Project Description

256. Nacht

Das Tor war sehr prächtig, und mit einer Vorhalle
geziert, worin ein Sofa auf jeder Seite stand.

„Hier ist eine sehr bequeme Stelle,“ sagte
Nureddin zu der schönen Perserin. „Die Nacht kommt heran, und da wir auf
dem Schiff schon gespeist haben, so bin ich der Meinung, dass wir hier die Nacht
zubringen. Morgen früh haben wir Zeit genug, uns nach einer Wohnung umzusehen.
Was meint ihr dazu?“

„Ihr wisst, Herr,“ antwortete die schöne
Perserin, „dass euer Wille der meinige ist. Bleiben wir hier, wenn es euch
so beliebt.“

Sie nahmen jeder einen Trunk aus dem Springbrunnen, und
legten sich dann auf einen der beiden Sofas, wo sie sich noch einige Zeit
unterhielten. Der Schlaf befiel sie endlich, und sie entschlummerten bei dem
angenehmen Geplätscher des Wassers.

Der Garten gehörte dem Kalifen, und in der Mitte
desselben stand ein großer Saal, welcher der Gemäldesaal hieß, weil seine
Hauptzierde aus Gemälden nach persischer Art bestand, von der Hand mehrerer
persischer Maler, welche der Kalif eigens hatte kommen lassen. Dieser große und
prächtige Saal hatte vierundzwanzig Fenster, mit einem Kronleuchter an jedem.
Diese vierundzwanzig Kronleuchter werden nur angezündet, wenn der Kalif hier
den Abend zubrachte, und das Wetter so still war, dass auch nicht ein Lüftchen
wehte. Sie machten alsdann eine sehr schöne Erleuchtung, welche von der einen
Seite sehr weit in der Gegend, und von einem großen Teil der Stadt aus, zu
sehen war.

Es wohnte in diesem Garten nur ein Aufseher, und ein alter
hochbejahrter Offizier, Namens Scheich-Ibrahim, versah diese Stelle, welche der
Kalif selber ihm zur Belohnung seiner Dienste erteilt hatte. Der Kalif hatte ihm
streng anbefohlen, nicht allerlei Leute in den Garten einzulassen, und vor allem
nicht zu leiden, dass man sich auf die beiden Sofas außen am Tor setzte oder
legte, damit sie immer reinlich blieben, und diejenigen zu bestrafen, die er
darauf beträfe.

Ein Geschäft hatte den Aufseher genötigt, auszugehen,
und er war noch nicht wieder zurückgekehrt. Endlich kam er, und es war noch
hell genug, dass er die beiden Personen erblickte, die auf dem einen Sofa
schliefen, und jede den Kopf mit einem Leintuch verhüllt hatten, zum Schutz
gegen die Mücken.“

„Schön,“ sagte Scheich-Ibrahim bei sich selber,
„da sind Leute, die das Verbot des Kalifen übertreten: Ich will sie
lehren, welche Ehrfurcht sie dem Kalifen schuldig sind.“

Er öffnete leise die Tür und einen Augenblick danach kam
er wieder mit einem dicken Stock in der Hand und mit aufgestreiften ärmeln. Er
wollte schon aus aller Macht auf einen wie den andern losschlagen, aber er hielt
noch inne und sprach bei sich selber:

„Scheich-Ibrahim, du willst sie schlagen, und
bedenkst nicht, dass es vielleicht Fremdlinge sind, die nicht wissen, wo sie
unterkommen sollen, und den Befehl des Kalifen nicht kennen. Es ist besser, dass
du zuvor zusiehst, wer sie sind.“

Er hob also die Leintücher, die ihren Kopf bedeckten, mit
großer Vorsicht auf, und geriet in die höchste Verwunderung, als er einen so
wohl gebildeten Jüngling und ein so schönes Fräulein erblickte. Er weckte
Nureddin auf, indem er ihn sanft an den Füßen zog.

Nureddin erhub sogleich das Haupt, und als er einen Greis
mit langem weißen Bart an seinen Füßen sah, richtete er sich empor, schob
sich auf den Knien hin, und indem er die Hand des Greises fasste und küsste,
sagte er zu ihm: „Gott erhalte euch, guter Vater! Wünscht ihr etwas?“

„Mein Sohn,“ erwiderte Scheich-Ibrahim.
„Wer seid ihr? Wo kommt ihr her?“

„Wir sind Fremde, die eben hier angekommen,“
antwortete Nureddin, „und wollten hier die Nacht zubringen bis
morgen.“

„Ihr würdet euch hier schlecht befinden,“
versetzte Scheich-Ibrahim. „Kommt herein, ich will euch ein bequemeres
Nachtlager geben. Der Anblick des Gartens, der sehr schön ist, wird euch
erfreuen, so lange es noch dämmert.“

„Und gehört dieser Garten euch?“, fragte
Nureddin.

„Allerdings gehört er mir,“ antwortete
Scheich-Ibrahim lächelnd: „Es ist ein Erbteil meines Vaters. Kommt nur
herein, es wird euch nicht gereuen, ihn zu sehen.“

Nureddin stand auf, indem er Scheich-Ibrahim bezeugte, wie
sehr er ihm für seine Höflichkeit verpflichtet wäre, und trat mit der
schönen Perserin in seinen Garten. Scheich-Ibrahim verschloss die Türe, ging
dann vor ihnen her, und führte sie auf eine Stelle, wo sie fast mit einem Blick
die Anlage, die Größe und Schönheit des Gartens übersahen.

Nureddin hatte zu Balsora viel schöne Gärten gesehen,
aber noch keinen, der diesem zu vergleichen wäre. Als er alles aufmerksam
betrachtet und einige Baumgänge durchwandelt hatte, wandte er sich zu dem
Aufseher, der ihn begleitete, und fragte ihn, wie er hieße? Und als dieser ihm
geantwortet hatte, dass er sich Scheich-Ibrahim nenne, sagte er zu ihm:
„Scheich-Ibrahim, ich muss gestehen, dies ist ein wundervoller Garten. Gott
erhalte euch lange darin! Wir können euch nicht genug für die Güte danken,
dass ihr uns einen so sehenswürdigen Ort sehen lasst. Es ist billig, dass wir
euch auf irgend eine Weise unsere Erkenntlichkeit dafür bezeigen. Nehmt, da
sind zwei Goldstücke. Ich bitte euch, uns etwas zu essen zu verschaffen, damit
wir uns zusammen erfreuen.“

Bei dem Anblick der beiden Goldstücke schmunzelte
Scheich-Ibrahim, der dieses Metall sehr liebte, in seinen Bart. Er nahm sie und
indem er Nureddin und die schöne Perserin erließ, um seinen Auftrag
auszurichten (denn er war allein), sprach er sehr vergnügt bei sich selber:
„Das sind doch brave Leute. Ich würde mir selber großen Schaden getan
haben, wenn ich die Unbesonnenheit gehabt hätte, sie zu misshandeln und
wegzujagen. Ich will sie mit dem zehnten Teile dieses Golds fürstlich bewirten,
und das übrige bleibt für meine Mühe.“

Während Scheich-Ibrahim ausging, etwas zum Abendessen
einzukaufen, sowohl für sich, als für seine Gäste, lustwandelten Nureddin und
die schöne Perserin: In dem Garten, und gelangten zum dem Saale der Gemälde,
welcher in der Mitte stand. Sie standen still und betrachteten seinen
bewunderungswürdigen Bau, seine Größe und Höhe. Nachdem sie ringsumher
gegangen waren, um ihn von allen Seiten zu beschauen, stiegen sie über eine
große Treppe aus weißem Marmor zu der Tür des Saales hinauf, aber sie fanden
sie verschlossen.

Nureddin und die schöne Perserin steigen eben die Treppe
wieder herunter, als Scheich-Ibrahim, mit Lebensmitteln beladen, ankam.

„Scheich-Ibrahim,“ sagte Nureddin zu ihm, mit
Verwunderung, „habt ihr uns nicht gesagt, dass der Garten euch
gehört?“

„Ich habe es gesagt,“ antwortete
Scheich-Ibrahim, „und wiederhole es nochmals. Weshalb tut ihr mir diese
Frage?“

„Und dieser prächtige Saal,“ fuhr Nureddin
fort, „gehört der euch auch?“

Scheich-Ibrahim versah sich dieser zweiten Frage nicht,
und schien ein wenig verwirrt. „Wenn ich sage, dass er mir nicht
gehört,“ sprach er bei sich selber, „so werden sie mich alsbald
fragen, wie ich der Herr des Gartens sein könne, ohne zugleich der Herr des
Saales zu sein!“ Da er nun gern vorgeben wollte, dass der Garten sein
wäre, so behauptete er auch dasselbe von dem Saale. „Mein Sohn,“
antwortete er, „der Saal ist nicht ohne Garten. Einer wie der andere
gehören mir.“

„Wenn das ist,“ fuhr hierauf Nureddin fort,
„und ihr uns diese Nacht gern zu Gästen haben wollt, so bitte ich euch,
macht uns das Vergnügen, uns das Innere davon sehen zu lassen. Nach dem
äußern zu urteilen, muss er von außerordentlicher Pracht sein.“

Es wäre unhöflich von Scheich-Ibrahim gewesen, wenn er
Nureddin diese Bitte versagt hätte, nachdem er schon so zuvorkommend gegen ihn
gewesen war. Er bedachte überdies, dass der Kalif ihn nicht von seiner Ankunft
benachrichtigt hatte, wie er doch zu tun pflegte, dass er also diesen Abend
nicht kommen würde, und dass er mithin seine Gäste darin bewirten und selber
mit ihnen essen könnte.

Er setzte die mitgebrachten Speisen auf die erste
Treppenstufe, und ging nach seiner Wohnung, um den Schlüssel zu holen. Er kam
mit einem Licht zurück, und öffnete die Türe.

Nureddin und die schöne Perserin traten in den Saal und
fanden ihn so überraschend, dass sie nicht müde werden konnten, die Schönheit
und den Reichtum desselben zu bewundern. Denn, der Gemälde zu geschwiegen, so
waren die Sofas höchst prächtig. Außer den Kronleuchtern, die in jedem
Fenster hingen, war noch an jeder Wand zwischen ihnen ein silberner Armleuchter
mit einer Wachskerze. Nureddin konnte alle diese Dinge nicht betrachten, ohne
sich des Glanzes zu erinnern, in welchem er gelebt hatte, und darüber zu
seufzen.

Scheich-Ibrahim brachte unterdessen die Speisen herein,
und bereitete den Tisch vor einem Sofa und als alles bereit war, setzten sich
Nureddin, die schöne Perserin und er zu Tische, und aßen zusammen.

Als sie fertig waren, und ihre Hände gewaschen hatten,
öffnete Nureddin ein Fenster, und rief der schönen Perserin: „Kommt her,
und bewundert mit mir die herrliche Aussicht und die Schönheit des Gartens im
Mondschein. Es gibt nichts Reizenderes.“

Sie trat zu ihm hin, und beide genossen miteinander des
schönen Schauspiels, während Scheich-Ibrahim den Tisch abräumte.

Als Scheich-Ibrahim dies abgetan hatte, und wieder zu
seinen Gästen kam, fragte ihn Nureddin, ob er ihnen nicht auch etwas zu trinken
vorzusetzen hätte. „Was für ein Getränk möchtet ihr wohl?“,
versetzte Scheich-Ibrahim. „Wollt ihr Sorbet? Ich habe den köstlichsten,
aber ihr wisst wohl, mein Sohn, dass man den Sorbet nicht nach dem Abendessen
trinkt.“

„Ich weiß es wohl,“ erwiderte Nureddin.
„Es ist auch nicht Sorbet, darum wir euch bitten. Es ist ein anderes
Getränk: Ich wundere mich, dass ihr mich nicht versteht.“

„Ach, es ist also Wein, was ihr meint?“,
versetzte Scheich-Ibrahim.

„Ihr habt’s erraten,“ antwortete ihm Nureddin.
„Wenn ihr welchen habt, so tut uns den Gefallen, uns eine Flasche davon zu
bringen. Ihr wisst, dass man ihn nach dem Abendessen trinkt, um sich bis zum
Schlafengehen die Zeit zu vertreiben.“

„Gott bewahre, dass ich Wein im Hause haben
sollte,“ rief Scheich-Ibrahim aus, „ja, dass ich auch nur einen Ort
nahen sollte, wo er zu haben ist! Ein Mann, wie ich, der viermal die Wallfahrt
nach Mekka gemacht, hat für sein ganzes Leben auf den Wein Verzicht
getan.“

„Ihr würdet uns gleichwohl einen großen Gefallen
tun, uns welchen zu verschaffen,“ fuhr Nureddin fort, „und wenn euch
nicht die Mühe verdrießt, so will ich euch ein Mittel dazu lehren, ohne dass
ihr in die Schenke tretet, oder die Hand an das legt, was es darin gibt.“

„Unter dieser Bedingung will ich es wohl tun,“
antwortete Scheich-Ibrahim. „Sagt mir nur, was ich tun soll.“

„Wir haben am Eingang eures Gartens einen Esel
angebunden gesehen,“ fuhr nun Nureddin fort. „Vermutlich gehört er
euch, und dient zu eurem nötigen Gebrauche. Hier habt ihr noch zwei
Goldstücke: Nehmt den Esel mit seinen Körben und geht zu der nächst besten
Schenke, ohne euch weiter ihr zu nähern, als euch beliebt. Gebt einem
Vorübergehenden eine Kleinigkeit, und bittet ihn, mit dem Esel zur Schenke zu
gehen, dort zwei Krüge Wein zu kaufen, in jeden Korb einen zu setzen, und euch
den Esel zurückzubringen, nachdem er den Wein von dem Geld bezahlt hat, das ihr
ihm dazu mitgeben müsst. Dann dürft ihr nur den Esel vor euch hertreiben bis
zu uns, und wir wollen schon selber die Krüge aus den Körben nehmen. Auf
solche Weise tut ihr nichts, was euch das geringste Bedenken erregen
könnte.“

Die beiden neuen Goldstücke, die Scheich-Ibrahim eben
empfing, achten einen starken Eindruck auf sein Gemüt. „Ah, mein
Sohn,“ rief er aus, als Nureddin geendigt hatte, „was ihr es gut
versteht! Ohne euch würde ich nie auf dieses Mittel gefallen sein, euch, ohne
mein Gewissen zu beschweren, Wein zu verschaffen.“

Er verließ sie, um seinen Auftrag auszurichten und er
entledigte sich desselben in kurzer Zeit.

Sobald er zurückkam, stieg Nureddin hinab, hub die beiden
Krüge aus den Körben und trug sie in den Saal.

Scheich-Ibrahim führte den Esel wieder dahin, wo er ihn
geholt hatte. Als er zurückkam, sagte Nureddin zu ihm: „Wir können euch
nicht genug für die Mühe danken, welche ihr euch gegeben habt, aber es fehlt
uns noch etwas.“

„Nun was denn?“, fragte Scheich-Ibrahim.
„Was kann ich noch tun, euch zu dienen?“

„Wir haben keine Trinkschalen,“ fuhr Nureddin
fort, „und einige Früchte würden uns sehr wohl tun, wenn ihr welche
hättet.“

„Ihr habt nur zu befehlen,“ erwiderte
Scheich-Ibrahim, „es soll euch an nichts fehlen, was ihr nur immer
wünschen mögt.“

Scheich-Ibrahim stieg hinab, und in kurzer Zeit bereitete
er ihnen einen Nachtisch, besetzt mit mehreren Arten von Früchten in schönen
Porzellangefäßen, und mit Schalen von Gold und Silber, nach Belieben. Nachdem
er sie gefragt hatte, ob sie noch irgend etwas bedürften, entfernte er sich,
und wollte durchaus nicht bleiben, so dringend sie ihn auch darum baten.

Nureddin und die schöne Perserin setzten sich nun wieder
an den Tisch, und fingen damit an, einen Trunk zu tun: Sie fanden den Wein
vortrefflich.

„Nun, meine Schöne,“ sagte Nureddin zu der
schönen Perserin, „sind wir nicht die glücklichsten Leute von der Welt,
dass der Zufall uns an einen so angenehmen und reizenden Ort geführt hat? Lasst
uns fröhlich sein und uns von der Unlust unserer Reise erholen. Kann mein
Glück größer sein, wenn ich auf der einen Seite euch habe, und auf der andern
die Trinkschale?“

Sie tranken zu wiederholten malen, unterhielten sich
vergnüglich, und sangen abwechselnd ihr Lied.

Da sie beide eine vollkommen schöne Stimme hatten,
besonders die schöne Perserin, so zog ihr Gesang den Scheich-Ibrahim an, und er
hörte ihnen lange mit Vergnügen von der Treppe zu, ohne sich sehen zu lassen.
Endlich kam er hervor, und indem er den Kopf durch die Türe steckte, rief er
dem Nureddin zu, den er schon berauscht wähnte: „Bravo, Herr! Ich bin
erfreut, euch so lustig zu sehen.“

„Ah, Scheich-Ibrahim!“, rief Nureddin, indem er
sich nach ihm umdrehte, „was ihr für ein wackerer Mann seid, und wie wir
euch verbunden sind! Wir dürfen euch nicht bitten, eins mit uns zu trinken,
aber tretet doch nur herein. Kommt näher, und erzeigt uns wenigstens die Ehre,
uns Gesellschaft zu leisten.“

„Fahrt fort, fahrt fort,“ erwiderte
Scheich-Ibrahim. „Ich habe genug an dem Vergnügen, eure schönen Gesänge
zu hören.“

Und mit diesen Worten verschwand er wieder.