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254. Nacht

Dieses Mittel schien Nureddin äußerst hart, aber was
sollte er tun in seiner Lage? Er verkaufte zuerst seine Sklaven, jetzt unnütze
Mitesser für ihn, welche ihm eine viel größere Ausgabe verursacht hätten,
als er noch zu bestreiten im Stande war.

Er lebte einige Zeit von dem daraus gelösten Geld. Als
dieses ihm ausging, ließ er sein Hausgerät auf den Markt bringen, wo es weit
unter dem wahren Wert verkauft wurde, obgleich sehr kostbare Stücke darunter
waren, welche ungeheure Summen gekostet hatten.

Hiervon konnte er wieder eine gute Zeitlang leben, aber
endlich versiegte auch die Hilfsquelle, und er besaß nun nichts mehr, was er zu
Geld machen konnte: Er teilte der schönen Perserin seinen tiefen Schmerz
darüber mit.

Nureddin versah sich nicht der Antwort, welche diese
verständige Frau ihm gab. „Herr,“ sagte sie zu ihm, „ich bin
eure Sklavin, und ihr wisst, dass der selige Wesir, euer Vater, mich für
zehntausend Goldstücke gekauft hat. Ich weiß wohl, dass ich nicht mehr so viel
wert bin, als damals. Jedoch bin ich überzeugt, dass ich noch immer für eine
ziemlich starke Summe verkauft werden kann. Folgt meinem Rat, und säumt nicht,
mich auf den Markt zu führen und zu verkaufen. Mit dem ansehnlichen Geld, das
ihr für mich löst, begebt euch nach irgend einer Stadt, wo ihr unbekannt seid,
dort Handel zu treiben. Dadurch werdet ihr Mittel finden, wenn auch nicht in
großem überfluss, jedoch glücklich und zufrieden zu leben.“

„Ach, reizende und schöne Perserin!“, rief
Nureddin aus, „ist es möglich, dass ihr diesen Gedanken habt fassen
können? Habe ich euch so wenig Beweise meiner Liebe gegeben, dass ihr mich
dieser Nichtswürdigkeit fähig wähnt? Könnte ich es tun, ohne meineidig zu
sein, nachdem ich meinem seligen Vater geschworen, euch nie zu verkaufen? Ich
will lieber sterben, als dem zuwider handeln und mich von euch trennen, die ich,
ich sage nicht eben so sehr, sondern mehr, als mich selbst, liebe. Indem ihr mir
einen so unannehmlichen Vorschlag macht, gebt ihr mir zu erkennen, es fehle sehr
viel daran, dass ihr mich eben so sehr liebt, als ich euch liebe.“

„Herr,“ erwiderte die schöne Perserin,
„ich bin überzeugt, dass ihr mich so sehr liebt, wie ihr sagt. Gott weiß,
ob die Leidenschaft, welche ich für euch empfinde, geringer ist, als die
eurige, und wie viel überwindung es mich kostet, euch den Vorschlag zu machen,
der euch so sehr gegen mich empört. Zur Vernichtung des Einwandes, den ihr mir
dagegen macht, darf ich euch nur an den Spruch erinnern: Not hat kein Gebot. Ich
liebe euch in einem Grad, dass ihr mich unmöglich mehr lieben könnt, und ich
kann euch versichern, dass ich nie aufhören werde, euch ebenso zu lieben,
welchem Herrn ich auch angehören mag. Ja, es wird für mich die größte Freude
auf der Welt sein, mich wieder mit euch zu vereinigen, sobald eure Umstände
erlauben, mich wiederzukaufen, wie ich hoffe. Es ist freilich, ich bekenne es,
eine sehr grausame Notwendigkeit für euch und für mich, aber, nach allem, sehe
ich kein anderes Mittel, uns beide aus dem Elend zu ziehen.“

Nureddin, der sehr wohl die Wahrheit dessen einsah, was
die schöne Perserin ihm hier vorstellte, und keine andere Hilfsquelle hatte,
eine schmähliche Armut zu vermeiden, war gezwungen, das Mittel zu ergreifen,
welches sie ihm vorgeschlagen hatte. Er führte sie also, mit unaussprechlichem
Schmerz, auf den Markt, wo die Sklavinnen verkauft wurden.

Hier sah er sie mit innigst betrübtem Herzen an, und
sprach folgende Verse zu ihr:

„Noch einmal, ehe du dich trennst, beglücke mich mit
einem Blick von dir, um mein Herz zu stärken, welches deine Entfernung dem Tod
nahe bringt.
Doch sollte dies zu sehr dich schmerzen, so unterlass es: Gern will ich sterben,
wenn ich dir dadurch diesen Schmerz ersparen kann.“

Er wandte sich hierauf an einen Unterhändler, Namens
Hadschi-Hassan, und sprach zu ihm: „Hadschi-Hassan, hier ist eine Sklavin,
die ich verkaufen will. Sieh zu, wie viel man dafür bietet.“

Hadschi-Hassan ließ Nureddin und die schöne Perserin in
ein Gemach treten. Sobald sie den Schleier der ihr Gesicht verhüllt, abgenommen
hatte, sagte Hadschi-Hassan mit Verwunderung zu Nureddin: „Wie, Herr,
täusche ich mich nicht? Ist dies nicht die Sklavin, welche der selige Wesir,
euer Vater, für zehntausend Goldstücke kaufte?“ Nureddin versicherte ihn,
es wäre dieselbe. Hadschi-Hassan machte ihm nun die Hoffnung, dass er eine
bedeutende Summe für sie lösen würde, und versprach ihm all seinen Fleiß
anzuwenden, sie zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen.

Hadschi-Hassan verließ mit Nureddin das Gemach, und
verschloss die schöne Perserin darin. Er ging hierauf, die Kaufleute
einzuladen, aber alle waren eben beschäftigt, griechische, afrikanische,
tatarische und andere Sklavinnen einzukaufen, und er war genötigt zu warten,
bis sie ihren Handel geschlossen hatten.

Als sie dies abgetan, und sich fast alle versammelt
hatten, sprach er zu ihnen, mit fröhlichem Gesicht und lustigen Gebärden:
„Meine guten Herren, alles was rund, ist darum noch keine Nuss, und alles
was lang ist, noch keine Feige. Alles was rot, ist noch kein Fleisch und nicht
alle Eier sind frisch. Ich will sagen, ihr habt in eurem Leben wohl manche
Sklavin gesehen und gekauft: Aber niemals habt ihr eine einzige gesehen, welche
mit dieser zu vergleichen wäre, die ich euch jetzt anbiete. Es ist die Perle
der Sklavinnen: Kommt und folgt mir, ich will sie euch zeigen. Ihr selber sollt
mir bestimmen, zu welchem Preis ich sie zuerst ausrufen soll.“

Die Kaufleute folgten Hadschi-Hassan, der ihnen die Türe
des Gemaches öffnet, worin die schöne Perserin war. Sie betrachteten sie mit
Bewunderung, und alle waren einstimmig der Meinung, dass das Ausgebot nicht
geringer als viertausend Goldstücke sein könnte.

Hierauf verließen sie das Zimmer und Hadschi-Hassan, der
mit ihnen hinausging, schloss die Türe wieder zu, und rief vor derselben mit
lauter Stimme aus: „Für die persische Sklavin, viertausend Goldstücke,
zum ersten!“

Keiner der Kaufleute hatte noch ein Gebot getan, und sie
gingen noch mit sich selber zu Rate, wie hoch sie sie hinauf treiben sollten,
als der Wesir Sawy ankam.

Als er Nureddin auf dem Marktplatz erblickte, sagte er bei
sich selber: „Vermutlich macht Nureddin wieder einiges Hausgeräte zu Gelde
(denn er wusste, dass er dergleichen verkauft hatte), und will sich eine Sklavin
kaufen.“ Er näherte sich, und Hadschi-Hassan rief zum zweiten Mal:
„Für die persische Sklavin, viertausend Goldstücke zum ersten!“

Aus diesem hohen Preise schloss Sawy, die Sklavin müsste
noch von ganz besonderer Schönheit sein, und sogleich bekam er große Lust, sie
zu sehen. Er spornte sein Pferd gerade auf Hadschi-Hassan zu, der von den
Kaufleuten umringt stand, und sagte zu ihm: „öffne die Türe, und lass
mich die Sklavin sehen.“

Nun war es nicht Gebrauch, sobald die Kaufleute eine
Sklavin gesehen hatten und darum handelten, sie sonst jemand sehen zu lassen.
Aber die Kaufleute hatten nicht den Mut, ihr Recht gegen das Ansehen des Wesirs
geltend zu machen. Hadschi-Hassan konnte nicht umhin, die Türe zu öffnen, und
der schönen Perserin ein Zeichen zu geben, hervor zu treten, damit Sawy sie
sehen könnte, ohne von seinem Pferd zu steigen.

Sawy geriet in staunende Bewunderung, als er eine Sklavin
von so außerordentlicher Schönheit sah. Er hatte mit dem Makler sonst schon zu
tun gehabt, und dessen Name war ihm nicht unbekannt: „Hadschi-Hassan,“
sprach er zu ihm, „sind es nicht viertausend Goldstücke, wofür du sie
ausrufst?“

„Ja, Herr,“ antwortete dieser. „Die
Kaufleute, die ihr hier seht, sind kurz vorher erst übereingekommen, dass ich
sie für den Preis ausrufen solle. Ich erwarte, dass sie mehr bieten und sie bis
zum höchsten Preise hinauf treiben.“

„Ich will das Geld geben,“ fuhr Sawy fort,
„wenn niemand mehr bietet.“

Zugleich sah er die Kaufleute mit einem Blick an, der
genügend zu erkennen gab, er erwartete, dass sie ihn nicht steigern würden. Er
war von aller Welt so gefürchtet, dass sie sich wohl hüteten, den Mund
aufzutun, selbst nicht einmal, um sich zu beklagen, dass er ihr Vorrecht
verletzte.

Als der Wesir Sawy einige Zeit gewartet hatte, und sah,
dass keiner der Kaufleute ihn überbot, sagte er zu Hadschi-Hassan: „Nun,
was wartest du noch? Geh zu dem Verkäufer, und schließ den Handel mit ihm für
die viertausend Goldstücke ab, oder höre, was er sonst tun will.“ Noch
wusste er nicht, dass die Sklavin Nureddin gehörte.

Hadschi-Hassan, der schon die Türe des Gemaches wieder
verschlossen hatte, ging hin, sich mit Nureddin deshalb zu besprechen.
„Herr,“ sagte er zu ihm, „es tut mir sehr leid, dass ich euch
böse Nachricht bringen muss: Eure Sklavin soll für ein Spottgeld verkauft
werden.“ – „Wieso?“, fragte Nureddin. – „Herr,“ fuhr
Hadschi-Hassan fort, „die Sache war anfangs im besten Zuge: Sobald die
Kaufleute eure Sklavin gesehen hatten, ermächtigten sie mich ohne Umstände,
sie für viertausend Goldstücke auszurufen. Ich rief sie auch für diesen Preis
aus: Da kam gerade der Wesir Sawy dazu, und seine Gegenwart stopfte den
Kaufleuten den Mund, die ich schon geneigt sah, sie bis zu demselben Preis
hinauf zu treiben, welchen sie den seligen Wesir, euren Vater, kostete. Sawy will
nicht mehr als die viertausend Goldstücke geben: Und ganz wider meinen Willen
komme ich, euch ein so unannehmbares Gebot zu bringen. Die Sklavin gehört euch,
aber ich würde euch nimmer raten, sie für diesen Preis zu lassen. Ihr kennt
den Wesir, Herr, und alle Welt kennt ihn. über dem, dass eure Sklavin unendlich
viel mehr wert ist, ist er boshaft genug, irgend einen Vorwand zu ersinnen, um
euch die Summe nicht zu zahlen.“

„Hadschi-Hassan,“ erwiderte Nureddin, „ich
danke dir für deinen Rat. Fürchte nicht, dass ich meine Sklavin an den Feind
meines Hauses verkaufen lasse. Ich habe das Geld sehr nötig, aber ich will
lieber in der äußersten Armut sterben, als zugeben, dass sie ihm überliefert
werde. Ich frage dich nur eins: Da du alle Gebräuche und alle Auswege kennst,
so sage mir nur, was ich tun muss, um dieses zu verhindern.“

„Herr,“ antwortete Hadschi-Hassan, „nichts
ist leichter. Stellt euch, als hättet ihr im Zorn auf eure Sklavin geschworen,
sie auf den Markt zu führen, aber nicht die Absicht gehabt, sie zu verkaufen,
sondern diesen Schritt nur getan, um euch eures Eides zu entledigen. Das wird
aller Welt genügen, und Sawy wird euch nichts einwenden können. Kommt denn,
und in dem Augenblick, wo ich sie Sawy zuführe, als wenn es mit eurer
Einwilligung geschähe und der Handel geschlossen wäre, reißt sie zurück,
indem ihr ihr einige Streiche gebt, und führt sie wieder nach Haus.“

„Ich danke dir,“ sagte hierauf Nureddin,
„du wirst sehen, wie ich deinen Rat befolge.“

Hadschi-Hassan kehrte nach der Bude zurück, öffnete sie,
und trat hinein. Nachdem er die schöne Perserin mit zwei Worten verständigt
hatte, nicht über das zu erschrecken, was vorgehen würde, nahm er sie beim Arm
und führte sie zu dem Wesir Sawy, der immer noch vor der Türe hielt, und sagte
zu ihm, indem er sie ihm übergab: „Herr, hier ist die Sklavin, sie ist die
eure, nehmt sie.“

Hadschi-Hassan hatte diese Wort noch nicht ausgesprochen,
als Nureddin hervortrat, die schöne Perserin ergriff, und sie an sich riss,
indem er ihr einen Backenstreich gab: „Hierher, du Unverschämte,“
sprach er zu ihr, so laut, dass alle Leute es hören konnten, „komm wieder
mit mir. Deine boshaften Launen hatten mich zwar genötigt, einen Schwur zu tun,
dich auf den Markt zu führen, aber nicht, dich zu verkaufen. Ich brauche dich
noch, und es ist Zeit, zu diesem äußersten zu schreiten, wen mir nichts
anderes mehr übrig bleibt.“

Der Wesir Sawy geriet über diese Handlung Nureddins in
großen Zorn. „Elender Wüstling,“ rief er aus, „willst du mir
einbilden, dass dir noch etwas anderes zu verkaufen übrig bleibt, als deine
Sklavin?“ Zugleich spornte er sein Pferd gerade auf ihn zu, um ihm die
schöne Perserin zu entreißen. Nureddin, höchst erbittert durch den Schimpf,
welchen der Wesir ihm antat, ließ die schöne Perserin los, indem er sie auf
ihn warten hieß, ergriff das Pferd beim Zaum, stieß es drei oder vier Schritt
zurück, und sprach dann zu dem Wesir: „Graubärtiger Schurke, ich würde
dir auf der Stelle das Leben rauben, wenn mich die Achtung vor diesen Leuten
hier nicht zurückhielte.“

Da der Wesir Sawy von niemand geliebt, im Gegenteil von
aller Welt gehasst war, so war keiner unter den Gegenwärtigen, der sich nicht
gefreut hätte, dass Nureddin ihn etwas demütigte. Sie winkten ihm und gaben
ihm durch Zeichen zu verstehen, er könnte sich nach Gefallen rächen, es würde
sich niemand in ihren Streit mischen.

Sawy strengte sich an, Nureddin den Zaum seines Pferds aus
der Hand zu reißen. Nureddin aber, der ein starker und kräftiger junger Mann,
und durch den Beifall der Umstehenden ermutigt war, zog ihn selber vom Pferd
mitten in die Gosse herunter, gab ihm tausend Schläge, und stieß ihm den Kopf
auf dem Pflaster blutig.

Zehn Sklaven, die Sawy begleiteten, wollten mit gezogenem
Säbel über Nureddin herfallen. Die Kaufleute aber traten dazwischen und
verhinderten sie daran. „Was wollt ihr tun?“, sagten sie zu ihnen.
„Seht ihr nicht, dass, wenn der eine Wesir, der andere Sohn eines Wesirs
ist? Lasst sie ihren Streit untereinander ausmachen. Vielleicht vertragen sie
sich nach einigen Tagen wieder, und wenn ihr Nureddin getötet hättet, glaubt
ihr, dass euer Herr, wie mächtig er sei, euch vor der Gerechtigkeit schützen
könnte?“

Nureddin ward endlich müde, auf den Wesir Sawy zu
schlagen. Er ließ ihn mitten in der Gosse liegen, nahm die schöne Perserin und
kehrte mit ihr, unter freudigen Zurufe und lauten Lobpreisungen des Volks, nach
seinem Haus zurück.