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251. Nacht

Nureddin1),
so hieß nämlich der Sohn des Wesirs Chakan, hatte freien Zutritt ins Zimmer
seiner Mutter, mit welcher er zu speisen pflegte. Er war sehr wohl gebildet von
Gestalt, jung, anmutig und kühn. Da er ungemein viel Geist hatte und sich mit
Leichtigkeit ausdrückte, so hatte er die besondere Gabe, alle zu überreden,
wozu er wollte.

Er sah die schöne Perserin und obgleich er wusste, dass
sein Vater sie für den König gekauft, und sein Vater selber es ihm erklärt
hatte, so tat er sich dennoch gleich bei der ersten Zusammenkunft mit ihr keinen
Zwang an, seine Liebe für sie zu unterdrücken. Er ließ sich vielmehr durch
ihre Reize, die ihn sogleich bezauberten, hinreißen. Die Unterhaltung, welche
er mit ihr hatte, bestimmte ihn zu dem Entschluss, alle Mittel anzuwenden, um
sie dem Fürsten zu entführen.

Die schöne Perserin ihrerseits fand auch Nureddin sehr
liebenswürdig. „Der Wesir erzeigt mir eine große Ehre,“ sagte sie
bei sich selber, „dass er mich zum Geschenk für den König von Balsora
gekauft hat: Ich würde mich jedoch sehr glücklich schätzen, wenn er sich
begnügte, mich seinem Sohn zu schenken.“

Nureddin benutzte sehr eifrig den Vorteil, den er hatte,
eine Schönheit, in welche er so verliebt war, zu besuchen und sich mit ihr zu
unterhalten. Niemals verließ er sie eher, als bis seine Mutter ihn dazu
gezwungen hatte. „Mein Sohn,“ sagte diese, „es ist nicht
wohlanständig für einen jungen Mann, wie du bist, stets in dem Frauenzimmer zu
weilen. Geh, begib dich in dein Zimmer, und arbeite, um dich würdig zu machen,
dereinst der Nachfolger in der Würde deines Vaters zu werden.“

Weil die schöne Perserin wegen der weiten Reise, welche
sie eben gemacht hatte, lange nicht ins Bad gegangen war, so besorgte die
Gemahlin des Großwesirs Chakan, fünf oder sechs Tage nachdem sie gekauft war,
dass eigens für sie das Bad geheizt wurde, welches der Wesir im Haus hatte. Sie
ließ sie von mehreren ihrer Sklavinnen dahin begleiten, und befahl diesen, sie
ebenso zu bedienen, wie sie selber, und ihr nach dem Bad ein sehr prächtiges
Kleid anzulegen, welches sie ihr schon hatte machen lassen. Sie hatte um so mehr
Sorgfalt hierauf verwendet, als sie sich bei dem Wesir, ihrem Gemahl, dadurch
ein Verdienst erwerben, und ihm zu erkennen geben wollte, wie sehr sie sich
alles angelegen sein ließe, was ihm Vergnügen machen könnte.

Aus dem Bad ging die schöne Perserin noch tausend Mal
schöner hervor, als sie Chakan bei dem Kauf erschienen war, und zeigte sich so
der Gemahlin des Wesirs, welche Mühe hatte, sie wieder zu erkennen.

Die schöne Perserin küsste ihr mit Anmut die Hand, und
sagte zu ihr: „Gnädige Frau, ich weiß nicht, wie ihr in diesem Kleid mich
findet, welches ihr die Güte gehabt habt mir machen zu lassen. Eure Frauen, die
mich versichern, es kleide mich so gut, dass sie mich kaum wieder erkennen, sind
vielleicht nur Schmeichlerinnen: Ich berufe mich auf Euer Urteil darüber.
Sollten sie gleichwohl die Wahrheit sagen, so seid doch ihr es, gnädige Frau,
der allein in diesen Vorteil verdanke.“

„Meine Tochter,“ erwiderte die Gemahlin des
Wesirs mit großer Freude, „ihr dürft es nicht für Schmeichelei halten,
was meine Frauen euch gesagt haben: Ich verstehe mich besser darauf, als sie.
Abgesehen von dem Gewand, welches euch bewunderungswürdig kleidet, bringt ihr
aus dem Bad eine Schönheit mit, die so weit über dem steht, was ihr zuvor
schient, dass ich selber euch nicht mehr erkenne. Wenn ich wüsste, dass das Bad
noch gut genug wäre, so würde ich es mir auch zu Nutze machen: Ich bin schon
in einem Alter, welches erfordert, dass ich mich öfters desselben
bediene.“

„Gnädige Frau,“ erwiderte die schöne Perserin,
„ich weiß auf die unverdiente Ehre, die ihr mir erweist, nichts zu
antworten. Was das Bad anlangt, so ist es bewunderungswürdig, und wenn ihr Lust
habt, in dasselbe zu gehen, so dürft ihr keine Zeit verlieren. Eure Frauen
werden euch dasselbe sagen.“

Die schöne Perserin begab sich nach ihrem Zimmer, und die
Gemahlin des Wesirs gebot, bevor sie ins Bad ging, zwei kleinen Sklavinnen, bei
ihr zu bleiben, mit dem Befehl, Nureddin nicht hereinzulassen, wenn er käme.

Während nun die Gemahlin des Wesirs im Bad, und die
schöne Perserin allein war, kam Nureddin, und als er seine Mutter nicht in
ihrem Zimmer traf, ging er in das der schönen Perserin, wo er die beiden
kleinen Sklavinnen im Vorzimmer fand. Er fragte diese nach seiner Mutter. Worauf
sie antworteten, sie wäre im Bad.

„Und die schöne Perserin,“ fuhr Nureddin fort,
„ist sie auch im Bade?“ – „Sie ist schon daraus zurückgekommen
und in ihrem Zimmer, aber wir haben Befehl von eurer Frau Mutter, euch nicht
hinein zu lassen.“

Das Zimmer der schönen Perserin war nur durch einen
Türvorhang geschlossen. Nureddin schritt vorwärts, um hinein zu treten, und
die beiden Sklavinnen stellten sich davor, um ihn daran zu verhindern. Er aber
nahm eine wie die andere beim Arm, schob sie aus dem Vorzimmer, und schloss die
Türe vor ihnen zu.

Da liefen sie mit großem Geschrei nach dem Bad, und
verkündigten weinend ihrer Gebieterin, dass Nureddin trotz ihnen in das Zimmer
der schönen Perserin gedrungen wäre und sie verjagt hätte.

Die Nachricht von einer so großen Kühnheit verursachte
der guten Frau die empfindlichste Kränkung. Sie unterbrach ihr Bad und kleidete
sich aufs schleunigste an. Aber ehe sie fertig war, und in das Zimmer der
schönen Perserin kam, war Nureddin schon wieder hinausgegangen, und hatte die
Flucht ergriffen.

Die schöne Perserin war äußerst erstaunt, die Gemahlin
des Wesirs ganz in Tränen herein treten zu sehen, wie eine Frau, die außer sich
war. „Gnädige Frau,“ sagte sie zu ihr, „darf ich euch fragen,
weshalb ihr so betrübt seid? Welcher Unfall ist euch im Bad begegnet und hat
euch genötigt, es so bald zu verlassen?“

„Wie!“, rief die Gemahlin des Wesirs aus,
„ihr tut mir diese Frage mit so ruhigem Gemüt, nachdem mein Sohn Nureddin
in euer Zimmer gedrungen und allein bei euch geblieben ist! Konnte uns, ihm und
mir, ein größeres Unglück begegnen?“

„Um Verzeihung, gnädige Frau,“ versetzte die
schöne Perserin, „welches Unglück kann für euch und Nureddin bei dem
sein, was er getan hat?“

„Wie!“, erwiderte die Gemahlin des Wesirs,
„hat euch mein Mann nicht gesagt, dass er euch für den König gekauft hat?
Und hatte er euch nicht gewarnt, euch zu hüten, dass Nureddin euch nicht
nahte?“

„Ich habe es nicht vergessen, gnädige Frau,“
antwortete hierauf die schöne Perserin. „Aber Nureddin kam, mir zu sagen,
sein Vater hätte seinen Sinn geändert, und anstatt mich für den König
aufzubewahren, wie seine Absicht gewesen, ihm selber mit meiner Person ein
Geschenk gemacht. Ich glaubte es, gnädige Frau und da ich eine Sklavin, und
seit meiner zartesten Jugend an strengen Gehorsam gewöhnt bin, so könnt ihr
wohl denken, dass ich mich seinem Willen nicht widersetzen konnte, noch durfte.
Ich gestehe selbst, dass ich es um so weniger mit Widerwillen getan habe, als
ich, bei der Freiheit, die wir hatten uns zu sehen, eine starke Neigung für ihn
gefasst hatte. Ich verzichte ohne Bedauern auf die Hoffnung, dem König
anzugehören, und werde mich sehr glücklich schätzen, mein ganzes Leben mit
Nureddin zuzubringen.“

Auf diese Rede sagte die Gemahlin des Wesirs: „Wollte
Gott, dass es wahr wäre, was ihr sagt! Ich würde mich sehr darüber freuen.
Aber, glaubt mir, Nureddin ist ein Betrüger. Er hat euch getäuscht und
unmöglich hat sein Vater ihm dies Geschenk gemacht, wie er euch gesagt hat.
Ach, der Unglückliche! Und wie unglücklich bin ich, und wie viel mehr ist es
noch sein Vater durch die traurigen Folgen, welche er fürchten muss, und wir
mit ihm fürchten müssen! Weder meine Tränen noch meine Bitten sind im Stande,
ihn zu erweichen und seine Verzeihung zu erflehen. Sein Vater wird ihn seinem
gerechten Zorn aufopfern, sobald er die Gewalttat erfährt, welche er gegen euch
verübt hat.“

Nach diesen Worten fing sie bitterlich an zu weinen, und
ihre Sklavinnen, die nicht weniger als sie, für Nureddins Leben fürchteten,
folgten ihrem Beispiel.

Der Wesir Chakan kam einige Augenblicke später dazu, und
war höchst erstaunt, seine Frau und die Sklavinnen in Tränen und die schöne
Perserin so niedergeschlagen zu sehen. Er fragte nach der Ursache und seine
Gemahlin und die Sklavinnen verdoppelten ihr Geschrei und ihre Tränen, anstatt
ihm zu antworten. Ihr Schweigen erstaunte ihn noch mehr, er wandte sich an seine
Frau und sagte zu ihr: „Ich will durchaus, dass ihr mir erklärt, was ihr
zu weinen habt, und dass ihr mir die Wahrheit sagt.“

Die trostlose Frau konnte nicht länger umhin, ihren Mann
zu befriedigen. „Versprecht mir, Herr,“ begann sie, „dass ihr es
mich nicht wollt entgelten lassen, was ich euch sage: Ich versichere euch zum
voraus, dass ich nicht Schuld daran habe.“ Und ohne seine Antwort
abzuwarten, fuhr sie fort: „Während ich mit meinen Frauen im Bad war, ist
euer Sohn gekommen und hat diese unglückliche Zeit benutzt, um der schönen
Perserin einzubilden, dass ihr sie nicht mehr dem König geben wollt, sondern
ihm ein Geschenk mit ihr gemacht habt. Ich sage euch nicht, was er, nach dieser
argen Vorspiegelung, weiter getan hat: Ich überlasse es euch selber zu
ermessen. Das ist der Grund meiner Betrübnis um euch und um meinen Sohn, für
welchen ich mich nicht wage euch um Verzeihung anzuflehen.“

Es ist möglich, den ärger des Wesirs auszudrücken, als
er die Unverschämtheit seines Sohnes Nureddin vernommen hatte. „Ha,“
rief er aus, indem er sich an die Brust schlug, in die Hände biss, und den Bart
ausraufte, „auf solche Weise also, unseliger Sohn, unwürdig das Tageslicht
zu schauen, stürzest du deinen Vater von der höchsten Stufe seines Glücks in
den Abgrund: So richtest du ihn zu Grunde, und dich mit ihm! Der König wird
sich nicht mit deinem, noch mit meinem Blut begnügen, um diese Beleidigung zu
rächen, die seine Person selber betrifft.“

Seine Gemahlin bemühte sich, ihn zu trösten, und sprach
zu ihm: „Betrübt euch nicht zu sehr. Ich kann leicht zehntausend
Goldstücke aus einem Teil meiner Juwelen lösen: Ihr kauft dafür eine andere
Sklavin, die noch schöner und des Königs würdiger ist!“

„He! Denkt ihr denn,“ erwiderte der Wesir,
„dass ich mich über den Verlust von zehntausend Goldstücken so betrüben
könnte? Es ist hier nicht die Rede von diesem Verlust, ja nicht von dem Verlust
aller meiner Güter: Der sollte mich wenig kümmern. Es gilt hier den Verlust
meiner Ehre, die mir teurer ist, als alle Güter der Welt.“

„Mich dünkt gleichwohl, Herr,“ versetzte die
Frau, „dass, was man mit Geld wieder gut machen kann, nicht von so großer
Erheblichkeit ist.“

„Ei ja!“, erwiderte der Wesir, „wisst ihr
nicht, dass Sawy mein Todfeind ist? Glaubt ihr denn nicht, dass er, sobald er
diesen Handel erfährt, hingehen und bei dem König über mich triumphieren
wird? „Euer Majestät,“ wird er zu ihm sagen, „spricht stets von
der Hingebung und dem Diensteifer Chakans. Er zeigt jedoch jetzt eben, wie wenig
er einer so großen Auszeichnung würdig ist. Er hat zehntausend Goldstücke
empfangen, um euch eine Sklavin zu kaufen. Er hat sich eines so ehrenvollen
Auftrages wirklich entledigt, und noch niemals hat man eine so schöne Sklavin
gesehen: Aber anstatt sie Euer Majestät zuzuführen, hat er es für rätlicher
erachtet, seinem Sohn ein Geschenk damit zu machen. ‚Mein Sohn,‘ hat er zu ihm
gesagt, ’nimm diese Sklavin, sie ist dein, du verdienst sie mehr als der
König.‘ – Sein Sohn,“ wird er mit seiner gewöhnlichen Bosheit fortfahren,
„hat sie genommen, und ergötzt sich nun täglich mit ihr. Die Sache
verhält sich, wie ich die Ehre habe Euer Majestät zu versichern. Euer
Majestät kann sich selber davon überzeugen.“ – Meint ihr nun nicht, dass
auf eine solche Anklage, die Leute des Königs jeden Augenblick kommen können,
um in mein Haus zu dringen, und die Sklavin weg zu führen? Ich geschweige aller
übrigen unvermeidlichen übel, die daraus folgen werden.“

„Herr,“ antwortete die Frau auf diese Rede des
Wesirs, ihres Mannes, „ich gestehe, dass die Bosheit Sawys sehr groß ist,
und dass er im Stande ist, der Sache die arglistige Deutung zu geben, die ihr
hier voraussagt, wenn er die mindeste Kunde davon hätte. Aber kann er, oder
irgend jemand wissen, was im Innern eures Hauses vorgeht? Wenn man auch
argwöhnte, und der König mit euch davon spräche, könnt ihr nicht sagen, dass
ihr, nachdem ihr die Sklavin recht geprüft, sie Seiner Majestät nicht so
würdig befunden habt, als sie euch anfangs geschienen, dass der Kaufmann euch
betrogen habe, dass sie allerdings von unvergleichlicher Schönheit sei, aber
viel daran fehle, dass sie ebenso viel Geist habe und so geschickt sei, als sie
euch gerühmt worden. Der König wird es euch aufs Wort glauben, und Sawy wird
die Beschämung haben, wieder ebenso mit seinem verderblichen Anschlag
verunglückt zu sein, wie so manches andere mal, wo er vergeblich versucht hat,
euch zu verderben. Beruhigt euch also, und wenn ihr meinem Rat folgen wollt, so
lasst diese Unterhändler rufen, bedeutet sie, dass ihr mit der schönen
Perserin nicht so zufrieden seid, und tragt ihnen auf, euch eine andere Sklavin
zu verschaffen.“

Da dieser Rat dem Wesir Chakan vernünftig schien, so
beruhigte er sich ein wenig, und entschloss sich, ihn zu befolgen. jedoch
verminderte dies in nichts seinen Zorn gegen seinen Sohn Nureddin.


1)
Nur-eddin bedeutet das Licht der Religion.