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255. Nacht

Der zerschlagene Sawy raffte sich mit großer Mühe und
Hilfe seiner Leute wieder auf, und hatte die tödliche Schmach, sich ganz von
Kot und Blut besudelt zu sehen. Er stütze sich auf die Schulter zweier seiner
Sklaven, und in diesem Zustand ging er gerade nach dem königlichen Palast, im
Angesicht aller Leute, und mit um so größerer Beschämung, als niemand ihn
beklagte.

Als er unter dem Zimmer des Königs war, fing er
erbärmlich an zu schreien und seine Gerechtigkeit anzurufen:

„Soll in der Zeit mich Unglück treffen, in welcher
du lebst? Sollen mich Wölfe fressen, während du ein Löwe bist?
Soll ich, während in den Quellen deiner Wohltaten jeder durstige Erholung
schöpft, unter deinem Schutz verschmachten, da du doch einem wohltätigen Regen
gleichst?“

Der König ließ ihn vor sich kommen, und sobald er
eintrat, fragte er ihn, wer ihn misshandelt und in diesen Zustand versetzt
hätte.

„Herr,“ rief Sawy aus, „man darf nur recht
in der Gunst Euer Majestät stehen und Teil an eurem geheiligten Rat haben, um
auf so unwürdige Weise behandelt zu werden, wie ihr seht, dass man mich soeben
behandelt hat.“

„Lassen wir das jetzt beiseite,“ fuhr der König
fort. „Sage mir nur die Sache, wie sie ist, und wer der Schuldige ist. Ich
will es ihn schon bereuen lassen, wenn er Unrecht hat.“

„Herr,“ sagte nun Sawy, indem er die Sache ganz
zu seinem Vorteil erzählte, „ich ritt auf den Sklavinnenmarkt, um mir
selber eine Köchin zu kaufen, die ich brauche. Als ich dahin kam, hörte ich
eine Sklavin für viertausend Goldstücke ausrufen. Ich ließ mir die Sklavin
vorführen, und es war die schönste, die man noch je gesehen hat und jemals
sehen kann. Sobald ich sie mit höchstem Wohlgefallen betrachtet hatte, fragte
ich, wem sie gehörte, und vernahm, dass Nureddin, der Sohn des Wesirs Chakan,
sie verkaufen wollte. Euer Majestät wird sich erinnern, dass ihr diesem Wesir,
vor zwei oder drei Jahren, zehntausend Goldstücke auszahlen ließet, mit dem
Auftrag, euch für diese Summe eine Sklavin zu kaufen. Er kaufte dafür eben
diese, aber anstatt sie Euer Majestät zuzuführen, achtete er euch derselben
nicht würdig, sondern machte seinem Sohn ein Geschenk damit. Seit dem Tod des
Vaters hat nun der Sohn all seine Habe versoffen, verfressen und vergeudet, und
es blieb ihm nichts übrig, als diese Sklavin, welche er sich endlich auch zu
verkaufen entschlossen hatte und die man wirklich in seinem Namen verkaufte. Ich
ließ ihn kommen, und ohne ihm die Veruntreuung, oder vielmehr die Treulosigkeit
seines Vaters gegen Euer Majestät vorzuwerfen, sagte ich zu ihm auf die
höflichste Weise von der Welt: „Nureddin, die Kaufleute haben, wie ich
höre, eure Sklavin auf das Aufgebot von viertausend Goldstücken gesetzt. Ich
zweifle nicht, dass sie, einander überbietend, dieselbe zu einem weit höheren
Preis hinauf treiben werden: Aber folgt meinem Rat, überlasst sie mir für die
viertausend Goldstücke. Ich will sie kaufen, um dem König, unserm Herrn und
Meister, ein Geschenk damit zu machen, dem ich euch sehr dabei empfehlen werde.
Das wird euch unendlich viel mehr eintragen, als was die Kaufleute euch dafür
geben könnten.“ Anstatt mir zu antworten und Höflichkeit mit Höflichkeit
zu vergelten, blickte der Unverschämte mich stolz an, und sprach zu mir:
„Nichtswürdiger Alter, ich wollte meine Sklavin lieber einem Juden
schenken, als sie dir verkaufen.“ – „Aber, Nureddin,“ fuhr ich
fort, ohne mich zu erhitzen, obwohl ich große Ursache dazu hatte, „ihr
bedenkt nicht, dass ihr durch solche Reden den König beleidigt, der doch euren
Vater zu dem gemacht hat, was er war, so wie er mich zu dem gemacht hat, was ich
bin.“ – Diese Vorstellung, anstatt ihn zu besänftigen, reizte ihn nur noch
mehr: Er stürzte sogleich, wie ein Rasender, auf mich los, und ohne einige
Achtung für mein Alter, noch weniger für meine Würde, riss er mich von meinem
Pferd herunter, schlug mich, so lange es ihm gefiel, und versetzte mich in den
Zustand, worin Euer Majestät mich hier sieht. Ich flehe euch nun an, zu
erwägen, dass ich wegen meines Diensteifers für euch so abscheuliche
Beschimpfung erlitten habe.“

Mit diesen Worten senkte er das Haupt und drehte sich auf
die Seite, um seine Tränen im überfluss laufen zu lassen.

Der König, durch diese trugvolle Darstellung getäuscht,
und eingenommen gegen Nureddin, ließ auf seinem Gesicht den Ausdruck eines
heftigen Zorns blicken. Er wandte sich zu dem Hauptmann der Leibwache, der
zugegen war, und sprach zu ihm: „Nimm vierzig Mann von meiner Wache, und
nachdem du Nureddins Haus der Plünderung preisgegeben, und Befehl erteilt hast,
es zu schleifen, so bringe ihn mir mit seiner Sklavin her.“

Der Hauptmann der Wache war noch nicht aus dem Zimmer des
Königs, als ein Türhüter, der diesen Befehl gehört hatte, ihm zuvor eilte. Er
hieß Sandschiar und war vormals Sklave des Wesirs Chakan gewesen, der ihn in
das Haus des Königs gebracht hatte, wo er allmählich so emporgestiegen war.

Sandschiar, voll Erkenntlichkeit gegen seinen alten Herrn
und voll Eifers für Nureddin, den er hatte aufwachsen sehen, und seit lange
wohlbekannt mit dem Hass Sawys gegen das Haus Chakans, konnte diesen Befehl
nicht ohne Schauder anhören. „Nureddins Handlung,“ sagte er bei sich
selber, „kann so schwarz nicht sein, als Sawy sie vorstellt. Er hat den
König eingenommen, und der König wird Nureddin hinrichten lassen, ohne ihm
Zeit zu geben, sich zu rechtfertigen.“

Er sputete sich so sehr, dass er noch zeitig genug ankam,
um Nureddin zu benachrichtigen, was soeben bei dem König vorgegangen war, und
dass Nureddin sich mit der schönen Perserin noch retten könnte.

Er klopfte so stark an die Türe, dass Nureddin, der schon
seit langer Zeit keine Bedienten mehr hatte, ungesäumt selber kam und öffnete.
„Mein lieber Herr,“ sprach Sandschiar zu ihm, „ihr seid nicht
mehr sicher in Balsora. Flieht und rettet euch, ohne einen Augenblick zu
verlieren.“

„Warum das?“, fragte Nureddin. „Was gibt es
denn, das mich zwingt, so eilig abzureisen?“

„Flieht, sage ich euch,“ versetzte Sandschiar,
„und nehmt eure Sklavin mit euch. Mit zwei Worten, Sawy hat dem König
soeben nach seinem Belieben erzählt, was zwischen ihm und euch vorgefallen ist.
Der Hauptmann der Wache mit vierzig Soldaten folgt mir auf dem Fuß, sich eurer
und ihrer zu bemächtigen.“

Zugleich erinnerte er ihn an die wohlbekannten Verse eines
Dichters:

„Rette dich selbst, wenn du eine Verfolgung
erleidest, und lass dein Haus die Abwesenheit seines Erbauers beseufzen.
Du findest stets ein anderes Land für dasjenige, welches du verlässt: Aber
dein Leben, wenn es dir genommen wird, wie könntest du das ersetzen?
Nur das, was man selber betreibt, hat guten Fortgang, darum sende keinen
Gesandten in irgend einer schwierigen Angelegenheit.
Nur daher kommt es, dass des Löwen Hals so überaus stark ist, weil er selber
seine Angelegenheiten betreibt1).“

Hierauf sagte er noch: „Nehmt diese fünfzig
Goldstücke, um euch einen Zufluchtsort zu suchen. Ich würde euch mehr geben,
wenn ich es vermöchte. Entschuldigt mich, wenn ich mich nicht länger aufhalte.
Ich erlasse euch ungern, aber zu eurem und meinem Besten, damit der Hauptmann
der Wache mich nicht erblickt.“

Sandschiar ließ Nureddin kaum so viel Zeit, ihm zu
danken, und machte sich fort.

Nureddin eilte zu der schönen Perserin und
benachrichtigte sie von der Notwendigkeit für sie beide, Augenblicks zu
entfliehen. Sie warf nur ihren Schleier über, und beide verließen das Haus.

Sie hatten das Glück, nicht nur aus der Stadt zu kommen,
ohne dass jemand ihre Flucht gewahrte, sondern selbst auch an die Mündung des
nicht sehr entfernten Euphrats zu gelangen, und sich auf ein Fahrzeug
einzuschiffen, welches im Begriff war, die Anker zu lichten.

Denn gerade als sie anlangten, stand der Schiffshauptmann
auf dem Verdeck, in der Mitte der Reisenden, und fragte sie: „Kinder, seid
ihr alle hier? Hat jemand von euch noch etwas in der Stadt zu tun oder
vergessen?“ Worauf sie antworteten, sie wären alle da, und er könnte
unter Segel gehen, wenn er wollte.

Sobald Nureddin sich eingeschifft hatte, fragte er, wohin
das Schiff ginge, und war erfreut, zu vernehmen, dass es nach Bagdad führe. Der
Hauptmann ließ die Anker lichten, spannte die Segel, und mit einem sehr
günstigen Wind entfernte sich das Schiff von Balsora.

Nureddin gedachte der Worte des Dichters:

„Sieh dieses Schiff, und erstaune über den
wunderbaren Anblick. Es kommt in seinem Lauf dem Wind zuvor.
Es gleicht einem Vogel, der seinem Nest entsteigt und mit Blitzesschnelle über
das Wasser hin streicht.“

In Balsora ging aber folgendes vor, während Nureddin mit
der schönen Perserin dem Zorn des Königs entfloh.

Der Hauptmann der Wache kam an Nureddins Haus und pochte
an die Türe. Da niemand öffnete, ließ er sie einschlagen, und alsbald drangen
seine Soldaten haufenweise hinein: Sie durchsuchten alles, fanden aber weder
Nureddin noch seine Sklavin. Der Hauptmann ließ die Nachbarn fragen, und fragte
sie selber, ob keiner sie gesehen hätte. Aber wenn diese sie auch gesehen
hätten, so war Nureddin doch bei allen so beliebt, dass keiner etwas gesagt
haben würde, das ihm hätte nachteilig sein können.

Während man nun das Haus plünderte und schleifte, ging
der Hauptmann hin und brachte dem König diese Nachricht. „Man suche sie
überall, wo sie sich auch versteckt haben,“ sagte der König. „Ich
will sie durchaus haben.“

Der Hauptmann der Wache ging auf neue Nachforschungen aus,
und der König entließ den Wesir Sawy mit Ehren. „Geh,“ sagte er zu
ihm, „kehre zurück in dein Haus, und sei unbesorgt wegen Nureddins
Bestrafung: Ich selber will dich wegen seiner Unverschämtheit rächen.“

Kurz, um alles aufzubieten, ließ der König durch die
öffentlichen Ausrufer in der ganzen Stadt bekannt machen: Er würde demjenigen
tausend Goldstücke geben, der ihm Nureddin mit seiner Sklavin brächte.
Denjenigen dagegen streng bestrafen, der sie etwa verborgen hielte.

Aber welche Mühe er sich auch gab, und welche Sorgfalt er
auch anwenden ließ, es war ihm nicht möglich, irgend eine Kunde von ihnen zu
erhalten. Der Wesir Sawy hatte nur den Trost, zu sehen, dass der König sich
seiner Sache angenommen hatte.

Nureddin und die schöne Perserin schifften unterdessen
weiter, und vollendeten die Fahrt mit allem möglichem Glück. Sie erreichten
endlich Bagdad. Sobald der Schiffshauptmann die Stadt erblickte, rief er, voll
Freuden über die glücklich vollbrachte Fahrt, den Reisenden zu: „Kinder,
freut euch. Da ist sie, diese große und wundervolle Stadt, der allgemeine und
unaufhörliche Zusammenfluss aus allen Weltgegenden! Ihr werdet darin eine
zahllose Volksmenge finden, und dort weder die unerträgliche Kälte des
Winters, noch die übermäßige Hitze des Sommers ausstehen, sondern euch eines
steten Frühlings mit seinen Blumen und zugleich mit den köstlichsten Früchten
des Herbstes, erfreuen.“

Als das Schiff ein wenig unterhalb der Stadt angelegt
hatte, stiegen die Reisenden ans Land, und begaben sich jeder nach seiner
Herberge.

Nureddin bezahlte fünf Goldstücke für seine überfahrt,
und stieg ebenfalls mit der schönen Perserin aus. Er war aber noch niemals in
Bagdad gewesen, und wusste nicht, wo er einkehren sollte. Beide gingen lange
neben Gärten hin, die ans Ufer des Tigris stießen, und kamen auch an einen,
welcher von einer schönen und langen Mauer eingeschlossen war. Am Ende
derselben wandten sie sich in eine lange wohl gepflasterte Straße, wo sie das
Tor des Gartens und dabei einen schönen Springbrunnen erblickten.


1)
D.h. seine Nahrung sucht.