicht eine Erzählung zu unterbrechen,
womit er Nureddin unterhielt, sagte er zu der Schönen: „Zündet sie selber
an. Das geziemt euch auch besser, da ihr noch so jung seid, aber hütet euch
wohl, aus guten Gründen, mehr als fünf oder sechs anzuzünden, das
genügt.“

Die schöne Perserin stand auf, nahm eine Kerze, setzte
sie an dem Licht, das auf dem Tisch stand, in Brand, und zündete alle
vierundzwanzig Wachskerzen an, ohne sich daran zu kehren, was Scheich-Ibrahim
ihr gesagt hatte.

Einige Zeit darauf, während Scheich-Ibrahim die schöne
Perserin von einem andern Gegenstand unterhielt, bat ihn wieder Nureddin, auch
einige Kronleuchter anstecken zu lassen. Ohne wahrzunehmen, dass schon alle
Kerzen der Armleuchter brannten, erwiderte Scheich-Ibrahim: „Ihr müsst
wohl sehr träge sein, und nicht so rüstig als ich, dass ihr sie nicht selber
anzünden könnt. Geht und steckt sie an, aber nicht mehr als drei.“

Anstatt nur so viele anzuzünden, zündete Nureddin sie
alle an, und öffnete die vierundzwanzig Fenster, worauf Scheich-Ibrahim, von
der Unterhaltung der schönen Perserin festgehalten, auch nicht Acht gab.

Der Kalif Harun Arreschyd hatte sich um diese Zeit noch
nicht zu Ruhe begeben. Er war in einem Saal seines Palastes, der an den Tigris
stieß und die Aussicht nach dem Garten und dem Saale der Gemälde hatte.
Zufällig öffnete er ein Fenster nach dieser Seite hin, und war höchst
erstaunt, den Saal ganz erleuchtet zu sehen, und um so mehr, als der helle
Schein ihn anfangs verleitete, zu glauben, dass in der Stadt Feuer wäre.

Der Großwesir Giafar war noch bei ihm, und erwartete nur
den Augenblick, dass der Kalif zur Ruhe ging, um sich nach Hause zu begeben. Der
Kalif rief ihm in großem Zorn, und sprach zu ihm: „Komm, nachlässiger
Wesir, tritt her, und betrachtete den Saal der Gemälde, und sage mir, warum ist
er zu dieser Stunde erleuchtet, ohne dass ich dort bin?“

Der Großwesir zitterte bei dieser Neuigkeit schon vor
Furcht, dass dem so sein könnte. Er näherte sich, und er zitterte noch mehr,
als er sah, dass es wirklich so war, wie der Kalif gesagt hatte. Der Kalif
musste indessen durch einen Vorwand besänftigt werden. „Beherrscher der
Gläubigen,“ sprach er zu ihm, „ich kann Euer Majestät nichts anderes
hierüber sagen, als dass vor vier oder fünf Tagen Scheich-Ibrahim zu mir kam,
und mir seine Absicht bezeugte, eine Versammlung der Geistlichen seiner Moschee
anzustellen, zu einer gewissen Feier, welche er sich freute, unter der
glücklichen Regierung Euer Majestät zu begehen. Ich fragte ihn, was er
wünschte, dass ich bei dieser Gelegenheit für ihn tun sollte: Worauf er mich
bat, ihm von Euer Majestät die Erlaubnis auszuwirken, dass er die Versammlung
und Feier in dem Gartensaal anstellen dürfte. Ich entließ ihn mit der
Erlaubnis, es zu tun, und sagte zu ihm, dass ich nicht verfehlen würde, mit
Euer Majestät davon zu sprechen: Und ich bitte nun um Verzeihung, dass ich es
vergessen habe. – Scheich-Ibrahim,“ fuhr er fort, „hat vermutlich
diesen Tag zu der Feierlichkeit gewählt, und bei der Bewirtung der Geistlichen
seiner Moschee, hat er ihnen ohne Zweifel das Vergnügen dieser Erleuchtung
gewähren wollen.“

„Giafar,“ erwiderte der Kalif mit einem Ton, der
anzeigte, dass er etwas besänftigt war, „nach dem, was du mir gesagt, hast
du drei unverzeihliche Fehler begangen. Erstens, dass du dem Scheich-Ibrahim die
Erlaubnis gegeben hast, diese Feier in meinem Saal anzustellen: Ein bloßer
Aufseher ist kein so bedeutender Beamter, dass ihm eine solche Ehre gebührte.
Zweitens, dass du mir nichts davon gesagt hast und der dritte ist, dass du nicht
die wahre Absicht des guten Alten erraten hast. Denn ich bin überzeugt, dass er
keine andere gehabt hat, als zu sehen, ob er nicht eine Beisteuer zu den Kosten
dieses Festes erlangen könnte. Du hast nicht daran gedacht, und ich nehme es
ihm nicht übel, sich durch diese große Erleuchtung dafür zu rächen, dass er
sie nicht erhalten hat.“

Der Großwesir war froh, dass der Kalif die Sache auf
diese Weise nahm. Er nahm gern die Fehler auf sich, welche der Kalif ihm
vorwarf, und gestand freimütig sein Unrecht, dass er Scheich-Ibrahim nicht
etliche Goldstücke gegeben hätte.

„Weil dem also ist,“ fügte der Kalif lächelnd
hinzu, „so ist es billig, dass du für deine Fehler bestraft werdest: Aber
die Strafe soll nur leicht sein, nämlich, du sollst mit mir den übrigen Teil
der Nacht in Gesellschaft dieser guten Leute zubringen, die ich gern sehen will.
Während ich ein bürgerliches Kleid anlege, so geh und verkleide dich mit
Mesrur ebenso, und kommt beide mit mir.“

Der Wesir Giafar stellte ihm vor, dass es schon spät
wäre, und dass die Gesellschaft schon auseinander gegangen sein würde, bevor
er hinkäme. Der Kalif aber erwiderte, dass er durchaus hingehen wollte. Da
alles, was der Wesir ihm gesagt hatte, ersonnen war, so war derselbe in
Verzweiflung über diesen Entschluss, jedoch musste er ohne Widerrede gehorchen.