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253. Nacht

Was noch viel mehr dazu beitrug, die Vermögensumstände
Nureddins zu zerrütten, war, dass er niemals von Berechnung mit seinem
Haushofmeister hören wollte. Er schickte ihn jedes Mal, wenn er mit seinem Buch
erschien, wieder fort, indem er zu ihm sagte: „Geh, geh, ich verlasse mich
ganz auf dich. Sorge nur dafür, dass ich alle Tage vollauf habe.“

„Ihr habt zu gebieten, Herr,“ erwiderte der
Haushofmeister. „Erlaubt jedoch, dass ich euch an das Sprichwort erinnere,
welches sagt: Wer großen Aufwand macht und nicht rechnet, befindet sich endlich
am Bettelstab, ehe er es gewahr wird. Ihr begnügt euch nicht mit dem so
verschwenderischen Aufwand eurer Tafel, ihr schenkt auch noch mit vollen Händen
weg. Eure Schätze können das nicht aushalten, und wären sie auch so groß,
wie Berge.“

„Geh, sage ich dir,“ wiederholte ihm Nureddin.
„Ich bedarf deiner Lehren nicht: Fahre fort, mir zu essen zu schaffen, und
bekümmere dich nicht um das übrige.“ Er fügte noch folgende Verse hinzu:

„Wenn meine Hand Reichtümer besitzt, warum sollte
ich nicht freigebig sein. Warum sie nicht öffnen, um zu spenden?
Hast du je von einem Geizhals gehört, dass er Ruhm erworben habe, oder von
einem Freigebigen, dass er in Verachtung gestorben sei?“

Nureddins Freunde waren unterdessen sehr fleißig an
seiner Tafel, und versäumten keine Gelegenheit, seine Willfährigkeit zu
benutzen. Sie schmeichelten ihm, sie lobten ihn, und erhuben alles, auch das
geringste und unbedeutendste, was er tat. Vor allem vergaßen sie nicht, alles
übermäßig zu preisen, was ihm gehörte, und fanden dabei ihre Rechnung.

„Herr,“ sprach zu ihm der eine, „ich kam
gestern an dem Landgut vorbei, das ihr in jener Gegend habt: Nichts ist
prächtiger, noch schöner eingerichtet, als das Haus und der Garten dabei ist
ein wahres Paradies.“ – „Es freut mich, dass es euch gefällt,“
erwiderte Nureddin: „Man bringe mir Feder, Tinte und Papier, und ich will
nicht weiter davon reden hören. Es ist euer, ich schenke es euch.“

Andere hatten ihm nicht sobald eins von den Häusern,
Bädern, und öffentlichen Gastherbergen, die ihm gehörten und große
Einkünfte brachten, gerühmt, als er ihnen ebenso ein Geschenk damit machte.

Die schöne Perserin stellte ihm den Schaden vor, den er
sich täte. Um ihn auf bessere Entschlüsse zu bringen, sang sie ihm folgende
Strophen eines Liedes vor:

„Dein Gemüt ist fröhlich, wenn die Tage heiter
sind, und du fürchtest nicht das Böse, womit das Geschick dich bedroht.
Das Glück hat dich unbesorgt gemacht und irre geleitet: Aber, bedenke, während
des schönsten Wetters entsteht oft plötzlich ein Ungewitter!“

Aber Nureddin, anstatt auf sie zu hören, fuhr fort bei
der nächsten Gelegenheit zu verschwenden, was ihm übrig blieb.

Kurz, Nureddin tat ein ganzes Jahr lang nichts anderes,
als Wohlleben, sich gütlich tun, und sich vergnügen, indem er die großen
Güter vergeudete, welche seine Vorfahren und der Wesir, sein Vater, mit so viel
Sorge und Mühe erworben oder erhalten hatten.

Das Jahr war eben abgelaufen, als es eines Tages an die
Türe des Saales klopfte, wo er zu Tische saß. Er hatte seine Sklaven
hinausgeschickt und sich mit seinen Freunden eingeschlossen, um in voller
Freiheit zu sein.

Einer von Nureddins Freunden wollte aufstehen, aber
Nureddin kam ihm zuvor, und ging selber hin, zu öffnen. Es war sein
Haushofmeister. Nureddin, um zu hören, was er wollte, trat etwas aus dem Saal,
und machte die Türe halb zu.

Jener Freund, der auch aufgestanden war, und den
Haushofmeister bemerkt hatte, war neugierig zu wissen, was er Nureddin zu sagen
hätte, und stellte sich zwischen den Vorhang und die Türe, und hörte folgende
Rede des Haushofmeisters:

„Herr,“ sprach dieser zu seinem Herrn, „ich
bitte euch tausend Mal um Verzeihung, wenn ich euch mitten in euren
Vergnügungen zu unterbrechen komme. Was ich euch mitzuteilen habe, ist aber,
wie mich dünkt, für euch von so großer Wichtigkeit, dass ich es nicht
aufschieben durfte, mir diese Freiheit zu nehmen. Ich komme, meine letzte
Rechnung ablegen: Und was ich seit langer Zeit voraussah, und wovor ich euch
mehrmals warnte, ist eingetroffen, das heißt, Herr, ich habe nicht mehr einen
Heller von allen den Summen, die ihr mir übergeben habt, eure Haushaltung zu
bestreiten. Die übrigen Einkünfte, die ihr mir angewiesen habt, sind auch
erschöpft. Eure Pächter, und alle die euch Zinsen zahlen mussten, haben mir so
deutlich die übertragung eurer Forderungen auf andere dargetan, dass ich in
eurem Namen nichts mehr von ihnen einziehen kann. Hier sind meine Rechnungen.
Prüft sie: Und wenn ihr wünscht, dass ich euch fernerhin dienen soll, so weist
mir andere Hebungen an. Wo nicht, so erlaubt, dass ich Abschied nehme.“

Nureddin war so betroffen von dieser Rede, dass er kein
Wort darauf antworten konnte. Der Freund, der auf der Lausche stand und alles
gehört hatte, trat sogleich wieder herein, und teilte seine Entdeckung den
übrigen Freunden mit. „Es steht bei euch,“ sagte er zu ihnen,
„diese Nachricht zu benutzen. Ich für mein Teil erkläre, es ist heute das
letzte Mal, dass ihr mich bei Nureddin seht.“ – „Wenn das ist,“
erwiderte sie, „so haben wir nicht mehr bei ihm zu tun, als ihr. Er wird
uns hier nicht mehr wieder sehen.“

Nureddin kam in diesem Augenblick zurück und welche
heitere Miene er auch annahm, um seine Gesellen wieder in den Zug zu bringen, so
konnte er sich doch nicht so gut verstellen, dass sie nicht deutlich genug
bestätigt sahen, was sie eben vernommen hatten. Er hatte sich kaum wieder auf
seinen Platz gesetzt, als einer der Freunde von dem seinen aufstand und zu ihm
sagte: „Herr, es tut mir sehr leid, euch nicht länger Gesellschaft leisten
zu können: Ich bitte euch nicht übel zu nehmen, wenn ich mich entferne.“

„Welches Geschäft nötigt euch, uns so bald zu
verlassen?“, fragte Nureddin.

„Herr,“ antwortete er, „meine Frau ist
heute niedergekommen. Ihr wisst wohl, dass in solchen Fällen die Gegenwart des
Mannes immer notwendig ist. „Er macht eine tiefe Verbeugung, und ging weg.

Einen Augenblick danach beurlaubte sich ein anderer, unter
einem andern Vorwand. Die übrigen taten desgleichen, einer nach dem andern, bis
kein einziger von den zehn Freunden übrig blieb, welche bis zu dieser Stunde
Nureddin so gute Gesellschaft geleistet hatten.

Nureddin argwöhnte nichts von dem Entschluss, den seine
Freunde gefasst hatten, ihn nicht wieder zu sehen. Er ging in das Zimmer der
schönen Perserin und unterhielt sich mit ihr bloß von der Erklärung seines
Haushofmeisters, in starken Ausdrücken einer wahrhaften Reue über die
Zerrüttung seiner Vermögensumstände.

„Herr,“ sprach zu ihm die schöne Perserin,
„erlaubt mir, euch zu erinnern, ihr habt hierin nur euren eigenen Sinnen
trauen wollen: Ihr seht nun, was euch widerfahren ist. Ich täuschte mich nicht,
als ich das traurige Ende verkündigte, welches ihr erwarten müsstet. Was mich
dabei noch bekümmert, ist, dass ihr noch nicht alle traurigen Folgen desselben
einseht. Wen ich euch darüber Vorstellungen machen wollte, so war eure Antwort:
„Ergötzen wir uns, und genießen wir der guten Zeit, welche das Glück uns
bietet, so lange es uns günstig ist, vielleicht ist es nicht immer so guter
Laune.“ Aber ich hatte nicht Unrecht, wenn ich euch erwiderte, dass wir
selber durch eine verständige Lebensweise die Schöpfer unsres Glückes sind.
Ihr wolltet mich nicht hören, sondern gabt mir oft folgende Verse zur Antwort:

„Wenn das Glück dir günstig ist, so teile davon
allen Menschen mit, bevor es flieht.
Deine Freigebigkeit wird es nicht erschöpfen, wenn es dir wohl will, und dein
Geiz wird dich nicht schützen, wenn es sich weg wendet.“

Und so war ich genötigt, euch gewähren zu lassen.“

„Ich bekenne,“ versetzte Nureddin, „dass
ich Unrecht hatte, den heilsamen Rat, welchen eure bewunderungswürdige Klugheit
mir erteilte, nicht zu befolgen. Aber ihr bedenkt nicht, dass, wenn ich auch all
mein Gut verzehrt habe, solches mit auserwählten Freunden geschehen ist, welche
ich von langer Zeit her kenne. Es sind Männer von Ehrgefühl und voll
Erkenntlichkeit. Ich bin sicher, dass sie mich nicht verlassen werden.“

„Herr,“ versetzte die schöne Perserin,
„wenn ihr keine andere Hilfsmittel habt, als die Erkenntlichkeit eurer
Freunde, glaubt mir, so ist eure Hoffnung schlecht gegründet, und ihr werdet
mir nächstens etwas davon zu erzählen wissen.“

„Reizende Perserin,“ sagte Nureddin hierauf,
„ich habe bessere Meinung, als ihr, von der Hilfe, welche sie mir leisten
werden. Ich will sie gleich morgen alle besuchen, bevor sie, wie gewöhnlich,
sich zu mir bemühen, und ihr werdet mich mit einer guten Summe Geldes
zurückkommen sehen, womit sie insgesamt mich unterstützt haben werden. Ich
werde, wie ich beschlossen habe, mein Leben ändern, und dieses Geld in irgend
einem Handel vorteilhaft anlegen.“

Nureddin ermangelte nicht, am folgenden Morgen zu seinen
zehn Freunden zu gehen, die in einer und derselben Gasse wohnten. Er klopfte an
die nächste Türe, wo einer der reichsten wohnte. Eine Sklavin erschien, und
fragte, bevor sie öffnete, wer da klopfe. „Sage deinem Herrn,“
antwortete Nureddin, „es ist Nureddin, der Sohn des verstorbenen Wesirs
Chakan.“

Die Sklavin öffnete, führte ihn in einen Saal, und ging
in das Zimmer ihres Herrn, dem sie Nureddin anmeldete. „Nureddin!“,
antwortete der Herr, mit verächtlichem Ton, und so laut, dass Nureddin, mit
großem Erstaunen, es hörte: „Geh, sag ihm, ich bin nicht zu Hause und so
oft er wiederkommt, sag ihm dasselbe.“

Die Sklavin kam zurück, und gab Nureddin zur Antwort, sie
hätte geglaubt, dass ihr Herr zu Hause wäre, sie hätte sich aber geirrt.

Nureddin ging voll Beschämung weg: „Ha, der
treulose, der schändliche Mensch!“, rief er aus: „Gestern beteuerte
er mir, ich hätte keinen bessern Freund als ihn, und heute behandelt er mich so
unwürdig!“

Er ging weiter und klopfte an die Türe eines andern
Freundes. Dieser Freund ließ ihm dasselbe sagen, wie der erste. Er bekam
dieselbe Antwort bei dem dritten, und ebenso bei dem folgenden, bis zum zehnten
obwohl alle zu Hause waren.

Jetzt erst ging Nureddin in sich und erkannte seine
Torheit, auf die feste Anhänglichkeit dieser falschen Freunde zu vertrauen, und
auf ihre Freundschaftsbeteuerungen, so lange er im Stande gewesen war, sie
verschwenderisch zu bewirten und sie mit Geschenken und Wohltaten zu
überschütten. „Es ist wohl wahr,“ sagte er bei sich selber, mit
Tränen in den Augen:

„Die Menschen, so lange sie glücklich sind, gleichen
Bäumen, um welche die Leute so lange beschäftigt sind, als sie Früchte haben.
Sind aber diese ihnen alle abgenommen, so gehen dieselben Leute davon, und geben
sie den Stürmen und dem Staub preis.
Pfui den Menschen dieser Zeit! Auch nicht einer unter Zehnen ist gut!“

Er hielt noch an sich, so lange er außer seinem Hause
war. Sobald er aber heim kam, überließ er sich ganz und gar seiner Betrübnis,
und ging hin, sie der schönen Perserin mitzuteilen.

Sobald die schöne Perserin den traurigen Nureddin kommen
sah, erkannte sie gleich, dass er bei seinen Freunden nicht die erwartete Hilfe
gefunden hatte. „Nun, Herr,“ sprach sie zu ihm, „seid ihr
gegenwärtig von der Wahrheit dessen überzeugt, was ich euch voraus
sagte?“

„Ach, meine Teure,“ rief er aus, „ihr habt
nur zu wahr gesagt! Nicht einer hat mich erkennen, mich sehen, mich sprechen
wollen! Niemals hätte ich geglaubt, von Leuten so grausam behandelt zu werden,
die mir so viel Dank schuldig sind, und für welche ich mich selber erschöpft
habe! Ich kann mich nicht mehr halten, und ich fürchte in diesem jammervollen
Zustand und in der Verzweiflung, worin ich bin, irgend eine meiner unwürdige
Handlung zu begehen, wenn ihr durch euren weisen Rat mir nicht beisteht.“

„Herr,“ erwiderte die schöne Perserin,
„ich sehe kein anderes Mittel in eurem Unglück, als eure Sklaven und euer
Hausgerät zu verkaufen, und so lange davon zu leben, bis der Himmel euch irgend
einen andern Weg zeigt, um euch aus dem Elend zu ziehen.“